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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 23.11.2022, 17:18   #1
weiblich Candlebee
 
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Beiträge: 842

Standard Die letzte Tür

Die letzte Tür

Ich gehe in das Haus mit den vielen Türen.
Endlos scheinen die Flure,
müde flackern die Lichter.
Hinter jeder Tür ein Seufzen,
Stöhnen und Klagen.
So viele Leben verblüht, ausgehaucht.
Verloren sind tausend Erinnerungen
wie ein kostbarer Schatz.
Es ist die letzte Tür, vor der ich stehen bleibe.
Ich hole tief Luft.
Weiß, was mich erwartet.
Dann trete ich ein.
Du starrst an die Decke.
Meine Hand berührt die deine.
Ich bin es.

Candlebee
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Alt 23.11.2022, 17:39   #2
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.089

Liebe Candlebee,

ich stehe reimlosen Gedichten skeptisch gegenüber aufgrund meiner Erfahrung, dass viele Autoren auf diese Form zurückgreifen, weil sie es sich einfach machen wollen. Dabei kommt meistens nur Banales, Kunstloses heraus.

Dein Gedicht hat mich hingegen überrascht. Es ist eine gelungene Metapher, hat Tiefe und eine Aussage und fesselt den Leser trotz des melancholischen Themas.

LG
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 23.11.2022, 21:55   #3
männlich Heinz
 
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Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Liebe Candlebee,
mag sein, dass ich als Betroffener mit meiner Interpretation deines Gedichts völlig daneben liege. Ich sehe dich (das lit. Ich) mit zögernden Schritten den vermeintlich langen Flur eines Altersheims, eher noch eines Hospizes entlang gehen (die müde flackernden Lichter schreibe ich einer Sinnestäuschung zu) und vor der letzten Tür verharren, um dann das Zimmer eines dir sehr nahe stehenden Menschen zu betreten, deiner Mutter vielleicht, der du sagen musst, dass du die Besucherin bist, weil dieser sterbende Mensch dich nicht mehr erkennt.
So ein Erlebnis in Reime zu setzen, verbietet sich fast von selbst und ich meine, dass du bei der Formwahl richtig entschieden hast.

Liebe Ilka-Maria,
ich stimme deiner Skepsis hinsichtlich ungereimter Gedichte nur zum Teil zu.
Wie könnte Schillers Nänie beeindruckender, aufwühlender auch nur andeutungsweise in gereimter Form (was für ihn ein Leichtes gewesen wäre) klingen?

Auch das Schöne muss sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, dass das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich;
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.


Aber ich bin mir sicher, dass ich weiß, was du meinst.

Liebe Grüße euch beiden!
Heinz
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Alt 29.11.2022, 11:20   #4
weiblich Candlebee
 
Benutzerbild von Candlebee
 
Dabei seit: 04/2022
Ort: noch auf diesem Planeten
Beiträge: 842

Hallo Heinz,

du hast fast ins Schwarze getroffen. Mein Opa war längere Zeit im Pflegeheim, hatte schlimme Demenz. Er vegetierte dahin, es war grausig. Dieser Besuch war mein letzter. Ich habe mich verabschiedet, ihm erlaubt, zu gehen. Ich habe ihm einen letzten Kuss auf die Wange gedrückt, geweint ... Ein paar Tage später ist er friedvoll gegangen. So schlimm das auch für mich war, ich bereue keine einzige Minute. Und ich muss sagen die Gerüche, die Lichter, die Geräusche der alten Leute bekomme ich nicht aus dem Kopf. Sehr bedrückend.

Ilka-Maria,

danke fürs Kompliment.

Habt einen schönen Dienstag.
Candlebee
Candlebee ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.11.2022, 22:09   #5
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Liebe Candlebee,
solche Erlebnisse verschlagen mir die Sprache und hilflos steht man einem betroffenen Menschen gegenüber. Dass die Palliativmedizin den sterbenden Menschen die schlimmsten Schmerzen nimmt, ist segensreich, mildert aber nicht das Leid der Überlebenden. Du wirst in ein paar Jahren mit der Trauer, dem Verlust eines lieben Menschen umgehen können und die angenehmen Erinnerungen werden überwiegen.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.12.2022, 22:05   #6
weiblich Ottilie
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 341

Standard die letzte Tür

Hallo Candlebee,

Dein Gedicht ist sehr berührend... Ich habe genau vor dieser "letzten Tür" gestanden, und es ist genau das passiert, was Du beschreibst. Danke für die Zeilen, viele Grüße

Ottilie
Ottilie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.12.2022, 17:13   #7
weiblich Candlebee
 
Benutzerbild von Candlebee
 
Dabei seit: 04/2022
Ort: noch auf diesem Planeten
Beiträge: 842

Hallo Ottilie,

danke für deine Worte. Jeden Tag steht vermutlich irgendwo jemand vor einer solchen Tür. Bleiben wir stark.

Nette Grüße, Candlebee
Candlebee ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.12.2022, 23:10   #8
männlich dunkler Traum
 
Benutzerbild von dunkler Traum
 
Dabei seit: 02/2021
Ort: mit beiden Beinen in den Wolken
Alter: 60
Beiträge: 1.596

... ja, Hospiz, Demenz waren auch meine ersten Gedanken. Auch ich erinnere mich an das gurgelnde Atemgeräusch, ich möchte anders abtreten. Eindrücklich und gut beschrieben, Bienchen.

wünsche schöne Träume
dunkler Traum ist offline   Mit Zitat antworten
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