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Alt 02.07.2006, 11:29   #1
cute_fighter
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 1.123


Standard Meer der Zeit

Meer der Zeit

Verzweiflung umklammerte ihr Herz. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, doch sie war viel zu beschäftigt, ihren Körper mit panischen Bewegungen über Wasser zu halten. Der endlose Strom der Zeit riss sie immer weiter, weiter hinaus in das leere, weite Meer. Immer weiter weg von dem rettenden Strand, dem Ufer auf dem sie noch vor wenigen Minuten gestanden hatte.

Blicklos beobachteten ihre Augen das nahe, unbeschwerte Treiben auf den Straßen. Menschen hasteten hin und her, Autos rollten in ihrem gewohnten Alltagstrott durch die Gegend. Kinder spielten unbeschwert auf den unbefahrenen Sackgassen oder jagten über den Bürgersteig, was ihren Eltern oft einen panischen Angstanfall eintrieb.
Wie konnte die Welt so unbeschwert weiter leben? Wussten sie nicht, wie es war, wenn einem etwas genommen wurde? Die Tiefe der Seele plötzlich leer und kalt war und man sich nach dem Sinn des Lebens fragte? Bestimmt hatten schon viele dieser Menschen, wenn nicht sogar alle, etwas ähnliches erlebt.
Vielleicht gehörte es einfach zum Leben.
Doch dann fragte sie sich wieder, wie sie jetzt so unbeschwert und ja, glücklich sein konnten. Dieses Gefühl hatte sie sich nur noch für besondere Momente ausgespart, auch wenn der Rest der Welt es vielleicht nicht sah. Jeden Moment, den ihre Gedanken Zeit hatten, befühlten sie wieder die Wunden, die leeren Schätze ihres Inneren.
Ausgeplündert, traurig und leer.
Doch die Welt zog weiter.
Die Zeit blieb niemals für sie stehen.
So wie die Sonne jeden Morgen aufging, ging sie jeden Abend wieder unter. Musste sie nun durch die Nacht waten? Einfach warten, dass die Sonne noch mal für sie scheinen würde oder musste sie feststellen, dass sie in eine unendlich tiefe Höhle geschritten war, in der es keinen Morgen mehr geben würde?
Sie wusste, dass sie das Schicksal nicht umschreiben konnte, so gern sie auch einfach zu einer Feder gegriffen hätte und die letzten Seiten mit schwarzer Tinte durchgestrichen hätte. An ihre Stelle neue Buchstaben gesetzt hätte.
Ihre eigene Welt mit ihren Wörtern gewebt hätte.
Sie wusste, es war unmöglich und trotzdem glomm in ihre eine Kerze auf. Eine winzige und zitternde Kerze, deren Docht noch sehr kurz war. Aber sie würde vielleicht wenigstens noch ein paar Tage, vielleicht ein oder zwei Wochen für sie scheinen, wenn er sie nicht mit einem Windstoß auch schon vorher zum erlöschen bringen würde. So wie er es mit dem riesigen, unbezwingbaren Licht in ihr getan hatte. Sie traute es ihm zu und sie wusste, dass sie dem Alltag ihres Lebens nur folgte, weil das Schicksal sie dazu zwang. Sie mitriss, weiter. Immer weiter weg.

Verschwommen konnte sie durch ihre erschöpften Augenlider ein Flimmern am Horizont erkennen. Jemand stand mit erhobener Hand am Ufer und winkte ihr zu. Sie konnte die Gestalt kaum erkennen, doch sie wusste, es war ihre eigene Seele, die ihr vom Ufer seiner Zeit zuschaute, wie sie immer weiter davon getrieben wurde. Sie war der Grund, aus dem sie sich zu leer fühlte. Sie war geblieben, bei ihm. Sie hatte die Zeit abgeschüttelt und sie allein gelassen.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.07.2006, 13:06   #2
Exilya
 
Dabei seit: 01/2006
Beiträge: 289


Liebe Cutie!

Das ist eine wunderschöne geschichte die du hier beschrieben hast, ein mädchen, blickt auf ihr leben und sieht unbeantwortete, ganz menschliche fragen, die keiner weiter beachtet, im bezug auf sich und die (eigene) zeit. Als meisterin der metaphern hast du das meer als fortziehendes, ergreifendes element gut eingesetzt, das einen leider auch von seinem ganz persönlichen ufer abschneiden kann.

Ich hatte mal ein erlebnis mit wasser und gewitter, bei dem ich ähnlich gedacht habe im nachhinein (währenddessen war keine zeit, war mit überleben beschäftigt).

Die Zeit fasziniert und entsetzt mich auch oft (>siehe "Rerine Zeit" ect).
Und dein Text hat gegen ende schon fast existenziell-philosophische fragen aufgeworfen.

Schön geschrieben, ich überlege nur gerade warum du es nicht von einem lyIch hast sprechen lassen? Wäre VLT noch näher zu empfinden für den leser (?)
Es ist wirklich gut geworden!

Liebe Grüße Laurie
Exilya ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.07.2006, 13:18   #3
SalkinII
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 214


Normalerweise scheue ich diese Rubrik, doch ich wollte sehen, was dies hier für ein Werk ist.

Auch wenn mir die Form und Sprache nicht soooo zu sagt muss ich ganz ehrlich sagen:
Der Ramen ist perfekt und sehr genial gewählt. Der übergang zwischen dem ersten Teil der Ramenhandlung und dem zwischen text ist super.

Der Inhalt ist ein Brilliant.

LG S.
SalkinII ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.07.2006, 13:58   #4
cute_fighter
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 1.123


hallo ihr beiden

hmm...ich schreibe nicht gerne aus der Sicht eines lyr. Ichs... das ist irgendwie mehr gewohnheit als Überlegung. Manchmal wage ich es, aber vielleicht scheue ich gerade deshalb davor, weil es dann noch persönlich wird. Denn es gibt viele Freunde von mir, die die Kurzgeschichten auch lesen und durch die "sie"-form ist irgendwie etwas mehr Abstand in dem ganzen. Klar, "ich"-form bezieht man nicht gleich auf den Autor. Ungeschriebenes Gesetz. Aber leider passiert das doch ziemlich oft. Vielleicht hast du recht und es würde mit der ich-Form noch besser rüberkommen. Dazu ist mir der Inhalt aber noch zu persönlich... aber ich muss sagen, ich hätte fast aus dieser Form geschrieben. Also eine berechtigte Kritik.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
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