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| Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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#1 |
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Weist denn Du, ja, wissen Sie,
was das ist: Demokratie? Hat hier vielleicht jemand Ahnung, oder wieder nur ne Mahnung? Ist es jenes große „Wir“, oder sowas wie Freibier? Darf da jeder alles sagen, oder auch sein Leid laut klagen? Kommt da jeder zu Gehör, alle Alten, jedes Gör? Alle Schrägen, die am Rande, all die Armen, die in Schande? All die Sonderlinge auch, alle, die stehn auf dem Schlauch, alle abgefahr’nen Typen von den Ufern, weit da drüben? Weist denn du, ja, wissen Sie: All das gabs und gibt es nie. Solches sind so Narrative. Und zwar echt so ziemlich schiefe. Grade rücken thut hier noht, geht ein Narrativ auch thot. Dieses will ich jetzt versuchen, und ich höre Euch schon fluchen. Ja, es ist Demokratie wirklich ein bequemes Vieh. Wird gebremst, vorangetrieben, läuft ganz langsam, lässt sich schieben. Ist schwerhörig bei viel Lärm. Schrein zu viele, kann es sterm. Und das Vieh denkt langsam, ehrlich! Manch Entscheidung: sehr beschwerlich! Ja, es nährt sich in Unmaßen von Geschwätz und hohlen Phrasen. Kennt zumeist kein klares Ziel, hofft, nie ende dieses Spiel. Ist es Ochse, Esel, Schwein? Ach, es kann wohl vieles sein. Selten wird das Vieh zum Tiger. Und wenn doch: bleibt es nie Sieger. |
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#2 |
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... es ist ja kein Geheimnis, dass Du die Dinge meistens locker-flockig runterschreibst und im ersten Moment begeisterte Zustimmung erfährst, die aber beim zweiten Lesen postwendend im Halse stecken bleibt - weil Du, ich denke sehr bewusst, Provokationen setzt, die Widerspruch praktisch herausfordern. So auch in diesem Beitrag.
Zum Inhalt: Ziemlich ausführlich zählst Du im ersten Teil des Textes in Form von rhetorischen Fragen die "idealen" Eigenschaften auf, die eine Demokratie theoretisch ausmachen (sollten): Jeder darf mitreden, sein Leid klagen, findet Gehör und wird mit seiner Meinung berücksichtigt (ich finde, dieses Recht "alles sagen zu dürfen", dürfen wir uns gar nicht hoch genug anrechnen - wir sind da wahrscheinlich sehr "verwöhnt", und weltpolitisch scheint der Weg ja derzeit radikal woanders hinzuführen). Im zweiten Teil Deines Gedichts nimmst Du Dir dann diese "Ideale" vor und entlarvst sie, wenn man nur genauer hinschaut, als "Lärm (...), Geschwätz und hohle Phrasen (...) ohne Ziel," als "schiefe Narrative", die nur langsam oder gar nicht zu hilfreichen Entscheidungen führen. So weit, so schlecht, dem kann man in vielerlei Hinsicht zustimmen. Besonders gut gelungen finde ich in diesem Zusammenhang das abschließende Bild des (Papier)Tigers, der zwar manchmal wirklich durchgreift, aber damit auch das Ende der Demokratie markiert ("sie bleibt nie Sieger"), weil er deren Ideale (s.o.) verrät und über Bord wirft. Offen bleibt für mich (wahrscheinlich bzw. möglicherweise ist das ja gewollt), welche Konsequenzen daraus abzuleiten sind: Wird das Ende der(artiger) Demokratie gefordert und die Übernahme aller Entscheidungen durch einen "starken Mann" (sorry, so hieß das ja zumindest früher immer)? Hier sollte man sich die Geschichte der Präsidialkabinette Brüning ff vor Augen führen, die 1930-33 nicht mehr auf Basis von Parlamentsmehrheiten regierten, sondern von "Notverordnungen" des Reichpräsidenten (damals Hindenburg) - und der Weimarer Republik den Garaus machten. In der Gegenwart gibt es an anderer Stelle ja auch eindeutige Tendenzen. Eine alternative Deutung ist, dass das Gedicht zu einer mutigeren und entschlosseneren Demokratie aufruft - das wäre dann in gewisser Weise aber "wieder nur ne Mahnung" wie im letzten Vers der ersten Strophe. Ein wirkliches Konzept kann ich da nicht erkennen (wäre wahrscheinlich auch zu viel verlangt) - aber die Deutung einzig und allein dem Leser zu überlassen, könnte auch als ziemliches Va-Banque-Spiel enden. Zu Form und Sprache: Dir liegt es, solche Widersprüche in Form von (vorgeblich) leicht verständlichen Paarreimen zu bringen, die fast zwangsläufig die Anmutung von Büttenreden annehmen. Das birgt jedoch auch die Gefahr in sich (ich nenne es jetzt mal so), dass die Zuhörer und Leser sich auf die Schenkel klopfen und begeistert zustimmen, ohne sich über die innere Widersprüchlichkeit (s.o.) Gedanken zu machen - der Hegelschen Dialektik versuchen die Meisten aus dem Weg zu gehen. Die Sprache kannst Du dementsprechend anpassen, oft in Form einer (ich meine das hier durchaus positiv) "Schnodderschnauze", die der Mehrheits(?)meinung einen Mund gibt. Ziemlich genial finde ich diesem Sinne die gewollte Sprachverballhornung in S8V1-2, "Ist schwerhörig bei viel Lärm/Schrein zu viele kann es sterm" - zumal für ein korrektes Metrum hier "schwer hörig" (mit Blank) gesagt werden müsste und der "Schrein", vor allem, wenn er großgeschrieben wird, auch eine andere Bedeutung annehmen kann. Andere sprachliche Eigenheiten hinterlassen dann schon größere Fragezeichen bei mir - bereits beginnend bei der dann noch zweimal wiederholten Überschrift: Soll sich das "Weist" auch auf das später aufgegriffene "wissen" beziehen, müsste es hier mit dem berüchtigten "scharfen ß" geschrieben werden. Ansonsten wäre es eine Verbform von "weisen" und würde (bei mir) Assoziationen wie "Weist denn Du uns unseren Weg? - Ja, wissen Sie, ich Spuren leg." o.ä. Eigenartig finde ich auch die Schreibung einiger Wörter in Strophe 6, "thut, noth, toth". Nach moderner deutscher Rechtschreibung ist das ja falsch geschrieben, und ich nehme mal stark an, das weißt Du auch - dient dieses Stilmittel somit als Parodie auf eine alltagsferne und gestelzte Sprache in der Lyrik (ich meine, das schon öfter bei Dir anklingen zu hören)? So, jetzt reicht`s aber. Herzliche Grüße Epilog |
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#3 |
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Hallo Epilog,
ich bitte um Entschuldigung für meine späte Antwort, aber, merkwürdigerweise, erhalte ich seit einiger Zeit keine Nachricht mehr, wenn sich jemand zu meinen Texten äußert. Ich habe heute mal wieder ins Forum geschaut und Deinen wirklich profunden Kommentar - eher schon eine präzise Analyse - lesen dürfen. Ja, Du hast Vieles in meinem Sinne verstanden. Ich bin an sich ein Freund der Demokratie, sehe aber auch ihre Schwächen. Eine Lösung, wie man diese beheben könnte, habe ich nicht. Der "starke Mann" wirds niemals richten, es wäre ohnehin das Ende der Demokratie - was ich mit der letzten Strophe zum Ausdruck bringen wollte. Die wehrhafte oder, wie Du es formulierst, "entschlossenere und mutigere Demokratie", strangulierte sich selbst, leider. Die seltsame Schreibweise einiger Worte ist so halb unbewusst, halb bewusst erfolgt. Richtig schreiben kann ja fast jeder, ich will es manchmal nicht... Schön finde ich immer, wenn bei Lesern überhaupt ein Fragezeichen im Kopf entsteht... Einen schönen Abend wünscht Ottilie |
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