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Alt 31.03.2022, 20:55   #1
weiblich Kattze
 
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Standard Woodoo

„Ich finde, wir passen doch nicht so gut zusammen...“
Erst verstand Lisa nicht. Vielleicht nach 10 Sekunden, als ihr Atem gegen Null ging und ihre Arme blutleer und hilflos aus ihren Schultern hingen.
Schluss machen nennt man das.
Tim war ihr erster Freund. Sie hatte ihm alles gegeben, weil sie fand, so fühlte sich Liebe an. Und jetzt sollte es Gerlinde sein. SIE hatte er wohl jetzt oft genug...

„Gut dann.“ Und mehr ließ Lisa nicht raus, obwohl sie ihm beinahe ins Gesicht schlagen wollte, die roten Wolke der Wut ihres Inneren fast explodiert wäre, doch bezwungen blieb in ihrer eiskalten Körperhülle.

Sie drehte sich um und ließ ihn stehen.

Warte 3 Tage.

Sie wartete den Samstag, den Sonntag, und am Montag hatte sie alles vorbereitet.

Tu es nicht in deinem Haus.

Die Kapelle der Uniklinik erschien ihr gerade recht.

Nimm keinen Gegenstand aus deinem Haus für dein Vorhaben.

Während Tim am Montagnachmittag Sport-AG hatte, steckte Lisa den kleinen Teddy in ihre Jackentasche. Unterwegs kaufte sie ein Röllchen Paketschnur, schnitt noch im Laden einen halben Meter davon ab,
warf auf dem Gelände der Klinik die übrige Schnur fort,
trat in die Kapelle ein...

...kniend an einem der Seitenplätze, wickelte sie ganz fest dem Teddy die Schnur um den Hals und knotete noch die Enden zusammen.

Das strangulierte Stofftier ließ sie auf der Bank zurück.
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Alt 01.04.2022, 10:32   #2
männlich Heinz
 
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Hallo Kattze,
immer für eine Überraschung gut! Du hast es geschafft, mich aufs Glatteis zu führen (wahrscheinlich habe ich den Titel zu unaufmerksam gelesen), denn ich dachte bis zum Schluss an einen geplanten Suizid. Dass sie den Teddy stellvertretend strangulierte - toller Einfall. (Der mich an meinen Jüngsten erinnerte, der seinen Teddy mal an ein selbstgezimmertes Lattenkreuz genagelt hat und meiner kreuzbraven Katholikin Ingeborg einen hysterischen Anfall bescherte.
Schönes Wochenende!
Heinz
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Alt 01.04.2022, 12:37   #3
weiblich Kattze
 
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Hallo Heinz,
Suizid aus Liebeskummer – eher Männersache. Frauen sind rachsüchtig – vorsicht! Aber natürlich gilt auch hier: Keine Regel ohne Ausnahme.
Deinen Jüngsten hat vermutlich weder Sadismus noch Rachsucht zur Kreuzigung seines Teddys getrieben. Hm, an sehr religiösen Menschen vermisse ich oft den Humor, warum eigentlich?
Lg Kattze
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Alt 01.04.2022, 15:06   #4
männlich Heinz
 
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Hallo Kattze,
Suizid aus Liebeskummer - ja, das gebe ich zu: In den meisten Fällen kommen Männer auf so eine Idee. Frauen, sagst Du, neigen eher zu rachsüchtigen Unternehmungen. Das setzt aber voraus, dass es ein Objekt für die Rachegelüste gibt.
In meiner allernächsten Nähe gab es ein Mädchen, das in einer schwierigen Entwicklungsphase hoffnungslos verliebt war. Die dämmernde Einsicht in die Hoffnungslosigkeit veranlasste dieses Mädchen zum Schlucken einer Überdosis starker Schmerzmedikamente, aufgelöst in Coia mit ein bisschen Rum, mit anderen Worten, zu einem Suizidversuch. Versuch deswegen, weil dank einer Freundin der Rettungsdienst schnell vor Ort war.
Rache? An wem?
Wir, dieses Mädchen und ich, haben uns sehr lange unterhalten und meine Überzeugung ist, dass es die schiere Verzweiflung war, die zu diesem Schritt führte.
Liebe Kattze, ich spinne mir hier nichts zusammen. Die Geschichte ist authentisch und ich bin der Jugendfreundin dieses Mädchens heute noch sehr dankbar.
Liebe Grüße und ein schönes Wochende!
Heinz
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Alt 01.04.2022, 16:02   #5
männlich Flocke
 
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Standard Woodoo - Voodoo

Hallo zusammen und
Gott zum Gruß Kattze!

Tim war Lisas erster Freund.
Zitat:
"Sie hatte ihm alles gegeben, weil sie fand, so fühlte sich Liebe an."
Doch er beendete abrupt die Beziehung. Und die Wut in Lisa kochte auf. Aber äußerlich blieb sie ruhig:
Zitat:
"Und mehr ließ Lisa nicht raus, obwohl sie ihm beinahe ins Gesicht schlagen wollte, die roten Wolke der Wut ihres Inneren fast explodiert wäre, doch bezwungen blieb in ihrer eiskalten Körperhülle."
Wie ging sie mit ihrer Verletzung um? Sie hielt die Wut in sich fest, ließ sie köcheln, aber kontrollierte sie. Dann erfand sie ein Ritual, das sich am Puppenzauber des Voodoo orientierte.
Dort wird eine Puppe hergestellt, in der Teile von dem Verhassten eingewirkt sind: Haare, Fingernägel oder Gegenstände oder auch nur ein Bild dieses Menschen. Innerhalb eines rituellen Rahmens konnte die Voodoo Ausübende der verhassten Person Schmerzen und Leid zufügen, indem sie diese Puppe mit Nadeln malträtierte.
Kattze lässt Lisa einen modifizierten Weg einschlagen:
sie wählte nicht eine Puppe als Stellvertreter von Tim. Sie suchte sich den "kleinen Teddy" aus, um dann ihr Ritual auszuführen. Als Bedingungen, damit dieses Ritual vollzogen werden kann, werden genannt:
- drei Tage warten
- nicht in deinem Haus
- kein Gegenstand aus deinem Haus
Sie ließ sich also drei Tage Zeit, dann strangulierte sie, kniend an einem der Seitenplätze der Kapelle, den kleinen Teddy und ließ ihn zurück.

Der Teddy! Im Text weist nichts darauf hin, woher dieser Teddy kommt, zu wem er gehört. Es wird nicht erwähnt, dass der Teddy ein Stellvertreter von Tim sei, noch dass er z.B ein Haarbüschel von Tim mit sich tragen würde. Noch kann ich ihn als Stellvertreter von Lisa selbst sehen (wie Heinz meint, wenn ich ihn richtig verstehe).
Ich glaube nicht, dass Lisa mit diesem Akt Tim oder auch sich strafen wollte (jedenfalls nicht an erster Stelle), sondern dass sie die kindlichen Elemente in ihrer überbordenen ersten Liebe auf ihrem weiteren Weg hin zu einer gereifteren Person zurücklässt. Sie vollzieht mit diesem Ritual einen Wachstumsschritt.
Die Kapelle ist ein heiliger Ort (wenn auch im Gegensatz zum Kölner Dom nur ein kleiner, heiliger Ort). Ein Ritual hat immer was Besonderes, auch wenn es dieses mal nur einer Minikirche, und dort nur abseits des Hauptschiffes stattfinden konnte und nur sie ganz alleine diesen kleinen heiligen Akt erleben durfte.
Beim Besuch in den kirchlichen Räumen vollzieht Lisa den letzten Akt ihres Rituals. Sie schnürrte dem Teddy die Luft ab. Hier heißt es:
"Sie strangulierte den Teddy ganz feste!"
Eine bekannte Redewendung aus der Kindersprache lautet:
"Papa, ich habe dich ganz feste lieb!"
Wir finden hier noch einen Hinweis, dass ihre Verliebtheitsbeziehung Eigenheiten einer ersten, noch kindlichen Liebe in sich trug.

Kattze spielt an dieser Stelle mit der Sprache. Mit ihrer Anspielung auf "feste..." zeigt sie spielerisch und ironisch, wie frühkindliche und aktuelle Verhaltensweisen miteinander verwoben sein können.
Kattze sprach in eine späteren Kommentar zu ihrer Geschichte, dass sie bei tief religiösen Menschen Humor vermisse. Ihre Figur Lisa demonstriert dagegen in ihrem Ritual durchaus kreativen Humor und Spaß an der Freude. Ihr ist das, was Lebensfreude ausmacht, nicht unbekannt; diese Freude wird sozusagen nach drei vorbereitenden Tagen wieder runderneuert und sie mehrt sich. In der kleinen Kapelle wird das fühlbar, aber wenn die kleine Metamorphose Lisas dort auch nur "Rande" des Kirchengebäudes passieren kann.
Denn wir wissen alle, dass der Mainstream der (katholischen) Kirche dem Lustvollem und dem Humorvollen entsagt. Manche Predigten zeigen einen unfassbaren Abgrund von Humorlosigkeit.
Aber in dieser kleinen Nische kann sich Lisas Wut in eine gesunde Energie wandeln, die in ihr tanzt, die ihren Kummer auflöst. Sie lässt ein Stück weit, die Denke hinter sich, die ein unglückliches Leben motivierte. Sie kann ab jetzt geschmeidiger geworden, verstärkt ein Leben in Lust, Mut und in Selbstbestimmung führen.


Grüße Flocke


PS - es gibt tatsächlich Voodoo-Teddies:
https://www.alamy.de/teddy-bear-vood...226889625.html

Geändert von Flocke (01.04.2022 um 21:59 Uhr)
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Alt 02.04.2022, 13:29   #6
weiblich Kattze
 
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Hallo Flocke, hallo Heinz,

zunächst danke, Flocke, für deine aufmerksame Deutung meiner kurzen Kurzgeschichte. In der Tat siehst du mehr in den paar Sätzen, als mir während des Schreibens bewusst war.
Zitat:
Ich glaube nicht, dass Lisa mit diesem Akt Tim oder auch sich strafen wollte (jedenfalls nicht an erster Stelle), sondern dass sie die kindlichen Elemente in ihrer überbordenen ersten Liebe auf ihrem weiteren Weg hin zu einer gereifteren Person zurücklässt. Sie vollzieht mit diesem Ritual einen Wachstumsschritt.
Also, wer war/ist Lisa eigentlich? Wie steht sie in Beziehung zu mir, der Erzählerin? Was dir, Flocke, wohl nicht geläufig ist: „Woodoo“ habe ich nur ausnahmsweise mal nicht in der 1. Person geschrieben.
Ich beschreibe also einen Wachstumsschritt meiner Protagonistin, einer offenbar ziemlich selbstbeherrschten jungen Frau, die aus Fehleinschätzungen lernen kann/will. Die Liebesenttäuschung lässt sie jedenfalls nicht in die Hilflosigkeit einer Depression fallen. Und sie erkennt sofort, dass sie verloren hat, was ihr tatsächlich viel vergeudete Energie erspart.

Geheimnisvoll sollte Lisa erscheinen, und ganz im Hintergrund schwebte mir Goethe Gestalt der Mignon vor und ihr Sehnsuchtslied/-gedicht mit den Zeilen
Zitat:
Zitat von Goethe
(...)Dahin! Dahin
Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
(...)Dahin! Dahin
Möcht’ ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.
(...)Dahin! Dahin
Geht unser Weg; o Vater, laß uns ziehn!
Die Chance zu wachsen hatte die arme Mignon wohl nicht, wenn ich mich richtig erinnere.

Die „Kapelle der Uniklinik“ soll einen Hinweis auf die Lisa vertraute Welt geben.

Ach ja, ich wollte eigentlich erwähnen, dass Tim nach dem Ritual bei einem Unfall erstickt sei. Das kam mir aber am Ende entbehrlich vor, ebenso die Erklärung, was es mit dem Teddy auf sich hatte.

Doch, diese Art Demütigung schreit nach Rache. Auch Suizid mag im Cocktail der Beweggründe Rache enthalten. „Das hast DU mit mir gemacht!“ Es gibt wohl nur selten EINEN Grund, etwas zu tun oder nicht zu tun.

Wer lernt, sich die eigenen Gefühle „anzuschauen“, wird einen Weg finden durch ein

Zitat:
Zitat von Flocke
Leben in Lust, Mut und in Selbstbestimmung(...)
LG Kattze
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Alt 03.04.2022, 12:00   #7
männlich Heinz
 
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Liebe Kattze,
Du bist Dir, wie Du schreibst, nicht ganz sicher, was mit der kleinen Mignon geschehen ist. Ich wäre ein miserabler Goetheverehrer, wenn ich da nicht aushelfen könnte. Die bittersüße, tragisch endende Mignongeschichte beschreibt Goethe so: Mignon hatte sich in ihren (Ersatz-) Vater verliebt. Er (Wilhelm Meister) verlobte sich mit Therese im Beisein von Mignon, die unmittelbar darauf an gebrochenem Herzen gestorben ist. Dass Goethe ihre Beerdigung ausführlich schilderte, verwunderte mich schon beim ersten Lesen.
Mit Beerdigungen hatte G. nicht viel am Hut. Beim Tod seines Freundes Schiller war er nicht anwesend, vergrub sich meines Wissens nach in Dornburg (übrigens ein sehr lohnendes Ausflugsziel!) und ward für Tage nicht zu sehen.
Auch beim Tod seiner Frau Christiane zog er sich komplett zurück und gab seiner Trauer mit der Grabsteininschrift bekannt:
Du versuchst, o Sonne, vergebens
durch die Wolken zu scheinen.
Der ganze Gewinst meines Lebens
ist, ihren Tod zu beweinen.
Bei der kleinen Mignon, so glaube ich wenigstens (ich habe diese Vermutung noch nirgends gelesen), ein erlebtes kleines Abenteuer in Italien im Sinn gehabt und wie es sich gehört in Distichen (zum Erschrecken der prüden Gesellschaft) gebracht:
Was ich am meisten besorge: Bettina wird immer geschickter.
Immer beweglicher wird jedes Gliedchen an ihr;
Endlich bringt sie das Zünglein noch ins zierliche Fötzgen,
spielt mit dem artigen Selbst, achtet die Männer nicht viel.

Ich rette mich in eine metrische Analyse, um nicht nochmla in den Verdacht zu geraten, pornografisch zu schreiben:
XxxXxxXxxXxxXxxXx (Hexameter)
XxxXxxXXxXxxX (Pentameter)
XxXxxXxXxXxxXx (Hexameter)
XxxXxxXXxxXxxX (Pentameter)
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 03.04.2022, 17:48   #8
weiblich Kattze
 
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Hallo Heinz,
könnte mir vorstellen, dass unser Genius Goethe menschlich gesehen ein Arsch war. Aber wen interessiert das angesichts seiner Werke.
Danke dir, dass du meiner Faulheit Vorschub geleistet hast – hätte ja selbst bei Wilhelm Meister nachlesen können. Nun, die geheimnisvolle Mignon hat(te) mir gefallen, mich berührt, ich konnte (oder kann) mich auf eine dunkle Art mit ihr identifizieren.
Zitat:
Auch beim Tod seiner Frau Christiane zog er sich komplett zurück.
Er hat sie in ihrem schmerzhaften Todeskampf allein gelassen, las ich. Goethe war mehr für die angenehmen Seiten des Lebens zuständig.
Eine angenehme Woche wünscht dir,
Kattze
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Alt 03.04.2022, 17:50   #9
männlich Flocke
 
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Hallo Kattze!

Meine Assoziationen zu deiner "kurzen Kurzgeschichte" sind Natur gemäß andere wie deine. Aber sie müssen sich nicht widersprechen, sie können sich ergänzen.
Du hältst den Rachegedanken in Lisa hoch und du fühlst dich an die Figur Mignon aus "Wilhelm Meisters Lehrjahre", an das Geheimnisvolle in ihr erinnert.
Ich fand wichtig zu sehen, dass in dieser Geschichte nicht nur ein kurioses Einzelschicksal steckt, sondern dass Lisa ein Ritual (mit typischen Kennzeichen) vollzieht.
Rituale sind voller Symbolik, sie markieren einen Entwicklungschritt in existentiellen Fragen; sie sind dieser Entwicklungsschritt: Hochzeit als Entscheidung zu zweit zu leben, ist so ein Ritual. Der Übergang von der Aduleszenz zum Erwachsenenalter geschieht in vielen Gemeinschaften über Initiationsrituale. Ich denke, dass solche Rituale in unserer Gesellschaft immer noch zu finden sind. Einen Rest von der Kraft dieser Rituale verspüren wir z.B. noch in unserer Abitursprüfung oder - für viele wichtiger - in der Führerscheinprüfung. Und in der Figur Lisa wirkt diese Kraft überaus kräftig.
Es gibt viel Kritisches über Rituale zu sagen, aber m.E. machen sie durchaus Sinn.
Lisa nun hätte ihr Beziehungstrauma mit Freundinnen beklagen und reflektieren können, vielleicht geschieht oder geschah das auch mit psychotherapeutischen Profis, vielleicht ja in der "Uniklinik". Aber sie hat eine Entscheidung getroffen. Ich glaube aber, dass sie mit ihrem Ritual einen wirklichen, einen entscheidenden Schritt ausführt, mit dem sie aus dieser Krise als "neuer" Mensch kommen kann.

Wie du richtig in Bezug auf deine Figur sagst:
Zitat:
"Es gibt wohl nur selten EINEN Grund, etwas zu tun oder nicht zu tun."
und überzeugend nachlegst.
"Doch, diese Art Demütigung schreit nach Rache."
In meiner Interpretation habe ich die "Rache" nur am Rande erwähnt. Ich wollte jedoch die Freuden der Rache nicht in Abrede stellen, die sich in Lisa wonnig ausgebreitet hatten. Sie hat sie sich verdient.
Wenn Lisa ihre Wut nicht hätte empfinden können oder aber die Wut als etwas Böses wegschoben hätte, dann gäbe es für sie keine Befreiung (wenn sie denn die Befreiung will!).

Im übrigen, was mich angeht, ich konnte über diese Themen immer schon besser reden, als mich entsprechend zu verhalten.


__________________________________________


Deine Geschichte ist reich an Bezügen ist. Ich nenne einige:

die Welt der Uniklinik (psychosomatisch?),
- ist Lisa eine Patientin? Ist sie vielleicht magersüchtig? Liegt eine ausgeprägte Vaterprojektion vor?
die Welt der Archetypen:
- Lisa durchläuft ein Initiationsritual, sie vollzieht einen Schritt in ihrem Indivduationsprozess
die Welt der Psychotherapie:
- die Geschichte zeigt einen psychotherapeutischen Weg auf, wie Traumaverarbeitung funktionieren kann
die Welt der Kirche:
- die Kirche kann menschliches Verhalten heiligen, es erheben. Auf der Schattenseite des Heiligen wirkt die verdrängte, sadistisch angehauchte Lust
die Welt des Schamanismus:
- die Teddypuppe zeigt sich als ironische Variation des Voodoo-Kultes
und, wie ich jetzt erfahren habe,
literarische Bezüge:
- die androgyne Mignon. die Wilhelm Meister (die Männer) als Geliebte, Beschützer und Väter ansieht.


Woodoo - die Geschichte könnte durchaus noch weitergehen.


Jetzt noch zur Ablenkung --> getanzter Voodoo!
https://www.youtube.com/watch?v=4V90AmXnguw

Grüße Flocke
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Alt 03.04.2022, 19:43   #10
männlich Heinz
 
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Liebe Kattze,
a bisserl möchte ich unseren großen Dichter schon in Schutz nehmen. Nach allen Berichten von Zeitgenossen soll er ein sehr zuvorkommender, hinreißender Typ gewesen sein. Er selbst hatte ja fast zeitlebens mit schmerzhaften Krankheiten zu tun und offensichtlich ist man mit dem Sterben und Tod damals ganz anders umgegangen als wir es heute tun. Beethoven hat ein großartiges, tausende Menschen auf die Straßen lockendes Begräbnis gehabt. Nehmen wir einen anderen Großen der Musik - Mozart. Da wei0 man bis heute nicht, wo er genau bestattet wurde.
Mit dem Tod seines Freundes Schiller verlor Goethe nach seinen eigenen Worten die Hälfte seines Lebens und war lange Zeit wie vom Erdboden verschluckt. Beim Tod seines Freundes, dem regierenden Fürsten, zog er sich auch sehr lange zurück. Seiner Frau und deren schmerzhaftem Sterben stand er (wie auch die Ärzte) hilflos gegenüber und ich glaube, die Grabstätte seines Sohnes in Italien hat er nie besucht.
Nein, ich glaube nicht, dass er ein "Arsch" war. Schon zu seinen Lebzeiten versuchte eine Dame, die er hat abblitzen lassen, ihn zu diskreditieren. Von dieser Dame stammt die Bezeichnung "Fürstenknecht" weil er, mit Beethoven unterwegs beim Vorüberfahren der Kutsche, in dem "sein" Fürst saß, im Gegensatz zu Beethoven einen artigen Diener machte. (Wie anders hätte sich ein Minister Carl Augusts in der Öffentlichkeit verhalten sollen?)
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 04.04.2022, 12:00   #11
weiblich Kattze
 
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Liebe Flocke, lieber Heinz,

danke für eure Anteilnahme an meiner „Woodoo-Lisa“.
Also, Heinz, was den Goethe betrifft und meine eventuell unfaire womöglich falsche Vermutung, so gilt doch hier gewiss: Was kümmerts die deutsche Eiche, wenn sich die wilde Sau dran schabt.
Zitat:
Zitat von Heinz
Nach allen Berichten von Zeitgenossen soll er ein sehr zuvorkommender, hinreißender Typ gewesen sein.
Ja, genau das schürt mein Misstrauen.
Und Flocke: Aus deiner Analyse höre ich viel Sympathie für Lisa raus. Und dass du offenbar in der Jungschen Tiefenpsychologie verankert bist. Letztere hat mich zwar fasziniert, mir aber bei meiner Lebensorientierung nicht besonders geholfen.
Hm, leider kenne ich Lisa nicht persönlich.
Deine scharfsinnige Auflistung der Bezüge meiner Geschichte lässt mich noch einmal nachgrübeln, was Lisa mit mir zu tun hat. Danke an dieser Stelle, Flocke, für deine hilfreichen Anstöße.
Nein, Lisa war nicht magersüchtig. Als Schülerin hatte sie in einer Klinik ein Praktikum absolviert, daher war ihr diese Welt vertrauter und sympathischer als z.B. alles, was mit Kirche zu tun hat. Lisa hat nach dem Abi Medizin studiert, erfolgreich, aber ohne Leidenschaft. Später hängte sie die Medizin an den Nagel und schwenkte um zur Psychotherapie. Hast du, Flocke, das vielleicht geahnt?

Zitat:
Zitat von Flocke
Es gibt viel Kritisches über Rituale zu sagen, aber m.E. machen sie durchaus Sinn. (...)Einen Rest von der Kraft dieser Rituale verspüren wir z.B. noch in unserer Abitursprüfung oder - für viele wichtiger - in der Führerscheinprüfung.
Genau.

Zitat:
Zitat von Flocke
Im übrigen, was mich angeht, ich konnte über diese Themen immer schon besser reden, als mich entsprechend zu verhalten.
Das ist menschlich, und selbst Goethe war nur ein Mensch.

Eine schöne Woche wünscht
Kattze
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Alt 04.04.2022, 13:14   #12
männlich Heinz
 
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Liebe Kattze,
nicht weniger kritisch und im Geist unabhängig, vielleicht sind wir uns da einig, dürfte ein anderer Dichter gelten,von dem ich leider nur ein einziges Gedicht (An die Parzen) auswendig kann, - Friedrich Hölderlin. Hölderlin hat Goethe mehrmals in Weimar getroffen und äußert sich in einem brief an Hegel:
"Goethen habe ich gesprochen. Bruder! Es ist der schönste Genuss unseres Lebens, soviel Menschlichkeit zu finden bei soviel Größe. Er unterhielt mich so sanft und freundlich, dass nir recht eigentlich das Herz lachte und noch lacht, wenn ich daran denke," (Jena, 27. Jabuar 1795)
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 05.04.2022, 15:15   #13
weiblich Kattze
 
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Lieber Heinz, liebe eventuelle LeserInnen,
unsere Unterhaltung hat wohl nicht mehr viel mit Lisa zu tun. Trotzdem noch einige Anmerkungen:
Ich tue mich grundsätzlich schwer mit der Verehrung „bedeutender Menschen“, ob sie noch leben oder bereits der Vergangenheit angehören.
Dass die „Großen“ sich auch gern gegenseitig Honig um den Bart schmieren, nehme ich oft genug zur Kenntnis. Sollen sie doch. Das macht sie noch größer.
Ob Schürzenjäger oder nicht, Goethe hat Großartiges geschaffen. Manches geht deutlich über meinen Horizont, z.B. konnte/kann ich mit Faust II nix anfangen. Ebenso wenig mit seinen Epigrammen.
Die großartige Rock- und Bluessängerin Janis Joplin starb 1970 mit 27 Jahren. Ihr Lebensweg, ihre Stimme, ihre Lieder berühren mein Herz. Vielleicht hat sie, außer ihrem frühen Tod, etwas mit Mignon gemeinsam? Vielleicht ist es gar keine Tragödie, sondern eine Gnade, so früh abtreten zu dürfen...
... nicht mehr jauchzen zu müssen: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein...“
Maunz maunz
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