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Alt 07.08.2006, 13:28   #1
Nachtschatten
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 270


Standard Stilvoll

Sie war grade mal 16 Jahre alt, doch ihren Charakter hatte sie schon definiert.
Ihre Lieblingsfarben waren blau und altrosa. Ihre Nägel dunkelrot lackiert.
Sie rauchte John Player Special, weil sie ausgerechnet hatte, dass nach acht Packungen eine gespart wurde, wegen der 50 Cent die mit der Packung zurückkamen.
Wenn sie morgens aufwachte und sich im Spiegel betrachtete, erkannte sie sich nie. Erst nachdem die farbigen Kontaktlinsen, der zu helle Puder, der schwarze Kajal und die schwarze Kleidung an ihrem Körper waren, konnte sie sich als sie selbst fühlen.
Nur noch ein gleichgültiger Blick für den Rest der Welt, der sie nicht verstehen konnte und auf zum Bus.
An der Bushaltestelle begann ihr geliebtes Alltagsmartyrium.
Eine Gruppe, von ihr abfällig genannter „Styler“, schleuderte Kommentare nach ihr, die sie angreifen sollten.
Äußerlich gab sie sich kühl, doch in ihr brodelte ein gefährlicher Trunk aus Wut, Bestätigung und Verachtung. Sie freute sich auf die Reaktionen und sie fand es praktisch, denn sie hatte Platz im Bus, keiner wollte ihr zu nahe kommen, so konnte ihr auch keiner zu Nahe treten.
Die Schule war für sie langweilig. Es war zu einfach, anspruchslos. Und doch hatte sie Probleme mit den Noten, denn die Lehrer bewerteten sie schlechter und aus lauter Trotz gegen das gesamte Schulsystem, war sie während des Unterrichts in ihrer eigenen Welt.
Es war eine bessere Welt, Menschen wie sie wurden akzeptiert und ihnen wurde die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Doch sie wusste, dass diese Gesellschaft zu plattgefahren war um sich zu verändern.
So träumte sie vor sich hin und war froh, wenn die Schule ein Ende hatte.
Zu Hause war nachmittags niemand. Ihre Mutter ging bis sieben arbeiten, sie hatte also alle Zeit der Welt.
Heute wollte sie wieder einen ihrer Tage machen an denen sie sich gut fühlte.
Sie mochte es, anders und geheimnisvoller als andere zu sein. Sie mochte es seltsame Dinge zu tun.
Die Musik im Hintergrund klingt düster und das Licht ist gedämmt, Kerzen helfen nach den Raum noch grade so zu erkennen. Die Rolladen sind herunter gelassen.
Sie zieht ihre Strickjacke aus und hat nun eine schöne Coursage an, die sie in der Schule nicht zeigen wollte. Nun geht sie zu der Schublade in der ihre Sachen liegen. Ein Räucherstäbchen, dass nach Opium riechen soll, es aber nicht tut. Sie zündet es trotzdem an.
Ein schwarzes Samttuch und einige Fotos. Dazu ein Messer, eine Packung Streichhölzer, eine blaue Kerze und eine Packung Tabletten.
Das Glas Wasser steht bereits auf ihrem Schreibtisch. Sie nimmt eine Tablette in den Mund, trinkt einen Schluck Wasser und schluckt die Tablette herunter. Dann lehnt sie sich zurück und schließt die Augen... Nichts passiert.
Nach zwei weiteren Tabletten breitet sie das Samttuch auf dem Schreibtisch aus, bildet einen Kreis aus den Fotos und schneidet von jedem Foto eine Ecke ab.
In einer kleinen Tonschale zündet sie die Ecken der Fotos an, während sie noch mehr Tabletten nimmt und noch eine Zigarette raucht.
Mit schwarzer Tusche schreibt sie ihr unbekannte Zeichen auf weißes Papier und verbrennt schließlich auch das.
Die Asche vermischt sie mit der Messerspitze. Sie hütet sich davor sie zu berühren, es könnte den Zauber des Rituals zerstören.
Mittlerweile müssten es acht Tabletten gewesen sein, sie zählt nach. Es waren elf.
Die Asche klebt noch immer am Messer, sie setzt es an ihre Pulsader, lehnt sich zurück, schließt die Augen und stellt sich vor, wie viel Stil dieser Freitod hätte.
Dann steht sie auf, lischt die Kerzen und das Räucherstäbchen aus, lässt die Roll-Laden hoch und räumt ihre Sachen zurück in die Schublade.
Die Asche der Fotoecken schmeißt sie in die Biotonne und dann zieht sie ihre Strickjacke wieder an.
Nur noch die Tabletten sind übrig, sie findet, es hat Stil von Schmerztabletten abhängig zu sein. Aber sie gesteht es sich nicht ein.
Dann schaltet sie den Fernseher an, schaut sich eine dieser niveaulosen Gerichtssendungen an und schläft darüber ein...
Nachtschatten ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.08.2006, 13:54   #2
jule
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 378


Hey Nachtschatten

ich muss sagen, dein Text gefällt mir sehr gut, weil ich selbst eine Freundin hab, die wegen dieser Vorurteile verurteilt wird. Der Unterschied ist, dass es in ihrem Leben auch Freunde gibt, dennoch sind die Vorurteile er anderen da.
Deine beschriebene Person sucht meiner Meinung nach nach Aufmerksamkeit, die sie auch bekommt, allerdings möchte sie die Sichtweise der Menschen verändern und somit endlich akzeptiert werden, so wie sie ist. Leider gelingt ihr das nicht, weil sie eine zu abweisende Art hat, welche die Außenstehenden nicht einmal an sich ranlässt. Das scheint sie aber nicht ganz zu verstehn, sonst würde sie offener auf die Menschen zugehen und ihnen beweisen, dass sie auch nur ein Mensch ist, das tut sie allerdings nicht. Sie geht die Sache falsch an, denn zu einer abwertenden Person kommt niemand freiwillig an. Mit ihrer Art bestätigt sie mehr oder minder die Vorurteile der anderen, obwohl sie das eigentlich gar nicht will. Infolge dessen geht es ihr miserabel. Sie nimmt Schmerztabletten, die ihren Schmerz unterdrücken sollen, sie denkt nach, es einfach zu beenden, doch bringt sie es nicht übers Herz, da sie erst die Zuneigung der Menschen erfahren will. Sie hängt tief im Innern noch an ihrem Leben, auch wenn sie das vielleicht nie zugeben würde, nichtmal vor sich selbst.
Am Anfang schreibst du, ihre Lieblingsfarben seien blau und altrosa (übrigens klein geschrieben ), ich denke, das sagst du nicht ohne Grund, sondern es soll noch einmal verdeutlichen, dass sie nicht durch und durch die schwarze, gruftige und harte Person ist, die sie zu sein scheint, sondern eher zart und zerbrechlich, im Grunde wie alle anderen ein ganz normaler Mensch.

Ich kann es nur nochmal wiederholen, deine Geschichte gefällt mir wirklich sehr, sie regt zum Nachdenken über die allgemeine Gesellschaft, aber auch über die, die sich ihr (scheinbar) widersetzen an. Ich denke an meinem langen Kommentar wird das alleine schon deutlich
jule ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.08.2006, 14:18   #3
Nachtschatten
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 270


Ja du hast es fast richtig erfasst Jule =)
Sie nimmt die Schmerztabletten mehr oder weniger um den Schmerz zu unterdrücken, eher um die Welt um sich herum zu vergessen, so wie Schlaftabletten (von den meisten Überdosierungen wird man schließlich müde)
Find gut, dass du das mit dem blaun und altrosa gefunden und richtig interpretiert hast.
Danke für deinen lieben Kommentar =)
Nachtschatten
Nachtschatten ist offline   Mit Zitat antworten
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