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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

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Alt 19.01.2008, 18:42   #1
westpol-radio
 
Dabei seit: 01/2008
Beiträge: 10

Standard Das Märchen von der Bärenprinzessin

Es war einmal eine Prinzessin, die war lieblich anzuschauen und kleidete sich in Samt und Seide. Aber weil ihre Ohren groß, rund und behaart wie die eines Bären waren, nannte man sie die Bärenprinzessin.
Eines Tages kam ein hübscher Prinz von weither, der wollte um die Bärenprinzessin freien. Jeden Morgen wartete er schon an der Bushaltestelle und hielt ein Büschel roter Rosen bereit. Als die Bärenprinzessin das sah, freute sie sich über die Abwechslung, nahm jeden Morgen die Rosen und lächelte dem Prinzen verführerisch zu. Auch begann sie, ihn mit charmantem Geplauder zu erfreuen. Bald lud er sie zu sich in sein Hotelzimmer ein. Sie kam in ihrem schönsten Kleid, hörte sich seine Gedichte an, ließ ihn für sich tanzen und Purzelbäume schlagen und errötete anmutig, als er ihr seine Liebe gestand. Leider mußte sie kurz darauf gehen, ohne Zeit für eine Antwort gefunden zu haben.
In der folgenden Woche besuchte sie den Prinzen wieder, trug ihren erregendsten Rock und verriet dem Prinzen im vertraulichen Gespräch einige ihrer geheimen Liebeswünsche. Als er sie daraufhin jedoch küssen wollte, war es schon so spät geworden, daß sie in ihren Palast zurückkehren mußte. Allerdings lud sie ihn für den nächsten Abend in ein verschwiegenes Restaurant am Stadtrand ein.
Der Prinz zog saubere Unterhosen an, kam pünktlich, gewaschen und rasiert, und mußte fast eine Stunde warten, da die Prinzessin von dringenden Regierungsangelegenheiten aufgehalten worden war. Sie hatte jedoch einen gesegneten Appetit und verzehrte ein kostspieliges Mahl, das der Prinz ohne zu Murren bezahlte. Auch das dargebotene Diamantencollier nahm sie huldvoll entgegen, ließ es sich von dem Prinzen um ihren weißen Hals legen und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Dann rief sie ein Taxi und ließ sich nach Hause bringen, da sie sich überfressen hatte und ihr unwohl war.
Am nächsten Tag machte der Prinz einen Krankenbesuch im Palast. Die Prinzessin erwartete ihn in ihrem seidenen Nachthemd, begrüßte ihn mit einem heißen Kuß und gestand ihm, daß sie nur demjenigen angehören könne, der drei Rätsel lösen würde, die in einem versiegelten Umschlag in einem Schweizer Banktresor lägen. Sie gab ihm einen kleinen goldenen Schlüssel und eine handgeschriebene Vollmacht mit und entließ ihn.
Der Prinz fuhr in die Schweiz, legitimierte sich mit der handgeschriebenen Vollmacht, öffnete den Tresor mit dem kleinen goldenen Schlüssel und fand ein kleines silbernes Kästchen mit einer Öffnung, die gerade groß genug war für seine Hand. Als er in das Kästchen hineingriff, schnappte eine Mausefalle zu und brach ihm den Mittelhandknochen. Die Ambulanz und die Feuerwehr mußten kommen, um ihn von dem Kästchen zu befreien und seine Hand zu verbinden. Die Presse bekam Wind von der Geschichte, und der Prinz wurde für drei Tage zum Gespött von Zürich. Als er zurückkam und der Prinzessin von seiner Prüfung erzählte, lachte sie sich kaputt.
Da ärgerte sich der Prinz und dachte: Wozu habe ich Unmengen von Rosen gekauft? Wozu habe ich gedichtet, getanzt und Purzelbäume geschlagen? Wozu saubere Unterhosen angezogen und ihr die teuersten Klunker um den sturen Hals gewunden? Wozu den Namen meines ehrwürdigen Geschlechts beschmutzt und der Lächerlichkeit preisgegeben und die ganze Rückfahrt lang das Steuerrad meines exklusiven Oberklassewagens mit der linken Hand gehalten? Das habe ich nicht verdient.
Er zog los, solange er noch jung und die Unterhosen noch sauber waren, suchte sich eine Frau, die bereit war, sich ohne Umschweife von ihm durch die Matratze stoßen zu lassen, und war's zufrieden.
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Alt 19.01.2008, 19:29   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007

-verschoben-
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.01.2008, 21:23   #3
Pegamund
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 133

Standard RE: Das Märchen von der Bärenprinzessin

Zitat:
... und die ganze Rückfahrt lang das Steuerrad meines exklusiven Oberklassewagens mit der linken Hand gehalten?
hat er (in seiner position!) denn keinen fahrer? sonn’ großen muskulösen kawenzmann in schwarzer jeans, schwarzem sakko, schwarzem rolli, mit rolex, sonnenbrille, goldkreuzchen, dreitagebart und hochgegeltem bürstenschnitt? oder war der fahrer grad in eigener sache anderswo unterwegs?

also, als märchen lese ich es nicht. eher als verhalten satirischen einwurf, der märchen(motiv)haft daherkommen mag, aber eigentlich mehr vom tanz der geschlechter spricht, von abgeschabten rollenklischees, die leider unbrauchbar geworden sind, von idealisch-idolisch verseuchten vorstellungen und erwartungen, die in den frauen- und männerköpfen herumspuken und verwirrung stiften und verhindern, dass einer mit einer zusammenkommt.

oder ... nein, ich lese es doch lieber als leicht absurdelndes märchen. das ist einfacher.

wie auch immer: es läßt sich lesen. die sätze sind vollständig und gut gebaut, und - wie mir scheint - rechtschreibfehlerlos. es ist nicht die zum 1001. mal aufgewärmte story mit gothic-fantasy-scifi-gewalt-liebeskummer-herzbrechungs-standarddressing, die sich selbst so ernst nimmt, dass kein auge trocken bleibt ... nein, es ist unbeschwert und originell. na egal - ich mochts jedenfalls ganz gern lesen.

grüße von Pega, und: carpe diem (wie schließlich auch der prinz gemerkt hat ...).
Pegamund ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.01.2008, 15:11   #4
westpol-radio
 
Dabei seit: 01/2008
Beiträge: 10

Hallo Pegamund,

erstmal danke für den Kommentar. Schön, daß die Geschichte Dir gefallen hat.
Selbstverständlich war der Prinz alleine unterwegs. Als er in die Schweiz fuhr, war sein Verstand romantisch umwölkt, es ging ja um alles, da tat er, was ein Mann tun muß, nicht wahr! Und dafür nimmt doch ein echter Mann keinen Chauffeur mit! Würdest Du Dir noch ein Pausenbrot schmieren, wenn man Dich zur Schicksalserfüllung riefe?
Du schreibst, die abgeschabten Rollenklischees seien leider unbrauchbar geworden. Das denke ich nicht. Ich habe viel Spaß damit.
Eine Frau, die es sich leisten kann, wird auch gerne mit Männern spielen. Und vielleicht hätte der Prinz das Spiel schneller und ohne Knochenbruch gewonnen, wenn er statt der Schweizfahrt z.B. gesagt hätte: "Jetzt kochst Du mir erstmal ein anständiges Gulasch, dann sehen wir weiter." Oder: "Kann ich mal schnell Dein Telefon benutzen? Das kann man fernmündlich erledigen, ich kenne den Bankdirektor persönlich."
Gewonnen hat er am Ende sowieso, denn die Bärenprinzessin wird sich sicher von ihrer Zofe anhören müssen, daß das doch so ein reizender junger Mann gewesen sei, daß sie zu weit gegangen sei und so nie einen abkriegen werde, und das wird ihr zu denken geben, mindestens einen Abend lang. Falls sie sich dann zu einem reizend-zerknirschten Anruf durchringt, kann sich der Prinz überlegen, ob er nicht ganz entspannt in eine zweite Runde gehen sollte...
Daß das eigentlich kein Märchen ist, sehe ich genauso. Was es eigentlich ist, kann sich jetzt, nach der zweiten Rubrikverschiebung, jeder selber denken. Als Verfasser bin ich damit überfragt, mir ist es nur eingefallen, und ich habe es aufgeschrieben.
Über die Rechtschreibung eines Textes würde ich mich übrigens nie auf bloßen Schein hin äußern, nur, wenn ich es ganz genau wüßte. Das kann so peinlich werden! Aber in dem Fall hast Du Glück gehabt und bist richtig gelegen.
Einen wunderschönen Sonntag!

westpol-radio.
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Alt 28.01.2008, 09:27   #5
Pegamund
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 133

Hallo westpol, kurz nochmal:

(1)
Zitat:
... dafür nimmt doch ein echter Mann keinen Chauffeur mit! Würdest Du Dir noch ein Pausenbrot schmieren, wenn man Dich zur Schicksalserfüllung riefe?
Ja, würd ich, doch, unbedingt - keine wichtigen Entscheidungen Hals über Kopf mit leerem Magen, Schicksal hin, Erfüllung her. Ich geh auch nie ungefrühstückt ausm Haus, egal wie spät ich dran bin, egal wieviel Prinzen unten in ihrem FerrariMaseratiJaguarHybridLexus oder auch Hummer H2 SUV sitzen und warten mit Atemnot bis zum Erstickungsanfall, weil sie die Spannung kaum mehr ertragen, weil sie endlich wissen wollen, wen ich auserwählen werde, wer heute der Glücksfelix sein wird, der mich zur Arbeit fahren darf, nach PLUS an die Barcodekasse ...
... ach, und wenn ich selber sonn’n Fahrer hätt (s. o.) - also, ich nähm den immer mit, egal wohin: nicht ohne meinen Fahrer, sozusagen ...

(2)
Unter bestimmten Bedingungen, da geb ich Dir recht, sind Rollenklischees (und Klischees überhaupt!) doch brauchbar: sie können inspirierend wirken (auf mich, irgendwie, etwa so: link).

(3)
Rechtschreibung: da hast Du auch recht - das kann so peinlich werden,, im Fall des Falles, ja. Aber: vllt. war das "wie mir scheint" auch nur ein klitzekleines Understatement.

(4)
Fazit: von Dir könnte mancher Prinz, manche Prinzessin was lernen. Du solltest Dir überlegen, Royals zu coachen - wenn Dus nicht bereits tust ...?

Grüße, Pega.
Pegamund ist offline   Mit Zitat antworten
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