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Alt 10.12.2005, 15:38   #1
sohar
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 30


Standard Einer dieser Tage

Morgens, er stand auf. Es war wieder einer dieser Tage, einer dieser Tage der nicht so war wie alle anderen. Ein Tag an dem etwas passieren mußte. Etwas weltveränderndenes um der belastenden, selbstverschuldeten Gleichgültigkeit der vergangenen Tage zu entfliehen. Scheiße. Dieser Morgen, ein Morgen der Bilanz, ein Morgen der Selbstaufgabe, ein Morgen des Schicksals. Und wenn dieses nicht selbst ins Leben eingreift so muß es zumindest herausgefordert werden. Der Tanz um den uralten Gevatter.
Tja, Bilanz, ihre Ergebnisse sind für ihn einheitlich unbefriedigend ausgefallen.
Arbeit? Wozu arbeiten, als Halbtoter? Was soll man schon in der absoluten Leere arbeiten und vor allem geben, noch dazu in einem Job mit Menschen? Ihm kam es so vor als war dieser Job so eine Art Göttliche Fügung mit der eigentlich sein Haupt gekrönt werden sollte. Doch wenn sich das Selbst völlig verpisst hat, welchen Sinn hat dann schon Arbeit?!-Note 6.
Von den Bedürfnissen seiner Liebe mal ganz zu schweigen. Vor einem dreiviertel Jahr wurde ihm das Herz geraubt, und das von einer Frau, die noch genügend andere Freunde beglückte, als das sie sich mit ihm auseinandersetzen müßte. Vielleicht hatte er auch zu viel gefordert, wie er es ja immer tat. Und seine Kurzbeziehungen, falls es sowas überhaupt gibt, tragen ja auch nicht gerade zum Schmucke der Treue auf seinem Haupte bei.
Ausgesaugt vom Leben, vom feiern. Ja, er muß wohl zu viel gefeiert haben um einen dermaßen tiefen Minuspunkt seiner Psyche zu erreichen. Und nun?
Die Rechnung, das Aus, Offset, Tilt. Wie auch immer, nichts geht mehr. Doch kampflos sich eine Niederlage einzugestehen war noch nie sein Ding. Wozu den ganzen Tag die ultimative Fortpflanzung des Morgens in Selbstzerfleischung zu ertragen und ständig wieder beim gleichen Punkt anzugelangen? Beim Gevatter, dem Tod, Grenze des Lebens, Grenze des beschränkten Bewußtseins.
Er mußte etwas tun, sich aufbäumen, über sich hinauswachsen um dem Schicksal den Stinkefinger zu zeigen und einen Riesenhaufen auf das vergangene, sein Leben ruinierende dreiviertel Jahr zu setzen. Damit wird also das Schicksal herausgefordert. Mit diesem Morgen sollte die Wendung in seinem Leben beginnen. Ein "Entweder-Oder", eine "gibt es Gott oder nicht" Frage. Und wenn es ihn gibt, we gnädig wäre er wohl dann im verzeihen, dass jemand seine geliebte Ordnung stört und den Tod herausfordert. Nimmt er ihn mit, ist es gut und läßt er es, nagut, Glück gehabt. Dann wäre er wohl dankbar.
Ja, Dankbarkeit, dass ist es wohl, was ihm fehlte. Ihm, einem Typen dem es eindeutig zun gut ging, der alles hat und sich immer noch beschwert, dass es zu wenig sei und daraufhin in Mitleid zerfließt. Aber ab heute soll alles anders werden, es soll anders kommen, ein Russisch-Roulette.
Doch dafür muß noch einiges geklärt werden, vor allem das "Wie" des Todes und das "Wo".
Er widmete sich erst der Frage "Wie", denn eigentlich sollte sie gleichzeitig das "Wo" klären. Dazu sind entscheidende philosophische Fragen zu klären und gemäß den Grundüberzeugungen abzuwägen. Die christliche Religion besagt nun, der Selbsmord sei eine Todsünde die in die ewige Verdammnis fürhrt und verehrt aber gleichzeitig einen auf ewig liebenden Gott. Aufgrund dieses Widerspruchs und der psychologischen Rafinesse, dass man doch möglichst positiv denken sollte-geschissen auf diesen Morgen- entschied er sich für den liebenden Gott, was dieses Abenteuer erst einmal möglich machte um nicht von Gewissensbissen geplagt zu werden. Denn wie man weiß lebt die Seele ja ewig und ewige Gewissensbisse sind wohl die Hölle. Also, man lebt danach weiter, gut.
Wozu dann eine schnelle Kugel in den Kopf oder ein schmerzhafter Aufprall von der Autobahnbrücke bzw. einem von aufgeschnittenen Pulsadern verursachtes Blutbad, wozu der ganze Aufwand, wenn man doch danach nichts geändert hat und so durch die Ewigkeit schlittert. Es muß doch einen Weg geben den Gevatter zu begegnen und trotzdem noch kräftige Einwirkungen auf das Bewußtsein zu hinterlassen um die Lehre unabhängig von Leben und Tod ins ewige Bewußtsein zu pflanzen. Der Todeskampf sollte also möglichst mit Schmerzen und Qualen verbunden sein die auch im ewigen Bewßtsein stehen, ob hinüber oder nicht.
Sich selbst zu verletzen, so wußte er aus eigener Erfahrung, vollbrachte er nur bis zur Schmerzgrenze, die beim ihm ziemlich niedrig war. Der Tod als Sache unabhängig zum Körper. Seiner Meinung nach ist die Erde sowieso von zigtausend lebenden Toten bevölkert, dass es ihn ekelt. Doch wie bringt er sein Bewußsein dazu ihnen zu gleichen? Da fiel ihm doch zum Glück der ausgedehnte Drogengebrauch der letzten Jahre ein und er wußte sehr wohl das diese Substanzen durchaus töten können, sowohl geistig als physisch. Perfekt!
Also, eine Überdosis.
Und er kannte ja einen Shop jenseits der deutschen Grenze zur Schweiz, der unter dem Ladentisch undefinierbare Pillen aus einem noch undefinierbareren Chemielabor verkaufte, die in entsprechender Dosis durchaus den Gevatter herbeirufen.
Der Ort an dem dieses heikle Unterfangen, von dem niemand etwas wissen sollte, stattfindet, ist am besten sein Heim, Rolladen unten, Tür abgeschlossen. Doch womit soll er sich die Zeit bis zur völligen Sprengung seines Bewußtseins verbringen. Eine Tätigkeit, so einfach und schwachsinnig, dass sie jeden geistigen Anspruch ablehnt und jeden Funken verbliebener Liebe auslöscht. Pornos, er brauchte noch Pornos, eklige Liebestöter die seiner verhassten Sexualität gerecht wurden. Seit dieser besagten Frau geht sowieso alles den Bach runter.
Gut, sein Entschluß war gefasst, das "Wie" und "Wo" war auch geklärt, also verließ er seine Wohnung und schickte sich an die Besorgungen zu machen die dieser in Todesluft schwebende Tag von ihm forderte. Die Bank gab ihm Geld und er erreichte den Zug der ihn nach Basel bringen sollte rechtzeitig. Er bekam 5 Pillen. Nachdem er 3 dieser Pillen, 2 Halluzinogene und eine für die Gefühle genommen hatte machte er sich auf den Heimweg. Natürlich gab es an der Grenze keinerlei Schwierigkeiten.
Auf der Heimfahrt stellte sich schon das Fließbandgehen ein und die Gegenstände zogen ihre Farbbänder hinter sich her. Zu Hause wurden erst mal die Pornos rausgeholt und die verbliebenen Pillen aufgeteilt. Eine für die Nase, damit sie möglichst gleich einer Kugel ins Hirn schießt und eine zum Schlucken.
Während er sich also mit diversen Heften vergnügte nahm die Wirkung immer mehr zu. Die betrachteten Bilder wurden zu Fratzen, die sich penetrant in sein Hirn bohrten und als die Reste aufgeschnupft waren begann ein elektrisches Knistern in allen Ecken seiner vier Wände. Nur schwer war noch ales durch den Kaleidoskopblick zu erkennen.
Er mußte raus, ja er würde umkommen. Das erste Mal überkam ihn die Angst zu sterben, also raus.
Inzwischen war nichts mehr zu erkennen, er war definitiv in einer anderen Welt. Einer Welt in der leuchtende Beeren an den Sträuchern wuchsen und gelbe Gewitter nach seiner Vernichtung schrien. Es spielte längst keine Rolle mehr ob die Augen geschlossen oder offen waren.
Doch, Scheiße! Die lebenden Schatten waren Menschen.
Jetzt begann die Angst. Existentielle Urangst, wie man sie wohl nur bei der Geburt oder zum Zeitpunkt des Todes hat. Er lief heim solange er es noch finden konnte. Doch nun knisterte der ganze Raum. Nur eine Sicherung müßte durchbrennen und er würde wohl nie mehr zurückkehren. Als er in den Spiegel sah erblickte er ein Schlangenwesen menschlicher Abstammung mit gelb-schwarzen Schlitzpupillen und seine Haut war über und über von grünen, groben, widerspenstig kratzigen Schuppen bedeckt. Er war zu diesem Zeitpunkt definitiv kein Mensch mehr.
Die Bilder, blutverzerrte, gespaltene Schädel quollen aus seinem butterweichen Hirn.
Nun begannen die Krämpfe, Todeskrämpfe, es war heiß und unvorstellbar kalt zugleich. Krankenhaus! Doch wer sollte ihn je finden.
Am Ende stand das Vaterunser eines lebendigen Gottes, kein Zweifel mehr.
Er überlebte es bis zum zweiten Horrortrip am Tag darauf und war von nun an bereit sich in die Psychatrie einweisen zu lassen.
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