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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 28.02.2022, 04:56   #1
männlich Anaximandala
 
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Standard Sonalliteraett

es wogen wolken, wilde wetter schlagen
wir wandeln weiter, würnschen wärme, schweigen
wie wälder wesen wiegend winde zeigen
wo warnend wasser, warum will man wagen

so sehr von sinnen, seh sie strahlend neigen
licht schenkend sinken, sing von sonnentagen
so sehnend suchen, seiner sicher klagen
wie es wohl wäre, so sanft, sachte, steigen

leid lieben lernen, wünschen, wollen, lachen
weit werdend machen, sehnend sich erleiden
sich suchend scheiden, flammendes entfachen

das dunkel denken, dieses düster kleiden
sein sehnen suchen, wähnend weis' erwachen
sich mächtig machen, seine mächte meiden


*Sonette werden hier im Forum öfters in Kleinbuchstaben und ohne große Zeichensetzung gepostet, ich hab das hier einfach mal übernommen, grundlos der Korformität wegen oder so. Aber eigentlich bin ich schon neugierig. Vielleicht hat ja jemand Lust mich aufzuklären, gibt es evtl. ganz konkrete Gründe in Text, Struktur,.. , oder hat einfach mal wer angefangen... ja und falls ich jetzt eine Darstellungsform kopiere, die eben nicht von vielen verwendet wird, sorry, bitte Meldung geben

Geändert von Anaximandala (28.02.2022 um 07:22 Uhr)
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Alt 28.02.2022, 20:38   #2
männlich Epilog
 
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Standard Lieber Anaxi

da Du darum bittest, "Meldung zu geben", möchte ich dem Folge leisten, da ich mich natürlich auch in gewisser Weise angesprochen fühle: "klassische" Sonette haben "in jüngster Zeit" hauptsächlich Walther, Tristanhirte und meine Wenigkeit eingestellt (ich spreche jetzt von den vergangenen ca. zwei Jahren, Tristanhirte macht da jetzt einige Monate ...). Von diesen Dreien bin ich der einzige, der in durchgehender Kleinschreibung und meist ohne Satzzeichen einstellt, in konsequenter Form macht das sonst eigentlich nur Perry in seinen Terzetten - aber das sind halt keine Sonette ...

Ich wüsste absolut nicht, dass es eine "offizielle Tendenz" gibt, Sonette unter diesen Formvorgaben zu schreiben - ich habe da und dort schon einmal angedeutet, dass ich das seit 35+ Jahren so mache, um den Unterschied von Alltags- und Kunstsprache anzudeuten, vor allem die Notwendigkeit, den Zeilenumbruch noch durch irgendwelche Satzzeichen zu verdoppeln, erschließt sich mir nicht wirklich. (In Wirklichkeit soll das natürlich alles nur verschleiern, dass ich weder Groß- und Kleinschreibung noch Zeichensetzung auch nur annähernd beherrsche ;-)).

Also bitte folge nicht vermeintlichen grammatikalischen und typographischen Formvorgaben in meinen sogenannten Sonetten. Diese haben sich seit Petrarca ohnehin im Laufe der Jahrhunderte ohnehin immer wieder stark verändert, das Shakespearsche (wer immer das war) Sonnet sieht schon vollkommen anders aus, und bei Opitz und Gryphius ist auch der Wechsel von weiblichen und männlichen Kadenzen (anders als bei Petrarca) eigentlich durchgehend umgesetzt. Ebenso bei Rilke als "neuerem" Vertreter.

Du überrascht mich übrigens immer wieder: Diese beiden aktuellen Sonette sind "mal so eben" rausgehauen, als ob Du sie fertig im Ärmel hattest - andere, "epische" Formen sind dagegen meist in vieler Hinsicht noch verbesserungswürdig. Im vorliegenden Sonett ist natürlich in erster Linie die exzessive Nutzung von Alliterationen/Stabreimen tonangebend - ist aus meiner schon ausgesprochen gut gelungen.

Ansonsten würde ich Dir aber raten, Dich bezüglich der "korrekten" Schreibung doch eher an Walther zu halten ...

Liebe Grüße sendet

Epilog
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Alt 28.02.2022, 22:12   #3
männlich MonoTon
 
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Hallo Anax

Epilog hat ja schon viel zu deinem "Sonett" gesagt, ich selber muss zugeben dass ich mich mit Sonetten nur im formalen etwas auskenne, da ich selber mich sehr schwer damit tue die 2 Quartette zu These und Antithese auszuarbeiten.
Eventuell sollte ich wie auch du, einfach mal den Mut fassen und es zumindest versuchen.

Mir persönlich sind deine Alliterationen im Sonett etwas zu viel des Guten.
Sie lenken sehr vom Grundprinzip eines Sonettes ab glaube ich, auch wenn es sehr kreativ ist in einem Klangtext, auch mit dem Klang zu spielen. Mir geht dabei aber leider der Grundgedanke etwas verloren.

Das klassische Sonett besteht aus 2 Quartetten und 2 Terzetten, welche man bei dir durchaus erkennen kann, ihr Aufbau im metrischen Sinne ist allerdings um je einen Versfuß verkürzt. Bei dir sehe ich 5 Jamben, wo in klassischen Sonetten von 6 Jamben gebrauch gemacht wird. Diese wechseln je auf Reimbildung die Kadenzen.
Dein Text besteht aus reinen 5 hebigen Jamben mit weiblichen Kadenzen.
Dein Reimmuster sieht wie folgt aus
- Quartette im A-B-B-A | B-C-C-B
dies nennt man für gewöhnlich einen Umarmenden Reim
Ich bin mir nicht sicher ob die Reimgebung in beiden Quartetten identisch sein sollten, aber ich bin mir sicher, dass auf die jeweiligen Reime eine männliche und eine weibliche Kadenz gelegt werden sollten

- Terzette im A-B-A | B-A-B abermals umarmend in These sowie Antithese, aber auch hier sollte die Kadenz wechseln, wie auch der 6 hebige Jambus vorherrschen, allerdings empfinde ich es als schwer hier einen Jambus gleich zu beginn zu erkennen. Was am Einstieg der Wortwahl der ersten Terzette liegt
"leid lieben" ich empfinde "leid" ungünstig um eine ungehobene Betonung anzuleiten.
Zudem verstrickst du dich immer mehr ins Muster der Aufzählungen.

- Das Problem bei Alliterationen sehe ich darin, das man sie selten für solche Texte nutzen kann, da sie schnell einen eher Aufzählenden Charakter besitzen und es ist schwer aus diesem Sinnvoll auszutreten um den Ton zu ändern der ihnen unterliegt. Das Tempo der Alliteration kann nur schwer entschleunigt werden, zudem ist ihr Wortlaut sehr gestelzt.

Das Metrum schreibe ich dir einmal nieder. Vorab sei gesagt, dass es sich überwiegend durch die 2 silbigen Worte im richtigen jambischen Metrum befindet, weil diese eine natürliche Hebung bzw Betonung auf der ersten Silbe mit sich bringen und du einen Einsilber als Auftakt gewählt hast.

Zitat:
es wogen wolken, wilde wetter schlagen
wir wandeln weiter, würnschen wärme, schweigen
wie wälder wesen wiegend winde zeigen
wo warnend wasser, warum will man wagen
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx

wünschen ist falsch geschrieben.

Zitat:
so sehr von sinnen, seh sie strahlend neigen
licht schenkend sinken, sing von sonnentagen
so sehnend suchen, seiner sicher klagen
wie es wohl wäre, so sanft, sachte, steigen
xXxXxXxXxXx
XXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
xXxXx|xXXxXx

"licht" als unbetonter Auftakt funktioniert nicht, da es sich hier um eine Stammsilbe handelt.
"wä-re, so sanft" XxxX funktioniert nicht, da "sanft" einer Betonung unterliegt
eine Lösung wäre hier
"wie es wohl wäre, sanft und sachte steigen"

Zitat:
leid lieben lernen, wünschen, wollen, lachen
weit werdend machen, sehnend sich erleiden
sich suchend scheiden, flammendes entfachen
XXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx

es widerstrebt mir "leid" als unbetonten Auftakt zu lesen.
"leid-en Xx | leid-voll Xx | be-leid-igt xXx" nur in ganz seltenen Fällen kann man es beugen, insofern die Vorsilbe einer stärkeren Betonung unterliegt, wie bei
weh-leid-ig Xxx, allerdings liegt dann auf dem "leid" ein Hebungsprall auf den eine weibliche Kadenz folgt, womit dieser zu einem Daktylus wird.
mit "weit" verhält es sich ähnlich, wobei mir hier der ganze Satz tatsächlich gar keinen Sinn ergeben will. "weit werdend machen"? das ist mir zu kryptisch und als Metapher zu schwerfällig.

Zitat:
das dunkel denken, dieses düster kleiden
sein sehnen suchen, wähnend weis' erwachen
sich mächtig machen, seine mächte meiden
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx

Alles in Allem ist dein Text für meinen Geschmack zu kryptisch geworden.
Vorallem in den beiden Terzetten vermag ich kaum einen tieferen Sinn zu erkennen. Demnach muss ich leider sagen, dass der Text zwar mit großen Worten daher kommt, aber wenig Inhalt vermittelt.
Ich hoffe du bist mir wegen dieser Schlussfolgerung nicht zu grantig und kannst mit meiner Kritik weitestgehend etwas anfangen.

LG Mono
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Alt 01.03.2022, 04:55   #4
männlich Anaximandala
 
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Standard Hey Epi

Na mein Lieber,

ich danke dir für die Antwort, ich bin darüber schon ein paar mal beiläufig gestolpert (jetzt wo du es sagst, ich erinnere mich schemenhaft, so etwas mal gelesen zu haben, dass du dadurch etwas hervorheben möchtest.

Ich hatte mich in der Frage hauptsächlich auf dich und Walther bezogen, weil ich der überzeugung gewesen wäte, auch von ihm Sonette in so einer Darstellung gelesen zu haben, aber ich hab nochmal geschaut, bei ihm sind zwar einige Texte weniger formatiert, aber es sind nicht die Sonette (was nach deiner Erklärung diese bei Walther wieder erneuert interessant scheinen lässt.

Ich hab mich in den letzten Wochen ein wenig mit Texten von euch dreien, Walther, Perry und dir (und weiteren) beschäftigt, da ist der Eindruck wohl wirklich selektiv entstanden

(an der Stelle wo es gerade passt übrigens ein großes Lob für die Sonette Tetris und Selbstbeherrschung )
achso, mit offiziell meinte ich mehr offiziell inoffiziell hier eingebürgert^^


Zitat:
Du überrascht mich übrigens immer wieder: Diese beiden aktuellen Sonette sind "mal so eben" rausgehauen, als ob Du sie fertig im Ärmel hattest - andere, "epische" Formen sind dagegen meist in vieler Hinsicht noch verbesserungswürdig.

Du glaubst garnicht, was für eine Freude du mir mit dem ersten Satz gemacht hast gerade.
Also inhaltlich ist der Text 'relativ' schnell entstanden, den Bearbeitungsverlauf meines Beitrags möchte ich aber ehrlich nicht sehen, ich würde darauf wetten, dass ich die 100 Änderungen geknackt habe, alleine bestimmt 2-3 Stunden Feinabstimmung, Verschönerung, Akzentverschiebung (obwohl ich vom ursprünglichen Text, also dem anderen Sonett spreche, aber dort habe angefangen Alliterationen einzuflechten. Das Sonett hier sollte mehr ein Spassversuch sein, das ganze auf die Spitze zu treiben. Da schreib ich bei Mono aber mehr zu)

Ich bin allgemein noch ein sehr junger Sonettschreiber, bisher habe ich keine 10 Stück, diese zwei empfinde ich aber als die ersten, die auch sanft sind. Ich werde mich dieser Form vermutlich noch über lange Zeit langsam nähern.

Was die anderen Texte angeht, ja ich weiß^^
fast alle davon beziehen sich auf irgendwas konkretes, ob es Antworten auf Gedichte sind, Textwünsche, Trost. Ich selbst schreib wenig aus eigenem Antrieb, ich krieg meine kreativität schwer geplant und vieles isz einfach zu selbstbezogen, wenn ixh das hinter mir lass werd ich vielleicht mal gut.
Bis dahin machts aber manchmal auch viel Spass auf die Leinwand zu rotzen und es Kunst zu nennem^^
Ich hoffe ich bin nicht zu sehr abgeschweift


Ok, eigentlich will ich das nicht, ich fand es für sich schon merklich ausbaufähig, im Vergleich ist es mir fast peinlich, aber das ist eine recht frühe Version vom Text


Es blühen Blumen den Blick einzufangen
die Fenster Tore, finden Freiheit, schweigen,
und farbig Wälder, die sich wandernd zeigen,
erfüllt von Ruhe, worum soll ich bangen.

Ich kenn nicht Ziele, nur der Sonne Reigen,
doch seh dich strahlen, sinnend, wie wir sangen
und uns versteckten, um uns wild zu fangen,
im Herzen vereint, unter Mistelzweigen.

Wir ruhen, reden, nichts kann mehr erfüllen
und deine Blicke, für mich sind sie Spiegel
ich bin reich, wahrhaft, schenk dir meinen Willen

hell lass ihn strahlen, nimm ihm seine Zügel,
es ist ja deiner, will dir sich enthüllen
an dich nur denken öffnet meine Flügel!



Nochmal ein großes Danke und hab einen schönen Tag, es ist mir jedes Mal eine große Freude von dir zu hören
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Alt 01.03.2022, 09:31   #5
männlich Anaximandala
 
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Standard Hey Mono

Hey mein lieber Mono,

ich danke dir für deine Mühe, du hast auf jeden Fall präzise alle Schwachstellen des Textes offengelegt. Ich hoffe aber du hast vor der Textarbeit gesehen, dass dieser Text mit dem Sonett "Du bist meine Flügel" untrennbar verbunden ist, da es das 'richtige' Gedicht ist an dem ich wirklich lange Feinarbeit geleistet habe. Dabei hab ich auch ein paar Alliterationen eingewebt und fand sie Idee ganz gut, den Inhalt so sehr wie möglich eben mit welchen zu ersetzen.


Ersteinmal zum Aufbau, ich hab bisher wenige Versuche für Sonette geschrieben, wobei die ersten Anläufe so experimentierfreudig waren, dass man sie evtl. garnicht zählen kann^^

Am Ende bin also also recht schlecht informiert, ich glaube es ist nicht von großem Belang, ob man mit 11 oder 12 Silben schreibt (hier in Deutschland) und zum Reimschema gibt es wohl ein paar Variationen. Zu den Kadenzen weiß ich spontan zwar nichts, aber ganz sicher kann ein Sonett durch wechselnde Kadenzen nur an Schönheit gewinnen (glaub ich, ganz sicher glaub ich^^)

These / Antithese hab ich dabei, meinen Text so umzuarbeiten im Grunde genommen sofort geopfert... und während ich die Quartette noch mit ziemlicher Kreativität erarbeitet habe, sind die Terzette wirklich einfach nur hingespuckt... Der Text ist knapp um 4 Uhr online gegangen, der Ursprungstext um 19 Uhr und bis 0 Uhr ca bearbeitet worden wirklich auf Hochtouren, nach den Quartetten war Schluss, ein paar ernsthafte Anläufe hab ich noch gemacht aber dann ist ein Licht ausgegangen, und es wollte keine Kunst mehr sein^^
Ich hab viel gezweifelt, ob ich den Text überhaupt online stellen möchte und bin eigentlich wirklich positiv überrascht worden...

Auch von deiner Präzisen Arbeit, jeden Grund den ich hatte es evtl nicht zu tun hast du wirklich präzise erarbeitet und dein Kommentar wie auch der von Epilog wären es mir schon für sich gesehen wert gewesen, als ich beide zusammen gesehen habe, hab ich kurz gekreischt


Zitat:
Eventuell sollte ich wie auch du, einfach mal den Mut fassen und es zumindest versuchen.
Ich sag mal Versuch macht kluch^^
aber einfach so ist das auch bei mir nicht, das Sonett schwirrt mir jetzt seit fast 5 Monaten schon als Form von absolutem Interesse im Denken umher (Seit Walthers Gedicht Black Sabbath) und ich bin noch immer nicht an dem Punkt, an dem ich sag "jo, jetzt schreib ich mal ein Sonettchen", sondern sehe mich eigentlich eher noch in der Vorbereitung. Als etwas, das schön sein soll, hab ich den Eindruck, es erst mit "Du bist meine Flügel", den Widerstreit zwischen These/Antithese in schönem Klang umgesetzt zu haben, aber vorher Klang nach Kampf^^ Und Respekt wie Faszination hab ich immer noch ohne Ende.

Mono ich danke dir für deinen Kommentar, ich freu mich wieder eine Kritik von dir zu lesen, also bitte keine Scheu, du lönntest mir in den Garten kacken und ich nehms als Kritik ernst

Hab einen schönen Tag
Anaximandala ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.03.2022, 20:32   #6
männlich Epilog
 
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Standard Lieber Anaxi, lieber Mono

Zitat:
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Hallo Anax
Bei dir sehe ich 5 Jamben, wo in klassischen Sonetten von 6 Jamben gebrauch gemacht wird. Diese wechseln je auf Reimbildung die Kadenzen.
LG Mono
Dies bedarf schon noch einer relativierenden Erläuterung:

"Die einzelnen Verse (Zeilen) des italienischen Sonetts sind Endecasillabi (Elfsilbler) mit meist weiblicher Kadenz. Dem entspricht im Deutschen der jambische Fünfheber, dessen Kadenz weiblich (11 Silben) oder männlich (10 Silben) sein kann."

Sorry, wenn ich das hier mit Wikipedia belege, aber in diesem Fall ist das schon eine grundlegende Weisheit: Das "allerklassischste" Sonett bei Francesco Petrarca & Co. besteht aus fünfhebigen Jamben mit (fast) durchgehend weiblichen Kadenzen. Das ist wohl den klanglichen Besonderheiten des frühneuzeitlichen Italienisch geschuldet. Genauso, wie die beinahe durchgehend männlichen Versschlüsse des Shakespeare-Sonnets (ebenfalls unbedingt fünfhebig!) dem Klangbild der englischen Sprache. Mono, Du spielst hier auf die ersten, weit bekannten Sonette deutscher Sprache an, die in der Zeit des 30-jährigen Krieges entstanden und auf Martin Opitz`Standardwerk "Von der teutschen Poeterey" und dann später vor allem auf die berühmten Sonette von Andreas Gryphius zurückgehen. Die sind tatsächlich sechshebig mit 12 oder 13 Silben und fast durchgehend von einem Wechsel weiblicher und männlicher Kadenzen geprägt - das erscheint auch uns als deutschen Spraschjongleuren einfach harmonisch-fließend und "natürlich". Der von Opitz adaptierte oder vorgeschriebene Alexandriner ist aus der französischen Dramenkunst übernommen und klingt aus heutigem Sprachverständnis fürchterlich gestelzt und fast schon wieder liebevoll-lustig. Habe das hier zweimal selbst versucht - falls ihr euch das nochmal genauer ansehen möchtet:
https://www.poetry.de/showthread.php?t=87478
https://www.poetry.de/showthread.php?t=93385

Doch spätestens im Symbolismus sind Hofmannsthal, Stefan George und vor allem Rilke wieder zu der fünfhebigen Jambus-Struktur zurückgekehrt, die auch schon Petrarca zum Standard erhoben hatte.

Auch zu der These-Antithese-Synthese-Struktur des Inhalts lässt sich noch Vielerlei sagen - die war im Italien der Frührenaissance tonangebend, hat aber später etliche Variationsmöglichkeiten erfahren, zum Beispiel schon bei Shakespeare mit dem abschließenden "heroic couplet". Doch dazu vielleicht andermal mehr.

Bis dahin eine schöne Zeit wünscht

Epilog
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Alt 01.03.2022, 21:19   #7
männlich MonoTon
 
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Zitat:
Das klassische Sonett besteht aus 2 Quartetten und 2 Terzetten, welche man bei dir durchaus erkennen kann, ihr Aufbau im metrischen Sinne ist allerdings um je einen Versfuß verkürzt. Bei dir sehe ich 5 Jamben, wo in klassischen Sonetten von 6 Jamben gebrauch gemacht wird. Diese wechseln je auf Reimbildung die Kadenzen.
Zitat:
"Die einzelnen Verse (Zeilen) des italienischen Sonetts sind Endecasillabi (Elfsilbler) mit meist weiblicher Kadenz. Dem entspricht im Deutschen der jambische Fünfheber, dessen Kadenz weiblich (11 Silben) oder männlich (10 Silben) sein kann."
Somit hab auch ich etwas dazu gelernt das mir nicht bewusst war.
Ich hatte tatsächlich den Alexandriner dabei im Kopf, weil ich den in Verbindung einmal aufgeschnappt habe. Und ich dachte das man auch bei Sonetten vielleicht lieber erst bei Grundlagen beginnt bevor man Experimente macht. Um das Grundprinzip zu verinnerlichen.
Vielen Dank
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Alt 02.03.2022, 01:40   #8
männlich Flocke
 
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Hallo,

Das ist ja irre! ich tauche nach drei Jahren Poetry-Abstinenz wieder in diesem Forum auf, und schon stößt Anaximandala das Thema "Sonett" an.
Ich liebe die Form des Sonetts. Und es verlangt mir immer ein gerütteltes Maß an Arbeit ab, eines zu schreiben. So auch bei dem Gedicht "Der Schweinehund", das ich erst vor zwei Tagen hier postete https://www.poetry.de/showthread.php?t=97699 und an den anderen, die ich früher schon hier veröffentlichte.

Monoton und Epilog haben ja schon über die Geschichte und über die Struktur dieser Gedichtform berichtet. Ausgehend von Petrarca (14. Jh.) hatte in deutschsprachigen Raum das Sonett im Barock (Opitz) und in der Romantik (Schlegel) seine größte Akzeptanz. Fast alle Dichtergrößen ließen Sonette entstehen (z.B. Goethe, Rike, Trakl). Und auch heute sind Sonette durchaus beliebt, wie sich ja auch gerade jetzt in diesem Forum zeigt. Jetzt aber erst mal ein kleines Schmankerl: hinter folgenden Link versteckt sich ein ansprechendes, freundliches Sonett aus neuerer Zeit von einem bekannten Frankfurter Autor:
https://www.lyrikline.org/de/gedicht...ursprungs-2962

Die Form des Sonetts ist streng reguliert und durchaus komplex. Genau das macht ja den Reiz aus, eines zu schreiben (oder es zu versuchen), jedenfalls dann, wenn man sich gerne mit Sprache abquält und bis in die Nacht hinein zu dichten trachtet.
Die Strenge der Form führt wohl auch dazu, dass manch Kunstbesessene meinen, die reine Form des Sonetts verbissen gegen das Teufelswerk der Änderung, des Spiels mit den Formen verteidigen zu müssen. Sie werden zu Exegeten der reinen Wahrheit und kritisieren selbst kleine Veränderungen der (göttlich) vorgegebenen Form. Sie halten sie für abartig und deviant. Ich selbst erfuhr einmal von einem Kritiker, der mein Sonett zunächst als wohl durchaus annehmbar befand, einen bösen Vorwurf, weil ich einen unreinen Reim zugelassen hatte (legte / lebte). Er dachte sich eine "reine" alternative Zeile aus und bot sie mir an. Sie war völlig unpassend. Er war fassungslos, als ich seine Idee nicht übernehmen wollte.
Ich denke schon, dass die Strenge der Form zum Sonett gehört. Aber die Formvorgaben haben sich geschichtlich und auch örtlich in den Jahrhunderten verändert. Veränderungen sind nicht grundsätzlich böse. Und gerade heutige Sonette zeigen, dass kleine Varianten dem Primat der strengen Form nicht widersprechen, sondern diese lebendiger werden lassen.

Also: die Worte, die Bilder, die Syntax, der Inhalt müssen in diese Form passen. Es gibt nicht mehr als 14 Zeilen, auch nicht weniger. Was passiert nun beim Versuch, ein Sonett zu schreiben. Ich finde mit etwas Glück passend scheinende Worte. Dann kontrolliere ich den Text und sehe, dass ein Satz genauer formuliert oder mit einem anderen Gewichtung versehen werden sollte. Doch nach dieser Änderung funktioniert auf einmal auf einmal die letzte Zeile nicht mehr. Sie wirkt "schief" oder "falsch". Verändere ich die ersten Zeile, reagiert die 12. Ändere ich die Metapher, wackelt die Syntax. Setze ich ein Komma fehlt eine Zeile. Usw:
In einem "normalen" Gedicht suchen wir auch ein Gleichgewicht oder die Stimmigkeit. Aber in einem Sonett scheinen die Worte, Zeilen und Strophen gebundener und auf vielfältigere Weise miteinander verwoben zu sein.
Für mich hat die Tätigkeit, ein Sonett zu schreiben, Ähnlichkeit mit der Geschick, Kieselsteinen aufzutürmen. Die aufeinandergelegten Steine müssen eine ideale Position finden, um nicht runterzufallen und um gleichzeitig weiteren Steinen eine Basis zu geben. Immer wieder sind wir zu ungeduldig, zu selbstgewiss und wir müssen wieder neu ansetzen oder gar neu beginnen.

Ich habe ein Zitat von Schlegel gefunden, in dem er auf die Schwierigkeiten verweist, die auf uns warten, wenn wir ein Sonett schreiben:
"Durch die gebundne Beschränkung [so beschreibt er die spezifische Wirkungsweise des Sonetts] wird das Sonett nun ganz besonders bestimmt, ein Gipfel in der Concentration zu seyn. [...]
Jeder Augenblick wird daher festlich und kostbar, und der Dichter muß ihn mit dem bedeutsamsten, was nach Maaßgabe des Gegenstandes in seiner Gewalt ist, auszufüllen suchen. Daraus geht der Charakter gedrängter und nachdrücklicher Fülle hervor.
"
http://www.lyriktheorie.uni-wupperta...wschlegel.html

Ich finde es überaus interessant aber auch schwer, ein Sonett zu schreiben, ohne dass es hölzern, polternd, platt, leiernd klingt und ohne dass es unverständlich oder lückenhaft scheint. Auch die Syntax sollte sich nicht verirren. Ich brauche Tage, an denen ich immer wieder Anlauf nehme, bis ich zufrieden mit einer Sonettzeile bin, weil sie endlich zu den anderen passt. Mein Arbeitstempo ähnelt da einer Schnecke, die einen Baum hochrutscht. Annaximandala gleicht bei seinem Arbeitsaufwand von 8 Stunden eher einem Falken im Sturzflug. (Ich weiß, diese Metapher ist mehr als ein wenig gewagt!)

Gott, das ist ein langer Text geworden! Ich verspreche, ich werde mich ändern.

Grüße Flocke
Flocke ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.03.2022, 00:20   #9
männlich Anaximandala
 
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Standard Danke für eure bereichernden Kommentare Epi, Mono & Flocke

Hey Epi

danke für deine Erklärung und dein Wissen zu Sonetten.
Ich muss sagen, wäre ich nicht der Meinung gewesen, auch Walther hätte schon Sonette so gepostet, hätte ich das Thema garnicht angeschnitten, aber ich finde da spannend, erstmal übernehme ich glaube ich, keine Kommas am Zeilenende mehr zu setzen, das gefällt mir ganz gut.

Bisher habe ich alle meine Versuche bis gestern 11-silbig geschrieben, deine Alexandriner sehen find ich aber gut aus, sowas werde ich sicher noch probieren.
'Fehlschluss' find ich richtig klasse, 'Winckelman' ist auch gut.
Aber einmal stört mich
war es bewunderung, die / in deinem blick ich las?
bricht die Struktur, hat das einen tieferen Sinn, es bricht ja bei der Regelmäßigkeit der Silben und der Betonung, oder ist das aus Unachtsamkeit passiert?

*ok das selbe ist auch bwi

Grundsätzlich hast du natürlich recht, der Mann für Sonette ist ganz klar Walther, ich hab mal in einem Kommentar ein paar Fragen gestellt, im nachhinein find ich sieht das aber schlicht anmaßend aus 'ein kleines Lob, dann reiße ich den Faden an mich. Zauberer, verrat mir deine Tricks' ist schon sehr selbstisch und als zwischenmenschlich halbe Nulpe fehlt mir ein wenig ein 'Warmwerdemoment' für eine private Nachricht^^
Aber ich seh mir seine Sonette gerne an.

Ich glaub ich hätte 1001 Frage zu Sonetten, ich glaub allgemein das "wie entsteht ein... " fände ich sehr spannend... mit Planung? aus sich selbst heraus? als Kanalysierung auf eine Frage die schon lange brennt? Als Ausdruck einer Frage, die man bis dahin nicht kennt?...


Hey Mono,


ich glaube ich würde mir grundsätzlich die Möglichkeit offenhalten wollen, mit einer Konvention im Zweifel einfach zu brechen. Deshalb nehm ich das garnicht so eng mit 'so muss, exakt und keine Abweichungen', aber klar eigentlich ist klsr; erst das Fundament, dann das Dach , beim Sonett ist aber ein solches Spektrum an Aspekten als Rahmen drin, dass ich irgendwas umgesetzt und den Rest weggelassen habe, jetzt langsam komme ich der Sache näher. Es ist unglaublich, was da an Feintuning der Worte möglich ist. In ein paar Stunden Fein-Arbeit kabnnein Text mit exakt gleichem Inhalt ein ganz and'rer sein... Da können locker flockig leichte Worte plötzlich etwachsen werden

Auf jeden Fall hab ich von deinen Gedanken inspiriert gestern meinen ersten Versuch mit wechselnden Kadenzen gewagt der mir auch sehr gut gefällt.


Hey Flocke,

erstmal freue ich mich sehr, dass mein Text und seine Diskussion bei dir so eine Begeisterung weckt, die Kommentare hier finde ich auf jeden Fall super, da steckt einiges drin was man sich mal durch den Kopf gehen lassen kann.

Und ein besonderes Danke für das Sonett neurer Zeit, das ist ein Text der einfach herrlich ist und Freude macht.

Die enge Form ist ganz sicher ein schöner Aspekt im Reiz von Sonetten. Entweder man kriegt nur Grütze, die aber nie ganz zu Ende oder man tastet sich in Richtung 'Formvollendung', oder wenigstens das 'Bestmöglich'
In letzter Instanz schreib ich eh als erstes für mich, da bieg ich im Zweifel auch gottgegebene Maßregeln.
Der Zwang zur Perfektion muss eigentlich nur zwei Sachen haben:
Die Freiheit von kann statt muss
Als unperfekt in jeder Hinsicht ausreichend sein^^

Ich schreibe zwar gerne fest nach Form, aber ich find auch den Daktylus im Sonett klasse und das Reimschema abba
baab, beides hab ich als genannte Möglichkeit aber noch nirgends stehen sehen.
Aber es gefällt mir. Und bei Walther hab ich solche Ansätze gesehen, das reicht mir.

Danke auch für den Link, bisher kenn ich weder Geschichte, noch Hintergründe, noch Kniffe (ok ein paar langsam schon), noch Erfahrungswerte, bin aber sehr an allem in die Richtung interessiert. Der Text ist ziemlich lang, deshalb hab ich ihn erstmal nur gespeichert. Aber ich hoffe ich les ihn in einemittelbaren Rahmen^^


Zitat:
Gott, das ist ein langer Text geworden! Ich verspreche, ich werde mich ändern.
Das verspreche ich auch immer wieder... mir... euch... den Göttern^^

Und so Gott will werde ich einst lange Texte darüber schreiben, Texte kurz zu halten. Das wars dann aber auch.

Ich für meinen Teil schätze lange und ausführliche Antworten und freu mich sehr, wenn sich jemand die Mühe macht.

Lieben Gruß
und
Schönen Abend
euch

Geändert von Anaximandala (08.03.2022 um 02:34 Uhr)
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Alt 08.03.2022, 00:46   #10
männlich Anaximandala
 
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*mal eine Frage grundsältzlich in die Runde, Epi und Mono ich glaube ihr seid da bewandert(er).

Metrik im allgemeinen, woran halte ich mich in der Betonung, nach welchen Gesetzen werden Worte überhaupt betont?
Ich weiß, dass Prä- und Suffixe einen meist passiveren, in Ausnahmefällen aber auch aktiveren Einfluss nehmen. Und ich glaube der Wortstamm trägt normal die Betonung. erLEIDen
Zweisilbige Worte sind in der Regel trochäisch und Verben, je weiter am Anfang einer Zeile, prägen die Betonung um so stärker mit. Überhaupt scheinen Verben viel Einfluss zu nehmen.

Aber, zum Beispiel, gibt es Jamben, an deren erster Stelle ein unbetontes Verb steht, wonach richtet man sich dabei?
ich kann mir vorstellen, dass Hilfsverben oder Kunjunktionen vielleicht schwächer sind, aber das ist geraten.

Vielleicht habt ihr da ja ein paar kleine Tipps, gibt es eventuell "Regelwerke" dazu, oder an sonsten welche gramatikalischen Kniffe und Regeln ist klug zu kennen für ein gutes Metrum?

Wann wird unbetont betont und umgekehrt?

Was ist die letzte Instanz? Im Zweifel die eigene Wahrnehmung? gründend auf Regeln? Historische Erfahrungswerte?


1001 Frage, die meisten zum kreativen Prozess

eine noch zur Zäsur:
kann als Zäsur auch schlicht eine Sprechpause gelten oder braucht es schon einen Sinnabschnitt oder...
Am liebsten würde ich erstmal überall bei Zäsur ein Komma setzen wollen, meist braucht es ja auch eins. Aber es ist genauso Zäsur, wenn kein Komma, kein Sinnabschnitt, aber ein Bruchteil mehr Stille zwischen den Wörtern ist, oder?



Ich stell hier einfach mal meine ersten vier Anläufe dazu, die stehen hier in irgendwelchen Fäden als Kommentare, dabei hab ich je irgendeinen Aspekt oder Ansatz präzise im Auge und irgendeinen anderen freudig über Bord geworfen.

---

Lichtsohn

Es strahlt und scheint tief aus der Dunkelheit,
was unsre Sinne, nicht die Augen, sehn,
ganz liebevoll, gern sei der Schmerz mein Kleid,
er hilft, mich selber, die Welt, zu verstehn.

Und düster, ja so täuschend, Sonnenlicht,
was wesentlich, dem Sehn verschlossen bleibt,
erst wenn durch Schmerzen auch die Liebe spricht,
man wahrhaft auf dem Fluss der Liebe treibt.

Ich lass mich treiben, in der Mitte, gern,
die Antwort, was weiß ich, ich komm voran,
sie ist ja dem Verstande eh nur fern.

Und ehrlich, darauf kommts nicht einmal an,
denn Wahres ist nicht greifbar, ist ein Stern,
dem man trotz allem sich noch nähern kann.


---


zu irgendjemandes einzigem Post hier im Forum

Das Wahrste vom Wahren, es ist nur Schwachsinn,
die Creme de la Creme nichts als Milchschaum, gesüßt,
die Wahrheit, sie stirbt, kurz nachdem sie uns grüßt,
wenn alle was sagen, dann hör lieber hin.

Was wenige sagen, das zieh in Betracht,
zwar dumm ist die Masse, doch bleibt sie der Fluss,
und selten das Kluge, das man finden muss,
wo Lügner den Schwachsinn zur Weisheit gemacht.

Dann kommen ein paar Waldorfkids,
und tanzen laut nen alten Hut,
ein Hüftschumwung pointiert den Witz.

Denn alles sei nur relativ,
das tanzen sie ganz absolut,
es stand so in nem Elternbrief.


---


Walther

Die Welt ist kaputt, doch sie bleibt, wie sie ist.
Auf Scherben ein Tanz, jedes Spiegelfragment
im Walzer vom Wahn: nichts als Wahrheit, die brennt,
sie lodern im Takt, den man niemals vergisst.

Die Hoffnung ein Witz, der sich selber zerfrisst.
Sein Dasein zum Zweck, dass man ehrlich bekennt:
ein Witz zwar, doch gut, auch vom Grund abgetrennt,
die Welt hat nen Sprung, trotzdem bleib Optimist.

Dann ist es halt falsch, doch wird Schrecken gebor'n,
und käme sein Leid, brächt mit Zwang zu versteh'n,
was wäre nun fest, ist auch alles verlor'n.

Wenn Dasein zerbricht, ja die Dinge vergeh'n,
dann frisst sich der Witz, doch ich hab mir geschwor'n:
das gibt's nur ein Mal. Und dann möchte ich's seh'n.


---


Fragment nach der Auseinandersetzung mit 'Seliger Sehnsucht

Wer Leiden verspürt, ja im Herzen sich sehnt
dran förmlich verbrennt, wen zur Wahrheit es zieht,
der zehrend erkennt, dass was wahr ist stets flieht;
es wurde verführt, und zwar jeder, der wähnt

es wäre ihm klar, dass die Wahrheit er sieht,
des Schleiers Gestalt. Denn er wäre entlehnt
von hoher Gewalt, ja so wahrhaft gekrönt,
der ist nicht gewahr, dass nur Schwachsinn ihn zieht.

Das Wahre, es schreit, dass die Wahrheit uns schlicht
in Ferne verbleibt, doch man nähert sich an
im Laufe der Zeit, nur man findet sie nicht,

verbrennt zwar durch sie, ja wir bleiben im Bann
und stürzen, sie zieht uns, wie Falter ins Licht
doch endet es nie, was in Flammen begann.


Liebe Grüße

Geändert von Anaximandala (08.03.2022 um 05:40 Uhr)
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Alt 08.03.2022, 04:06   #11
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Standard Sonette, sieben Silben :D

Hey Epilog,
ich sehe grad es ist ja bei beiden Gedichten so, dass in der fünften Zeile mit einer Silbe mehr sieben Silben vor der Zäsur stehen.

einmal
war es bewunderung, die / in deinem blick ich las?

und einmal
die ohne inneres band / im höchsten glück sich wähnen

also wenn dieses 'e', das da zu viel ist, jetzt noch an der selben Stelle gestanden hätte, das wäre verdammt cool gewesen

Normal wäre ich da zwar vielleicht drüber gestolpert, aber hätte es vielleicht auch schnell als eher unachtsam oder so gesehen.
Bei dir kann ich mir so eine Unregelmäßigkeit eher als begründet geplant als unachtsam übersehn vorstellen sag ich einfach mal wertschätzend.


Mal ganz ehrlich, diese beiden Texte sind richtig gut, in vieler Hinsicht, aber eben auch nicht für mal schnell nur überfliegen.
Nicht für mal schnell in die Mikrowelle sondern mit Vorbereitungszeit, atmen lassen und Nährwert

Hast du diese Zeile als erste Zeile der Antithese so geschrieben, keine Ahnung, dass mit einer Erschütterung, einem Bruch in der Ordnung die Antithese als Gegenstück im Schattendas Yin zum.Yang, das schlecht zum.gut, das Kehrstück halt im Schattenspiegel.
Und es gibt zwischen den beiden Vierzeilern natürlich je einen Gegensatz. Aber den gibt es nicht nur zwischen den Strophen und in den Strophen, sondern im Grunde genommen in jeder Zeile aufs neue und von der Zäsur gegenübergestellt.

lang und schwer / vom Leid genaß


mich gefunden / Im Schizophrenenmeer



Naja, in fast jeder Zeile, die vierte Zeile der ersten Strophe malt die Nacht ohne Sternengelb und gibt ohne Gegensatz ein unangenehm schwingendes Bild. Dann beginnt in der nächsten Zeile mit einem Bruch in der Ordnung.
Die Antithese, auch beschrieben durch Kontraste die an der Zäsur aufeinandertreffen, aber umgekehrt aufgerollt.
Nicht Gute in schlecht, sondern das Schlechte in gut.
Nicht das Dunkle erhellt sondern das Helle schattiert.

Wobei meiner Meinung nach in beiden Fällen die erste Strophe das gut und erstrebenswert darstellt, in der letzten Zeile im Schatten steht. Die Antithese bebt ins Spiel durch einen Bruch auf der linken Seite im je erstgenannten Aspekt. Schade, es ist zwar in beiden Fällen das Schattenstück

einmal aber mit
'ohne Band / im Glück wähnend'
im negativ klingenden Teil einer Aussage

die zwar objektiv klar schlecht ist
subjektiv sind die Toten aber tot, selbst sollten sie fest glauben zu leben. Die Dummen bleiben dumm, so felsenfest und laut sie sich auch klug nennen. Und die sich im Glück wähnenden sind glücklich, um so mehr sogar 'ohne inneres Band'. Wir leiden an Mangel, aber was wir nicht kennen, fehlt uns nicht.

und einmal mit
Bewunderung / in dir las
etwas, das sogar schön klingt, es aber nicht ist im Kontext dazu, dass die Bewunderung nichtvliebt und gibt sondern neidend nimmt.

Die vierte Zeile ist auch hier nicht Kontrast sondern zusammenhängende Aussage

Als Folgerung kommt es im Fehlschluss dazu, dass sich die Synthese als überschätzte Antithese offenbart und in den Terzetten als Fehlschluss dem idealen, funktionalen Wunschbild gegenübergestellt. Pointiert durch den Fehlschluss, beide würden sich schon stark überlappen.


In Winckelmann beginnt sie Synthese erstmalwidersprüchlich in vier Zeilen
'gefesselt / Widerstand vergessen' - schwach
'Hände wollten schon / and're Mächte binden' - stark
'erloschenes Feuer / zündend entfacht' - schöpferisch
'kalt wie Marmor / der mein Band vermaß' - starr

in dem letzten beiden Zeilen wird recht erst klar ausgedrückt, dass man nicht alles ernst nehmen soll.
Der Gedanke gefällt mir
https://www.poetry.de/showthread.php?t=97243
das Gedicht find ich klasse.

Halt keine leichte Kost, aber aufgeschlüsselt, differenziert und eingeordnet ist es nicht mehr nur gut sondern auch klasse.
Die Alliterationen sind echt dezent und sanft eingewebt, fast unauffällig.

Ich find beide haben eine dunkle Tendenz
einmal bleibt mit einem Fehlschluss die Kluft zwischen These / Antithese unüberbrückt ungelöst und einmal klingt die Antwort nach Einheit im Widerspruch die es scheint zur Erkenntnis 'alles nur Spass' zu gelangen hat weder Spass gemalcht, noch siegt irgendwas spaßiger aus.^^

Keine Freude an der Erkenntnis 'alles nur Spass' unterstreicht Einheit im Widerspruch dann sogar nochmal etwas


Ganz ehrlich,ich glaube die beiden Texte wären es wert sie weiter zu betrachten wegen Auffälligkeiten / Gemeinsamkeiten / Zusammenhängen...
Aber over and out
Auf die Gefahr, dass ich mit Halbwissen im Trüben stochere,
ich hatte viel Spass mit hier gerade aber jetzt hab ich echt viel keine Lust mehr

Lieben Gruß

Geändert von Anaximandala (08.03.2022 um 05:20 Uhr)
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Alt 08.03.2022, 12:17   #12
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Moin moin und Grüß Gott

ich dachte, ich melde mich mal wieder aus der Versenkung zurück. Ich habe selber erst seit knapp drei Monaten mit dem lyrischen Schreiben angefangen, weshalb ich mich mit altersweisen "Ratschlägen" auch eher zurückhalten wollen würde. Aber zum Thema These/Antithese/Synthese kann ich mal meine bisherigen Les- und Schreiberfahrungen teilen:

Das Sonett scheint sich wohl in der Tat durch die Gegenüberstellung verschiedener Blickwinkel und deren Auflösung, bzw Vereinigung auszuzeichnen. Das macht die Gattung meiner Meinung nach extrem lebensnah, schließlich besteht das Leben nun mal aus Widersprüchen. Zugleich nähert sich die Gattung damit aber auch der Musik an. Da Musik im Gegensatz zur Sprache nämlich nicht semantisch denotiert ist, schöpft sie ihre Kraft zumeist aus der Gegenüberstellung und Auflösung von Kontrasten. Das macht die Gattung Sonett für mich extrem reizvoll; nicht zuletzt, da die strengen formalen Vorgaben oftmals geradezu nach Auswegen, oder "Trickereien" schreien, ohne dabei aber die formale Grundidee zu gefährden. Ich für meinen Teil versuche die Probleme oft auf klanglicher Ebene zu lösen (etwa die strengen Reimvorschriften am Ende: statt Endung "tum" etwa "dum" o.ä.), womit sich die Form wieder etwas der Musik annäherte. Die nähe zwischen Sonett und Musik deutet sich ja auch schon in der etymologischen Nähe zwischen Sonett und Sonate an. Die Sonate bedient sich ja auch eines sehr ähnlichen Formprinzips: in Hauptsatz und Nebensatz werden (thematische und/oder tonartliche) Kontraste geschaffen, die in Durchführung und Reprise bearbeitet und aufgelöst werden.

Zu den Strophen: Am "klassischsten" wäre vermutlich die berühmte strenge dichotomische Trennung in These 1. Quartett, Antithese 2. Quartett und Synthese in den Terzetten. Ich persönlich hatte bei dieser Formstrenge irgendwann das profane Problem, dass mir einfach der Stoff ausging. Solche extremen Dichotomien lassen sich im Alltag doch recht selten finden. Nicht zuletzt deshalb sind die größeren Herrschaften der Dichterriege irgendwann wohl auch zu leichten Anpassungen in den Quartetten übergegangen - sie widersprechen sich oftmals nicht mehr dialektisch, sondern erzählen nur noch aus verschiedenen Perspektiven, in den Terzetten dann zumeist aus einer reflektierenden, bzw resümierenden. Meiner groben Beobachtung nach lief das schematisch also oftmals wie folgt ab, allen voran bei Protagonisten wie Goethe oder später Rilke: die Quartette "erzählen", bzw. schaffen eine bestimmte Atmosphäre evozierende Bilder, die jeweils schon ein bestimmtes, sich zum anderen Quartett ergänzend verhaltendes oder auch leicht widersprechendes Thema umreißen, während die Terzette in irgendeiner Form auf einer höheren Metaebene synthetisieren, reflektieren, resümieren, beschließen, dramatische Konsequenzen ziehen etc. Die "höhere Metaebene" kann dabei (scheinbar) paradoxerweise auch in einem dramatischen Resümee auf Mikroebene münden; manche Sonette von Rilke etwa malen zunächst weiter ausholende Bilder (von Stadt, Wald, etc.) und resümieren in den Terzetten dann auf Mikroebene (Auge, Wimper, Stimme, etc.). Wobei man gerade bei Rilke die Reflexion oftmals mit der Mikrolupe zu suchen hat (etwa in den Orpheus-Sonetten), da ist das alte Formkonzept oftmals schon einem rein erzählenden Duktus gewichen.

Ich persönlich bin immer ein Freund davon, die Reflexion oder die dramatische Konsequenz zum Schluss möglichst deutlich erkennbar bleiben zu lassen. Darin besteht für mich nämlich gerade die Stärke des Sonetts, dass durch Klang und Form ein erhebender Klangfluss geschaffen werden kann. Dabei können gerade in den Terzetten Bilder oder Reflexionen zutage treten, denen man sich vorher überhaupt nicht bewusst war. Man ahnt einen ganz leichten Schimmer, beißt sich weiter rein, der Schimmer kommt immer näher und man ist irgendwann um eine Erkenntnis oder Einsicht reicher geworden. Zumindest im Idealfall

Liebe Grüße (und einen schönen Feiertag, muaha)
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Alt 08.03.2022, 20:32   #13
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Zitat Tristanhirte:
"... weshalb ich mich mit altersweisen "Ratschlägen" auch eher zurückhalten wollen würde. Aber zum Thema These/Antithese/Synthese kann ich mal meine bisherigen Les- und Schreiberfahrungen teilen ..."

Ich hoffe, das bezieht sich nicht auf meine Beiträge zum Thema. Bei mir ist hauptsächlich mit Altersstarrsinn respektive -narretei zu rechnen. Ich stimme Dir aber voll zu, dass bei Sonetten stets die wortwörtliche Herleitung als "Klanggedicht" beachtet werden sollte. Versuche, das immer umzusetzen.

Auch zum dialektischen Aufbau hatte ich ja noch Erläuterungen angekündigt. Komme leider aus verschiedenen Gründen nicht so schnell dazu, das auszuführen, wie ich auch Anaxi schon per PN geschrieben habe. Zustimmung aber auch hier, dass das "klassische" These-Antithese-Synthese-Schema schon frühzeitig aufgebrochen wurde. Festzuhalten ist für mich (Du schreibst es auch), dass mit den Terzetten ein deutlicher Bruch stattfindet, und die in den Quartetten beschriebenen "Ereignisse" aus "heutiger Sicht" und "höherer Ebene " gedeutet werden ...

Irgendwann hoffentlich mehr und liebe Grüße

Epilog
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Alt 08.03.2022, 21:49   #14
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Zitat:
Zitat von Epilog Beitrag anzeigen
Ich hoffe, das bezieht sich nicht auf meine Beiträge zum Thema. Bei mir ist hauptsächlich mit Altersstarrsinn respektive -narretei zu rechnen.

Epilog
Gar nicht :D das war nur ins Blaue hineingeredet ^^

Liebe Grüße
Ex-Tristanhirte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.03.2022, 14:34   #15
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Standard Hallo Anaxi

... und natürlich auch alle anderen Mitlesenden.

Im letzten Post hatte ich versprochen, zumindest zu einigen Fragen und Interpretationsansätzen punktuell Stellung zu beziehen. Ich sehe mich allerdings in erster Linie als Sonettenschreiber und weniger als Kommentator oder Analysten, ob nun fremder oder eigener Werke. Zudem der Hinweis, lieber Anaxi, dass dies natürlich "Dein" Thread ist, in dem nicht lang und breit über meine Gedichte diskutiert werden sollte. Nun gut, ich habe es einerseits selbst verschuldet, indem ich interne Links auf meine Sonette in Alexandriner-Versen eingebaut habe, und andererseits hast du ja bereits selbst bekannt, dass Dein eingangs gepostetes Sonett vor allem als "Fingerübung" mit Schwerpunkt auf den Alliterationen zu verstehen ist.

Die Alexandriner-Sonette hatte ich vor allem deshalb ins Spiel gebracht, weil sie ansonsten hier im Forum (zumindest in den letzten zwei oder drei Jahren) nicht vorkommen, zum anderen aber die beherrschende Versform bei Einführung der Sonettform in die deutsche Poetik des 17. Jahrhunderts waren. Es handelt sich wie schon gesagt in diesem Fall um 6-hebige Jamben mit einer deutlichen Mittelzäsur, anders als beim klassischen Petrarca-Sonett und auch bei Shakespeare-Sonnet mit nur 5 Hebungen, die auch heute wieder gang und gäbe sind. Beim Alexandriner resultieren daraus 12 Silben in Versen mit männlichen Kadenzen und 13 in solchen mit weiblichen. Um eine erste Frage von Dir zu beantworten: Die 13 Silben bei männlicher Kadenz in den zwei Zeilen meiner A-Sonette haben leider keinen verborgenen Hintersinn, sondern sind meiner gesprochenen Sprache geschuldet. Da ich "tief im Westen" aufgewachsen bin, wird das mittlere e in "Bewunderung" wie auch in "inneres" beim Vorlesen/Sprechen praktisch "verschluckt", sodass ich vielleicht besser "Bewundrung" und "innres" hätte schreiben sollen - aber solche Lösungen sind hier auch schon des Öfteren als unschöne "Wortamputationen" kritisiert worden.

Ein bißchen was zur "dialektischen" Themenbehandlung im Sonett: Auf die Alexandriner hatte ich auch deshalb hingewiesen, weil deren Grundstruktur den Aufbau von Gegensatzpaaren im Sinne von These und Antithese noch verstärkt - allerdings kleinteiliger, weniger auf Strophenebene als vielmehr bereits innerhalb der einzelnen Verse, mit dem Pausenstrich als "Break". Bekannte Beispiele aus der deutschen Barocklyrik finden sich etwa bei Gryphius:
"Was dieser heute baut | reißt jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn | wird eine Wiese sein"

oder bei Angelus Silesius (Johannes Scheffler):
"Blüh auf, gefrorner Christ | der Mai ist vor der Tür:
Du bleibest ewig tot | blühst du nicht jetzt und hier.

Das findest Du so ähnlich auch in meinen bescheidenen Machwerken, wie Du es selbst zum Teil bereits herausgearbeitet hast. Im "Fehlschluss" ist es der grundsätzliche Gegensatz zwischen äußerlicher, konsumorientierter "Vollbefriedigung" und innerer Leere, Werteverlust und Führungslosigkeit:
"die ohne inneres band / im höchsten glück sich wähnen
trinken den süßen saft / doch ob man weiß, von wem?"
Bei diesem in der Urform mehr als 30 Jahre alten Sonett ist der Titel enorm wichtig, ohne den ist es vollkommen sinnlos - Du hast es auch bereits erkannt. Wichtig ist natürlich auch der Bruch zwischen Quartetten und Terzetten: Hier erscheint nun der "vermeintliche" Lösungsansatz, oder die "Synthese" des zuvor Gesagten:
"da wünscht` ich mir zurück / die alten potentaten
die wie aus einem stück / die allmacht um sich scharten"
(Wohin das führt, sieht man ja derzeit wieder äußerst schmerzlich) - Ja, der Fehlschluss bezieht sich nicht nur auf die Aussagen am Schluss des Textes, sondern auch auf die Schlüsse, die aus dem zuvor gesagten gezogen werden. Am Ende steht somit keine "erhebende" philosophische Erkenntnis, sondern ein gewissermaßen auf links gekrempelter Apell "Ein jeder stelle sich seiner persönlichen Verantwortung", auch wenn es genau anders da steht. Das mag einen etwas bitteren Nachgeschmack hinterlassen, ist aber kaum misszuverstehen - das hast Du ja auch schon geschrieben. Insgesamt schon plakativ, das Ganze.

"Winckelmann" ist subtiler und schwieriger. Die tendenziellen Gegensätze sind hier wohl eine "erhabene", idealisierte Vorstellung von Schönheit und (gleichgeschlechtlicher) Liebe, die aber in der Realität von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, und einer Tag für Tag gelebten Wirklichkeit "niederer", lodernder Leidenschaften, die hier in Gestalt von Winckelmann und seinem Mörder Arcangeli aufeinandertreffen (Man könnte auch reimen "genesen und verwesen" oder "verehren und begehren"). Ich finde schon, dass die abschließenden Zeilen der beiden Strophen das relativ gut auf den Punkt bringen: "die als vergeblichkeit / mir aus der seele saß" sowie "die habgier, die voll hohn / an deinem herzen fraß". In der dritten Quartett-Strophe - es handelt sich hier ja um eine "Shakespeare"-Sonet - sind diese Gegensätze weiter zugespitzt: die "vermessene" Gestalt der kalten Marmorstatuen im Unterschied zu der Entzündung längst verloschen geglaubter Feuer - Du hast das schon besser herausgearbeitet, als ich es könnte. Und dann folgt in dieser Sonnet-Form halt noch eine abschließende Sentenz, die oft auch gern als "heroic couplet" bezeichnet wird. Sie ist hier bloß gar nicht heroisch, wahrscheinlich, weil dem Protagonisten endgültig das Bewusstsein schwindet. "es ist nur spaß" würde dann sowas wie "ich glaub, ich hab das Ganze nur geträumt - morgen früh ist alles wieder gut" andeuten - denkste. Und wenn das hier die abschließende Aussage des Autors wäre? "Nehmt mein Geschwafel bloß nicht allzu ernst"? Auch wieder nicht wirklich befriedigend, aber zum Nachdenken anregend, oder?

Ich habe schon wieder so endlos viel geschrieben, und Du hattest noch weitere Fragen zum Metrum, zu Zäsuren etc. gestellt. Ich würde sagen, ich versuche da bei nächster Gelegenheit nochmal was nachzulegen. Ich kann nur sagen, ein Metrik-Handbuch welcher Form auch immer hab ich beim Gedichteschreiben nicht danebenliegen - den 5-hebigen (beim Alexandriner 6-hebigen) Jambus habe ich irgendwie "automatisch intus", und nach dem ersten Niederschreiben gibt es, wie Du schon richtig vermutest, vielfältige Möglichkeiten, durch Austausch von Worten, Inversionen (hier gibt es elegante und sehr plumpe, die man natürlich meiden sollte) und mehr eine halbwegs optimale Endversion zu formen.

Dazu hoffentlich andermal mehr.

Liebe Grüße

Epilog
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Alt 16.03.2022, 20:59   #16
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Standard Vielen Dank Epi :)

Hey mein lieber, ich sage schonmal vielen vielen Dank für deinen Kommentar und deine Erklärung, ich werde mir dafür selber lieber etwas Zeit nehmen um in Ruhe zu auf deine Worte eingehen zu können, aber lass mich dir schonmal sagen, ich finde deinen Kommentar klasse

Und ich finde er bereichert den Faden sehr, ich mag deine Gedichte und finde es dementsprechend wirklich schön, hier darüber zu sprechen.

und Tristan, ohweh es tut mir leid, dein Kommentar ist etwas untergegangen, auch auf ihn möchte ich noch eingehen

Viele liebe Grüße schon einmal meine Freunde
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Alt 20.03.2022, 16:44   #17
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Hey Tristan,
danke für deine Erklärung, einmal interessehalber, du hast sehr konkrete Informationen, kennst du evtl. eine Quelle, wo ich tiefer gehende Infos und Kontexte finde, die über die "Standarterklärungen" hinausgehen?
Ich finde den Bezug von Sonett zu Sonate ganz spannend, in einem deiner Gedichte hast du mal "Sonatenkälte" geschrieben und ich musste ein paar mal lesen, bis ich verstanden habe, dass dort Sonate steht, nicht Sonett, da hab ich mir nämlich eine ähnliche Frage gestellt.
In gewisser Weise gefällt mir die Idee, These und Antithese gegenüberzustellen und anstatt einer Synthese beide sich gegenseitig schwungvoll umtanzen zu lassen, obwohl icb keine Ahnung habe, wie man das bewerkstelligen könnte^^

Bisher sind meine Texte eher ohne Planung entstanden und haben von alleine zu einem Ergebnis geführt, das mir nicht immer bekannt war, andrerseits hab ich aber auch in eines Fall von der letzten Zeile aus den Inhalt erarbeitet, der mir nicht bekannt war

Lieben Gruß
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Alt 20.03.2022, 16:48   #18
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Dankesehr Raubtier-ohne-Beute,
freut mich sehr, dass dir die Anfänge gefallen (so interpretiere ich deinen Kommentar zumindest )

Eines hab ich noch, dann sind wirklich alle hier irgendwo zu finden^^

Zitat:
Wer Feuerdurst spürt, tief in Herz und Seele,
sich sehnt, verzehrend, dass er weiter brenne,
in Flammen stehe, dadurch sich erkenne
in ihrem Spiegel. Gleich dem Falter wähle

im Licht zu sterben, strebend nach der Sonne,
wem Frage Antwort, ruhend etwas fehle
zu wahrer Freude. Einzig was ihn quäle
verschafft ihm Friede, Brennen eine Wonne.

Der wird ein Phönix, strahlt im hellen Scheine,
von seiner Suche, bleibt doch ewig Streiter
und gleich Ikarus, stürzend, fällt als Steine

zu Boden nieder, freudig zieht er weiter
zwar immer ziellos, trinkt vom Flammenweine,
im Herzen Schwere. Doch im Geiste heiter.
Liebe Grüße
Anaximandala ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.03.2022, 16:49   #19
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Hey Epi,
als erstes nochmal ein Danke für deine ausführliche Antwort, ich muss sagen ich freue mich sogar drüber, wenn mein Thread auf diese Weise an Vielfalt gewinnt und gerade bei dem hier bin ich sehr froh, dass aus einer kleinen Spielerei eine kleine Sammlung an Informationen zu Sonetten geworden ist und ich durch deine beide Alexandrier die Möglichkeit hatte mich etwas einzudenken und meine Gedanken mit deiner Intention zu vergleichen.

Zu deinen Gedichten, ich hätte wirklich drauf gewettet, dass die zusätzliche Silbe eine Bedeutung hat, vor allem, da sie in beiden Fällen in der ersten Zeile des zweiten Quartett stehen, das ist am Ende dann aber eher ein witziger Zufall.

Für mich sind beide Texte auf jeden Fall nach deiner Erklärung etwas klarer, gerade Winckelmann erfordert zum Verstehen am Ende einfach Hintergrundwissen... nachdem ich mich jetzt ein bisschen eingelesen habe, ergibt der Inhalt natürlich weitaus mehr Sinn. Thematisch finde ich es spannend gewählt, aber das trifft auf einige deiner Texte zu.

An Fehlschluss gefällt mir, dass ein Gefühl ausgedrückt wird, dass sich heute um so erschreckender in der Welt zeigt, als es wohl vor 30 Jahren noch der Fall war. Sowohl in der (nicht wahrgenommen) gefühlten Bedeutungslosigkeit und der (nicht befriedigenden) Befriedigung durch Konsum, als auch in dem Fehlschluss, ein Potentat würde Klarheit, Sinn und Heil (ich hab das Wort mal bewusst gewählt) bringen. Die Synthese findet eher im Kopf statt, oder aber der Titel bestätigt sich...

An sich würde ich es damit belassen, aber eines muss ich doch nochmal anschneiden
Ich bin nämlich durch den Faden hier wieder über deine Übersetzung Wintersonetts von Vivaldi gestolpert, das mir schon als du es in Vivaldis Meisterstück gepostet hast, sehr gefallen hat und das ich mir jetzt mit etwas mehr Wissen ansehen konnte. Du schreibst ganz locker, du hast den Text mehr grob und seehr frei nachgedichtet und eigentlich bin ich um so mehr begeistert, was für eine Perle da als Kommentargedicht verborgen liegt. Ich finde keine vergleichbare Version im deutschen, nichteinmal eine, die überhaupt gereimt ist. In meinen Augen hast du da etwas großartiges geleistet.

Was mich an Sonetten gerade besonders reizt, ist, dass ich mich schon ganz anders mit einem Thema auseinandersetze. In der engen Form bleibt kaum die Möglichkeit, sich einfach zu zerträumen, stattdessen bleiben am Ende Substanz und Klarheit, fast ein wenig Nüchternheit. Ein wenig als würde man einen Diamanten schleifen.

Und auf den Alexandrier im Besonderen hast du mich echt neugierig gemacht. Er erfordert ein noch tieferes Maß an Auseinandersetzung als das Sonett es ja schon tut und lässt sich wohl kaum einfach mal so hinschreiben.
Aber gut geschrieben, ich stelle mir These und Antithese, je in einem Quartett und Zeile für Zeile durch Gegenüberstellung dargelegt, vor, kann ein Gedicht bestimmt eine unglaubliche Fülle an Kontext und Differenzierung erarbeiten. Da ist die künstliche Form denke ich kein Übel.
Aber meine Meinung beschränkt sich auf einen Versuch und Vorstellungen, von denen ich noch nichtmal weiß, wie ich sie genau umsetzen könnte

Also ich freu mich über jedes weitere Wort von dir

Liebe Grüße
Anaximandala ist offline   Mit Zitat antworten
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