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Schreibwerkstatt / Hilfe Gedichte und diverse Texte, an denen noch gefeilt werden muss.

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Alt 28.01.2022, 23:09   #1
männlich Krebsgestoeber
 
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Standard Komposita in Gedichten

Liebes Forum,

Komposita sind in meinem Studium allgegenwärtig: Teilnehmendenbezug, Gliederungssignale, Geltungskontext etc. Ich mag sie irgendwie. Oft haben sie etwas Geschmeidiges, aber nicht immer. Der Leser ist ihretwegen einer semantischen Doppelbelastung ausgesetzt, weil er zwei oder mehrere Substantive verstehen und im Kopf sinnvoll zusammenkleistern muss.

Hier ein m. E. misslungenes Gedicht von mir:

Dein Wangenwasser glänzt im Bad-Licht,
Die nächste Fuhre wartet schon.
Du liebst das Seufzen, schluchzt mit Absicht,
Mit Leidenschaft in Akt und Ton.

Mal hältst du deinen Atem an -
Ich wittere Effekt-Kalkül -
Und manchmal webst du stundenlang
Dein Trauerkleid aus Zartgefühl.

Vor lauter Spaß an der Freude habe ich kurz vorm Schlafengehen alle Wortungetüme untergebracht, die mir in den Sinn kamen. So viel Spaß, wie ich beim Schreiben hatte, so wenig hatte ich am Folgetag beim Lesen.

Nun meine Frage an euch: Wie haltet ihr es mit Komposita in Gedichten und in "fiktionalen Texten" generell und warum?
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Alt 28.01.2022, 23:55   #2
männlich Ex-petrucci
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Beiträge: 414

Ein Kompositum sollte für mich nicht zu lang sein, da die Lyrik aus der Stärke des kurzen Wortes zehrt. Das ist nur meine Ansicht.

Überlädt man ein Gedicht mit Komposita, muss man Obacht geben, dass es nicht in den Unsinn abgleitet und falls es nicht in den Unsinn abgleitet, muss man aufpassen, dass es nicht unsinnig und affektiert klingt. Die Lyrik ist, wenn man bedenkt wie sie entstand, sehr melodisch. Substantivische Zusammensetzungen [Es sind nicht nur Nomen] können heikel sein, vor allem wenn diese aus einer andere Sprache stammen. Daher würde ich schauen, ob Komposita ein Gedicht gut situieren.
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Alt 29.01.2022, 00:43   #3
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.078

Ein Text, der vor Substantiven und erst recht vor Komposita wimmelt, hat keinen guten Ruf. Dieser Nominalstil gilt als "Amtsdeutsch" und findet sich tatsächlich auch am häufigsten in den Akten der Behörden und in amtlichen Veröffentlichungen. Nicht selten stehen Sätze im Nominalstil im Passiv, so dass sie noch schwerfälliger werden. Ein Wort wie "Teilnehmendenbezug", das du wohl dem Genderwahn verdankst, ist übrigens grauenhaft, aber das ist ein anderes Thema.

Vom Grundsatz her solltest du kurze, griffige Wörter - egal welcher Gattung - langen Wörtern vorziehen. Sie klingen besser, sind vom Leser leichter und schneller zu erfassen und ermöglichen ihm somit ein flüssiges Lesen. Sätze im Nominalstil wirken immer schwerfällig und zerstören den Lesegenuss. Diese Erkenntnisse haben nicht nur Ausbilder von Studenten für sprachlich orientierte Berufe gewonnen, sondern sind auch von Gehirnforschern belegt worden. Die Aufmerksamkeit eines Lesers lässt ab einer gewissen Anzahl von Silben nach, und wenn ein Wort oder Satz (oder eine Gedichtezeile) eine gewisse Länge überschreitet, ist der Leser gezwungen, nochmal von vorn zu lesen. Fazit: Der Text wird ihm zu langweilig oder zu mühsam, und er gibt auf.

Es hat einen guten Grund, dass Zeitungsartikel in schmale Spalten statt in durchgehende Zeilen über die ganze Seite gesetzt sind.
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Alt 29.01.2022, 01:33   #4
männlich MonoTon
 
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Beiträge: 1.105

Zu meinem eigenen Verständnis.

Sind Komposita gleichzusetzen mit Neologismen?
Ich lese den Text der vorliegt, sehe das Wort Wangenwasser und setze es intuitiv um in Tränen, Gesicht, Salz, fließend und reichhaltiges vorhanden sein.

Zitat:
Vor lauter Spaß an der Freude habe ich kurz vorm Schlafengehen alle Wortungetüme untergebracht, die mir in den Sinn kamen.
PaarDönerMich, ich sehe keine Wortungetüme in dem Text. Denke ich eventuell zu kompliziert? Im Gegenteil, mir gefällt der Text ausgesprochen gut. Bin mir aber gerade absolut nicht sicher ob das für oder gegen mich spricht.

Für mich ist eine Wortkomposition (falls ich das korrekt aufgefasst habe) nichts weiter als etwas zu komprimieren, dass einem Text mehr Tiefe geben soll. Ein Mittel zum Zweck. Es kann ein Gefühl umfassen, das auch mit einem Zustand in Verbindung gestellt wird.
Ich bin aber auch der Meinung, das weniger oft mehr ist.
Wenn Inhalt und Tropen mit dem Kontext zusammen spielen, warum nicht auch gleich mehr Tiefe verleihen indem man Mehrdeutig arbeitet und Metaebenen mit "Komposita" erzeugt. Ich denke man darf schon ein gewisses grundlegendes Verständnis im Leser voraussetzen, dass er Sinnvolle Bezüge erstellt, einhergehend mit dem, für ihn, emotionalen Sinn des Wortes.
Das ist meines Erachtens reine "Interpretationsgrundlage"
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Alt 29.01.2022, 09:33   #5
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.078

Zitat:
Zitat von MonoTon Beitrag anzeigen
Zu meinem eigenen Verständnis.
Sind Komposita gleichzusetzen mit Neologismen?"
Nein, das sind zwei verschiedene Begriffe. Was ein "Elefantenrüssel" ist, versteht jeder, aber ein "Ottifantenrüssel" wäre ein Neologismus und nur zu verstehen, wenn man die Verbindung zu dem Komiker Otto herstellen kann.

Neologismen sind oft auch neue Metaphern.

Außerdem sind sie nicht auf Substantive beschränkt. So ist z.B. ein Neologismus das Verb "bärbocken" für "sich versprechen".

Zitat:
Für mich ist eine Wortkomposition (falls ich das korrekt aufgefasst habe) nichts weiter als etwas zu komprimieren, dass einem Text mehr Tiefe geben soll. Ein Mittel zum Zweck. Es kann ein Gefühl umfassen, das auch mit einem Zustand in Verbindung gestellt wird.
Ich bin aber auch der Meinung, das weniger oft mehr ist.
Ersteres kann der Fall sein. Letzteres stimmt auch: Besser nicht übertreiben. Grundsätzlich sollte ein Autor jedes Wort auf die Waagschale werfen, ob es die Wirkung entfaltet, auf die er zielt. Ein allgemeingültiges Rezept gibt es nicht. Manchmal ist es besser, statt einer Anhäufung von Wörtern zwecks Umschreibung eines Gegenstands ein griffiges Substantiv, egal ob solo oder zusammengesetzt, zu wählen; ein andermal kommt man um den Gebrauch mehrerer Wörter nicht herum, vor allem wenn man mit Adjektiven oder Adverbien etwas abheben oder verdeutlichen will.

Beim Nominalstil muss man halt immer aufpassen, dass am Ende kein hohler Begriff dasteht, ein Allgemeinplatz, mit dem der Leser nichts anfangen kann. Das ist nämlich meistens der Fall. Für "Tiefe" oder gar innere Zustände, also Gefühle, eines Protagonisten auszudrücken, sind Substantive für sich allein, egal wie lang oder neu ausgedacht, in der Regel nicht genug. Wer "Feldwiesenhasenfuß" schreibt und sich mit dieser Beschreibung begnügt, sagt dem Leser rein gar nichts darüber, weshalb und wovor der Protagonist Angst hat.
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Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.01.2022, 13:52   #6
männlich Ex-petrucci
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Beiträge: 414

Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen

Ersteres kann der Fall sein. Letzteres stimmt auch: Besser nicht übertreiben. Grundsätzlich sollte ein Autor jedes Wort auf die Waagschale werfen, ob es die Wirkung entfaltet, auf die er zielt.
Das versteht man erst richtig, wenn man a) einen fünfhebigen Jambus gänzlich ohne Füllwörter und (!)verdichtet oder b) ein klassisches Sonett schreiben will.
An dem Punkt zeigt sich erst die Komplexität und der Schwierigkeitsgrad der Dichtung. Wir haben uns von der eigentlichen Dichtung weit entfernt, schreiben die meisten, die Dichten können, eher metrumgerechte Fließtexte.

Auch wenn es selten ist, aber hier stimme ich Dir in allen Punkten zu, Ilka-Maria.
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
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