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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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22.08.2016, 23:21 | #1 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Unter Tage
(Begriffserläuterungen am Ende)
Mit dem Hobel, der an gespannt vibrierender Kette Kohle zahnt, im Streb um die Wette kriechend, verbissen des Pickhammers Spitze ins Hangende treibend, wegen der Hitze fluchend und schwitzend im Lampenlicht malochend: Zuckerschlecken ists wahrlich nicht. Lichtsignal: Halt!, der Panzer ruckt, steht still - Futtsack! Es zuckt flackernd die Lampe mehrmals Befehle. der Steiger hetzt vorbei , aus heisrer Kehle brüllend, wutverzerrt die Miene, ansonsten: Pause im Flöz Karoline. Zeit für ne Prise, ich schnupfe, niese die Nase staubfrei. Blick auf die Uhr: Zwanzig nach drei; eine halbe Stunde nur erst vorbei. Noch fünfe rabotti, dann ist die Schicht geschafft, Klamotten zusammengerafft, Glück Auf! Hinauf zum Licht. Immer noch Futtsack, weiter oben Rumoren, von unten, vor Ort, des Bohrhammers lärmendes Bohren. Ich atme jetzt ruhiger, erblicke, von Kohlengrus ganz eingestaubt, am Liegenden Tonschieferstücke. Hab eines davon aufgeklaubt, vom Staub befreit: Mit neuer Verwunderung seh ich millionenjahralte Musterung. Im sumpfigen Grunde die Wurzeln verkrallt grünten einst Bäume, strebten zum Licht, windgefächelt, regentrinkend, wuchsen schnell und wurden alt. Entwurzelt und fallend versinkend starben sie. Für immer? Ich glaub es nicht. Alles ertrank, erstickte, moderte, verkohlte, jahrtausendalter Wald, von Schlamm und Sand bedeckt - wer weiß noch, wo er stand - bevor ich die steinernen Siegel nach Übertage holte. Gepresst, gefaltet, verworfen, zu Kohle versteinten die Wälder, weil Wärme der Sonne und irdische Kraft im dauernden Wechsel zu einem Werk sich vereinten. Ein ewiges Gesetz, ständig gebärend-verderbend, schafft unentwegt, keines der Werke geht gänzlich verloren. So wurden dem Bunde der Sonne und Erde nach uraltem Gottwort: Es werde! - aus fruchtbarsten Schoß Schwarze Diamanten geboren Im Streb beginnen die Lampen Signale zu flackern. Zuende das Sinnen, Licht zuckt zum zweiten Male: Weiter ackern! Mit Muskelkraft und neuem Eisens Spitze wird weitermalocht trotz Staub und Hitze. Nicht mehr denken an Sonne und Licht: Kohle muss kommen - bis zum Ende der Schicht! Ein Gedanke blieb zurück: Es wäre doch ein großes Glück, wenn unsre Taten, unser Sein, prägend drückte Siegel ein in eine Seele nur - ihr Götter! - wie Schachtelhalm und Bärlapps Blätter unvergänglich Zeugnis geben von ihrem längst verloschnen Leben, wär mir die Ewigkeit gewonnen, erreicht die Sterne, die Sonnen, zu denen stolpernd ich strebe solang ich liebe, solang ich lebe. Begriffserläuterungen Hobel = Kohleabbaugerät Streb = Ort der Kohlegewinnung Hangende = bergmännisch oben (die Decke sozusagen) Liegende = unten (der Boden) Panzer = stählernes Fördermittel für die Kohle Futtsack = Panne, Betriebsstörung Flöz = Kohlelagerstätte Karoline = Die Flöze bekommen zwecks Unterscheidung Namen vor Ort = Vorderste Arbeitsstelle in der "Strecke" (umgangssprachlich Sollen) Schwarze Diamanten = Steinkohle Lampensignale = Verständigungsmittel (1 x = Halt, 2 x = vorwärts, 3 x = rückwärts) Schachtelhalm und Bärlapp = Baumarten vor 80 bis 300 Mill. Jahren (Karbonzeit) |
30.08.2016, 18:11 | #2 |
R.I.P.
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Hallo, Heinz,
ich würde das ganz und gar nicht als "Werklein" abtun, das wäre übertriebene Bescheidenheit, die ich ebensowenig mag wie ich Eigenlob mag. Ein Text steht für sich und für den Autor. Dieser Text hier ist Dir gut gelungen .ja, authentisch ist das allseits beliebte Wort für realistisch oder sachlich oder nah am Geschehen. (Ich definiere authentisch anders). Das Glossar ist nicht nur für Laien sehr hilfreich. Ich weiß, wovon ich schreibe, denn ich war mtr einem Bergmann verheiratet. Er hat der Grube ein Bein geopfert und lebenslange Schmerzen in dem mehr schlecht als recht geretteten Bein zurückbehalten. Aber er hatte noch Glück im Unglück gehabt. Das passierte am Flöz, das weitaus lockerer hing als vermutet. Deine "Story" ist sehr spannend, sie läßt den Leser nicht los bis zum Ende. Und das ist mehr als man von vielen Stories, die von Handlung nur so strotzen, sagen kann. Nun - überschwänglich will und kann ich nicht werden. Mein Fazit: Großes Lob. Freundlichen Gruß von Thing |
30.08.2016, 18:23 | #3 |
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889
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Hallo Heinz,
schade, jetzt verstehe ich dich nicht mehr. Warum hast du dieses Werk zweimal gepostet? Corazon |
30.08.2016, 18:30 | #4 |
Dabei seit: 10/2006
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Unter Tage
Hallo, Thing
dass ich bei der Benennung meiner schriftstellerischen Produktionen meistens die Bezeichnung "Gedicht" vermeide, ist Dir nicht unbekannt; ein paar Strophen gleich "Werk" zu nennen, scheint mir zu hoch gegriffen - das ist das ganze Geheimnis des Dimunitivs. Dass ich über die Maßen bescheiden bin, wird wohl niemand, der/die mich kennt, im Ernst annehmen. Was soll ich machen? Ich könnte meine Sachen durchnummerieren: "Unter Tage, op. 1" usw. Gut, Scherz beiseite. Ich freue mich über Dein Lob, vor allem, wenn es aus dem Munde einer offensichtlich Sachverständigen (Bergbau) kommt. "Authentisch" habe ich vielleicht ein wenig unbedacht übernommen, wirklichkeitsnah wäre wohl angebrachter. Unfälle unter Tage habe ich einige erlebt (das Schlimmste, was mir mal passiert ist, war ein Daumenbruch, also kaum der Rede wert), der Unterschied zu Betriebsunfällen über Tage ist vielleicht der, dass der Kumpel es unmittelbar mit Naturgewalten zu tun hat (was es natürlich auch in anderen Berufen gibt). Tödliche Unfälle hatten eine Bergmannsbeerdigung zufolge, die vom Ritual her vielleicht mit Seebestattungen vergleichbar sind. Noch einmal: Danke für Deinen Kommentar! Gruß, Heinz |
30.08.2016, 18:43 | #5 |
R.I.P.
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Bergmannsbeerigungen kenne ich.
Wenn dann von Bergmannschor und - Instrumenten "Glückauf, Ihr Bergleut jung und alt" und "Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt" intoniert wurde, wehte mich die Ewigkeit an. Freundlichen Geuß von Thing |
30.08.2016, 18:52 | #6 |
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makaber war es, als unser Chorleiter (ich war als Mitglied des Knappengesangvereins bei jeder Bergmannsbeerdigung dabei) - der selbst kein Bergmann war - das Lied singen ließ "Hinab, hinab, die Klopfe ruft/ihr Bergleut in den Schacht..." ("Klopfe", das war so ein Signalinstrument), lustig (ja, es gab auch lustige Beerdigungen) wurde es, als wir das Wunschlied unseres verstorbenen Ehrenvorsitzenden, Lebendgewicht ca. 3 Zentner, singen mussten "Von der Traube in die Tonne/von der Tonne in das Fass" - Du ahnst es vielleicht - er war ein begnadeter Säufer. Genug der Dönekes, einen schönen Abend,
Heinz |
30.08.2016, 21:20 | #7 | |
Dabei seit: 07/2006
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Zitat:
Aber ich kann mir das Motiv für dein Doppelposting denken, genauso wie mir klar ist, warum "authentisch" als Wertung für deine Gedichte jetzt plötzlich nicht mehr korrekt ist. Nun gut, du bist nicht der erste und sicher auch nicht der letzte, der mich enttäuscht. Das war's. Corazon |
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30.08.2016, 21:22 | #8 |
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So spielt das Leben - so is' es eben...
(Sabrina Setlur) |
30.08.2016, 21:37 | #9 |
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Liebe Corazon,
verzeih, aber ich war die ganze Zeit unterwegs. Warum ich "Unter Tage" zweimal eingestellt habe? Ganz einfach: Ich bin ein Dussel. Wenn ich wüsste, wie ich das Ding löschen könnte, würde ich es ja machen. Die Moderation habe ich schon darum gebeten, aber da tut sich nix. Liebe Grüße, Heinz |
30.08.2016, 22:36 | #10 | |
R.I.P.
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Zitat:
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31.08.2016, 00:56 | #11 |
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ach, dann lass ich es mal stehen.
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