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05.10.2014, 15:17 | #1 |
Warten
Als er am nächsten Abend nach Hause kam, wartete sie schon auf ihn. Ja, sie hatte eigentlich den ganzen Tag gewartet, wenn sie es recht überlegte, hatte sie ihr Leben lang auf ihn gewartet.
Zu Beginn ihrer Ehe ging er oft abends nach der Arbeit noch weg. Schließlich musste er dafür sorgen, dass genug Brot im Hause war, denn dass sie direkt von ihm schwanger werden und Zwillinge bekommen würde, das hatte keiner von ihnen beiden erwartet. Es war knapp das Brot und so hatte er einen Grund, fortzubleiben. Er musste Geld für Essen auftreiben und sie hatte allen Grund, auf ihn zu warten. Ihr Grund hieß Helmut und ihr Grund hieß Anna, beides ihre Kinder, die hungrig auf das Abendmahl warteten – gemeinsam warteten sie zu dritt – auf ihn , der so oft nicht kam in den Abendstunden, da sie hungrig nach ihm waren. Später, als die Kinder etwas älter waren, zog er in den Krieg. Und wieder wartete sie auf ihn, wartete auf das Atmen neben sich, in ihrem Bett, darauf, dass er kommen und sie in den Arm nehmen würde, sie und die beiden Kinder, die warteten auf ihren Vater, den Soldaten. Er kam nicht, er kam lange nicht, blieb fort und sie hatte keine Ahnung, wie lange sie noch warten müsste. Alle warteten, die Nachbarin von Gegenüber mit den blonden langen Locken, der der Friseursalon um die Ecke gehörte; die alte Frau, die in ihrem Korblehnstuhl saß und zum Fenster hinausblickte; die kleine Liesel, die monoton Stunde um Stunde mit ihrem Seil auf der Straße sprang, alle warteten, starrten irgendwie in die Ferne, als könnten ihre Blicke ins Leere die Männer schneller zurückbringen. Es kam keiner und es kam kein Brot und es kam kein Ende des Krieges, obwohl doch alle so sehnsüchtig darauf warteten. Warteten auf Zeiten, in denen sie satt und glücklich sein konnten, in denen das Warten endlich ein Ende haben sollte, aber es hatte kein Ende. Und nun saß sie wieder hier am Küchentisch mit den Krümeln der letzten Nacht, die mit ihr warteten. Die Kinder waren längst aus dem Hause, keiner wartete mehr mit ihr, nicht einmal mehr Purzel, der Rauhaardackel, der war längst gestorben. Hatte sich verschluckt an den Krümeln der Nachkriegszeit. Keiner wartete mehr mit ihr, nicht einmal ihre Sehnsucht, auch die war ihr abhanden gekommen in den Zeiten des Wartens. Sie war des Wartens überdrüssig geworden, die Sehnsucht, hatte sich abgewandt, versteckt. So saß sie alleine am Küchentisch, keine Gesellschaft, keine Gefühle, nur das vertraute Wissen um das Warten. Sie wusste genau, wo er jetzt saß und worauf er wartete, so wie jeden Abend, und sie wartete eigentlich nur noch darauf, dass diese Gedanken und Bilder in ihr verschwänden und dass sie nicht mehr darauf warten müsste und das Warten darauf vergessen könnte. |
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05.10.2014, 21:16 | #2 |
gesperrt
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Liebe Anna,
das ist eine ganz herzergreifende, traurige Geschichte voller Resignation und verlorener Hoffnung. Vor allem aber ist sie hervorragend geschrieben, nicht zu lang, und die Worte wohlgesetzt, das richtige Gefühl vermittelnd, dieses lebenslange Warten, dieses Unerfüllte. Ich finde es nur schade, dass dies Forum nicht der richtige Ort ist für solche Geschichten, hier bekommst Du kaum Feedback, außer von den üblichen Oberlehrern, die hier auf Streife gehen. Für mich ist es es eine der besten Geschichten, die hier stehen. Danke dafür! Jeronimo |
05.10.2014, 21:31 | #3 |
O das hätte ich nicht erwartet, dass überhaupt jemand meine Worte hier findet .. vielen Dank Jeronimo, ich bin ....
dabei fehlt noch ein letzter Satz, den ich leider hier separat einfügen muss: Aber sie wusste, sie würde auch darauf noch warten müssen. ..... Tausend Danke, deine Worte bedeuten mir sehr viel .. Liebe Grüße Anna |
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06.10.2014, 23:28 | #4 |
Liebe anna,
auch hier möchte ich unbedingt noch einen kurzen Kommentar schreiben, weil ich diese Geschichte schon beim ersten Lesen ganz goßartig fand in ihrer Schlichtheit, mit allen Wiederholungen. Du bringst hier das Schicksal (mit dem interessanten Focus auf das Warten) von unendlich vielen Frauen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren dem Leser sehr nahe. Ganz stark. lieben Gruß, simba |
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06.10.2014, 23:43 | #5 |
Liebe simba,
Ich merke jeden Tag, wie sehr sich die Folgen des Krieges Generationenübergreifend auf uns auswirken. So liegen mir die Schicksale von Frauen wie dieser besonders am Herzen. Es bedeutet mir viel, dass du es gelesen und kommentiert hast.. Vielen Dank und herzensgrüße Anna |
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12.10.2014, 12:15 | #6 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Du hast keinen blassen Schimmer, worüber Du schreibst. Die Frauen kämpften ums Überleben, und zwar in allen Altersklassen, wurden reihenweise vergewaltigt, hatten für ihren Nachwuchs und die Familie zu sorgen und waren froh, 1946/47 nicht erfroren zu sein. Tagsüber räumten sie Schutt weg. Was schreibst Du denn da über wartende Frauen? Was für ein Bullshit! Ach ja, wie sang Zarah Leander: "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn ..." Die meisten Männer kamen aber nicht zurück. |
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12.10.2014, 13:42 | #7 |
Liebe Ilka- Maria,
Offensichtlich sprechen wir verschiedene sprachen.... Das ist manchmal so.. Anna |
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12.10.2014, 14:10 | #8 |
Forumsleitung
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Es geht nicht um die Sprache, sondern über den völlig sinnfreien und realitätsfernen Inhalt.
Du stellst den Frauen ein Trottel-Zeugnis aus: Erst wartet sich Frauchen tot auf den Kneipengänger, später auf den Kriegsheimkehrer. Sonst noch was? |
14.10.2014, 23:19 | #9 |
Tja lieber Johnny, offenbar fehlte Ilka-Maria die Tatsache, dass die Frauen wie wild geschuftet haben. Dass ich einen Teilaspekt ihrer Innenwelt darstellen wollte, war für sie anscheinend nicht lesbar.
Vielen Dank für deinen Kommentar.... Und gute Nacht Anna |
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15.10.2014, 06:59 | #10 | |
Forumsleitung
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Zitat:
@ Jonnny: Eine Erzählung, die sich an die historischen Tatsachen und den realen Lebensalltag hält, muss nicht steril sein, sondern kann - sofern der Autor sein Handwerk versteht - unterhaltsam, spannend und mitreißend sein. Ein bisschen Mitleid heischen zu wollen mit einer Figur, die den Hintern nicht hoch bekommt, ist zu wenig. In Annas Geschichte herrscht völliger Stillstand, sonst nichts. |
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16.10.2014, 07:21 | #11 |
Liebe anna amalia,
wahrscheinlich wartet Deine Protagonistin schon viel länger. Angestoßen durch Deine Zeilen und Kommentare wühlte ich ein wenig in den alten sozialpsychologischen Begrifflichkeiten. Das wohl berühmteste Werk dazu "Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft" von Alexander Mitscherlich - 1963 führte mich auf folgende Seite. http://oe1.orf.at/artikel/215033 Vielleicht ganz interessant und es gibt wahrscheinlich noch viel mehr zu entdecken, wenn man sich erst einmal damit ausführlich beschäftigt. Liebste Grüße |
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16.10.2014, 07:29 | #12 |
Lieber Trembalo ,
Vielen Dank! Ich werde deinem Hinweis sehr gerne nachgehen. Ja, mir ging es um die Beschreibung einer inneren Haltung und es freut mich, dass der Text auf seine Weise doch verstehbar ist... Liebe Grüße Anna |
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19.10.2014, 01:04 | #13 |
R.I.P.
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Es blieb nur Warten ...
Ich kenne das Warten, Stunde für Stunde, bis ich deine Schritte auf der Treppe hörte. Ich kenne das Warten, Tag um Tag auf das Ergebnis des Biopsie-Befundes. Ich kenne das Warten Woche für Woche , bis dich der Tod erlöste. Ich kenne das Warten Jahr um Jahr bis die Trauer nachlässt. Liebe Anna, deine Geschichte wird immer lebendig bleiben. Deine Merith |
19.10.2014, 09:21 | #14 |
Danke liebe Merith für dein Verstehen.. Es ging mir genau um diese inneren Prozesse. Natürlich sitzt ein Mensch nicht nur tatenlos herum, doch während er oder sie arbeitet, kann er warten.....
So hast du es verstanden und so war es gemeint... Ganz liebe Grüße Anna |
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