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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken. |
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20.08.2016, 18:41 | #1 |
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In einem fremden Land
Die Mutter und ihr kleines Mädchen?
Der Bub auch? Und die alte Frau? Mein Magen hebt sich, mir ist flau … Doch ich bin nur ein schwaches Rädchen. Gebot ist, hohem Zweck zu nützen: Was alle tun, das ist korrekt und bleibt von Unrecht unbefleckt, wenn wir nur Ruhm und Ehre stützen. Mein Kamerad rät mir zu schweigen, kein Wort zu schicken nach zu Haus, Krieg nähme nun mal keinen aus, es sei nicht klug, sein Herz zu zeigen. Ich müsse nur die Schwelle nehmen, die mich von Bach und Mozart trennt, von Schiller, der tief in mir brennt, dann sei ich durch mit den Problemen. Man könne sich daran gewöhnen, das ginge in recht kurzer Zeit: Drei Tage, dann sei ich soweit und stumpf geworden für das Stöhnen. Ich schau den Fremden in die Augen und spür: Aus meinen blickt der Wahn! Ich heb die Waffe, leg sie an … auf Kinder, die am Daumen saugen. 20.08.2016 |
20.08.2016, 20:02 | #2 |
R.I.P.
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Das ist ja furchtbar, liebe Ilka-Maria, weil es so realistisch ist.
Ein zur Wirklichkeit gewordener Albtraum! Ob Dich ein aktuelles Avatarbild dazu angeregt hat? Ein Soldat, der sein Gewehr wenn schon nicht auf das kleine Mädchen gerichtet hat, so doch vor dem Kind damit hantiert! O ja, Schiller kann in der Seele brennen, nicht nur die Räuber und der Tell... Wer die Grenze zu Bach hinter sich gelassen hat, gehört zur Soldateska - gleichviel wo auf unserem Planeten. Ich mag gar nicht daran denken, wieviel tausendfach täglich das Schicksal in dieser Form zuschlägt. Verharmlosung nützt überhaupt nichts. Niedergeschlagenen Gruß von Thing Jetzt muß ich eine rauchen. |
20.08.2016, 21:23 | #3 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Hallo, Ilka-Maria,
wäre Thing nicht schneller gewesen, hätte ich beinahe genauso reagiert. Die Verrohung und Entkulturation (kann man letzteres so sagen?) durch den Krieg ist unfassbar, aber in Deinem Gedicht auf den Punkt gebracht. Bei "schwaches Rädchen" regte sich a bisserl Widerstand zugugunsten eine "kleinen" Rädchens. Größerer Widerstand regte sich bei den Schlussversen: "Ich heb die Waffe, leg sie an … auf Kinder, die am Daumen saugen" Kein Soldat würde jemals, es sei denn, er wäre so verroht/entmenscht, wie es tausend- und millionenfach nachweisbar ist, zugeben, dass er auf wehrlose Kinder geschossen hat. Die "Erziehung zum Mörder" ist raffinierter: Der aus welchen Gründen auch immer zu bekämpfende Feind wird zum Ungeziefer erklärt, das es auszurotten gilt. Im Weltkrieg I oder II lagen den Soldaten der Wehrmacht keine Söhne Puschkins oder Dostojewskis gegenüber, sondern "Untermenschen", dem Mörder in Deinem Gedicht kein daumennuckelndes Kind, sondern Ungeziefer. Die Perfidie ist Methode. Was ich hier sage, ist keine Kritik, eher eine Verstärkung des grauenhaften Inhalts Deines Gedichts. Für das: Chapeau! Gruß, Heinz |
20.08.2016, 21:48 | #4 | |
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Zitat:
Aber eine andere Frage: Sind die Menschen, die ohne Vorwarnung und Bedenkzeit zum Kommando gerufen wurden, ohne zu wissen, was ihre Aufgabe sein wird, und quasi erst kurz vor der Exekution erfuhren, wozu sie abgestellt waren, "entmenscht"? Das waren Befehlsempfänger, die gar nicht das Recht hatten, über Recht oder Unrecht einer Maßnahme zu diskutieren. Mein Gedicht handelt nicht von den Sadisten, die mit Feuerwerfern in einem französischen Dorf über die Zivilbevölkerung herfielen - die waren nicht nur entmenscht, sondern auch ent-"tiert". Das waren jene Teufel in Menschengestalt, von denen immer noch einige gutmeinende Psychotherapeuten glauben, die böse Mutter sei an ihrer Entartung schuld. Immer noch ist offensichtlich nur wenigen Leuten klar, dass es Menschen gibt, die von grundauf Spaß daran haben, böse zu sein und dies auszukosten, solange sie die Macht dazu haben. Davon handelt aber mein Gedicht nicht. Mein Soldat, der noch unerfahren ist, wird konfrontiert. Dabei ist es egal, ob er ein schollenverbundener Bauer oder ein städtisch-kultivierter Bildungsbüger ist. Bauer und Bildungsbürger kennen ihren Wertekanon und wissen, was sich gehört und was unanständig ist. Es gilt, einen Vernichtungskrieg zu führen und dabei alle Werte mit Füßen zu treten. Der Feind muss mit Mann und Maus ausgerottet werden. Aber um das zu bewerkstelligen, benötigt man die "Handwerker". Einer muss schließlich die Drecksarbeit machen. Hat Hitler einen Menschen ermordet? Oder Adolf Eichmann? Nein, sie waren keine Mörder. Aber der Hansi Kraus von nebenan, der mit siebzehn oder achtzehn eingezogen wurde, musste auf Polinnen bei der Feldernte schießen, auf alte Männer und auf Kinder. Und wenn er überlebte und sich dann jeden Tag in einer Kneipe die Hucke vollsoff, um zu vergessen, wurde er als asoziales Element geächtet, als Schande der Gesellschaft, der besser draufgegangen wäre. Mein Gedicht ist auch zwischen den Zeilen zu lesen: Wer von uns kann sich ein Urteil darüber erlauben, ab welchem Punkt ein Mensch als "entmenscht" zu gelten hat? Wir leben seit Jahrzehnten in einem befriedeten Raum und sind nie in diese engen Maschen getrieben worden, die uns keine Wahl ließen, außer uns aufzuhängen, wenn wir nicht hätten gehorchen wollen. Zum Glück können wir, wenn sich in anderen Ländern die Menschen massakrieren, Händchen halten und Lichterketten anzünden - das kostet nichts und ist völlig ungefährlich. Soweit meine Gedanken. Für Deine anerkennende Kritik besten Dank, Heinz. |
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20.08.2016, 21:52 | #5 |
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20.08.2016, 23:04 | #6 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Ach, Ilka-Maria,
merkst Du an meinen Zeilen nicht, dass wir öfter einer Meinung sind und nur aus verschiedenen Richtungen auf ein Problem zusteuern? Deine Frage, die Exekutionskommandos betreffend beantworte ich gern: Es war durchaus möglich, sich von einem solchen Kommando abzumelden. Die oft kolportierte Begründung "ich habe doch nur Befehle ausgeführt, verfängt nicht bei mir. Was ist mit denen geschehen, die sich "abgemeldet" haben? So gut wie nichts und wenn es Sanktionen gegeben hat, dann endeten sie nicht tödlich. Es ergibt sich gleich eine zweite Frage: Was ist mit denen geschehen, die solche Befehle ausgeführt haben? Ich habe mehrere kennen gelernt. Ich sag es mal ganz milde: Sie hatten alle einen Sprung in der Schüssel und ihre Rechtfertigungen "ich habe doch nur Befehle ausgeführt" konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass sie meistens schlaflose Nächte hatten und, falls der Schlaf sie doch übermannte, unter Albträumen litten. Deine Ansicht, dass es Menschen gibt, die von grundauf böse sind, teile ich nicht. Dabei zähle ich nicht zu denen, die den Müttern die Schuld in die Schuhe schieben. Du schreibst: "Hat Hitler einen Menschen ermordet? Oder Adolf Eichmann? Nein, sie waren keine Mörder". Ich muss Dir doch nicht sagen, wer nach dem deutschen Strafgesetzbuch als Mörder angeklagt wird. Hat Hitler einen Menschen ermordet oder Eichmann? Hitler hat sich durch Selbstmord der Gefangennahme entzogen und wäre wie die anderen Beschuldigten in Nürnberg auf der Anklagebank gelandet. Eichmann wurde in Israel verurteilt und gehängt. Die überlebenden Verbrecher, mit Ausnahme Görings, der sich selbst umbrachte, wurden nicht wegen Mordes verurteilt (der Paragraph des StGB sagt ziemlich genau, was Mord ist). Deine Behauptung ist dem Wort nach richtig, aber Du vergisst hinzu zu setzen, dass viele der Angeklagten (die Ausnahmen Hess und dem "Architekten des Führers" kennst Du) wegen weitaus größerer Verbrechen zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Hitler wäre es mit Sicherheit auch so ergangen. Mir fallen im Augenblick nur zwei Anklagepunkte (von vieren) ein, die zur Verurteilung führten, nämlich - Kriegsverbrechen - Verbrechen gegen die Menschlichkeit Die beiden Anklagepunkte beinhalten den millionenfachen Mord. Infolgedessen kann ich sowohl Eichmann und Hitler als Mörder bezeichnen. Beste Grüße, Heinz |
20.08.2016, 23:55 | #7 | |
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Das Gedicht - und noch mehr die daran anknüpfende Diskussion - erinnern sehr stark an Hannah Arendt und ihre ethischen Gedanken während des Eichmann-Prozesses. Man mag noch sosehr auf unserer gesetzlichen Ordnung pochen, so kann man dennoch nicht verhehlen, dass Männer wie Eichmann oder meinetwegen auch die Moskauer Gerichte (gemeint sind die Moskauer Prozesse, in deren Folge das bolschewistische Urgestein zu großen Teilen ausgeschaltet wurde) auf Basis einer juristischen Ordnung gehandelt haben, die in ihren jeweiligen Landesgrenzen Geltung besaß und als "richtig" bzw. "gut" anerkannt wurden.
Recht und Moral, dass sind Dinge, die den Bedürfnissen einer bestimmten Person, Gesellschaftsschicht, Klasse oder Sekte entsprechen - meinetwegen auch einer ganzen Generation. Diese Dinge sind dementsprechend als überaus relativ, spekulativ und dazu tendenziös zu betrachten. Ein bezeichnendes Beispiel ist tatsächlich die Entwicklung des Teufelsbildes, der mit steigender Einflussnahme der Kirche in weltliche Angelegenheiten auch als immer intensiveres Übel und als wachsende Bedrohung empfunden und interpretiert wurde; die christlichen Sekten hätten einen Papst, einen Stellvertreter Gottes auf Erden für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten, späterhin war dessen Wort gleichbedeutend dem Heiligen Wort. Und inzwischen wurde der Teufel zur Gänze von den Protestanten verbannt - immerhin hatte Luther Satan ebenso in seine Theologie eingesponnen und man kann dies hervorragend in einem polit. Kontext deuten. "Gut" und "Böse", "Recht" und "Gesetz" sind absolut relative Begriffe und in dieser Hinsicht kann man nur feststellen, dass Eichmann, Heydrich, der "Goldfasan" und der "Bock von Babelsberg" und wie sie alle heißen, "im Recht lagen" - nämlich nach ihrer Rechtsauffassung und ihrer Weltanschauung. Und man kann schlecht darauf erwidern, dass das "böse" ist, wenn sie nichts anderes behaupten, als dass es "gut" ist. Zitat:
Ich spreche natürlich ausschließlich von Kommandos im Feld, von "ad hoc - Exekutionen"; allerdings hat die Befehlskette immerhin den Zweck, die militärische Praxis ohne Komplikationen ausführen zu können. Die sowjetische Rätearmee war kurz nach der Revolution noch in der Gestalt organisiert, dass Offiziere gewählt und Befehle diskutiert wurden. Der Bürgerkrieg machte deutlich, dass eine stramme Zentralisation vonnöten war. Zentralisation macht einerseits unmündig, andererseits enorm schlagkräftig. Und ebenso bezweifle ich, dass man sich, einmal einem Kommando zugeteilt, großartig davon machen konnte. Da hätte ich gerne einmal einen Beleg für gesehen. (Es interessiert mich nämlich tatsächlich...) Der Widerstand gegen den Reichenau-Befehl beispielsweise belief sich auf Proteste bestimmter Offiziere mündlich wie schriftlich; mehr war auch nicht zu machen. Der Mensch - wie jedes Tier - wird in Extremsituationen, wie der Krieg nun einmal eine solche ist, insbesondere dann Verrohen, wenn das Lebensnotwendigste verloren geht; Feldzüge radikalisierten sich immer dann, wenn Vorräte zur Neige gingen, das Fouragieren zur Notwendigkeit wurde und der Widerstand des Feindes verbissener, i.e. ideologisch verbrämter zu Tage trat. Die Russlandfeldzüge von Karl XII. bis Hitler sprechen hier eine gemeinsame Sprache: Jeder dieser Feldzüge veränderte, radikalisierte sich ab Smolensk in unerhörter Weise. Die Versorgungslinien wurden länger und unsicherer, das führt zu Probleme und man konnte sich vage mit dem "Krieg, der sich selbst ernährt" kampfbereit halten. Deshalb hatte die russische Bevölkerung während all dieser Kriege ungemein zu leiden. Das eigene Überleben kann dementsprechend ein ungemein dreckiges Ding sein und ich will niemanden hören, der sich auch in einer solchen Extremsituation noch mit seinen moralischen Prinzipien aufhalten will - das wird ihm nämlich überhaupt nicht mehr in den Sinn kommen, steht er erst einmal an einer Front. Hierin liegt soziologisch auch ein Grund für den eigentlich sehr hohen Ehrbegriff, den Militärs oft genug entwickelt haben und Menschen, die dennoch an diesem festhalten, trotz aller Widrigkeiten, sind umso mehr zu bewundern. Es entsteht an einer Front auch relativ schnell ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen feindlichen Soldaten, da sie letztlich durchaus zu der Erkenntnis fähig sind, dass sie alle im selben Boot sitzen. Diese Erkenntnis, dieses Gefühl sind die ideelle Wurzel des Winterfriedens 1914. Ich habe das Gedicht gerne gelesen und entschuldige mich für den Wälzer. (Wobei ein solcher natürlich auch als Kompliment an das Gedicht verstanden werden können - das, was zu Gedanken anregt, kann nicht schlecht sein..) |
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21.08.2016, 03:18 | #8 |
Dabei seit: 10/2006
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Beiträge: 7.879
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Hallo, Larkin
was wären wir ohne Deine profunden Kenntnisse? Wenn Du bei Deinem nächsten Beitrag alle Teile, die nichts mit dem Gedicht Ilka-Marias wenig zu tun haben und Antworten auf nicht gestellte Fragen weg lässt, kämen wir schneller zu Potte. Dir ist, da gibst Du versehentlich eine Schwäche zu, dass es Dir in der Tat völlig neu ist, dass Befehlsverweigerung in der Wehrmacht und insbes. bei der SS "legalisiert" worden ist und beziehst Dich auf ein Zitat aus meinem Beitrag, das etwas anderes aussagt. Ich habe gesagt, dass es durchaus möglich war, sich von einem solchen Kommando abzumelden. Ich nehme an, dass Du den feinen Unterschied bemerkst. Du verlangst einen Beleg und den sollst Du bekommen: Die Welt: Noch dazu, da keiner der Soldaten tatsächlich gezwungen wurde, bei den Erschießungen mitzumachen… Stefan Ruzowitzky: Richtig, man musste nicht an den Erschießungen teilnehmen. Das ist womöglich der schrecklichste Teil dieser Geschichte: Die Verweigerer berichteten, dass sie eine Rüge bekamen, und einer hatte das Gefühl, er wäre bei einer Beförderung übergangen worden oder bekam weniger Freizeit. Das war der Preis, den man dafür zahlen musste, nicht täglich Frauen und Kinder zu erschießen. Das ist nicht mehr fassbar. Ausschnitt eines Interwiews der Zeitschrift „Die Welt“ Anfang 2014 Einzelheiten über Stefan Ruzowitzky sind im Internet abrufbar Ich hatte lange vor diesem längeren Interwiew die Gelegenheit, anlässlich eines Seminars an der Ev. Akademie Hofgeismar direkt mit Männern zu sprechen, die zu Erschießungskommandos befohlen worden sind, zwei hatten mehrere Male mitgemacht, zwei hatten - nein, sich nicht großartig davon gemacht - den Befehl verweigert. Die "Täter" hatten beide (ich sag es mal unwissenschaftlich) einen an der Schüssel, klagten über Schlaflosigkeit und -wenn sie doch mal schliefen- über Albträume. Bezeichnend waren ihre Rechtfertigungsversuche gegenüber einem Seminarteilnehmer (Gerhard Zwerenz, der in jungen Jahren desertiert war und lange gegen die Diskriminierungsversuche in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit zu kämpfen hatte), zwei Professoren (einer davon war der Historiker Mommsen, den anderen Namen weiß ich nicht mehr - er kam von einer BW-Uni) und dem seinerzeitigen Kandidaten für den Berliner Senat Richard v. Weizsäcker. Die Gespräche wurden nicht protokolliert, zweifelsfrei war, dass man sich dem Befehl verweigern konnte. Eine weitere Binsenwahrheit förderst Du mit der Behauptung zutage: "Feldzüge radikalisierten sich immer dann, wenn Vorräte zur Neige gingen" - welche Vorräte gingen denn zu Ende, als die Amerikaner die beiden Atombomben warfen und zigtausende JapanerInnen und ihre Kinder starben? Und welche ausgehenden Vorräte waren für Göbbels rhetorische Frage ausschlaggebend. "Wollt ihr den totalen Krieg?" Und waren die Vorratslager nicht prall gefüllt, als Hitler den SS-Generälen (sinngemäß) zurief: Das wird kein Krieg wie jeder andere, das wird ein Krieg ohne Rücksicht auf Mann und Weib und Kind! Wer denkt heute noch an die Armenier?" (Den genauen Wortlaut könnte ich nach entsprechender Recherche liefern). Einen Satz von Dir noch: "allerdings hat die Befehlskette immerhin den Zweck, die militärische Praxis ohne Komplikationen ausführen zu können" - ich fass es nicht! Ich nehme an, dass diese Erkenntnis ab sofort Pflichtlektüre jedes Stabsoffiziers wird. Unteroffziere und Portepeeträger haben sich den Spruch in ihre jeweiligen Kasinos zu hängen. Auf die Gefahr hin, dass Deine Fans mich für kleinkariert oder anderes halten: Manchmal ist es besser zu schweigen, als mit halbgaren Wissen aufzutrumpfen. Heinz |
21.08.2016, 05:00 | #9 |
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Lieber Heinz, offensichtlich hast Du etwas in den falsch Hals bekommen, denn ich hatte nicht die Absicht, Deinen Kommentar negativ zu kritisieren. Ich wollte ihn lediglich mit meinen Ansichten ergänzen.
Davon abgesehen weise ich darauf hin, dass ich mir den Inhalt meines Gedichts nicht aus den Fingern gesogen habe. Er beruht auf einem längeren Interview mit dem Historiker Jörg Baberowski und seinen Untersuchungen zum Thema Gewalt, welche die Grundlage zu seinem Buch "Räume der Gewalt" bildeten. Baberowski ist ganz und gar nicht zu dem Ergebnis gekommen, dass sich ein Soldat vor einem Massaker an Zivilisten drücken konnte, und zwar aus verschiedensten Gründen, die ich jetzt nicht alle aufzählen will. Dazu kam der Effekt der Gewöhnung und des konformen Handelns: Beim dritten oder fünften Mal waren die Soldaten abgestumpft und dachten nicht mehr darüber nach, was sie taten. Baberowski ist außerdem zu dem Ergebnis gekommen, dass es durchaus Menschen gibt, die am Machtgefühl derartig viel Faszination finden, dass sie bedenkenlos den Weg der Unmoral und des Bösen gehen, ohne dabei das geringste Unrechtsbewusstsein zu entwickeln. Auch hat er bestätigt, was jeder weiß, der sich mit Eichmann beschäftigt hat, dass dieser sich nämlich nicht als Mörder, sondern lediglich als einen Bürokraten gesehen hat, der sich keines Verbrechens bewusst war, weil er ja "nur" Karteikarten hin- und hergeschoben hat, und zwar innerhalb des für ihn damals gültigen Rechts- und Verwaltungssystems. Hannah Arendt, die das ebenfalls erkannt hat, schrieb in diesem Zusammenhang nicht ohne Grund über "die Banalität des Bösen". Dabei belasse ich es. Wer sich mit dem Thema "Gewalt" oder "das Böse" näher auseinandersetzen will, findet dazu genügend aktuelle Literatur, wie z.B. von Steven Pinker "Gewalt" oder auch die Arbeiten, die über die Verrohung von Menschen während des Balkankrieges entstanden sind, die davor liebende Väter und friedliche Nachbarn waren. Aufschlussreich ist auch das Buch "Die Lust am Bösen" von Eugen Sorg. |
21.08.2016, 09:29 | #10 |
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Beiträge: 7.879
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In einem...
Liebe Ilka-Maria,
ich danke Dir erst einmal dafür, dass wir von vermeintlicher Konfrontation zu einem sachlichen Austausch kommen. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass wir bei den meisten Ansichten überein stimmen. Den von Dir genannten Prof. Baberowski schätze ich sehr und fühle mich in meinen Ansichten insbes. durch seine Äußerungen über das Verhältnis des Westens und Russland (und der ehemaligen Sowjetunion) bestärkt. Wenn Baberowski "ganz und gar nicht zu dem Ergebnis gekommen (ist), dass sich ein Soldat vor einem Massaker an Zivilisten drücken konnte", liegt das vielleicht daran, dass diese selten vorgekommenen Verhaltensweisen gar nicht zum Themenkomplex seiner Arbeit gehörten. Darf ich Dir ein Interwiew mit dem von mir genannten Ruzowitzky empfehlen? Du findest es bei Youtube zum Thema "Das radikal Böse". Dass Du Dir Dein Gedicht nicht aus den Fingern gesogen hast, nehme ich Dir unbesehen ab. Du hast auch völlig Recht, wenn Du die Effekte des Gewöhnens, die Abstumpfung, das fehlende Unrechtsbewusstsein (ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und unterstelle den Tätern, dass sie sich völlig im Recht glaubten, wenn sie die "Volksschädlinge", die "Untermenschen", die Partisanen, das auch noch nach geltendem Kriegsrecht, umbrachten) anführst - in all diesen Punkten sind wir uns völlig einig. Mein letzter Beitrag beruht nicht auf Äußerungen von Dir, die ich möglicherweise in den falschen Hals bekommen habe, sondern auf den halbgaren Erkenntnissen Larkins. Was der alles weiß - man könnte fast glauben, er sei ein hundertjähriger Zeitzeuge und ausgemachter Spezialist für nahezu alles. So etwas bringt mich auf die Palme, vor allem dann, wenn er nachweislich Falsches im Brustton der Überzeugung zum Besten gibt. So, jetzt wünsche ich Dir einen schönen Sonntag! Heinz |
21.08.2016, 09:52 | #11 | |
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https://www.youtube.com/watch?v=LypjYmhzG7U
https://www.youtube.com/watch?v=fRQwqhuhats Zitat:
Für mich sind Larkins Beiträge fundiert und schlüssig. Deswegen muss ich ihm aber nicht alles als der Wahrheit letzten Schluss abnehmen. Ich bin sicher, das tut er selbst nicht. Er argumentiert mit dem, was er aktuell erfahren und für sich verarbeitet hat. Das ist legitim, und mehr als er kann niemand von uns leisten. Wir alle sind darauf angewiesen, bei unserer Meinung und unseren Entscheidungen auf unseren letzten Wissenstand zurückzugreifen. Und oft müssen wir schnell statt mit der Gnade der aufschiebenden Frist entscheiden. Da wird so mancher Irrtum begangen. Und was ist daran falsch, wenn Larkin Erkenntnisse, die er (dem aktuellen Stand angemessen), für wahr hält? Wie ich heute in einem Interview erfahren habe, werden in Russland die Geschichtsbücher alle fünf Jahre umgeschrieben. Na und? Wer weiß denn schon, was wahr ist? Mir scheint, dass die Probleme, die einige User dieses Forum mit Larkins Beiträgen habe, ganz woanders angesiedelt sind: Sie erkennen ihre intellektuellen Defizite und fühlen sich untergebuttert. Nun ja. Ein Siebzehnjähriger, der in den letzten Kriegstagen eingezogen wurde und einem Baby in die Augen schaut, dem er einen Kopfschuss verpassen muss, bekommt vielleicht ein vage Vorstellung davon, was die Wahrheit ist. |
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21.08.2016, 13:26 | #12 | |||
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Oh Heiliger! Was habe ich da nur wieder angerichtet - entschuldige bitte, liebe Ilka. Das hatte ich wirklich nicht damit beabsichtigt. Ich wollte deinen Gedicht-Faden nicht dazu instrumentalisieren, meinen überdimensionierten Genius erneut zur Schau zur stellen: ich wollte tatsächlich nur ein paar Gedanken niederschreiben, die mir beim Lesen deines Gedichts und der daran anknüpfenden Diskussion durch den Kopf gingen. Das war alles!
Ich hoffe, du wirst es mir nachsehen, wenn ich noch einmal nachdrücke. Wie gesagt: Ich wollte weder instrumentalisieren noch vom Gedicht ablenken - im Gegenteil... Und noch einmal: Ich erhebe keinen Anspruch auf Fehlerlosigkeit. Im Gegenteil; ich würde meine Beiträge nicht zur Diskussion stellen, wäre ich so von mir eingenommen. Aber so, wie sich Argumente verteidigen lassen, halte ich auch an ihnen fest... Oh dear... Also, dann auf ins Gefecht: Heinz, wo ist es eine "Schwäche", wenn man mit Veteranen der Ostfront - ein guter Freund meiner Mutter war auch in russischer Kriegsgefangenschaft und gehörte zu den wenigen Österreichern, die wieder zurückgekehrt sind - gesprochen hat, und hier u.a. von den menschenverachtenden Situationen erfahren hat; ich habe immerhin in meinem Beitrag klargestellt, dass im Feld eine großartige Diskussion über das Für und Wider einer Exekution undenkbar ist - und das ist ebenso ein Faktum. Allerdings ist es etwas kritisch - und das musst du mir nachsehen -, wenn Ruzowitzky sich weder auf Quellenangaben stützt, wie Rothöhler in seiner Kritik behauptet, noch sein von ihm verwendetes Inspirationsbuch von Christoph Browning in der Art genähert habe, dass er seine "kritische Rezeptionsgeschichte" ignoriert hat. In dieser Hinsicht wirst du es verstehen, wenn ich auf meine Informationen aus erster Hand eher zurückgreife als auf einen Film-Regisseur. Zitat:
Und dazumal hatte das Kaiserreich enorme Versorgungsprobleme - die Blockade des Ölhandels führte schließlich immerhin zur japanischen Kriegserklärung und dem Angriff auf Pearl Harbor. Die Schlachten um Iwo Jima und Okinawa beweisen, dass sich der japanische Soldat mehr und mehr radikalisierte als sich die Fronten dem "Mutterland" näherten. Die japanischen Besatzungen der Inseln besaßen zumeist kaum über Vorräte - und dazumal keine Rückzugsmöglichkeit. Das soll nun nicht radikalisieren? Der Abwurf der Atombomben geschah also aus dem Kalkül heraus, dass die japanische Armee praktisch wie ein Tier mit dem Rücken zur Wand kämpft und dementsprechend durch eine Demonstration der Stärke und Überlegenheit zu einer Kapitulation gezwungen werden sollte. Der japanische Kaiser Hirohito hatte immerhin bereits nach der Niederlage auf Okinawa auf Verhandlungen gedrängt und erst der Abwurf dieser Sprengköpfe konnte auch die Regierung und das Militär dazu zu bewegen, zu kapitulieren. Das Kaiserreich hatte zu diesem Zeitpunkt große Versorgungsprobleme und die Situation der Besatzungen der pazifischen Inseln ist nachweislich von großem Mangel an tatsächlich allem gekennzeichnet. Zitat:
Was glaubst du, ist für die Zivilbevölkerung erträglicher? Eine Armee mit einer gesicherten Versorgungslinie, oder ein abgekämpfter Haufen, der Fouragier-Trupps ausstattet, um die Gegend zu plündern? Und wo verroht, radikalisiert man sich mehr? Ich denke, dass hier auch die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges beispielhaft dienen kann: Wallenstein konnte die Disziplin in seiner Armee auch deshalb aufrechterhalten, weil er in seine Besitzungen große Vorräte angelegt hatte, die seine Einheiten über längere Zeit hinweg ernähren konnten. Der Mansfelder Condottiere hingegen verfocht die These, der Krieg müsse den Krieg bezahlen und entsprechend hinterließen seine Soldaten nur verwüstete Einöden. Zitat:
Ich habe nie Anspruch auf Fehlerlosigkeit erhoben, aber ich verbitte mir diese kindischen Seitenhiebe und Vorwürfe. Ich muss hier niemandem etwas beweisen, will einfach nur interessante Diskussionen haben; dieser kindische Schwanzvergleich, von wegen: "Aha! Da beweist du eine Schwäche" - "Das ist halbgares Wissen!" - "Klugscheißer!" ist tatsächlich unter meinem Niveau und eigentlich auch dem des Forums. So, und wenn ich daran erinnern darf, Heinz: Die letzten hier geführten Diskussionen fanden v.a. zwischen mir und dir statt; ich könnte dir nun also auch den "Vorwurf" machen, du seist "Spezialist für alles" und ein "Hundertjähriger Zeitzeuge". Lass' diese dummen Kindereien - wie gesagt: "Schwanzvergleiche" brauche ich nicht -, wir können alle sachlich miteinander umgehen. Wo mein Wissen allerdings "halbgar" ist, würde ich auch gerne erfahren - diese Dinge denke ich mir nicht aus. Ich stütze mich hier auf die Bücher von Sir Max Hastings, Antony Beevor und Ian Kershaw. Offenbar sind deren Werke auch nur halb gekocht und meinen Gesprächen mit Zeitzeugen darf ich offenbar auch nicht trauen. Na, was soll's... Einen schönen Sonntag! Genießt ihn! |
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21.08.2016, 14:37 | #13 |
R.I.P.
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Schweift Ihr nicht vom Gedicht ab?
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21.08.2016, 15:28 | #14 |
Forumsleitung
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21.08.2016, 16:10 | #15 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Hallo, Larkin
oha - so martialisch? "Auf ins Gefecht" - da hast Du von vorneherein schlechte Karten (ich erspare Dir die Nennung der Waffengattung, in der ich zuhause war und nicht viel vergessen habe. Aber wie sagte O.W. Fischer in einem seiner Filme, als er zum Duell gefordert wurde und ihm die Wahl der Waffe überlassen wurde? "Na schön, dann komm ich halt mit meiner Kanone." Ich werde das "Gefecht" beenden, bevor es beginnt, denn Kasperklatschen sind nicht meine Kragenweite. Eine letzte Bemerkung: Herr Ruzowsky ist nicht nur Theater/Filmmann, er hat Theaterwissenschaften und Geschichte studiert. Ende der Durchsage, Heinz |
21.08.2016, 16:40 | #16 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Herr Ruzowsky hat das Medium Film dazu genutzt, seine Ansichten über ein Thema zu publizieren, nicht mehr und nicht weniger. Praktischerweise hat er das Drehbuch dazu selbst geschrieben |
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22.08.2016, 14:57 | #17 | |
Forumsleitung
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Zitat:
zur Entschuldigung besteht kein Grund. In meinem Faden kannst Du schreiben, bis Dir die Fingerkuppen abfallen, ich habe nichts dagegen einzuwenden. Viele User partizipieren gerne an Deinem Kenntnisreichtum, das ist oft genug bestätigt worden. Wer hingegen von Deinen Ausführungen überfordert ist, braucht sie nicht zu lesen. So einfach ist das. Mach also ruhig weiter, mich stört es nicht. Es ist mir auch egal, wenn einige User dadurch abgeschreckt werden und meine Fäden nicht mehr aufrufen. Das ist in bestimmten Fällen ohnehin eher ein Segen. Beste Grüße Ilka |
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22.08.2016, 15:16 | #18 |
R.I.P.
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22.08.2016, 15:52 | #19 |
Forumsleitung
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In den meisten Fällen würde er abdrücken. Wer behauptet, er/sie sei die rühmliche Ausnahme, die niemals auf wehrlose Menschen, geschweige denn auf Kinder, schießen würde, verkennt die Realität und unterschätzt den eigenen Überlebenstrieb. Wenn gar mit Flammenwerfern vorgegangen wurde, war die einzige Option, nämlich das Vorbeizielen, auch nicht mehr möglich.
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22.08.2016, 15:58 | #20 |
R.I.P.
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Hier gehts nicht um Flammenwerfer (setzte ich voraus).
Dabei spielt es keine Rolle: unter Zwang... Aber ich nehme an, es ist ein Gewehr wie auf Herzchens Avatar (falls der jetzt nicht rasch gelöscht wird... |
22.08.2016, 16:02 | #21 |
Forumsleitung
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Gewehre und Pistolen.
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22.08.2016, 16:05 | #22 |
R.I.P.
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Dacht ichs mir doch.
§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Ein paar mehr oder weniger ... was macht das schon aus? Wie sang Sabrina Setlur einst: So ist das Leben eben. |
25.08.2016, 12:57 | #23 |
Hab ich erst jetzt entdeckt, Ilka.
Chapeau! LG gummibaum |
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25.08.2016, 13:25 | #24 |
Forumsleitung
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25.08.2016, 14:29 | #25 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Liebe Ilka,
dein Gedicht geht tief unter die Haut, ich bin beeindruckt. Die Diskussionen darüber sind interessant, wenn auch ein Korinthenkacker in seiner unnachahmlichen, fast gehässigen und persönlich werdenden Art, immer wieder den Besserwisser zur Schau stellen muss. Dann doch lieber CdP. Liebe Grüße Nöck |
25.08.2016, 14:37 | #26 |
R.I.P.
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en passant:
Scylla und Charybdis? |
25.08.2016, 14:47 | #27 | |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Zitat:
Den Beiden aus der Griechischen Mythologie! |
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25.08.2016, 14:59 | #28 |
R.I.P.
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Die waren beide tödlich, Vorsicht!
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25.08.2016, 15:10 | #29 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Aber nicht nervtötend!
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