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19.06.2014, 00:20 | #1 |
R.I.P.
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Orangensommer
Meine erste Orange habe ich mit 11 Jahren bekommen, was in der Nachkriegszeit nichts Verwunderliches war. Unsere Nachbarin hatte sie mir geschenkt und meine Mutter bestimmte sogleich, sie für den Sonntag "aufzusparen", was dieser Orange etwas Verheißungsvolles verlieh.
Der Sonntag war einer jener heißen Sommertage, die träge machen und ich gab vor, Vokabeln zu lernen, die Wahrheit aber war, dass ich auf die Orange wartete. Am Nachmittag holte mich meine Mutter in die Küche. Und da lag sie auf dem Teller - die Orange - Die Schale war kunstvoll zu Blütenblättern geschnitten, in der Mitte die Fruchtscheiben im Kreis geordnet - "wie eine Seerose" - schoss es mir durch den Kopf. Als ich in die erste Scheibe biss, brannte der Saft ein wenig auf meiner Zunge, Sekunden später war mein Mund gefüllt mit einer würzigen Süße, von der ich bis dahin nichts gewusst hatte. Ich aß Scheibe um Scheibe, konnte nicht innehalten, die herbe Frische zog mir bis in die Stirn, sie war so ausschließlich, dass ich an nichts anderes mehr denken, nichts anderes mehr empfinden konnte. Sie ließ mich den Geschmack eines Zuckerwürfels und die durststillende Wohltat von kaltem Wasser vergessen. Ich sah meine Mutter lächeln, hörte ihre Frage, "ob es mir schmecke" und konnte nur nicken. Es war so viel mehr als schmecken, es war flüssiger Duft. Ich konnte Geschmack und Geruch dieser gelben fleischigen Blume nicht trennen, kann es bis heute nicht. Der brennend-süße Geschmack, dieser klebrige Duft an meinen Fingerspitzen ! Bis heute hat mich die Erinnerung nicht verlassen an diesen verheißungsvollen Sonntag - meinen Orangensommer. In dankbarem Erinnern an meine Mutter. |
19.06.2014, 22:51 | #2 | |
abgemeldet
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Liebe Merith,
während des Lesens lief mir das Wasser im Mund zusammen und ich hatte den Geruch von Orangen in der Nase. Ich sah ein kleines 11-jähriges Mädchen vor meinem geistigen Auge, welches hastig die Orange verdrückte und selig war vor lauter Glück. Aus Deinem Gedicht geht zwar nicht hervor, an welchem Tag Du oder das LI diese Orange von der Nachbarin geschenkt bekamst und ich frage mich, ob ich es wohl bis Sonntag ausgehalten hätte, selbst wenn mir die Nachbarin am Sonnabend diese Orange erst geschenkt hätte … Früher, in der Nachkriegszeit waren die Menschen sicher disziplinierter und dankbarer als heute. Schade eigentlich, dass soviel Freude und Dankbarkeit im Laufe der Zeit verloren ging … Heute muss es schon ein geschenktes Auto sein, um diese Glücksgefühle auszulösen, jedenfalls bei vielen Menschen – nicht bei allen! Meine Kindheitserinnerungen, was den „Luxus“ angeht sind die Pakete von Tante Lotti aus dem Westen. Kaffee (zwar nicht für uns Kinder bestimmt), Kakao, Schokolade und vor allem Nutella waren der Burner. Und wir drei Kinder standen alle beieinander, als Mutti das Paket öffnete … Zitat:
Liebe Gutenachtgrüße Dabschi |
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20.06.2014, 14:11 | #3 |
Liebe Merith,
deine "Erinnerungsgeschichte" finde ich auch sehr gelungen. Ähnliche Geschichten bekam und bekomme ich immer wieder erzählt und ich freue mich, wenn ich mitbekomme, dass auch die nächste Generation daran großes Interesse hat. Erlebte Geschichten, wie aus einer anderen Welt. Wie du das Geschmackserlebnis beschreibst, hat Dabschi ja schon gelobt. Toll. Mir imponiert hier besonders die Mutter, die diesem besonderen Geschmacksgenuss einen zusätzlichen, schönen Rahmen gibt (auch das Auge isst mit), und ganz nebenbei erfährt das Kind durch den Aufschub bis zum Sonntag auch etwas übers Warten und Vorfreude. Sehr gern gelesen, simba |
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21.06.2014, 09:55 | #4 |
R.I.P.
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Liebe Dabschi, liebe Simba,
eure Kommentare haben mir große Freude gemacht, vor allem auch deswegen, weil ich lesen konnte, wie ihr Vorfreude, Genuss und Erinnern nachempfunden habt, Wenn der Leser sich auf so verständige, liebevolle Art in das Gedicht "verstrickt" und noch eigene Erinnerungen damit verbinden kann, ist es für den "Dichter" das höchste Lob. Meine Mutter ist schon lange tot (bin ja selbst schon Großmutter), aber diese heißen Sommertage bringen mir die Erinnerung immer wieder zurück, und ganz sicher geht es Euch doch auch so, dass ein Duft , ein Geschmack aus der Kindheit Euch ein Leben lang begleitet. Ich danke euch herzlich und wünsche euch einen aufregenden Fußball-Abend Merith |
22.06.2014, 06:44 | #5 | ||
abgemeldet
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Liebe Merith,
Zitat:
Zitat:
Liebe Urlaubsgrüße (heute gegen Mittag düsen wir los und unser Ziel ist Kroatien ) Dabschi |
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20.01.2016, 14:36 | #6 | |
Forumsleitung
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Zitat:
der Text ist schon ein bisschen älter und war mir wohl durchgerutscht, ich möchte trotzdem auf ihn zurückkommen, und vielleicht interessieren sich auch einige neue User dafür. Die Beschreibung konzentriert sich auf die Gefühle einer Elfjährigen, die zum erstenmal in ihrem Leben eine Orange zu schmecken bekommt. Das ist etwas anderes, als von Kleinkind an mit Südfrüchten bekannt zu sein: Es ist eine Sensation, und diese Erfahrung ist sehr eindringlich beschrieben. Die zitierten Passagen finde ich besonders gelungen, weil sie mich ganz persönlich ansprechen. Meine Mutter pflegte auch oft aus Orangen und Mandarinen "Seerosen" zu formen, ein sehr schöner, anschaulicher Vergleich. Die "Stirn"-Formulierung ist geradezu genial. Auch das dritte Zitat weckt Gerüche und Gefühle in mir, die ich gut kenne. Klasse beschrieben! Dieser Text könnte als Beispiel für Anfänger dienen, sich erst einmal an den Beobachtungen des Alltags zu üben, statt gleich ein Großprojekt wie einen Roman schreiben zu wollen. Klein, aber fein! Besten Gruß Ilka |
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20.01.2016, 16:43 | #7 |
R.I.P.
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Liebe Ilka,
dein Kommentar freut mich sehr, ich lese, dass du dich gut mit der Geschichte identifizieren kannst und dir reichlich Gedanken gemacht hast. Die Phantasie allein hätte nicht gereicht, diese Zeilen zu schreiben. Ich habe eine Orange zerpflückt und während des Essens auf einen bereit liegenden Zettel meine Eindrücke, mein Empfinden, meine Wahrnehmungen geschrieben. Danke, dass du den Orangensommer bei bitterer Kälte nochmals ans Tageslicht geholt hast. Merith |
20.01.2016, 16:46 | #8 | |
Forumsleitung
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Zitat:
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20.01.2016, 16:48 | #9 |
R.I.P.
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Das wird ein gemütlicher, duftender Nachmittag, Ilka
Gruß Merith |