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Alt 01.11.2012, 14:12   #1
männlich Desperado
 
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Standard Das streitbare Mönchlein

Als nach den katholischen Spaniern und ihrer Schreckensherrschaft die Glaubensflüchtlinge reformierter Freikirchen in den Süden geströmt kamen, hofften die geplagten Indianervölker naiv und gutgläubig, dass die Neuankömmlinge als Verfolgte mehr Verständnis aufbringen würden für Not und Belange der Ureinwohner als ihre katholischen Vorgänger, sehen sich jedoch nicht nur bitterlich enttäuscht sondern eines Besseren belehrt, deren Fanatismus in Glaubensfragen erscheint mitunter sogar noch unversöhnlicher.

Erneut wird Martin Luthers eigentliches Ansinnen ins Gegenteil verkehrt und der große Reformator bitterlich betrogen, von Calvinisten, Methodisten, Baptisten oder wie die Glaubenskrieger alle heißen mögen missbraucht, mir fehlt da wirklich der nötige Überblick. Der rote Heide jedenfalls bleibt ein primitiver Untermensch, muss mitnichten als Nächster betrachtet und deshalb auch nicht so behandelt werden, wie die Bibel es ursprünglich lehrt, zumindest in ihrem jüngsten Abschnitt, wozu in drei Teufels Namen hat der kämpferische Magister sie wohl übersetzt?

Ein römischer Papst will meines Wissens seinerzeit irgendwann einen gewaltigen neuen Dom bauen, errichtet auf dem Grab des Apostels Petrus, weiß der Pilgrim, wie der da hingekommen sein soll, der Kirchensäckel jedenfalls gibt nicht genug her für seine hochtrabend himmelstürmenden Pläne, da lässt der findige Geschäftsmann kurzerhand eine Armee von Predigern auf die Leute los, die ihnen Vergebung für all ihre Sünden versprechen, wenn sie dafür ein paar Kröten locker machen. Es klingelt gewaltig im Beutel, weil die einfachen Leute das nicht weniger entgegenkommend und unkompliziert finden, als die Steinreichen es tun und die erst recht und allen voran.

Einem gewissenhaften Mönch mag das nicht gefallen, weder steht etwas im heiligen Buch geschrieben von einem Lösegeld noch von einem Freikauf, da wär der Mann aus Nazaret ja völlig für die Katz gestorben, sagt er laut, zu laut offenbar, sein Unken dringt durch bis zum Kaiser, der sich zugleich als weltliches Oberhaupt der Kirche versteht und darauf pocht, auch so verstanden zu werden, das aufmüpfige Mönchlein und sein Protest gefallen wiederum dem Kaiser nicht, erst recht nicht seinen Ratgebern, den Bischöfen, Kardinälen und sonstigen Purpurträgern und Kirchenfürsten, hab’ da keinen Einblick und scher’ mich auch nicht drum.

Um seinem aufrechten Anliegen den nötigen Nachdruck zu verleihen, nagelt der Magister ein Schriftstück an die Kirchentür, eingedenk der Tatsache, was da sonst schon so allerhand an heilige Pforten genagelt vielmehr gekreuzigt wurde, mag einem so ein Pergament harmlos erscheinen, es kommt eben immer drauf an, was auf demselben geschrieben steht, und die Thesen, die der gelehrte Mann gewissenhaft zusammengetragen hat, haben es offenbar in sich und verfügen über eine gehörige Menge Sprengkraft.

Der aufrührerische Freischärler hat was gegen die von Gott eingesetzten Obrigkeiten, heißt es allsogleich entrüstet, der kleine Mönch wagt es außerdem, den heiligen Vater in Frage zu stellen und lästert Gott damit, weil der Papst ohne Frage jede Frage fraglos erübrigt, eine doch recht fragwürdige Angelegenheit möcht’ ich mal ungefragt sagen, jedenfalls muss der lärmende Häretiker auf der Stelle zum Schweigen gebracht, mundtot und stumm gemacht werden. Da „wir“ aber sehr barmherzig sind, darf der Aufwiegler öffentlich widerrufen und Schwamm über die leidige Sache, meucheln können wir ihn hinterher immer noch.

Der tapfere Mönch aber lässt sich nicht einschüchtern und irre machen.

Hier steh ich und kann nicht anders, ich weiß vor meinem Gott, dass ich recht habe, beharrt er stocksteif auf seiner Blasphemie im Angesicht des Kaisers des heiligen römischen oder was auch immer für eines Reiches, wie es Kröpfe wie derselbe seit jeher ihr eigen zu nennen pflegen, und das soll dem Todesverachtenden erst mal einer nachmachen, dazu gibt’s nur eines zu sagen- Hut ab, eines wahren Desperado würdig!

Der wahrheitsliebende Mönch wird über Nacht zum großen Gottesstreiter, bald stellen sich immer mehr mächtige Männer hinter den Religionsmagister, die ihre Fremdbestimmung und Schröpfung leid sind, und es kommt wie es kommen muss. Auf einmal gibt es nicht nur zwei oder drei Päpste wie bis dahin immer wieder mal der Fall, wenn sich die Unfehlbarkeit auf drei uneinige Köpfe verteilte, sondern tatsächlich zwei Kirchen, deren „abgespaltene“ neue den Papst nicht mehr als Stellvertreter Christi über sich haben will, was sicher auch damit zusammenhängt, dass der Fettsack am Kreuz eine ziemlich klägliche und lächerliche Erlöserfigur abgeben würde.

Und es folgen Religionskriege, wie die Welt sie bis dahin noch nicht gesehen hat und auch der Apostel Bartholomäus nicht des nachts.

Der Mönch, der bald darauf die Liebe seines Lebens finden wird und somit keiner mehr sein will, steht mit einem mal zwischen den Feuern, und wie um zu beweisen, dass es ihm allein um Gottes Wort geht und sonst nichts, vor allem keine weltlichen Belange und Meinungsverschiedenheiten, fällt er den entflammten Bauern in den Rücken, mit Worten zumindest, als diese die Gunst der Stunde nutzen und den Aufstand gegen ihre Leibeigner wagen. Da beruft sich der Nichtmehrmönch auf einmal auf den Saulus, den das Licht mit solcher Wucht getroffen hatte seinerzeit, dass es ihn gleich aus dem Sattel hob, worauf er zum sprichwörtlichen Paulus wurde, und der da irgendwo mal zu irgendwem was gesagt oder besser an irgendwen was geschrieben hat von der „von Gottes unergründlichem Ratschluss eingesetzten“ Obrigkeit, an der deshalb nicht zu rütteln sei. Oder war das der Petrus, ist ja jetzt nicht so wichtig.

Seltsam auf alle Fälle, hat der Mönch doch grade noch eben genau dasselbe gemacht wie keiner vor ihm.

Vielleicht ging es den jüdischen Konvertiten Saul oder Kaiphas damals um die Verhinderung eines Attentats oder die Abwendung eines hoffnungslosen Aufruhrs, wie auch immer, da den Zusammenhang des Schreibens sowieso keiner mehr kennt, wird diese persönliche und offenbar eingeforderte Meinung von Bibelfesten aller Konfessionen bis heute als gottgegeben hingenommen und propagiert, vielmehr der Inhalt dieser doch eigentlich zutiefst gotteslästerlichen Behauptung, vor allem verständlicherweise seitens der Obrigkeiten von Gottes Gnaden.

Aber was kümmert’s einen Desperado, zum Schluss hat er sich noch gegen den Heiligen Geist versündigt, da musst du höllisch aufpassen, die haben den nämlich gepachtet, keine Ahnung wie das gehen soll.

Die konvertierten Fürsten jedenfalls nehmen den inzwischen einflussreich gewordenen Martin beim Wort und hetzen ihre Söldnerheere gegen die zornigen Bauern, die mit Sensen, Sicheln und Dreschflegeln nicht den Hauch einer Chance haben gegen die schwerstbewaffneten Schlächter der bestgerüsteten Soldaten. Nicht Greis, nicht Frau noch Kind wird geschont, das Blutbad, das die Truppen anrichten ist dergestalt unvorstellbar, dass seine Ströme die Felder der Bauern bis heute nähren dürften, was man an den tiefroten Blütenheeren des Klatschmohn in den goldenen Ähren recht anschaulich erkennen kann.

Der gottesfürchtige Mönch sieht sich bitterlich betrogen, erkennt die wahre Unnatur der Mächtigen und des Menschen an sich, wird zudem von kaiserlichen und päpstlichen Schächern und Meuchelmördern rund um die Sanduhr bedroht und findet schließlich mit seiner Familie Exil und Zuflucht in der Trutzburg eines Freundes, wo er sein Lebenswerk vollbringt mit der Übersetzung der Bible aus dem Lateinischen ins Theutsche, was es wiederum all den Nichtlateinern der alten Welt leicht macht, sie in ihre jeweilige Landessprache zu übertragen und dadurch die durchaus erfreulichen Entwicklungen der nächsten Jahrhunderte überhaupt erst möglich zu machen, die entsetzlichen wären auch ohne diese seine Großtat zu Tage getreten, lediglich mit dem Unterschied, dass nunmehr eben auch das übersetzte Wort Gottes zur Handhabe von Vertreibung und Völkermord dient.

So in etwa hat’s mir der alte Baptisten Prediger mal berichtet, es ist immer gut, wenn man in allen Kreisen seine Informationsträger hocken hat, um einigermaßen Überblick zu bekommen über den heillosen Dschungel der Heilslehren.
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