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08.09.2010, 18:56 | #1 |
Hausfriedensbruch
Ich kam nur ganz allmählich nach Hause. Wie aus einem tiefen, schwarzen See durchbrach ich einen Augenblick die Wasseroberfläche und wurde doch immer wieder von neuen Wogen überspült, die mir die Sicht und die Durchsicht nahmen. Mit meinem Heim stimmte etwas nicht. Irgendetwas war mit dem Fenster nicht in Ordnung. Ja, die ganze Fensterfront fühlte sich taub an, so als ob sie gar nicht zu mir gehören, kein Teil mehr von meinem zu Hause wäre. Später im Spiegel sah ich dann, dass die Scheibe eingeschlagen war. Blutunterlaufen, blau geschlagen und blind, denn ich brachte das Auge nicht einmal mehr auf.
Mein Haus war von außen übel zugerichtet. Die Ärzte sprachen von mindestens einem Fausthieb ins Gesicht. Auch war ich zu Boden gegangen, an blauroten Hämatomen erklärte man mir wie. Außerdem könnte ich noch eine fremde Hand beschreiben, die vor kurzem hart meinen Arm umschlossen haben muss, denn jeder Finger schimmert blaugelb auf meiner Haut. Meine eigene Hand ist kleiner, sie kann die Abdrücke nicht ganz bedecken, wenn ich sie darüber lege. Ich weiß nicht, warum ich es dennoch so oft versuche. Meine Tasche war verschwunden. Sie wurde am folgenden Tag aufgefunden, nahe der Stelle, wo auch ich zu mir gekommen war, mein Haus wieder bezogen hatte. Ich sollte mit jemandem sprechen, obwohl ich nichts zu sagen hatte. Fast zehn Stunden fehlen mir. Der späte Abend und die ganze Nacht werden für immer verloren sein. Also hörte ich zu, erfuhr etwas über Substanzen, über Erinnerungslücken, über Verbrechen und Verletzungen, Hilflosigkeit und Bewältigung. Nichts davon habe ich wirklich begriffen, außer der Heim-Metapher vielleicht. Dass mein Körper nur das Heim für meinen Geist ist, erscheint mir hier tatsächlich tröstlich. Jemand hat von außen mein Haus demoliert, aber ich war zur Tatzeit nicht da. Dieser Satz hallte auch in meinem Kopf nach, als ich zu der letzten Ärztin gehen musste. Jemand hat von außen mein Haus demoliert, aber ich war zur Tatzeit nicht da. Aber wenn nun auch jemand in das Haus eingedrungen ist? Ich habe keine Spuren von Gewalt festgestellt, aber ich kann mich eben nicht erinnern, war nicht da, nicht zu Hause. Die Ärztin bestätigte das, was ich schon wusste. Keine Gewalt. Alles andere ließ sich nicht mehr feststellen, eventuelle Rückstände hatte ich mehrfach weggeduscht. Warum? Weil ich es im Grunde nicht wissen will. Ich war nicht da. |
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27.02.2011, 17:16 | #2 |
Hallo Aquaria,
die Ineinssetzung von Haus und Person ist gut gelungen. Doch hier geht es nicht um die freundliche Redensart, jemanden "du altes Haus" zu nennen. Diese Person kehrt allmählich, unvollständig und traumatisiert in ihren Körper zurück, nachdem sie als Opfer schwerer Misshandlung bewusstlos wurde. Die Hausbehung macht es möglich, objektiv, ja, unterkühlt und stellenweise bewusst euphemistisch zu berichten, welche Grausamkeiten sich abspielten. Mehrmals gelesen. LG gummibaum |
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01.03.2011, 11:21 | #3 | |
Zitat:
Euphemistisch würde ich allerdings keinen einzigen Satz nennen, nüchtern eher und informativ. Danke für das immer so aufmerksame Lesen, man merkt es deinen Kommentaren an! Ich weiß es zu schätzen Liebe Grüße, Aquaria |
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01.03.2011, 23:53 | #4 |
Wörter wie "übel" und "demoliert" haben für mich hier eine - offenbar nicht beabsichtigte- bagatellisierende Komik. Denn sie gehören inzwischen auch zum Kinderwortschatz. So, wie wenn man für erschöpft "kaputt" sagt.
LG gummibaum |
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