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09.09.2011, 12:28 | #1 |
Gestern
Der Tag verstrich, durch die Fenster drangen bereits die letzten rötlichen Strahlen der sinkenden Sonne, die erst jetzt die schweren Quellwolken zu brechen vermochte; wieder werde ich in Dunkelheit beenden, was in Dunkelheit begann, dabei ist noch nicht einmal Winter!
Nun denn, in einer oder zwei Stunden werde ich auch diesen Tag weitgehend heillos überstanden haben- und alle leben noch: Mein heutiger Erfolg! Dann: Ein sich näherndes Schlurfen, das von den kahlen, weissen Wänden echoform widerhallt, ein murmelnder Fluch: „Was die schon wieder will? Es ist doch jeden Abend das Gleiche!“ Der Nachtdienst. Ein kurzer, obligater Blick in die Akten: „Die hat doch wieder nichts!“ Er nimmt mich wahr, doch würdigt mich keines Blickes, wendet sich stattdessen zu der Pflegekraft: „Warum habt ihr mich überhaupt gerufen?...Ihr habt hier doch noch einen Arzt auf Station!“ „Entschuldigung, Herr Kollege, aber ich habe mit meinen Patienten noch zu schaffen und würde auch gerne irgendwann nach Hause. Ausserdem muss ich noch ins Labor.“ „Sieh lieber zu, dass du deinen Quark hier geregelt bekommst; und wenn du eh noch hier bist, kannst du das doch auch eben noch machen. EKG und nen paar Herzenzyme, mehr ist es doch nicht, wie jeden abend um diese Zeit.“ „Aber es handelt sich doch gar nicht um meine Patientin und ich muss nach meinem Urlaub, wie zutreffend festgestellt wurde, erst einmal meine Patienten wieder auf die Reihe bekommen!“ Weg war er, in einer Geschwindigkeit, die sein schlurfendes Ankommen in keinster Weise erahnen liess. Was sollte ich tun? ...den diensthabenden Oberarzt rufen, der im Falle des Versagens seines assistenzärztlichen Kollegen zuständig war? Der würde es auch mir aufdrücken, da ich während meines Dienstes auf der Notaufnahme zu wenig Geld einbrachte und so seinen Missmut auf mich zog: „Du röntgst zu wenig!“ hiess es damals. „Warum soll ich denn ein Bild anfertigen, wenn ich klinisch einen akuten Handlungsbedarf ausgeschlossen habe? Das Bild hätte keine Konsequenz!“ „Es bringt dem Klinikum aber Geld ein.“ Da ich das nach wie vor nicht einsah, blieb es dabei: Ich röntge zu wenig, doch der Oberarzt warf ein verschärftes Auge auf mich, ging sogar zu meinen Patienten und fragte diese: „Hat der Kollege sie schon zum Röntgen geschickt?“ „Nö, wieso?- Er sagte, das sei nicht notwendig!“ „Doch ist es, wir müssen ein Bild machen, um dieses und jenes auszuschliessen!“ ...selbstverständlich, ohne mich zu informieren. So war ich der Dämelack, wusste nicht, wo mein Patient war, in dessen Augen ich damit an Kompetenz eingebüsst hatte, da ich „ja nicht einmal wusste, dass man hier röntgen muss“ und bei dem Oberarzt hatte ich eh verschissen. Der macht mich jetzt immer zur Sau, wenn ich ihm widerspreche. Da nun genau dieser Oberarzt diesen Tag Hintergrunddienst tat, waren meine Aussichten nicht gerade das, was man rosig nennen kann. Ausserdem wollte ich auch niemanden denunzieren. Die Pflege die ganze Nacht mit dieser Patientin allein lassen konnte ich auch nicht. Also ging ich ein wenig angekotzt und missmutig nun eben noch rüber: „Was solls, die hat wahrscheinlich wirklich nichts, die jammert ja wirklich jeden abend rum und bisher war stets alles dem Krankheitsverlauf entsprechend.“ Doch solches sollte man gar nicht erst denken, denn dann kommt es dicke: Ich tat also, was zu tun war: EKG und Herzenzyme. EKG: Aufgrund bekannter krankheitsbedingter Veränderungen schwer beurteilbar, aber weitgehend unauffällig. Eine halbe Stunde später: Laborwerte: Herzinfarkt. Also im Laufschritt wieder rüber, nun doch den Oberarzt angerufen und dem Katheterlabor Bescheid gegeben. Im Zimmer: Regungslose Patientin, Kot erbrochen, Schnappatmung, kein Puls. Pflege gerufen, Reanimation eingeleitet. Aufs Bett gesprungen, der Sprung ins kalte Wasser, meine erste Reanimation ohne einen Oberarzt. Zum Glück oft genug für diesen Fall geübt- oder doch nicht? Angst- und Anstrengungsschweiss tropfen mir von der Stirn, mischten sich mit dem mittlerweile blutig gewordenen Erbrochenen. Pflege trifft ein. Absaugen. Infusion. Beatmung. EKG anschliessen- Nulllinie. Adrenalin für die Patientin- ich selbst hatte genug davon. Atropin hinterher. Wo bleibt der Oberarzt? Mehr Adrenalin! Nachtdienst trifft ein: „Scheisse!“ Wir wussten beide, was schiefgelaufen war, doch für Vorwürfe war nicht die Zeit, auch das wussten wir beide. Minuten vergehen in Zeitlupe und doch rasend schnell. Nach zwanzig Minuten: „Es hat keinen Sinn mehr!“ Oberarzt trifft ein- na endlich! „Könnt aufhören, Jungs!“ Zeitpunkt des Todes: 22.55 Uhr. |
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