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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 12.02.2015, 11:27   #1
weiblich ANOUK
 
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Dabei seit: 10/2014
Ort: Kreis Kleve am Niederrhein
Beiträge: 462

Standard Tiefer Himmel (für Oma)

Tiefer Himmel,
durchbohrt von tausend Ästen;
aus seinen Wunden sickern
Purpur und frisches Karmesin,
mischen sich schon bald in Schlieren
unter Auroras frische Linnen
– es packt sie der Wind,
lässt sie gen Osten ziehn,
fort, nun fort von hinnen.

Goldene Speere schießen durch
den dichten Odem der Nyx,
richten ihre Spitzen
auf Perlen aus Tau,
in denen sie sich brechen:
Und tausend Farben schillern
nunmehr durch das Rauh.
Der tiefe Himmel küsst
voll Schmerz und Morgenfrische
meine Wangen und legt
mein Sehnsuchtsblau
an seine Bernsteinketten.

Und während sich Aurora neigt
und letztes Purpur sich
wie Blut in kühle Wellen gießt,
ist in mir nichts als Frieden.
Und ein Schwarm von Tauben steigt
auf – die Welt zu retten...

***
Es ist mir klar, dass dieses Gedicht auf manchen Leser sicher überladen und kitschig wirkt.
Ich schrieb es an dem Morgen nach dem Tod meiner Großmutter. Sie ist nach Tagen im Koma endgültig von uns gegangen. Und sie sah sehr, sehr friedlich aus. Die Beerdigung steht noch an und ich... muss das ganze verarbeiten. Daher dieses Gedicht. Es musste einfach raus...
ANOUK ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.02.2015, 10:48   #2
weiblich shoshin
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Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Liebe Anouk,
Ein schönes Gedicht!
Stillen mitfühlenden Gruß!
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.02.2015, 11:49   #3
weiblich ANOUK
 
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Dabei seit: 10/2014
Ort: Kreis Kleve am Niederrhein
Beiträge: 462

Danke, liebe Charis!
Inzwischen haben wir alle Abschied von meiner Großmutter genommen. Bei wunderschönem Wetter...
Das Gedicht handelt (wobei ich es nicht explizit in Worte gefasst habe) von ihrer Sehnsucht, heim nach Schlesien zu kehren. Ich bin mir sicher, dass sie nun zuhause ist...und das tröstet mich und uns alle.

Ich danke Dir sehr für Deine lieben Worte
lG
Anouk
ANOUK ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.02.2015, 12:08   #4
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.082

Liebe Anouk,

es ist zu überlegen, über den Hintergrund einer Gedichtwerdung etwas preiszugeben. Die meisten Leser scheuen vor gewidmeten Gedichten zurück aus Sorge, unbefugte Räume zu entweihen und/oder dem Autor den letzten noch haltenden Zentimeter des Herzens zu brechen, das doch eigentlich der Heilung bedarf.

Ohne diesen Hintergrund zu kennen hätte ich allerdings schon die ersten beiden Verse falsch bewertet, und nicht gerade positiv. Zu dramatisch, zu pathetisch, zu martialisch ....

Zitat:
Tiefer Himmel,
durchbohrt von tausend Ästen;
Das klingt unerträglich aufgesetzt. Und doch ist es authentisch, denn ich weiß: Es geht um einen steinschweren, wirklich erlittenen Verlust. Da wird der Himmel tief, er fällt einem sprichwörtlich auf den Kopf, und Baumäste werden zu stechenden Waffen.

Verse, die das Herz (oder die Seele oder beide) wie ein Vulkan ausgespuckt hat.

Auf das Gedicht in seiner Gänze will ich nicht eingehen, weil jede Meinung dazu falsch sein könnte.

Nur dies: Es ist ein guter Weg, einen Verlust dichterisch zu verarbeiten. Dir als Autorin bleibt erhalten, was Du gefühlt hast. Niemand anders muss es fühlen oder verstehen.

Das Feedback wäre aber vielleicht reicher und ehrlicher, wenn Du die Widmung nicht preisgegeben hättest.

Lieben Gruß und einen schönen Sonntag,
Ilka
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.02.2015, 13:40   #5
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Hallo ANOUK,

du verfolgst die Farbänderungen sehr aufmerksam. Ich habe etwas Schwierigkeiten, diese vielen Wechsel als eine Sinfonie zu erleben. Eine Vereinfachung habe für mich versucht.

Grüße von gummibaum




Tiefer Himmel, den die Äste
schwer verwundend bluten lassen,
bis ein Wind die Wolkenreste
weher Nacht vertreibt. Nun fassen
rosa Lippen zart den Osten,
Sehnsucht und auch Lust zu kosten.

Prächtig schillern Tropfenhauben
bald im frühen Licht hienieden,
und ein Schwarm von weißen Tauben
flattert auf und grüßt den Frieden.
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.02.2015, 13:48   #6
weiblich ANOUK
 
Benutzerbild von ANOUK
 
Dabei seit: 10/2014
Ort: Kreis Kleve am Niederrhein
Beiträge: 462

Liebe Ilka,
ich ahnte, dass sich die Wahrnehmung eines Gedichtes durch den Leser ändert, sowie man erwähnt, dass es sich um ein Widmungsgedicht handelt...das würde mir genauso gehen. Kritik würde weniger harsch ausfallen oder ganz ausbleiben aus den von Dir genannten Gründen. Trotzdem hatte ich mich spontan dazu entschlossen, die Widmung zu erwähnen, mich kurz zu erklären. Vielleicht, weil ich mich selbst derzeit in einem sehr labilen Zustand befand. (Was generell kein guter Zeitpunkt ist, ein "frisches" Gedicht in die Öffentlichkeit zu entlassen).
Ich denke rückblickend, hier ging es mir auch weniger um einen Kommentar zu Stil, Inhalt und Form, als vielmehr darum, den inneren Druck loszuwerden.
Ich danke Euch, die Ihr kommentiert habt, selbstverständlich für Eure Kommentare und Kritikpunkte, die durchaus nachzuvollziehen sind.

Wenn ich mich wieder eingependelt habe, werde ich ggf. Gummibaum es getan hat, versuchen, dem ganzen eine verändert und auch schlichtere Fassung zu geben, wobei ich die Originalfassung für meine Großmutter quasi parallel bestehen lassen werde

@Gummibaum
Lieber Gummibaum, du hast es mal wieder geschafft, mit viel weniger Worten als ich viel mehr auszudrücken und meine Gedanken in schönere Bilder zu kleiden. Ich bin ( wie üblich) beeindruckt über die Leichtigkeit, mit der Du das schaffst! Deine Version habe ich mit herauskopiert. Sie ist ein wunderbarer Anreiz für mich, eines Tages eine komplette Überarbeitung meiner Zeilen vorzunehmen . Ich danke Dir sehr für Deine Gedanken, die Du meinen Zeilen gewidmet hast und die wunderschöne "Vorlage", wie es wirklich besser sein könnte.
lg
Anouk
ANOUK ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.03.2015, 00:01   #7
männlich Kryptonit
 
Benutzerbild von Kryptonit
 
Dabei seit: 03/2015
Ort: Gelsenkirchen
Alter: 36
Beiträge: 8

Hi! Ich denke, dass "widmungsgedichte" mit denen man ein Gefühl oder ein Geschehnis oder beides verarbeitet wirklich gerne überladen sein dürfen, da sie ja auch Ventil sind und das einen auch sehr dadurch beim lesen mitnehmen kann. Kenne selber so etwas.
Die Stimmung in Deinem Text ist aber sher friedlich gemalt und hört sich auch nach dem Wunsch nach Versöhnung (mit dem Gedanken einen wichtigen Menschen verloren zu haben) an. Das hast Du schön "gemalt"!

Mein aufrichtiges Beileid!

Bester Gruss Krypto
Kryptonit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.03.2015, 17:20   #8
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Ich schließe mich Kryptonit an, liebe ANOUK.
ich habe selbst viele Gedichte gewidmet und nicht nur Abschiedsgedichte wie Deines.

Ich weiß nicht, ob man - wie Ilka anmerkt - dann "milder" kommentiert, kann es aber verstehen.

Bei Deinem Gedicht sind mir manche Bezüge nicht ganz klar (z.B. die rettenden Tauben, Friedenstauben?), aber ich finde es schön und intensiv. Mit dem jetzt bekannten Hintergrund wirkt es noch intensiver, v.a. die ungestillte Sehnsucht nach der unwiederbringlich verlorenen Heimat.
Abgesehen davon liebe ich Pathetik.

Freundlichen Gruß
von
Thing




PS Ein Daumen hoch! für das Rauh!
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.03.2015, 20:14   #9
weiblich ANOUK
 
Benutzerbild von ANOUK
 
Dabei seit: 10/2014
Ort: Kreis Kleve am Niederrhein
Beiträge: 462

@ Thing

Hallo Thing, gerade finde ich per Zufall Deinen Kommentar. Danke fürs Lesen und die Auseinandersetzung mit meinem Gedicht. Ja, die Tauben sollen etwas "Friedliches", Versöhnliches haben. Oft sah ich das Motiv einer Taube auf einem Grabstein, manchmal sogar metallene Tauben auf einen Naturgrabstein montiert. Ich sah oft Tauben am Haus meiner Großeltern, es schien, sie pickten Omas Saat aus der Erde. Es war mir so ein geläufiges Bild, die auffliegenden Tauben, dass ich es irgendwie literarische verarbeiten wollte. Ich habe dieses Gedicht spontan und rein intuitiv niedergeschrieben , somit wundert es mich nicht, wenn manche Bezüge für den Leser ggf nicht ganz klar sind ..

lG
Anouk
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