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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 28.10.2009, 11:21   #1
männlich moon
 
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Ort: im All
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Standard Todestraktat

Da ging er nun, von gleich auf jetzt
und wenn auch nicht vollends gehetzt
die Schritte laut, die Hand im Nacken,
einsam wie in Kriegsbaracken

Der Glaube vage, der Wille blieb
getragen von des Bösen Trieb
scheinst du zu fliehen, gar vor dir selbst?
war die Frage, die er sich stellt`

Verloren hat er, doch gewann
die Treue eines Teufels Bann
der neue Glaube nicht zu brechen
die Vernunft ist nicht mehr anzusprechen
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Alt 28.10.2009, 22:52   #2
weiblich IsabelG
 
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Alter: 41
Beiträge: 533

Hallo moon,

mir gefällt dein Text (mal abgesehen von der Zentrierten Form ) sehr gut. Ich hab zwar länger gebraucht um es für mich zu Interpretieren und ich hab immer noch ein paar Fragen aber die kannst du mir sicherlich beantworten.

Zitat:
einsam wie in Kriegsbaracken
dies lässt vermuten dass er auf dem Weg zu seiner Hinrichtung wie im Krieg mit sich selbst und der Welt fühlt. Als müsse er gegen die ungerechtigkeit "ankämpfen". Jedoch hat er niemanden der für ihn "kämpft", er ist einsam.

Zitat:
Der Glaube vage, der Wille blieb
getragen von des Bösen Trieb
also hier Rätsel ich ob du von seinem Glauben, Wille und Bösen Trieb sprichst oder die Gesellschaft welche ihn Hinrichten ließ. Also wenn ich es mal so deute wie ich möchte dann würde ich sagen es ist der "Böse Trieb" einer Gesellschaft und dies hat dazu geführt dass sein Glaube vage wurde er aber trotzdem seinen Wille behalten hat.

Zitat:
scheinst du zu fliehen, gar vor dir selbst?
schwierig. Doch hier würde ich fast sagen er wird gezwungen zu fliehen. Das heisst er wird hingerichtet. Ist das wirklich eine gerechte Strafe? So gesehen muss er sich dann auch nicht mehr mit seinem Gewissen auseinandersetzten und sich so jeden Tag mit seiner Tat (vorausgesetzt er ist nicht unschuldig) konfrontieren.

Zitat:
Verloren hat er, doch gewann
die Treue eines Teufels Bann
nun ja, er hat verloren, im Gerichtssaal, doch nach dem Glauben vieler wird er wohl in der Hölle brutzeln, hat somit einen neuen Freund gewonnen. Oder war es womöglich ganz anders gemeint?

Zitat:
der neue Glaube nicht zu brechen
die Vernunft ist nicht mehr anzusprechen
das sind finde ich die besten Zeilen des ganzen Textes. Wirklich ich finde sie sehr gut! Der neue Glaube könnte hier für das Urteil stehen welches gefällt wurde oder ist sein eigener Glaube gemeint? Und mit der Vernunft könntest du die der Gesellschaft bzw derer ansprechen die ihn verurteilt haben und eigentlich nichts anderes machen als noch einmal ein Verbrechen zu begehen.

Nun dies ist meine Interpretation. Würde mich freuen zu hören ob ich nahe dran war oder total daneben.

Sehr gerne gelesen.

Viele Grüße,
Isabel
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Alt 29.10.2009, 13:35   #3
männlich moon
 
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Liebe Isa,

vielen Dank, dass du dir soviel Zeit für mein Gedicht genommen hast!

Ich hatte während des Schreibens zwei verschiedene Blickwinkel von zwei Menschen im Kopf, die sich jeweils am anderen Ende eines Spektrums befinden. Diese habe ich versucht, in einem Text zu kombinieren. Das hat dazu geführt, dass manche Passagen zweideutig sind. So ist allein der Titel ja schon ambivalent. Deshalb war ich positiv überrascht, dass du soviele richtige Bilder erkannt hast.

Du hast recht, es geht um eine Hinrichtung. Allerdings sollte hier zunächst auf das Innenleben das Hinrichtenden Bezug genommen werden. "Da ging er nun, von gleich auf jetzt" ist nicht physisch gemeint, sondern der Zweifel, der den Beamten kurz davor erfüllt. Es sind seine lauten Schritte und er packt den Verurteilten am Nacken. Einsam ist er mit seinem Zweifel an seinem Beruf.

So ist sein Glaube an die Richtigkeit seiner Handlungen eher vage, doch der Wille es zu tun, bleibt bestehen. Da er in seinem Job angehalten ist, jegliche moralischen Bedenken abzulegen, versucht er an seine bisherige Standhaftigkeit zu denken ("des Bösen Trieb"). Die anschließende Frage nach der Flucht vor sich selbst drückt die letzten noch bestehenden Gewissensbisse aus.

Den Kampf gegen die Zweifel verliert er schließlich (hier ein Bezug zur ersten Strophe: "und wenn auch nicht vollends gehetzt", sondern nach innerem Konflikt). Der "neue Glaube" an seine "Pflicht" hat sich also mit der Überzeugungskraft seines starken Willens durchgesetzt und lässt keine Besinnung zur Vernunft mehr zu.

Die Ambivalenz besteht nun darin, dass man den Text auch aus der Sicht des Verurteilten sehen kann. So wie du es absolut überzeugend getan hast. Hier wäre dann der Gang zur Hinrichtung gemeint, wie du ihn geschildert hast. Ich hatte zudem noch die Möglichkeit des Verurteilten im Sinn, sein Leben vorzeitig selbst zu beenden. Diese Suizidgedanken setzt er dann schließlich auch in die Tat um, um nicht dem Tod als seiner Strafe zu begegnen. Das "Fliehen vor sich selbst" bekommt hier seine zweite Bedeutung. Die Flucht vor seiner Schuld.

Es ist ein sehr zweideutiger Text und mir gefällt deine Interpretation wirklich gut. Ich finde es sehr spannend, wie du es aufgefasst hast. Ich hoffe, ich konnte ein paar deiner offenen Fragen noch beantworten.

moon
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Alt 30.10.2009, 10:20   #4
weiblich IsabelG
 
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Ort: eschwege
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Beiträge: 533

Hallo moon,

ich finde deine Erklärung löst schon einige Fragen in Luft auf Interessant zu sehen dass ich doch daneben lag mit meiner Vermutung dass die andere Perspektive die Gesellschaftliche sein könnte.
Ist eben doch nicht immer so offensichtlich.

Freut mich auch dass man so viel aus diesem Text lesen kann, in verschiedene Weise für sich Interpretieren kann.

Ich habe mal einen Spruch herausgesucht weil ich irgendwie finde dass er zu dem Zwiespalt in diesem Text passt.

"Wenn man den Tod abschaffen könnte, dagegen hätten wir nichts; die Todesstrafen abzuschaffen, wird schwer halten. Geschieht es, so rufen wir sie gelegentlich wieder zurück." -Goethe

Sollte jetzt nicht meine Meinung darstellen doch ich musste daran denken als ich deinen Text laß, es ruft einfach unterschiedliche Sichtweisen der Leute hervor.

Viele Grüße,
Isabel
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