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30.03.2014, 12:59 | #1 |
Forumsleitung
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Onkel Norbert
Onkel Norbert war ein Spaßvogel. Er war immer gut gelaunt und hatte dufte Sprüche drauf. Seine Schwester und sein Schwager hatten ihn gerne zu Besuch, auch über Nacht. Zum Entzücken seines Neffen lockerte er die Atmosphäre mit seinen Geistesblitzen auf, und wenn er seine Geschichten erzählte, klebte der Junge an seinen Lippen.
Nach Onkel Norberts letztem Besuch griff jedoch Unruhe um sich, die unbestritten auf sein Konto ging. Am Morgen seiner Abreise – er hatte in aller Frühe sein Gepäck in den Kofferraum seines Wagens gewuchtet, seiner Schwester einen Abschiedskuss auf die Wange gedrückt und pfeifend Gas gegeben - weigerte sich Klein-Thilo, aufzustehen, an den Frühstückstisch zu kommen, wo bereits seine heißgeliebten Cornflakes auf ihn warteten, und sich anschließend für den Kindergarten fertigzumachen. Er verschwand kurz im Bad und verschanzte sich anschließend in seinem Zimmer, vor dessen Tür seine ratlose Mutter stand und überlegte, ob das nur eine Laune war und sie Thilo einfach für diesen Tag im Kindergarten abmelden sollte. Ganz geheuer war ihr der Gedanke allerdings nicht, denn Thilo hatte sich schon am Abend zuvor merkwürdig benommen, unlustig an seinem Käsebrot geknabbert und sich früh auf sein Zimmer zurückgezogen. „Das geht so nicht!“ kam Thilos Vater dazu und trommelte an die Tür. „Aufmachen, sofort!“ Wenn dem Jungen etwas fehlte, mussten die Eltern das schließlich erfahren und etwas unternehmen, wenn nicht, gab es keine Entschuldigung, nicht in den Kindergarten zu gehen. Beeindruckt von der Autorität des Vaters schloss Thilo die Tür auf, verschwand aber sofort wieder unter seiner Bettdecke. „Deine Baustelle …“, sagte sein Vater zur Mutter und ging zu seinem Frühstück zurück. „Nun?“ fragte Thilos Mutter, während sie ihm die Bettdecke vom Gesicht zog. „Willst du mir sagen, was dir fehlt?“ Kopfschütteln. „Ich muss es aber wissen, im Kindergarten werden alle hören wollen, weshalb du nicht kommst. Du könntest ja krank sein.“ „Ich bin ein hässliches Monster!“ Thilo brach in Tränen aus. Seine Mutter musste an sich halten, über dieses unerwartete Geständnis nicht lauthals zu lachen. „Wer sagt das?“ „Onkel Norbert.“ Sie überlegte einen Augenblick, dann bohrte sie nach: „Das kann Onkel Norbert nicht gesagt haben, erstens ist das nicht seine Art, und zweitens stimmt es nicht. Du bist ein hübscher Junge. Also was hat Onkel Norbert wirklich gesagt, und wann war das?“ „Gestern, als er in Papas Buch las. Er hat mich auf seinen Schoß gehoben und gefragt: ‚Klein-Thilo, was ist denn mit deinen Zähnen passiert?‘ Dabei guckte er ganz erschrocken.“ „Und dann?“ „Dann hat er gesagt: ‚Thilo, da fehlen ja welche und einige wackeln schon, die drehen auch bald die Kurve. Haste mal in den Spiegel geguckt? Willste etwa so für den Rest deines Lebens durch die Landschaft ziehn?‘ Oder so ähnlich. Und dann hat er mich wieder auf den Boden gestellt und gesagt, ich soll zum Abendessen gehen.“ Jetzt konnte seine Mutter sich eines erleichterten Lachens nicht länger erwehren. Sie nahm ihren Sohn in die Arme, und während sie ihn drückte, beruhigte sie ihn: „Das stimmt doch alles nicht, Thilo. Erstens ist dir bisher nur ein einziger Zahn ausgefallen, alles andere ist von Onkel Norbert erfunden. Zweitens wachsen alle Zähne, die dir in der nächsten Zeit ausgehen werden, wieder nach, und die bleiben, bis du alt wirst.“ „Wirklich?“ „Ja, wirklich. Dumm von mir, dass ich dir das nicht längst gesagt habe. Wenn du es mir nicht glaubst, kannst du Papa fragen. Onkel Norbert hat nur Spaß gemacht.“ „Doofer Onkel Norbert!“ „Na, sagen wir mal, das war nicht besonders nett von ihm. Aber jetzt verrate ich dir ein Geheimnis, und das bleibt ganz unter uns.“ Thilo nickte. „Onkel Norbert hat keinen einzigen Zahn mehr, er trägt seit Jahren ein Gebiss.“ Da wischte sich Thilo die Tränen vom Gesicht, löste sich von seiner Mutter, sprang aus dem Bett und rief: „Ich muss los, sonst komme ich zu spät in den Kindergarten!“ 30. März 2014 © Ilka-Maria |
30.03.2014, 13:19 | #2 |
R.I.P.
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Na ja --
Je nun - bei mancher wörtlichen Rede hatte ich auch mit den Zähnen geknirscht. (Mutter und Vater und Sohn). Aber ansonsten: Sowas kommt vor, wenn Onkels reis(s)en! LG Thing |
30.03.2014, 21:35 | #3 |
abgemeldet
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Als Mutter bekam ich schon Sorge und hast mir die anschließende Erleichterung nahe gebracht, die entstand, da nichts schlimmeres passiert war.
Wieder eine kurze spannende Prosa, wie ich sie von Dir zu schätzen weiß. LG Täubchen |
Lesezeichen für Onkel Norbert |
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