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Alt 25.10.2005, 18:28   #1
Nirthelu
 
Dabei seit: 10/2005
Beiträge: 5


Standard Von der Unwichtigkeit

Von der Unwichtigkeit

Hinter mir liegt die Erinnerung. Ein Gespräch, das ich vergessen möchte, aber nicht kann. Die Gedanken drehen sich um dieses Stück Vergangenheit. Sie drehen sich noch immer, als ich mein Fuß in das Lokal stelle. Ich höre die Tür hinter mir ins Schloss fallen und stehe im Dämmerlicht der Wandlampen. Das Verlangen nach Ruhe unter Menschen trieb mich her. Um einen Zustand zwischen dem Nachdenken und der Zerstreuung zu finden.
Ich mache einige Schritte in das Innere des Lokals hinein. Zwischen all den schemenhaften Gestalten fällt mein Blick auf Lucius, einen Freund. Ich nehme enttäuscht und beglückt seine Anwesenheit wahr. Ich liebe es mit ihm zu reden, ihm zuzuhören und von ihm verstanden zu werden. Doch andererseits will ich allein mit meinen Gedanken sein. Unsicher setze ich mich in Bewegung und steuere auf seinen Tisch zu. Noch bevor ich mich bemerkbar machen kann entdeckt er mich.
"Hi Leila, sag mal, was machst du denn hier?", fragt er lächelnd und erhebt sich von seinem Platz.
Ich antworte nicht. Mein Gehirn meldet meinen Lippen: Lächeln. Mein Gesicht reagiert, verzieht sich und entblößt die Zähne. Ich nehme ihn kurz in den Arm und wir setzen uns. Während dessen versuche ich meine Gedanken wegzuschieben und alle Aufmerksamkeit auf ihn zu richten.
"Wie geht es dir?", frage ich interessiert.
"Nun, eigentlich ganz gut, bis auf leichte Magenschmerzen. Und dir?"
"Gut. Ich hoffe es ist nicht zu schlimm."
Er antwortet mit einem Lächeln, das mir Erinnerungen an die Zeiten wachruft in denen es ihm schlechter ging. Dennoch, es schmerzt zu wissen das es ihm nicht so gut geht wie er es verdient hätte. Alles was sich in meinen Kopf abspielte als ich ankam erscheint mir nun wie Fliegendreck an einer schwarzen Wand: unauffällig, unwichtig. Ich frage mich warum ich nicht begreifen kann, dass meine Probleme für mich schwierig sind, weil ich nie wirklich welche hatte.
"Was war bei dir heute so los?", frage ich ihn.
Vielleicht sollte ich mir die Frage selber stellen. Vielleicht sollte ich mich fragen warum ein kurzes, alltägliches Gespräch mich so durcheinander bringt. Ich wusste schon vorher, dass man sich nicht mit mir unterhalten kann. Habe ich das nicht schon zu oft gehört. Uninteressant, unauffällig, unwichtig und dumm. Aber liegt das Problem nicht woanders? Ich fürchte mich vor Menschen. Verstehe sie nicht. Traue ihnen nicht. Und hasse mich, da ich Lucius nicht richtig zugehört habe. Er erzählt mir von den Problemen seines Tages und ich habe nichts besseres zu tun als mich mit meinen Gedanken zu beschäftigen. Er lief bei ihm schlecht, in der Arbeit. Er ist Arzt im Praktikum, mit zuviel Seele. Viel zu tun und wieder einen Rückschlag.
"Ich verstehe, ein blödes Gefühl so etwas. Aber vielleicht sieht es morgen besser aus als du heute denkst. Und irgendwie überlebt man doch alles."
"Ich bin momentan häufiger ein wenig abgelenkt.", gibt er zu und bemerkt mit einem Grinsen: "Aber, ich lebe ja noch." Ich taste mit meinen Fingern und fühle erleichtert, dass das Lächeln noch immer auf meinen Lippen ruht. Leider überlebt man wirklich alles. Auch wenn ich manchmal wünschte, diese Müdigkeit in mir würde meine Seele zum Einschlafen bringen. Die Augen würden sich schließen und Dunkelheit würde mich umhüllen. Doch sie weigern sich.
"Vielleicht muss man einfach hin und wieder akzeptieren, dass man nicht immer alles geben kann.", überlege ich und frage mich ob ich selbst glaube was ich da sage.
"Ich denke man muss Prioritäten setzten und wissen was einem in diesem Moment wichtiger ist. Und bei mir ist es einfach gerade nicht dieser monotone Teil meiner Arbeit."
"Was ist es dann?"
"Das Menschliche in meiner Arbeit. Darauf möchte ich mich stärker konzentrieren."
Er weiß was er will. Woher weiß er das? Vielleicht braucht man einen Antrieb, eine innere Überzeugung um sich darüber im klaren zu sein. Das was ich machen möchte werde ich nie erreichen. Ich werde meine Träume vor mir herschieben, aus Angst abgestoßen zu werden und alles zu verlieren. Ich die vorgetretenen Wege nicht verlassen und um die verpassten Chancen trauern. Ich fühle mich leer und feige und wünsche mir anders sein zu können. Zu sein wie er. Mit all dem um was ich ihn beneide. All seinem Mut, seinen Fähigkeiten, das Liebenswürdige an ihm, die Fähigkeit mit Menschen zu arbeiten...
Ich bemerke wie er an mir vorbei zur Tür schaut. Als ich mich umdrehe weiß ich warum er eigentlich hier ist. Ich fühle ein inneres Lächeln, das sich auf meinem Gesicht breit macht. Und dann spüre ich eine Trauer die die Wärme nimmt und das Lächeln abwürgt. Und vor allem beneide ich ihn um das Gefühl das er jetzt spürt, als die Frau, die ich an der Tür erblickt hatte auf ihn zugeht. Mir ist nur kalt.
"Hey du, ich werde mich wieder auf den Weg machen.", sage ich ihm mit gedämpfter Stimme.
"Warum denn? Bleib doch noch." Nein, das kann ich nicht. Ich fühle mich störend. Wie das fünfte Rad, nur überflüssiger. Ich möchte fort von hier, alleine sein um zu entscheiden wie es weitergeht mit mir.
"Nein, ich muss gehen." Ja, raus hier. Ich muss laufen. Weg, irgendwohin laufen. Die Luft wird stickiger und der Raum scheint zu schrumpfen. Ich stehe zu hastig auf, werfe den Stuhl um und spüre seinen kritischen Blick auf mir.
"Leila? Ist irgendwas passiert? Du wirkst ein wenig eingeschüchtert?!"
Ich schaue ihn an. Kurz. Krampfhaft Lächelnd. Ich meine Ja, sage Nein, drehe mich um und gehe. Vorbei an ihr, wie ein Schatten.
Draußen, die Tür fällt hinter mir in die Verankerung. Die Luft ist kühl. Ich atme tief ein. Noch mal. Die kalte Luft füllt meine Lungen und erfriert sie. Ich blicke die Straße entlang und beginne zu rennen. Weiter und weiter, nur der Boden unter meinen Füßen, die Dunkelheit um mich und mein tauber Körper. Ich weiß nicht wohin und ich weiß nicht ob es noch weitergeht.
(c) Jeanette Bevermann 11.05.04
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