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06.04.2015, 18:09 | #1 |
Die Libelle
Er saß schon auf seinem Platz in der Nähe des Schilfs als die Sonne aufging. Es war noch kühl und Nebel zog über den See.
Er hatte sich ein großes Seerosenblatt ausgesucht, er war ja auch ein großer Frosch. Außerdem fand er, dass er das Recht hatte auf den besten Platz, schließlich war er der Chef am Seeufer. Es mochte ihn keiner besonders aber das war ihm egal, es war nicht wichtig. Wichtig war für ihn sein Platz und die Aussicht auf eine erfolgreiche Jagd, schließlich brauchte er eine Menge Insekten, bis sein Froschbauch sich wohl fühlte. Er hoffte jeden Tag darauf, dass er für die Spaziergänger unsichtbar blieb und vor allem für die fürchterlichen Kinder, das Schreien, Lärmen, Toben nervte ihn wirklich. Sie warfen Stöcke und Steine ins Wasser und störten seine Ruhe. Wenn ihn mal ein Kind entdeckte ging es auch schon los: "Sieh mal...das ist aber ein dicker, hässlicher Frosch und wie böse er aussieht !!" Und schon platschten in seiner Nähe Gegenstände ins Wasser und er musste abtauchen. Nicht, dass es ihn beleidigte, aus seiner Sicht waren die Menschen auch hässlich und vor allem laut, sie störten einfach seinen Tagesablauf und zwangen ihn zu ungewollten Aktivitäten. Schließlich ist ein Frosch nur dann ein erfolgreicher Frosch, wenn er in Ruhe seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann...beobachten, warten und unverhofft zuschlagen. Inzwischen war die Sonne da und vertrieb den Nebel und er rückte sich auf seinem Blatt in eine bequemere Position, man konnte ihn kaum sehen, so gut war er getarnt. Seine Haut war braungrün wie das Blatt und er wartete.... Dann sah er SIE...... Eine riesige Libelle, nicht so ein mageres Fädchen mit zwei Flügeln dran, nein...ein richtig großes Exemplar. Sie flog dicht über dem Wasser und er machte sich so flach wie möglich, um nicht aufzufallen. Sie war -trotz ihrer Größe- recht schnell und verharrte nur Sekunden an einer bestimmten Stelle. So ein leckerer Happen wäre schon was, dachte er sich. Die Libelle hatte den Frosch aber auch gesehen und war vorsichtig. Sie landete auf einem der langen Gräser, die am Ufer wuchsen, recht dicht in seiner Nähe, wo sie ihn gut beobachten konnte. Was für ein Frosch....fast hätte sie ihn übersehen. Er ist bestimmt ziemlich alt, dachte sie. Die Sonne wärmte sie und sie beschloss, ein wenig zu bleiben. Der Frosch beobachtete die Libelle. Er wusste, dass er momentan keine Chance hatte aber er konnte warten. Wenn ihr der See gefiel, wird sie bleiben. Was für ein albernes Geschöpf sie ist, dachte er gelangweilt, scheinbar endlos putzte sie ihre riesigen Augen und ihre Flügel, die in der Sonne in allen Regenbogenfarben glitzerten. Ihr Körper war schwarz mit kobaltblauen Flecken, die ihm geradezu aufdringlich ins Auge stachen - egal, Hauptsache es schmeckt, dachte er. "Findest Du mich schön ?" fragte sie plötzlich. Der dicke Frosch brauchte ein paar Sekunden, um diese törichte Frage zu verdauen. "Schön ? Du bist albern, schön wäre es, wenn du in meinem Bauch landen würdest !" brummte er, "nur dann, würde es einen Sinn machen". "Wenn du mich frisst, kannst du mich aber nicht mehr ansehen, sieh nur, wie schön meine Flügel glitzern und in meinen Augen kannst du fast die ganze Welt sehen" erwiderte sie und strich sich mit ihren Vorderbeinen über die Augen. "Was interessiert mich die Welt ?" blubberte er los, "ich will satt werden und meine Ruhe haben und du bist Nahrung und sonst gar nichts" Die Libelle flog ein wenig näher und setze sich auf einen tieferen Halm, gerade noch so weit entfernt, dass er sie nicht erwischen konnte. "Ich weiß, dass ich nur Futter für dich bin, ich fände es aber auch schön, wenn du noch etwas anderes sehen würdest" "Du redest eindeutig zu viel" erwiderte er und drehte sich in ihre Richtung in der Hoffnung, dass sie vielleicht doch noch etwas näher kommt. Sie ließ sich nicht beeindrucken und erzählte ihm von den vielen Seen, die sie schon gesehen hat, den Sonnenauf- und -untergängen, den Liebespaaren im Schilf und den kleinen Kindern, die jeden Grashalm und jeden Käfer in die Hand nehmen, und noch die Fähigkeit hatten, zu staunen. Der Frosch langweilte sich, er drehte sich um und konzentrierte sich auf die Mücken und Fliegen, die übers Wasser tanzten und von dort aus direkt in seinen Magen. Die Libelle kam jeden Tag und erzählte ihre Geschichten und der Frosch ignorierte sie weitestgehend und beschäftigte sich mit seiner Futtersuche. Eines morgens saß er auf seinem Blatt und beobachtete das Wasser. Wasserläufer huschten über die seidige Oberfläche. Er überlegte, ob er vielleicht heute hineinspringen sollte um besser an seine Beute ranzukommen, aber er tat es dann doch nicht. Überhaupt fühlte er sich merkwürdig. Er sah um sich herum und beschloss, schlechte Laune zu haben, soweit er vergleichsweise schon mal bessere Laune hatte. Die Mücken schmeckten heute auch irgendwie fade. "Vielleicht werde ich krank" dachte er, sprang ins Wasser und schwamm am Ufer entlang. Nach einiger Zeit durchfuhr es ihn wie ein Blitz !! Die Libelle war nicht da !!! Diese törichte, alberne, eingebildete, schwatzhafte Nahrung war heute nicht auf ihrem Grashalm, um ihm den Nerv zu töten. Wenn sie nun jemand anderes gefressen hatte. Für einen Moment bekam er einen Schreck...es war SEINE Libelle, wenn er das Gequatsche schon ertragen musste, wollte er zumindest das Recht für sich beanspruchen, sie auch fressen zu dürfen, wenn sie einen Fehler machen sollte. WO war sie ?? Er warf einen missmutigen Blick in die Richtung seiner Kollegen, die im gebührenden Abstand irgendwelchen Blödsinn veranstalteten. Nein, wenn es ihm bisher nicht gelungen war, sie zu fangen, denen da schon gar nicht !! Er schwamm zurück zu seinem Blatt und nahm darauf Platz. Egal, weg ist sie eben - endlich Ruhe. Und was für einen Schwachsinn sie so gequasselt hatte.....von Farben, Düften und Schönheit....alten und jungen Menschen, Träumen, Hoffnungen....kurz gesagt....Quatsch eben !!! "Leben, Fressen, Vermehren, Sterben...das ist die Wahrheit...alles andere ist nur Gefasel !!" stellte er fest und beschloss, zur Tagesordnung überzugehen. Doch es war kein Tag mehr so, wie er mal war. Es war ihm, als wäre er gefangen und er wurde wütend: "Tagelang plappert sie mir die Ohren voll und dann verschwindet sie einfach !! Ich hasse Libellen !!!" Dicht über der Wasseroberfläche sah er ein Glitzern...er sprang auf sein Seerosenblatt und kniff die Augen zusammen....da kam etwas angeflogen, was nach Beute aussah, er riss sich zusammen und verharrte in Angriffsposition....es surrte und flimmerte und schoss kurz vor ihm in die Höhe... SIE war es....sie setzte sich auf den gewohnten Halm schräg vor ihm und sah ihn an. "Hast du mich vermisst ?" fragte sie und ließ ihre Flügel surren. "Blödsinn" knurrte er, "ich hab die Ruhe genossen, was willst du schon wieder?" er versuchte möglichst teilnahmslos zu erscheinen. Unterdessen saß sie da und beobachtete ihn, während sie sich putzte. "Hör endlich mit dem Blödsinn auf, und leg los" schnauzte er sie an und beschloss, ...dass es vollkommen ausreichte, sie erst im nächsten Sommer zu fressen. |
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04.05.2015, 12:32 | #2 |
mag ich sehr,
liebe Grüße |
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13.08.2015, 18:10 | #3 |
Sehr sehr hübsch geschrieben! Eine richtig schöne Fabel Tolle Idee und toll umgesetzt!
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21.08.2015, 21:34 | #4 |
danke
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21.08.2015, 22:46 | #5 |
R.I.P.
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Hallo Merrick,
hab's schon dreimal gelesen, bin ganz hin und her gerissen, einmalig - wie im richtigen Leben, ein Genuss. Merith |
22.08.2015, 09:21 | #6 |
Hallo Merrick,
die richtige Lektüre für den noch frühen Morgen. Schön geschrieben wie ich finde! Liebe Grüße Gylon |
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22.08.2015, 10:58 | #7 |
Vielen Dank für die lieben Worte. Diese kleine Geschichte bedeutet mir auch sehr viel, obwohl ich daran ständig noch etwas verbessern möchte, aber das ist wohl normal
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24.08.2015, 10:30 | #8 |
R.I.P.
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was für eine wunderbare fabel! gut, dass das vor mir schon über 200 Leute gemerkt haben. wünsche dir weitere solche geschichten und viel efolg damit.
url |
29.08.2015, 23:07 | #9 |
abgemeldet
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Liebe Merrick,
ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen, eine wunderbare Fabel hast du da geschrieben, sehr lebensnah. Hab ich sehr gern gelesen und werd ich bestimmt auch noch öfters lesen. Lieben Abendgruß Letreo |
04.09.2015, 03:56 | #10 |
Dabei seit: 08/2015
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Alter: 39
Beiträge: 771
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Sehr schön.
Eine wunderbare Geschichte, - Märchen, - Fabel. Könnte ich glatt jeden Abend meinen imaginären Kindern vor zu Bett gehen vorlesen.
Sehr schön umgesetzt, ich finde es toll, dass du dich in solch Art von der Schreibe fügen kannst. Alles gute dir, und weiter so! Gruß Leandra - |
Lesezeichen für Die Libelle |
Stichworte |
libelle; frosch; see |
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