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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 08.06.2012, 19:26   #1
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Standard Circus

Der Tag ist heiter hergeweht.
Im Hochtrapez der Dinge
bin ich es, der die Salti dreht,
tanzfroh durchs Leben springe.

Ich hatte mir kein Netz gespannt
im Drang, mich zu entfalten.
Die Erde zog mit harter Hand,
ich lieg gestaucht, zerspalten.

Und wieder hebt der Tag ins Licht.
Die Scheibe hat mich wieder
und dreht mich und kein Messer sticht,
umsteckt sind nur die Glieder.

Ich hatte wohl zu frischen Mut.
Ein Messer fuhr daneben.
Der Tag ist schwarz von meinem Blut.
In Schmerzen bleib ich kleben.
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.06.2012, 19:42   #2
weiblich sohare
 
Dabei seit: 06/2012
Alter: 27
Beiträge: 22

Zitat:
Zitat von gummibaum Beitrag anzeigen
Der Tag ist heiter hergeweht.
Im Hochtrapez der Dinge
bin ich es, der die Salti dreht,
tanzfroh durchs Leben springe.
Ein fantastischer Anfang, bei dem ich sofort weiterlesen möchte
Super formuliert, genauso heiter wie der Inhalt und ich kann hier direkt eine Leichtigkeit und Unbekümmertheit spüren.
Besonders gefällt mir die Formulierung: "Im Hochtrapez der Dinge"

Zitat:
Zitat von gummibaum Beitrag anzeigen
Ich hatte mir kein Netz gespannt
im Drang, mich zu entfalten.
Die Erde zog mit harter Hand,
ich lieg gestaucht, zerspalten.
Hier finde ich die dritte Zeile am besten.
Denn das ist meist genau das, was die Erde macht.
Und meist holt sie einen ganz tief, wenn man ganz oben ist und nicht damit rechnet, sich, wie hier ausgedrückt, kein Netz spannt.
und die letzte Zeile beschreibt genau das, was dann mit einem los ist.
Ich finde, dass das hier wirklich genial ausgedrückt ist.

Zitat:
Zitat von gummibaum Beitrag anzeigen
Und wieder hebt der Tag ins Licht.
Die Scheibe hat mich wieder
und dreht mich und kein Messer sticht,
umsteckt sind nur die Glieder.

Ich hatte wohl zu tollen Mut.
Ein Messer fuhr daneben.
Der Tag ist schwarz von meinem Blut.
In Schmerzen bleib ich kleben.
Das Ende ist nicht mehr so einfach wie der Anfang und ich finde, hier muss man wirklich nachdenken, was aber auch gut so ist.
Die unterstrichenen Stellen gefallen mir vom Ausdruck her besonders gut.

Ein recht trauriges Ende, aber irgendwie auch ein offenes, das Platz für Hoffnung lässt, weil man ja weiß, dass es weitergehen wird.
das LI klebt nur am Boden, man kann ihm aber noch wünschen, dass es sich bald wieder aufrappelt und 'erneut aufs Trapez steigt,dieses Mal vielleicht daran denkt, sich ein Netz zu spannen'. Und jetzt fällt mir erstmal auf, wie passend das Bild von Trapez und Netz eigentlich ist, um das Leben zu beschreiben. Denn auch ein Netz hat Löcher und gibt einem keine Garantie, nicht doch zu fallen. es lindert ja bloß den Aufprall.

Mir gefällt die Idee zu diesem Gedicht ebensosehr wie das großartige Gedicht selbst. Man kann den Ablauf von ganz oben nach ganz unten hier auch perfekt nachvollziehen und erlebt ihn sozusagen mit.

Davor habe ich wirklich großen Respekt

Ganz ganz liebe Grüße,
Sohare
sohare ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.06.2012, 22:13   #3
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Hallo, Sohare,

du hast dir viel Zeit genommen und gut kommentiert. Ganz herzlichen Dank.

Die beiden letzten Strophen handeln von einer älteren Zirkusnummer, bei der eine Frau im Bikini mit gespreizten Armen und Beinen auf eine radförmige Holzplatte geschnallt wurde. Diese drehte sich dann etwa 60mal pro Minute, so dass die Frau genauso oft mit dem Kopf nach unten hing. Ein Messerschütze warf in schneller Folge ca 60 Wurfmesser auf den sich drehenden Körper.
Dann wurde die Scheibe angehalten und die Frau losgeschnallt. Die Messer waren so dicht um den Körper ins Holz eingedrungen, dass dessen Form wie mit einem Stift auf das Brett gezeichnet wirkte. Ein einziger Fehlwurf hätte die Frau schwer verletzen können.

LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
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