Es werde Gott!

[Heinz]

Aus dem dampfenden Atem rubinfarbner Meere,
die gefüllt sind mit eitrigem Blut in den Tiefen,
mit zerrissenen Herzen, gespaltenen Zungen
und geblendeten Augen, habt ihr mich geschaffen.
Das gewaltige All und die Sterne gerieten,
wie der Donner und Blitz zu begreifbaren Bildern;
und die Klügsten von euch, die Schamanen und Priester,
die gesalbten Beherrscher mit Szepter und Krone
auf den Thronen, erkannten beizeiten den Vorteil,
den der Glaube an mich, euren Gott, ihnen schenkte.
Auf Altären geopfert, zerflossen in Strömen
die soeben begonnenen Leben für immer -
im geheiligten Namen der niemals geschauten Schimäre.

Das Geschmeiß in Gewändern aus Seide, bestickt mit Juwelen,
für die Augen ein Blendwerk, fürs Hirn - wie er irrtümlich dachte,
der Jenenser Dottore, das Karlchen aus Trier an der Mosel -
die afghanische Milch für den weiteren Schlaf der Betrognen,
(es ist Valium, glaubt's, die ihr glaubt, dass aus dampfendem Atem,
aus den Opfergerüchen gemordeter Menschen ein Gott wird),
es verbot mit sardonischem Grinsen die blutigen Opfer
und beschläft eure Kinder in schamloser Weise fast täglich.

[Thing]

Halli Hallo, Heinz!

Au weia!
Für dieses Großartige werden Dich sicher manche Menschen steinigen wollen!

Ich bin immmer wieder entzückt von Deiner Dichtkunst (obwohl ich mir daneben sehr winzig vorkomme).


Neidlos:

Thing

[Heinz]

Lieber Thing,
ich glaube, das war Gedankenverbindung: Ich habe in der gleichen Minute Dein Gedicht goutiert und kommentiert.
Danke für Dein Lob! Der Steinigung sehe ich gelassen entgegen. Du und winzig? Lieber Thing, stell Dein Licht nicht untern Scheffel. Der Anlass für dieses Gedicht war eigentlich ganz banal: Ich hatte a.a.O. einen Kommi, in dem eine Strophe wegen des Metrums bemängelt wurde; ich glaubte, saubere Trochäen, die Kritikerin meinte, ich hätte Anapäste rein gemischt. Hab ich mir gedacht: Versuchst du mal, durchgängig Anapäste zu schreiben. Gut, sie entsprechen nicht 100-prozentig den Anforderungen des Anapästs, aber ich hoffe auf gnädige Augen.
Liebe Grüße,
Heinz

[Thing]

Hallo, Heinz!

Ich habe weder von Trochäen noch von Anapästen den blassesten Schimmer!
Da ist wohl Odiumediae der Geeignetere oder andere User sind es.
Ich weiß nur, daß mir Deine homerischen (?), virgilischen (?), evtl auch goethischen Verse reinen Genuß bereiten.
Ich selbst würde mich nie daran wagen.

Ich kann nur die Schönheit würdigen.

Lieben Gruß
von
Thing

[Heinz]

Lieber Thing,
bei Deinem Sprach- und Rhythmusgefühl musst Du Dich nicht in die Niederungen des Handwerks begeben. Nur soviel: Ein Versfuß, der mit einer Hebung beginnt, der zwei Senkungen folgen (Grüß mir die süßen, die reizenden Frauen = XxxXxx...), wird Daktylus genannt. Sein "Gegenüber" ist der Anapäst = zu Beginn zwei Senkungen, dann eine Hebung; im Deutschen sehr ungewöhnlich, ich glaube, zur wahren meisterschaft hat es nur Schiller gebracht.
Liebe Grüße,
Heinz

[PeterB]

Zitat von Thing

Ich kann nur die Schönheit würdigen.

Was für ein schöner und zugleich grössenwahnsinner Satz...! Solche Kleinode liebe ich an/in diesem Forum.

Hallo, Heinz,

Dein wortgewaltiger und wortmächtiger Text gefällt mir, und dennoch frage ich, warum "Ihr" oft so ein enges Gottesbild habt. Gott kann doch auch "die Natur" sein (im Spinozischen oder auch im Emersonschen Sinne), oder die Natur ein Teil des (nichtpersonal zu denkenden) Gottes, und dann wirkt "Eure" Kritik seltsam...

In der Kirchenkritik, ja, selbst in der Kritik am Monotheismus, kann ich "Euch" folgen. Aber in "Eurer" "Gotteskritik" bin ich recht erstaunt über die Enge "Eures" Gottesbildes.

Schönen Gruss

P.

[Thing]

Halli Hallo, Peter B.!

Da hast Du zumindest mich aber sehr mißverstanden!
"Gott" i s t für mich die Natur, auch wenn ich diese "Gottheit" oft in einen mythologischen Kontext bringe.

Mit den menschengeschaffenen heutigen Göttern hab ich wenig zu schaffen, insbesondere nicht hier im Forum.
Durch gewisse User kann einem das Christentum verleidet werden, wenn nicht gar auf die Nerven gehen.

Ich habe eine kleine Ode auf meinen Großvater (Pfarrer) geschrieben, der eine ganz andere Auffassung vom Christentum hatte. Mich auch prägte.


Thing

[PeterB]

Lieber Thing,

gibt es diese Ode hier im Forum oder sonstwo zu lesen?

Einen lieben Gruss!

Peter

[Ex-Odiumediae]

Wahnsinning gut und umwerfend wortgewaltig!

An Anapäste habe ich mich noch nicht annähernd in solcher Form herangetraut, weil ich mir oft nicht sicher war, ob es nicht doch bei den Anfängen zu Trochäen kommt. Nun hast Du mich inspiriert, es auch zu versuchen – mir fehlt nur noch ein passendes Thema, denn es muss diesem, in der deutschen Sprache doch sehr ungewöhnlichem Versfuß, zugeschnitten sein. Den anspruchsvollen Inhalt mit einem anspruchsvollen Stil zu verbinden, ist Dir wieder sehr gut gelungen. Als Nächstes präsentierst Du uns noch ein Gedicht mit einem Rhythmus, der natürliche Spondäen einschließt, dann bin ich endgültig hin und weg

Ich bin überwältigt.

[Heinz]

Lieber Odiumediae,
ich glaube, ich habe mal eine Strophe in Anapästen geschrieben, und wenn ich mich richtig erinnere, war das in meiner "Gajane". Der Anapäst verlangt ja so ein kühnes Vorwärtsdrängen (habe ich mal gelesen) und so ein Eiapopeia-Gedicht würde sich da überhaupt nicht eignen. Ich bin auf das Resultat Deiner anapästischen Versuche gespannt.
In den deutschen Gesprächen, so trau dich, mein Freund,
fallen Themen dir zu, nur hinein in die Vollen, es wird dir gelingen! (siehste, geht doch).
Für Dein großartiges Lob herzlichen Dank!
Lieber PeterB,
bitte mach bei mir nicht den oft bemerkten Fehler und setz das lyrische Ich mit dem Autor gleich. Aber es ist schon richtig, dass einiges von den Grundüberzeugungen des Autors in seine Werke einfließt. Glaub mir aber, ich kann mit Goethe schwärmen "wie herrlich mir die Natur leuchtet" und dann kommt so ein blödes Rindvieh und frisst die Blumen. Meinen Text muss man sich schon ein bisschen genauer ansehen; hier geht es um die vom Menschen geschaffenen "Götter", die Personifikationen (die ich für völlig kindlich-naiv halte), sogar um die Geschlechterzuweisung und die Frage, ob Engel Pipi machen. (Klar, machen sie, sonst würde es nicht regnen). Hier geht es auch um die Nutznießer der Wundergläubigen, die "Regenmacher" und andere (als wenn jemals ein Tropfen gefallen wäre, nur weil ein Medizinmann wilde Tänze aufführt), um den Klerus, der soviel Blut und Sperma an den Fingern hat, dass man sich wundert, dass die Leute sich nicht ducken, wenn einer der Vertreter die Hand zum Segnen erhebt. Mit dem "Jenenser Dottore" habe ich mir einen kleinen Spaß erlaubt. Aber wer weiß schon, dass Karl Marx seinen Doktor in meiner Heimatstadt gemacht hat - in absentia, aber immerhin - . Aus seinem Opium fürs Volk, ist ja auch ein Schlafmittel, aber eins mit bunten Bildern, habe ich Valium gemacht - da pennt man dann ohne Bilder)
Lieber Thing,
danke, dass Du Dich nochmal meldest. Ich denke, wir zwei beide liegen in unseren Anschauungen manchmal ziemlich dicht zusammen (ich habe gezählt: Bisher 69 Mal.
Liebe Grüße an Euch,
Heinz

[Ex-Schamanski]

Ein ganz starker Text. Wortgewaltig und kraftvoll.

[Heinz]

Lieber Schamansky,
Dein Lob erfreut und ich hoffe nur, dass ich Dir mit den Schamanen nicht zu nahe getreten bin.
Liebe grüße,
Heinz

[Ex-Schamanski]

Ich habe einen Fluch auf Dich gesetzt. Erwarte zornige böse Geister.

[Heinz]

Lieber Schamansky,
kann ich vorher noch zum Frisör? Wenn, dann möchte ich in Schönheit sterben.
Heinz

[Ex-Schamanski]

Hat keinen Zweck. Dir werden die Haare zu Berge stehen.
(Ein Todesfluch ist das nicht, da mußt Du schon übleres tun. )