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19.10.2012, 19:47 | #1 |
Einsame Nummer
Ich bin ein anonymer Anrufer. Aus gutem Grunde. Ich bin Gesundheits- und Krankenpflegerin.
Damals waren wir noch der Kranken Schwestern. Wir haben uns weiterentwickelt. Die Pflege nähert sich ihrem Klientel an und es stellt sich die Frage: Wer hält am längsten durch? Ich erinnere mich gern an die gute alte Zeit, als die Patienten sich wohl befindlich lächelnd bedankten, als die Schwester nicht unter Antibiotika- und Schmerzmitteldoping arbeitete, sondern sich dann doch zu Hause hinlegen durfte und ihre Mitschwestern ihr gute Besserung wünschten. Das trauen sich heute nur noch die Hartgesottenen, wegen Krankheit zu Hause bleiben. Selbst bei Krebs besteht tägliche Meldepflicht, ob die Befindlichkeit denn nun endlich wieder hergestellt ist und vorm Todesfall unbedingt rechtzeitig Bescheid sagen! Unsere Kunden machen das nicht mehr, rechtzeitig Bescheid sagen. Eben noch simulieren sie putzmunter und, hast-du-nicht-gesehen, überleben sie nicht einmal die Wiederbelebung. Wo unsere Reanimation mit Defi und Co doch Spitze ist, Spitzenklinikum der Spitzenmedizin - immer in Ihrer Nähe! Nun werden wir immer besser, weil wir immer weniger werden. Durch natürliche Pflegeauslese werfen wir noch mehr Ballast ab. Keine Kompromisse beim Komprimieren! Wir müssen dünner und fixer werden, denn die Klienten werden immer schlechter. Die Guten, die Jungen, die Trotz-allem-genesenden, bleiben aus. Unseres Entertainments zum Trotz: „Immer in ihrer Nähe, nicht mal eine Armlänge entfernt, da tobt der Alzheimer. Aber Big Sister is watching you mit modernen Fixiersystemen.“ Magnetverschlüsse. Wer die Auflösung findet, gewinnt Tavor und Sauerstoff, manchmal nachträglich ein Monitoring. Gesponsert von der Krankenkasse. Damals, zu Patientenzeiten, waren wir längst nicht so effizient. Niemand braucht heute mehr kostspielige Sitzwachen. Knebeln ist noch nicht erlaubt, aber wir haben Ohropax. Zu Hause nach der Schicht, im Frei und im Urlaub, hab ich es auch damit versucht. Doch das vibrierende Piepsen biss sich direkt durch das Ohropax in mein Hirn, löste den antrainierten Glockenreflex aus: „Geh ran, ran, ran!“ Und: Arbeit! Arbeit! Arbeit!!“ Irgendwann bestand mein Freundeskreis nur noch aus Kollegen und die hatten alle meine Handynummer. Halleluja! Die Neue kriegt Keiner! Seither erschrecke ich nur noch kurz beim Klingeln, dann besuchen meine Mundwinkel meine ohropaxbefreiten Ohren. Häme, Entspannung, Freude breitet sich in mir aus. Ich habe Zeit gewonnen. Zeit, mir neue Freunde zu suchen. Aber Vorsicht, ich bin allergisch gegen Weißkittel. |
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