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19.01.2012, 12:47 | #1 |
Zum Wohle, liebes Leben
Zum Wohle, liebes Leben
(Autobiografisches Fragment 1982 ) Komisch war es schon, wenn ich am Rhein saß und dem Qualm der Kamine zusah. Er zog in eine Richtung, löste sich langsam auf und verschwand im blauen Nichts. Er erinnerte mich an mich selber, auf den Straßen meiner Lebens. Ich hatte nichts hinterlassen, außer einem faden Beigeschmack von Versagen. Gerthie hatte mich verlassen, als ich meinen Job verlor. Sie nahm die Kinder mit und hinterließ mir nur den Geruch unserer Wohnung. Still war es seitdem. Keiner lachte, keiner weinte. Und keiner lebte mehr in diesen Räumen. Ich wollte eigentlich renovieren, als Zeichen des Neuanfanges, aber ich hatte es nie geschafft. Zu schwer war die Resignation. Sie lag wie eine Jacke aus Blei auf meinen Schultern und schränkte meine Entscheidungen ein. “Das Leben muss weitergehen.” Ich hörte es von so vielen Menschen. Von Menschen mit glücklichen Familien und Vätern mit Einkommen. Es war leicht gute Rezepte zu verteilen, wenn man selber keinen Dreck essen musste. Aber sie meinten es gut. Alle meinten es nur gut. Irgendwann fing ich an zu saufen. Es machte vieles leichter und ich träumte wieder in Farben. Morgens trank ich schon zwei, drei Jägermeister um meine Level auf Betriebstemperatur zu bekommen. Dann über den Tag verteilt eine Flasche Wodka und wenn noch Kohle übrig blieb, vielleicht noch ein paar Flaschen Bier dazu. Ich trank alleine, nie mit anderen. Ich hatte Angst vor Resozialisierung. Das einzige was mir geblieben war, war mein Intellekt. Nicht sehr viel, aber ich hielt mich daran fest und redete mir ein, dass ich aufgrund meines Intellektes etwas besseres sei als die anderen Trinker. Halt ein schlauer Säufer. Wofür das auch immer gut sein sollte. Ich fing an wirre Gedichte zu schreiben. Sie handelten vom gescheiterten Leben, von willigen Frauen und von Sonne. Lebenswegdillemma Erbreche Leben auf kalten Asphalt und ertränke die Notwendigkeit des Atmens in einem Eimer aus zerbrochenen Träumen. Lebenswegdilemma Vergehe mich an meinen Hoffnungen und töte ihre kleinen Funken im Delirium der Ignoranz. Sie waren alle gleich. Manchmal schrieb ich fünfzig Gedichte am Tag. Identische, geklonte Beschreibungen meiner eigenen Befindlichkeit. Ich versteckte mich hinter ihnen, wie hinter einer Wand aus Worten. Aber sie schützten nicht besonders gut. Der Gestank des Abgrundes wehte leicht und beständig hindurch. Ich konnte es riechen und fühlen. Es waren vielleicht noch ein, zwei Schritte und dann war ich Geschichte. Eine schlechte, nicht zu Ende geschriebene Geschichte. Mehr nicht. Ich wusste sehr genau, dass ich ein paar Seiten einfügen musste, um das vorhersehbare Ende umzuschreiben, aber meine innere Antriebsfeder war gebrochen und das Uhrwerk meiner Energie stand still. Ich hatte keine Alternativen mehr, außer zu warten Warten auf ein Wunder, ein Zeichen, oder eine Begegnung, die mich an den Haaren aus dem Sumpf meiner Unbeweglichkeit riss. Also trank ich auf das was kommen würde. Zum Wohle, liebes Leben. . |
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19.01.2012, 17:30 | #2 |
R.I.P.
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Halli Hallo, BB -
eine sehr eindringliche Schilderung mit dem Mut zur schonungslosen Wahrheit. Das klingt so authentisch, dennoch hoffe ich, daß ich Fiktion gelesen habe. Weil ich mich so ein klein wenig in einem Spiegel zu sehen fürchte. Ich hätte es in jedem Fall lieber als Fiktion. Du hast mit diesen Zeilen tiefen Eindruck auf mich gemacht, weil Du nicht, wie Fallada, weinerlich daherkommst, sondern (verzeih!) nüchtern und trocken. LG Thing |
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