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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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06.10.2012, 21:28 | #1 |
Schwalbe im Eis
Schwalbe im Eis Da war Blau und See und Mutter und der warme Dunst der Kühe. Da waren Erde, Kartoffeln und Schwalben und immer wieder Fische vom nahen See. Da waren grosse Hände - warm und von der Arbeit rauh, weite Felder und schwere Arbeit. Und alles atmete Heimat. Dann kam eine Zeit, da sie blutige Schwalben fand im Hof. Ihr Herz erwachte von Trommeln innen und außen. Die grossen Hände wurden kalt und die klaren Augen wie Teiche vor Gewitter: verschlossen vor Unheil. Das Trommeln im Herzen kam näher: Immer öfter fand sie tote Schwalben, rot vor Blut. Eines Morgens dann zerrissen die Trommeln ihr Herz: Grobe stinkende Männer unter dem Zeichen von Sichel und Hammer schnitten Eisblöcke aus der Luft und hackten die Sprache entzwei. Die Grossmutter schrie Blut. In dieser Nacht starb der Mond. Der Januar liegt begraben unter einem Leichentuch aus Schnee. Die Blumen dieses Frühlings trinken Wasser und Blut. Hoch droben fliegt eine junge Schwalbe in den Himmel. Ihr Schrei bleibt ohne Echo. gewidmet dem kleinen mädchen im herzen meiner mama |
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11.10.2012, 19:53 | #2 |
abgemeldet
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Hallo MuschelIch,
räusp, ein sehr beteiligtes, erzählendes Gedicht, eines was mit pathetischen Bildern arbeitet, um die Verwundungen, Beschädigungen, Verluste der Seele auszuhalten, wenigstens ein Stück weit aufzuarbeiten, an Gebundenes und Ungebundenes zu binden. Ein Gewidmetes, dem man nicht widersprechen kann, weil die Verletzung, die der Wahrnehmung und die des Erlebens, so metaphorisiert wird, dass sie bist zur letzten Zeile deutlich bleibt. Manche Zeit hinterlässt Wunden, die auf die Generationen übertragen werden, die nicht wirklich ausheilen können. lg der rivus |
12.10.2012, 06:31 | #3 |
Oh ja, rivus.
Schwer traumatisiert ist sie meine Mutter, und ich braves, liebendes Kind habe sie jahrzehntelang gesucht. Wie eine Metapher war die ganze Frau für mich und vielleicht muß ich so schreiben, um ihr, der schon so wehgetan worden ist, nicht noch mehr weh zu tun. Die Schäden sind groß und ich, die ich mich wirklich auch als kriegsverletzt bezeichnen würde, obwohl offiziell als Wirtschaftswunderkind getauft sehe sie allerorten obwohl dieser miserablige Hundskerl von Krieg ja nun doch schon 60 Jahre oder so unter der Erde ist. Mir hat u.a. das Schreiben sehr geholfen, zu erkennen, daß meine Heimat nicht Ostpreußen ist, sondern Niederbayern. LG Muschel&Ich |
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12.10.2012, 08:14 | #4 |
Hallo MuschelIch,
das ist schon richtig erfreulich, dass mit Dir eine begabte und ausdrucksstarke Poetin ihren Weg zu Poetry gefunden hat, was nicht nur dieses Gedicht beeindruckend unter Beweis stellt. In Niederbayern gabs nach dem Krieg sehr viele Ostpreußen, die Mutter eines Freundes zum Beispiel, ihr Dialekt hat mir gefallen. Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt, schlaf Kindlein schlaf... das Schicksal der Heimatvertriebenen gehörte geradezu selbstverständlich zu meiner Kindheit. Lieben Gruß Desperado |
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12.10.2012, 09:05 | #5 |
Dabei seit: 09/2012
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Alter: 56
Beiträge: 562
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Hallo, MuschelIch,
ich kann mich Desperados erstem Satz nur anschließen. Die von dir gewählten Metaphern sind sehr schön (das meine ich auch so). Meine Ansicht ist, dass es gerade Gedichte ermöglichen, etwas sehr Hässliches in "Schönheit zu verpacken" - und eben dadurch wird es umso deutlicher, durch die Diskrepanz zwischen Hässlichkeit und Schönheit. Das ist für mich die "Kunst" dabei, denn so gelingt es auch, das Schöne (schön verpackt) ebenfalls hervorzuheben. Für mich das "Wesen" von Gedichten. Mein Großvater war einer der Soldaten, die ganz am Ende des Krieges hinausgeschickt wurden (nach Russland), ein Jugendlicher, noch nicht erwachsen. Er war traumatisiert (wurde Alkoholiker, aber keiner von der "agressiven/üblen" Sorte), sprach oder erzählte nie, was er erlebt hatte, weigerte sich, Fragen zu beantworten. Wenn damals in einer Zeitung oder im Fernsehen von einem Krieg berichtet wurde, legte er die Zeitung weg oder stand auf und verließ das Zimmer. Das einzige, was er oft sagte: "Werden die Menschen denn nie gescheiter? Hört der Wahnsinn nie auf?" Er konnte es einfach nicht ertragen. Wenige wissen, dass es damals auch spezielle "Erziehungscamps" für junge Mädchen und Frauen gab, die dem "arischen Typus" entsprachen. Es war "Zucht" geplant, um den "Herrenmenschen" regelrecht (nicht nur, aber auch mittels "Zwangsehen") heranzuzüchten. Meine Großmutter hatte das Pech, diesem nationalsozialistischen Ideal zu entsprechen: Hochgewachsen, blond und blauäugig. Und sie hatte das Glück, dass das Kriegsende kam. Sie wählte meinen Großvater, kleiner als sie, schwarzhaarig, mit dunkelbraunen Augen. Ja, ist klar, warum. (Aber beide liebten sich sehr, das war unabhängig.) Meine Großmutter brachte kurz vor Kriegsende noch sehr jung (zu jung) ein Kind zur Welt, unehelich, das an einer Gehirnhautentzündung starb, es gab ja keine Medikamente mehr. Sie sprach allerdings auch nie darüber, wer der Vater war, "persönliche" Details erzählte sie nie, nur die Tatsachen der "Camps" und dass das Kind starb ... Dein Gedicht ist sehr, sehr tief berührend. Mich hat es erschüttert. Freundlichen Gruß, Poetibus |
12.10.2012, 09:20 | #6 |
Ich danke Euch, Desperado und Poetibus für Eure anerkennenden Worte.
Das Lied kenne ich auch noch von dem Maikäfer ..... als Kind hatte ich keine Ahnung, wovon da die Rede ist. Ich mag auch den ostpreußischen Dialekt und ich "rieche" die Alten, die Flüchtlinge sind, hier förmlich und komme oft mit ihnen ins Gespräch. Poetibus, dies Schicksal ist erschütternd und meine Mutter bzw. Großmutter teilt es mit Millionen anderer Frauen ... . Die Kinder tragen dies mit und ich bin sicher, daß so manche daran zerbrechen oder in der Psychiatrie landen bzw. beim Seelentröster Alkohol. Ja, viele alte Menschen wollen nichts mehr hören vom Krieg und ich glaube, gerade dies "VerschlossenSein" daran krankt es unter anderem. Denn, daß sie zutiefst verwundet, ausgebrannt, voller Panik sind ..... das spürt ja ihre ganze Umgebung und leidet darunter aber es muß so getan werden, als wäre alles normal ..... Die Alten, die sprechen, erzählen oft die immerselben Geschichten und vielleicht ist es auch unsere Aufgabe, den immerselben Geschichten zuzuhören. Vielleicht ist irgendwann einmal genug erzählt und es ist gut. Über Deine Worte zur Poesie im Allgemeinen darf ich noch gründlicher nachdenken. Was mir hier noch auffällt ... ist die intuitive Weisheit, die man manchmal hat: Die Schwalbe ist ja ein Zugvogel und hat eigentlich im Januar nun gar nichts mehr zu suchen in Dtld. . Und genau wie im Gedicht die Schwalbe nicht weggeflogen ist in den Süden, sind meine Mutter und meine Großmutter nicht weggezogen mit den Flüchtlingstrecks ...... - die Brüder hatte die Großmutter schon längst weggeschickt. .... LG MuschelIch |
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