|
|
Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
|
Themen-Optionen | Thema durchsuchen |
05.03.2006, 21:27 | #1 |
abgemeldet
|
Wurzeln
Die Märchenerzähler berichten den Kindern des dürren Landes
von dem letzten Zedernbaum auf den Höhen des Libanons, dessen Wurzeln einst von einer schleichenden Krankheit befallen wurden und der zuletzt keine Früchte mehr brachte, ja dessen Krone von Jahr zu Jahr weniger Blätter trug, so dass er den Bewohnern der Umgebung nicht einmal mehr Schatten spenden konnte. Einer der eisigen Winterstürme versetzte ihm in einer finsteren Nacht den Todesstoß. Von den vormals fruchtbaren Ebenen, die ihren flüssigen Segen aus den mystischen, wasserreichen Bergwäldern empfingen, wußten sie wenig zu berichten. Ebenso wie von dem Weisen, der einst den ersten Baum auf den Höhen pflanzte und den Menschen seiner Umgebung gebot, es ihm gleich zu tun. Manche sagen, es hätte ihn eigentlich nie gegeben. Andere behaupten, er sei nicht der gewesen, für den ihn die Menschen damaliger Zeit hielten. Wieder andere meinen, er sei eines gewaltsamen Todes gestorben. Ein uralter Mann berichtet, er sei eines lichten Tages von hier fort in ein unbekanntes Land gezogen und seine Anhänger hätten sich daraufhin in alle Winde zersteut. Den verbliebenen Stumpf hat man aufgrund der unsicheren Sachlage und um einer allgemeinen Verwirrung vorzubeugen, in der Zwischenzeit entfernt. |
05.03.2006, 21:58 | #2 |
Gast
Beiträge: n/a
|
Hallo Albatros,
Ich finde den Text sehr gelungen , besonders gefällt mir: Von den einst fruchtbaren Ebenen, die ihren flüssigen Segen aus.... Nur zwei kleine Dinge stören mich ein bisschen - und zwar die Wendung: „gab ihm dann den Rest“ (hört sich in diesem Kontext zu umgangssprachlich an) und der Begriff „Sachlage“ (vielleicht einen Tick zu modern für diese Geschichte). Ansonsten verwurzele ich hier Worte des Lobes , lg yamaha |
06.03.2006, 19:28 | #3 |
abgemeldet
|
Hallo yamaha,
vielen Dank für Deine konstruktive Kritik. Deinen ersten Vorschlag habe
ich bereits aufgegriffen und die Formulierung geändert. Den Schluss habe ich jedoch so belassen, da der Erzähler die Vorgänge aus längst vergangenen Zeiten ohne innere Anteilnahme aus der seiner Zeit eigenen nüchternen Betrachtungsweise wiedergibt. Es ist mir klar, dass dieser Übergang damit krass wirkt, aber das ist beabsichtigt. Gruß Albatros |
06.03.2006, 19:59 | #4 |
Gast
Beiträge: n/a
|
RE: Hallo yamaha,
Hallo Albatros,
die veränderte Version mit dem Todesstoß gefällt mir, aber noch besser finde ich, dass Du die *Sachlage* hast bestehen lassen ), denn mit Deiner Erklärung im Gepäck revidiere ich meine anfänglichen Bedenken - hättest kaum einen besseren Begriff wählen können... lg yamaha |
09.03.2006, 07:49 | #5 |
abgemeldet
|
RE: Wurzeln
Hallo Ihr Alle,
es wundert mich, dass bis jetzt nur ein Kommentar von denen kam, die das Gedicht angeklickt haben, da es eine traurige Zeiterscheinung "metaphert". Habt Ihr´s wirklich alle verstanden? Gruß Albatros |
10.03.2006, 05:22 | #6 |
Hallo Albatros,
Das Gedicht liest sich wirklich sehr schön! Ich wollte Dir eigentlich auch schon früher etwas dazu schreiben, aber ich hätte lediglich betonen können, dass es mir gefällt! zu Deiner Frage: ich bin mir nicht sicher, ob ich's "richtig" verstanden habe - ich kann Dir nur sagen, wie ich's verstanden habe... Das Wissen hinzunehmend, dass Du Dich gerne auf biblische Inhalte beziehst, interpretiere ich Dein Gedicht als Bedauern, dass der Glaube immer unwichtiger wird, dass Religion zum Märchen degradiert wird und dass "heilige Stätten" lieber beseitigt werden, anstatt sie zu bewahren. Ich bin nicht bibelfest genug, um auch Details interpretieren zu können... außer, dass mit dem "Weisen" Moses gemeint sein könnte. LG! |
|
10.03.2006, 18:39 | #7 |
abgemeldet
|
Hallo U-hEXe,
fast ein Volltreffer, bis auf den Weisen, damit meinte ich Jesus Christus
als Begründer der christlichen Religion, die ja zur Wurzel des Abendlandes sowohl in spiritueller wie z. B. auch in der Kunst und anderen Bereichen wurde. Und diese unsere Wurzel (Vergangenheit) ließen wir durch un- seren immer mehr um sich greifenden Unglauben göttlichen Dingen ge- genüber, krank werden und werden somit zu Heimatlosen. Gruß Albatros |
11.03.2006, 04:07 | #8 |
*puh*
da hab ich ja grad nochmal Glück gehabt
Nein, im Ernst: danke für die Schilderung Deiner Intention! ...und glaub mir, Jesus war meine "zweite Wahl"... ich dachte aber wg. dem "Auszug in ein unbekanntes Land" an Moses, obwohl der "gewaltsame Tod" ja eigentlich ziemlich eindeutig ist und auch von so einem Laien wie mir verstanden werden sollte LG! |
|
11.03.2006, 11:56 | #9 |
abgemeldet
|
RE: *puh*
Ganz genau ist mit seinem Auszug in ein anderes Land seine Himmel-
fahrt gemeint. Gruß Albatros |
11.03.2006, 17:01 | #10 |
RE: RE: *puh*
zugegeben: darauf wäre ich allerdings nicht gekommen (dass ein so anderes "Land" gemeint ist!)
LG! |
|
24.04.2006, 16:53 | #11 |
RE: Wurzeln
Hi Albatros,
Mir gefaellt der Text auch. Zedern sind wunderschoene Baeume... Strophe drei scheint mir zu bemueht. Ganz schoen viele Meinungen ueber einen Weisen, ueber den die Leute „wenig zu berichten“ wussten. Verlaesst damit ein bischen den Bezugsrahmen der Geschichte. Das Ende dagegen passt wieder die Faust aufs Auge: Der Wechsel im Ton ist klasse getroffen. Da trifft die Sprache politischer Sachdienlichkeit auf die Sprache der Spiritualitaet. (Das geht immer schief...) Allerdings bin ich der Meinung, dass die Wurzeln zu tief sitzen, als dass man sie ganz entfernen koennte. Stained |
|
24.04.2006, 21:58 | #12 |
abgemeldet
|
RE: Wurzeln
Hallo StainedGlass,
danke für Dein positives Echo, nachdem ich das Gedicht schon fast "ver- gessen" hatte. Zedernholz ist zudem sehr haltbar, da es ein Öl in sich birgt. Es wurde daher auch bspw. beim Tempelbau in Jerusalem verwendet. Das in Strophe 3 sollten auch gewisse Mutmaßungen sein, und gemes- sen an dem, was man über diesen "Baumpflanzer" wissen könnte, ist es trotzdem sehr wenig, und es wird immer weniger. Leider verlieren wir unsere Wurzeln trotzdem immer mehr, nur bei we- nigen bleibt dieses Wissen noch verhaftet, das sind die, die noch an Gott glauben und dieses Glaubens auch leben. Bei den anderen verblasst dagegen die Erinnerung, oder das Wissen wird gar nicht mehr durch die Umwelt (Eltern/Gesellschaft) vermittelt. Gruß Albatros |