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Alt 29.06.2006, 16:06   #1
Fauxia
 
Dabei seit: 06/2006
Beiträge: 16


Standard Ein Fragment... Gael

Es wehte ein rauher Wind. Die Sonne über den grauen Schieferbergen war im Begriff unterzugehen, die Nacht kündigte sich an. Gael hockte bewegungslos auf einem Felsen und starrte auf den Horizont. Der Wind spielte mit seinen dunklen Haaren, die selbst im Dämmerlicht einen Stich ins Grüne zeigten, und zerrte an seinen dünnen Kleidern. Aber er fror nicht... hatte er dieses Gefühl jemals kennen gelernt? Die Har‘jel waren an dieses Wetter gewöhnt. Mit einem Blick über seine Schulter vergewisserte er sich, das Kyla inzwischen nachgekommen war. Seine Schwester keuchte und hatte ihre Arme auf die Knie gestützt. „Bei den Göttern und den Drachen und allem, was irgendjemanenden irgendwie heilig ist, Gael.“ Der Junge konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Kyla atmete tief aus und trat an den Felsen, auf dem ihr Bruder hockte. Stirnrunzelnd lehnte sie sich daran. „Still, schau und danke mir später.“ flüsterte er und sah wieder auf den Horizont, hinter dessen Rand sich langsam die riesige Sonnenscheibe schob und im Tode rot aufglühte. Violette Dolche stießen nach ihr, und die Wolkendecke nahmen den selben rotglühenden Farbton an. Es ging rasend schnell... von den Dolchen getroffen, sank die Sonne innerhalb weniger Wimpernschläge hinter die Mauer aus Fels, die jeglichen weiteren Blick versperrte. Kyla blinzelte einmal und öffnete ihre Lippen zu einem stummen Staunen. „Gael.“ hauchte sie und fasste ihn an seinen Arm. Gael nickte nur langsam und schloß die Augen, als der Mantel der Nacht sich über die Berge legte und eine fast unerträgliche Kälte eintrat, schlimmer als der Wind, der in jenem Augenblick aufgehört hatte zu wehen. Ein Rauschen hatte die Luft erfasst, und der Boden unter ihren Füßen began zu vibrieren... erst leise, dann immer stärker. Kylas dunkle Augen weiteten sich ein wenig mehr und hoben ihren Blick zum sternenklaren Nachthimmel hinauf. Die blinkenden Punkte, Nadelstichen auf einem Samtkleid gleich, schienen ihr zuzuzwinkern, doch das Rauschen ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Das Beben unter ihren Füßen schaffte es inzwischen, kleinere Steinbrocken hüpfen zu lassen. Gael legte seine Hand auf die immer noch um seinen Arm gepresste seiner Schwester, ohne die Augen zu öffnen. Das Rauschen wurde unvermittelt zu einem Tosen, und der Wind setzte wieder ein. Und im nächsten Augenblick schob sich eine riesige Silouette vor die Sternenwand und nahm den ganzen Himmel für sich ein. Der Wind hätte Kyla beinahe davongetragen, doch Gaels freie Hand griff nach ihr und drückte sie an seinen Körper. Das gleichmäßige Schlagen mächtiger Schwingen belebte den Wind, und das Tosen drohte ihre Ohren taub zu machen. Das Mädchen wimmerte und starrte das Geschöpf angsterfüllt an. Einen kurzen Moment war es ihr, als würden zwei große goldene Augen ihren Blick erwiedern, bis die Schwingen ein weiteres Mal kräftig schlugen und den Leib des Drachen höher in die Luft hoben. Gael hatte seinen Augen wieder geöffnet und erkannte, wie sich das Licht der Sterne in der glatten Schuppenhaut des Ungetüms brach. Mit eleganten, wellenförmigen Bewegungen seines langen Leibes schob es sich in immer größere Höhen, bis es aus den Blickfeld der Kinder verschwunden war. Das Tosen war vergangen, und auch der Wind hatte sich wieder gelegt. Wie verzaubert sah Gael in die Richtung, in die der Drache entschwunden war. Kyla zitterte am ganzen Leib und schaffte es erst nach einigen Minuten, ihrem Bruder am Hemd zu zupfen. „Du hast mir nicht gesagt, das hier eine Drachenhöhle ist.“ Ihre Stimme bebte, und Gael sah sich von seinen Gedankenbildern fortgerissen. Liebevoll drückte er sie und lächelte. „Wunderbar, nicht?“ Kylas Blick war vernichtend. „Drachen sind groß und fressen uns.“ murmelte sie. „Ach ja? Du bist doch noch hier?“ Mit einem Ruck riss sie sich von ihm los und machte kehrt, den kleinen Trampelpfad nehmend über den sie hergekommen waren. Ihren Bruder würdigte sie dabei keines Blickes und erst recht keines Wortes mehr. In ihren Augen hatte er sie in eine unfaßbare Gefahr gebracht. Was ihre Mutter wohl dazu sagen würde? Verdattert sah Gael ihr nach, wie sie davonstapfte. Seufzend ließ er die Beine baumeln und hob den Kopf zu den Sternen hoch. „Aber ihr versteht das doch, oder?“ hauchte er und nagte an der Innenseite seiner Unterlippe. „Wie das wohl wäre... auf ihren Rücken mit auf ihre Reisen zu gehen... das zu sehen was sie sehen... zu wissen was sie wissen...“ Er seufzte wieder, ein wenig tiefer und rappelte sich langsam hoch. Vielleicht schaffte er es noch, Kyla einzuholen und sie mit seiner Abendbrotration dazu zu bestechen, nichts ihrer Mutter zu erzählen.
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