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Alt 15.03.2006, 20:14   #1
fledermaus
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 14


Standard Liam

Liam

Er war neu in der Klasse. Unscheinbar. Kleidete sich wie die anderen Jungs, war in der Schule mittelmäßig, aber er war still. Das war das Einzige an ihm, das auffiel. Liam hieß er. In der Pause stand er alleine rum und schaute den 5. Klässlern beim Tischtennis zu. Er gefiel mir. So anders wie er war. Keiner mochte ihn so recht, verständlicherweise. Liam hatte ein hübsches Gesicht, fast weiblich und seine langen Haare standen ihm unwahrscheinlich gut. Seine Hände mochte ich besonders. Man könnte glatt sagen, ich hätte ihn geliebt, aber das wäre eine Lüge.

Ein Montagmorgen, Christian, mein Zwillingsbruder, und ich standen an den Schließfächern, die gerade an der Schule getestet wurden. Wir sprachen über unsere Geburtstagsparty, die bald stattfinden sollte. Die Frage war: Wen einladen? Natürlich schlug ich Liam vor. Schließlich wollte ich endlich wissen, was mit ihm los war. Chrissie schüttelte sofort heftigst den Kopf: „Der ist doch viel zu langweilig!“ Unglücklicherweise stand Liam neben uns, da sein Fach neben dem meines Bruders war. Schweigend ging er an uns vorbei. Ich glaube, er hatte uns gehört.

Mittags, nach den Hausaufgaben, ging ich raus, ohne Chrissie. Ich wollte zur Hütte am Waldrand. Während des Spazierganges dort hin, beobachtete ich die Vögel. Ich wurde nachdenklich. Was war bloß mit Liam los? Ein komischer Kerl war er. Schon oft hatte ich versucht mit ihm ins Gespräch zu kommen, doch er war immer so abweisend. Ich stand vor der verwitterten Holztür der Scheune. Es war so still, doch würde ich die Tür öffnen, würde das Quietschen diese Ruhe zerstören. Sollte ich durchs Fenster klettern? Nein, ich öffnete die Tür. Doch was sah ich da? Mit tränengefüllten Augen schaute Liam mich an, schon stürmte er an mir vorbei in den Wald. Zuerst blieb ich mit offenem Mund stehen, doch dann rannte ich ihm nach. Er hatte sich an einen Baum gelehnt und drehte sich zu mir, als er mich bemerkte. „Was willst du?“, fragte er. „Mit dir reden!“, antwortete ich prompt. Liam starrte mich an. „So. Und warum? Keiner kümmert sich um mich! Warum solltest ausgerechnet du dich dann um mich kümmern wollen?“ Darauf hatte ich keine Antwort. Ja, warum eigentlich? Meine Worte zerrissen die Stille: „Ich mag dich“ Liam schaute mich verwundert an, dann drehte er sich ruckartig um. „Du lügst!“ „Warum sollte ich?“, fragte ich ihn. „Du weißt gar nichts von mir, würdest du mich kennen, könntest du mich nicht leiden!“ „Dann lass mich dich kennen lernen!“ „Lass mich in Ruhe!“ Er lief weg und ließ mich stehen, allein, mitten in dieser unerträglichen Stille. Allein mit meinen wirren Gedanken. Stumm machte ich mich auf den Heimweg.

Am nächsten Tag sah mich Liam nicht an. Ich war den ganzen Tag betrübt und hielt mich von den Anderen fern. Die und ihr Getratsche! Was interessiert mich das Privatleben irgendwelcher Stars und Sternchen? Am Nachmittag ging ich wieder zur Scheune, in der Hoffnung Liam würde dort sein. Auf dem Hinweg dachte ich über das gestrige Gespräch nach. Wieso würde ich ihn nicht leiden können, wenn ich ihn näher kennen lernen würde? Ich zerbrach mir den Kopf darüber. Da war sie, die Scheune. Sollte ich einfach reingehen, oder erst anklopfen? Meine Entscheidung viel auf letzteres. Ich klopfte also zögernd an. „Das brauchst du nicht!“ Erschrocken drehte ich mich um und sah Liam an einem Baum sitzend, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Wieso bist du so komisch? Lass uns Freunde sein!“ „Das geht nicht!“ „Aber wieso nicht?“ „Das“, sagte er, „geht dich nichts an“ ich seufzte tief. Seit Tagen hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was bloß mit ihm los war. Das Einzige, das am ehesten zutreffen könnte, war meine Vermutung, dass er von seinen Eltern misshandelt wurde. Ich drehte mich wieder um und ging in die Scheune. Gerade wollte ich mich auf die Holzbank legen, als ich draußen ein glockenhelles Singen hörte. Um zu sehen wer da so wunderschön sang, lehnte ich mich aus dem Fenster. Liam saß an einem gelehnt und sang. Als er mich bemerkte, verstummte er. „Sing doch weiter!“ Er ignorierte mich. Nach einiger Zeit wurde es mir langweilig rumzusitzen und zu grübeln. Ich ging raus. Liam saß immer noch am Baum, mit geschlossenen Augen. Ob er schlief, weiß ich nicht.

Nächster Morgen. „Was ist bloß los mit dir? Seit Tagen bist du still und rennst mit einem Gesicht wie 7 Tage Regenwetter rum, dabei strahlt die Sonne wie noch nie!“, meinte Christian. „Lass sie, das geht vorüber“, antwortete meine Mutter für mich. Ich sagte nichts. Der frühe Morgen ging schnell vorbei und sehr bald saßen wir in der Schule. In der ersten Stunde, wir hatten Französisch, fiel mein Füller runter und ging dadurch kaputt. Meine Finger und mein Gesicht bekamen etwas von der Tinte ab. Unsere sauberkeitsliebende Französischlehrerin schickte mich auf die Toilette, um mir die Tinte aus dem Gesicht zu waschen. Kaum betrat ich das Klo, hörte ich ein Wimmern. „Hey, was ist los? Wer bist du?“ Keine Antwort. Ich schaute von unten in die Kabine, aus der das Wimmern kam, es waren keine Füße zu sehen. Ich kletterte also in der benachbarten Kabine auf Türklinke und Toilettenpapierhalter und schaute über die Kabinenwand. Ich sah Liam direkt ins Gesicht. Er hatte rote, verweinte Augen. „Du schon wie-wieder“ „Ja, ich, jetzt sag doch endlich was los ist und warum bist du auf der Mädchentoilette?“ „Ka-kann ich nicht, selbst we-wenn ich wollte.“ In diesem Augenblick kam jemand aus meiner Klasse herein und sah nach mir, da es meiner Französischlehrerin wohl zu lange dauerte. Schnell sprang ich runter, drückte die Spülung und ging an ein Waschbecken um mit ein wenig Wasser und Seife die Tintenkleckse aus meinem Gesicht zu entfernen, dann folgte ich dem Mädchen. Bevor ich die Tür zufallen ließ flüsterte ich: „Wir treffen uns heute um 16 Uhr an der Hütte am Wald!“
Den ganzen Nachmittag hatte ich nichts anderes als Liam im Kopf. Was war mit ihm los? Warum war er auf dem Mädchenklo gewesen? Endlich, viertel vor Vier. Sofort machte ich mich auf den Weg. Als ich ankam, schien Liam noch nicht dazusein. Der einzige, anwesende Mensch war ein Mädchen, das an einem Baum stand und mich beobachtete. Schnell verschwand ich in der Scheune, ich mochte nicht beobachtet werden. „Wieso gehst du rein, wir wollten doch reden?“ Ich drehte mich wieder um. „Bist du Liams Schwester?“ Das Mädchen schüttelte den Kopf. Ich ging auf sie zu, bei näherem betrachten, sah ich Tränen in ihren Augen. „Liam?“ Sie sah auf den Boden und nickte, dabei fiel eine Träne hinunter. „Aber, wieso trägst du ein Kleid?“ „Weil ich ein Mädchen bin und Mädchen tragen so was!“, rief Liam. Ich blickte sie, oder ihn, fragend an. „Bei me-meiner Geburt konnte man me-mein Geschlecht nicht eindeutig feststellen. Na-nach Em-empfehlung des Arztes erzogen mei-meine El-eltern mich als Ju-junge. Später, als festgestell wur-wurde, dass ich ein Mädchen bin, war a-alles zu spät.“, schluchzte sie, „sie haben mir mein ganzes scheiß Leben vermasselt!“ Liam begann zu schreien: „Dank ihnen werde ich nie aussehen wie eine Frau, wegen dem scheiß Testosteron, dass ich dauernd schlucken muss!“ Sie fiel auf die Knie und umklammerte meine Beine. Ich löste ihren Griff und kniete mich ebenfalls hin. Ich griff ihre Hände und sah ihr ins Gesicht. „Nein“ Sie schaute verwundert. „Nein. Wenn du kein Testosteron mehr nimmst, wirst du wieder normal.“ Liam blickte zur Seite. „Der Arzt hat aber gesagt...Aber meine Eltern, sie wollen nicht...“ „Wir werden deine Eltern überzeugen, glaub mir“, ich drückte ihre Hand, „und der Arzt...ich weiß es nicht. Aber ich weiß das du wieder normal wirst!“ Sie sah mich erfreut, verzweifelt und hoffnungsvoll zugleich an. Nie habe ich jemanden gesehen der so viele Emotionen auf einmal in seiner Mimik zeigen konnte.

Ende

So, das war sie, miene erste, wirklich fertige geschichte. ich hoffe ihr habt noch Verbesserungsvorschläge, denn wenn nicht, wäre die Geschichte perfekt, das kann nicht sein, so gut bin ich nicht
Ich habe vor, wenn diese Geschichte ihren ersten test hier im Forum überstanden hat, an unsere lokale Zeitung zu senden, in der Hoffnung, dass sie gedruckt wird, aber das dauert noch.
fledermaus ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.03.2006, 01:37   #2
Belgarath
Gast
 
Beiträge: n/a

Standard Der Erzählstil ist nicht umwerfend

aber für ein erstes mal auch nicht übel, denn das lässt darauf hoffen, dass in deinen Tiefen noch mehr schlummert, dass Du das weiter entwickeln wirst.
Inhaltlich ist es sogar recht gut erzählt, aber wie leider bei vielen schwer zu lesen, weil diese Geschichte keine Struktur hat. Das war so ziemlich das Erste, was ich bei einem Schreibseminar vor mehr als 30 Jahren an der Musischen Akademie Remscheid lernte, eine gute Geschichte braucht auch eine gute Struktur. Das kannst Du erkennen, wenn du veröffentlichte Bücher liest, Kurzgeschichten und Erzählungen. Die haben alle eine Struktur, die mit dem Inhalt eine Symbiose bildet.
Ich zeig dir mal an einem Beispiel, was ich meine:
>Ein Montagmorgen, Christian, mein Zwillingsbruder, und ich standen an den Schließfächern, die gerade an der Schule getestet wurden. Wir sprachen über unsere Geburtstagsparty, die bald stattfinden sollte. Die Frage war: Wen einladen? -das klingt ein bisschen wie Schulaufsatz, aber das ist nicht tragisch. Doch dann korrespondieren Frage und Antwort, und beide gehen weitgehend im Textfluss unter. Meine Empfehlung: Neue Zeile, um der Antwort mehr Gewicht zu geben, denn diese Antwort ist ja einer der Schlüssel für die Geschichte-
Natürlich schlug ich Liam vor. Schließlich wollte ich endlich wissen, was mit ihm los war. -und wieder, Frage und Antwort, im wirklichen Leben findet da auch eine Kommunikation mit kleiner Antwortpause statt, die Du hier als neue Zeile sichtbar machen kannst, denn dann erkennt man das Wechselspiel, noch ehe das erste Wort gelesen ist-
Chrissie schüttelte sofort heftigst den Kopf: „Der ist doch viel zu langweilig!“ -jetzt passiert das Fiasko, schön unauffällig im Textfluss versteckt, dabei doch wieder einer der Schlüssel für deine Geschichte, - neue Zeile, um ihm mehr Gewicht zu geben-
Unglücklicherweise stand Liam neben uns, da sein Fach neben dem meines Bruders war. Schweigend ging er an uns vorbei. Ich glaube, er hatte uns gehört.

Mittags, nach den Hausaufgaben, ging ich raus, ohne Chrissie. Ich wollte zur Hütte am Waldrand. Während des Spazierganges dort hin, beobachtete ich die Vögel. Ich wurde nachdenklich. -jetzt folgt dieser Gedankenfluss, der ebenfalls eine neue Zeile verdient hat-
Was war bloß mit Liam los? -lass dem Leser Zeit sich vielleicht eine eigene Antwort auf die Frage zu suchen, und gib sie ihm nach einer neuen Zeile-
Ein komischer Kerl war er. Schon oft hatte ich versucht mit ihm ins Gespräch zu kommen, doch er war immer so abweisend. -hier fließt die Geschichte einfach weiter, obwohl gut versteckt ein Handlungswandel stattfindet, denn das hat mit dem nachdenken nichts mehr zu tun, - neue Zeile-
Ich stand vor der verwitterten Holztür der Scheune. Es war so still, doch würde ich die Tür öffnen, würde das Quietschen diese Ruhe zerstören. -jetzt kannst Du einen kleinen Spannungsbogen durch eine spontane Frage aufbauen, und ihn gleich danach wieder neutralisieren, durch eine erneute neue Zeile-
Sollte ich durchs Fenster klettern?
Nein, ich öffnete die Tür. -etwas Unerwartetes geschieht. Wie reagierst du im wirklichen Leben, du bist erst mal baff und sprachlos. Mach es erlebbar, - neue Zeile-
Doch was sah ich da?
Mit tränengefüllten Augen schaute Liam mich an. -da passiert jetzt etwas, kurze Sätze können Tempo in die Geschichte bringen- Schon stürmte er an mir vorbei in den Wald. -da ist wieder diese Verblüffung, die dich nicht gleich reagieren lässt, mach sie erlebbar, - neue Zeile-
Zuerst blieb ich mit offenem Mund stehen, doch dann rannte ich ihm nach. Er hatte sich an einen Baum gelehnt und drehte sich zu mir, als er mich bemerkte.
„Was willst du?“, fragte er. -jetzt findet ein Dialog statt, der mehr Gewicht und Raum braucht, aber kein Versteckspielen im Textfluss-
„Mit dir reden!“, antwortete ich prompt.
Liam starrte mich an. „So. Und warum? Keiner kümmert sich um mich! Warum solltest ausgerechnet du dich dann um mich kümmern wollen?“
Darauf hatte ich keine Antwort.
Ja, warum eigentlich?
Meine Worte zerrissen die Stille: „Ich mag dich“ Liam schaute mich verwundert an, dann drehte er sich ruckartig um.
„Du lügst!“
„Warum sollte ich?“, fragte ich ihn.
„Du weißt gar nichts von mir, würdest du mich kennen, könntest du mich nicht leiden!“
„Dann lass mich dich kennen lernen!“
„Lass mich in Ruhe!“ Er lief weg und ließ mich stehen, allein, mitten in dieser unerträglichen Stille. Allein mit meinen wirren Gedanken. Stumm machte ich mich auf den Heimweg.<
So strukturiert man eine Geschichte, so dass sie nicht nur besser lesbar, sondern auch optisch erlebbar wird, als wäre man direkt dabei, dann bindest du förmlich den Leser in die Handlung ein.
Das war jetzt nur eine Anregung, es ist und bleibt deine Entscheidung, was Du damit anfangen willst. Ich weiß sehr wohl, dass viele in den Schreibforen im Internet das nicht so sehen, dass sie es für übertrieben halten so auf die Form zu schauen. Aber ich nenne es Handwerk des Schreibens, besonders bei Prosa. Denn sonst setzt Du nur jene unschöne Unart fort, die sich gerade aus dem Internet besonders hervorgebildet hat, unförmige Textblöcke. Keine Sorge, die Geschichte fällt nicht auseinander...
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Alt 16.03.2006, 20:10   #3
fledermaus
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 14


hey danke! deine tipps sind wirklich gut! An die Struktur hatte ich noch gar nicht gedacht, gut zu wissen. ich hab schon den hintergedanken eine neue geschichte von liam zu schreiben(praktisch ne weiterführung), wenn ich sie wirklich aufschreibe werde ich deine tipps beachten, noch mal danke
fledermaus ist offline   Mit Zitat antworten
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