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01.04.2011, 20:02 | #1 |
Delayed
Als ich mir einen Burger holen wollte, wartete schon eine lange Schlange darauf, den Vordermann durch mich ersetzt zu sehen. Es war viel los und es gab so wenig zu essen. Nein, es gab viel zu essen, doch nur bei dieser Burgerkette und bei der Pizzakette daneben. Der Preisunterschied war einfach zu hoch, zwei überschaubare Personen ließen sich eine Pizza schmecken. Trotz meiner umherschweifenden Blicke und Gedanken wurde die Schlange nicht schneller kürzer - oder eher: Ich kam dem Burger nicht näher. Der Flug würde eine Stunde später gehen. Delayed. Wie man so schön sagt.
Wahrscheinlich war ich nicht die einzige Deutsche hier, doch machte mich der breite Rücken vor mir zu einer leicht übersehbaren Kundin. Falls ich jemals Kundin werden sollte. In nächster Zeit. Noch bevor der Flug ging. Ich befand mich in der linken Schlange, die rechte glich mehr einem Haufen. Vielleicht hätte ich mich unter diesen kulturellen Wald an Rücken mischen sollen. Denn das breite Exemplar vor mir und die Person schön gerade hinter mir, deren Gesicht ich gar nicht zu sehen bekam, was an meinem seltsamen Gefühl lag, mich nicht umzudrehen, machten mich nicht nur zu einer leicht übersehbaren Kundin, sondern zu einem leicht übersehbaren Menschen. Hier ruhte die Welt nicht. Hier liefen Beine, hier hasteten Koffer, hier blickten Geschichten. Doch niemals in dieser Schlange. Vielleicht im Haufen neben mir. Zwei spanische Frauen hatten sich an den Kopf des Haufens gekämpft und munter in ihrer Muttersprache und gleichzeitig in der des ganzen Burgerladenpersonals ihre Bestellung aufgegeben. Ein etwas älterer Herr und wahrscheinlich sein Sohn standen etwas schräg hinter den Frauen und warfen dem Personal ein paar kurze englische Worte hin. Dieses aber kümmerte sich um die Bestellung. Ich konnte einen Schritt nach vorne gehen. Einer der Männer wurde laut. Kurz blieben die Beine stehen, die Koffer verloren ihren Schwung, Geschichten stockten. Ich konnte noch einen Schritt nach vorne gehen und stand plötzlich am Anfang der Schlange. Ohne einen breiten Rücken vor mir. In Burgernähe. Der Mann vor mir blickte nicht mich an, sondern seine Kollegin. Keine nach Pommes greifende Hand. Kein Tropfen fiel in einen Becher. Es zischte aus der Küche. Englische Worte mischten sich aufdringlich unter spanische. Schweigen mischte sich unter aufgeregtes Flüstern. Das Gesicht des Engländers oder Amerikaners oder eben Mannes war rot angelaufen. Schwarze Locken flogen an seiner Nase vorbei. Die Haarpracht sollten die beiden Männer von hinten sehen, sie kam zuerst dran. Der englische Magen fühlte sich von dem spanischen betrogen und diskriminiert. Ich griff nach meinem Geldbeutel und zählte die Eurostücke. Weit kam ich nicht. Es waren nicht viele. Das Gesicht verlor durch den Schleier aus dem Rauch aus der Küche und aus den grauen Bodenfliesen an Röte, Beine liefen schneller als zuvor, Koffer flogen über den Boden und Geschichten schrieben sich weiter. Die Frau hinter mir hatte grüne Augen. Als ich mich wieder nach vorne drehte, visierten mich zwei lächelnde Augen. „Sí?“ Ich packte mein Englisch aus und schickte den Mann, der zu den Augen gehörte, ein paar Schritte auf die rechte Seite. Dort löste sich ein Knoten. Ein Knoten aus spanischen und englischen Worten, aus Pommes, Burgern und schwarzen Locken. Ein Hauch von Röte blieb kurz und setzte sich an laufende Beine, hastende Koffer und sich begegnende Geschichten. Meine Münze wurde dankend angenommen. Die Frau mit den grünen Augen konnte einen Schritt nach vorne gehen. Ich wurde durch eine junge Mutter mit einem Mädchen an ihrer Hand am Ende der Schlange ersetzt. Zielstrebig entfernte ich mich von den Burgern, von jeglicher Pizza und auf dem Boden liegender Serviette. Das Bild in meinem Kopf setzte sich wieder komplett zusammen, als ich dem Rollstuhl näher kam. Der Junge nahm lachend das Eis in der Waffel mit extra Schokosoße entgegen. Die Frau etwas hinter ihm sprang erstaunt auf, doch ich winkte ab. Kofferlos begab ich mich einige hundert Meter durch den Flughafen in Richtung Deutschland. Wie es auf meinem Ticket stand. |
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16.04.2011, 12:23 | #2 | |
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Ha, da wird einem ja fast schwindelig vor spanischen und englischen
Mägen, schwarzen Locken und sich begegnenden Geschichten Großartig geschrieben, wie ich finde! Du machst deinem Nick alle Ehre Zitat:
Klasse Geschichte, die sehr schön die Einmaligkeit jedes Moments und jeder Beobachtung deutlich macht, während alles anderes zu rasen scheint! lg, pyja! |
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16.04.2011, 13:24 | #3 |
R.I.P.
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..auf dem Boden liegender Serviette ist korrekt,
von jedlicher Verviette, die auf dem Boden lag. sonst müßte es heißen von jeglichen auf dem Boden liegenden Servietten. Koffer flogen über den Boden find ich ulkig. Dachte an Geflügel. Bei "schlittern" könnte man an Eis denken, aber die Bodenhaftung bliebe erhalten. Eine sehr vielschichtige Erzählung! Thing PS. Was bedeutet "Delayed"? |
17.04.2011, 10:44 | #4 |
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Dann nehme ich alles zurück und behaupte das Gegenteil
(bezüglich der Serviette)! "Delayed" heißt "verzögert" lg, pyja! |
17.04.2011, 11:09 | #5 |
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17.04.2011, 11:17 | #6 |
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Wieso kann niemand etwas damit anfangen?
"delayed" ist kein Substantiv, sondern ein Adjektiv! Ein verspäteter Flug -> A delayed flight! "Verzögerung" selbst wäre dann nur "Delay" lg, pyja! |
17.04.2011, 11:27 | #7 |
Forumsleitung
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Und wie wäre die Geschichte auf Deutsch zu betiteln: "Verzögert" oder "Zu spät"?
Sagt ein Schüler, der gebummelt hat: "Entschuldigung für die Verzögerung" oder "Entschuldigung für die Verspätung"? Es läßt sich nun mal nicht jedes Wort eins zu eins übersetzen. Ach ja: "Excuse me for hasitating!" |
17.04.2011, 12:13 | #8 |
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Die Geschichte würde auf Deutsch "verzögert" heißen, ja
Was aber im Prinzip egal ist, weil ja an Flughäfen immer der englische Begriff "Delayed" dahinter steht! Wie ist der Flug -> verzögert Wir sollten darüber aber gar nich groß debattieren und ich will Dir auch absolut nichts entgegensetzen, wenn Du sagst, dass man nicht jedes Wort eins zu eins übersetzen kann Ich war nur geringfügig überrascht, weil "Damit kann niemand etwas anfangen." verhältnismäßig radikal klingt, wobei die Übersetzung und die Verwendung ja meines Wissens nach richtig ist. lg, pyja! |
17.04.2011, 12:23 | #9 |
Forumsleitung
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Da ich u.a. eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin in Englisch habe und bei der Prüfung auch simultanübersetzen mußte, sehe ich das etwas differenzierter. Aber sei's drum. Es ist soviewo vieles eingerissen, wie z.B. "make sense" oder "makes no difference". Kompletter Blödsinn, aber nicht dagegen anzugehen.
Du hast recht, es lohnt sich nicht, darüber zu debattieren. Ich dachte nur eben, Thing könne mit "Verspätung" mehr anfangen als mit "Verzögerung". Mit Sicherheit hat er sich köstlich amüsiert. Liebe Grüße Ilka-M. |
17.04.2011, 13:11 | #10 | |
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Zitat:
lg und bis nächstes Mal, der pyja! |
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17.04.2011, 15:01 | #11 |
Hallo ihr!
Das find ich toll, dass ihr so über den Titel diskutieren könnt! :P Da meine Geschichte an einem spanischen Flughafen spielt, ist die Übersetzung ins Deutsche sowieso nicht die erste Wahl (oder bei deutschen Flügen schon???) (wie heißt es auf Spanisch???)... Auf jeden Fall ein Dankeschön an die Leser und für die netten Antworten! |
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17.04.2011, 16:12 | #12 |
Forumsleitung
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Der Titel war banal genial - nämlich das eigentlich Interessante.
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