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| Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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#1 |
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Forumsleitung
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Was treibt euch, mich hängen zu sehen?
Ich bin nur ein Wurm in der Masse, banal und von mittlerer Klasse, zum Dienen geschult statt Verstehen Euch dünkt blaue Tinte als Waffe? Ich schrieb, was von oben befohlen, bestellte das Gift und die Kohlen bei Wein aus geraubter Karaffe. War ich nicht gedrillt, mitzusingen? Doch liebte herzwarm meine Kinder und meine Frau nicht viel minder? Ihr aber schärft eifrig die Klingen Ihr schneidet das Seil, mich zu henken, doch seid selbst nicht rein von Vergehen, weit weg von jedem Verstehen: Auch euch wird der Zeitgeist nichts schenken. Ihr werdet Schuld auf euch laden, die Klagen der Opfer hören, gebetsmühlenartig beschwören: Ich nicht, der Staat hat’s zu tragen Ihr seid nicht einen Deut besser als ich, den ihr anmaßt zu richten, auch ihr katzbuckelt vor Pflichten und liefert den Mitmensch ans Messer. |
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#2 |
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Danke vielmals für die Freude.
Es tut mir leid, dass ich keine Gedichte-Profi bin. Aber es klang total schön für mein Herz und Ohren Jetzt habe ich wieder Zeit und ich freue mich, dass ich hier lesen kann. |
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#3 |
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ich möchte dieses wie immer virtuos gedichtete Textstück doch nochmal als weiteres Beispiel ansprechen, wie die gedachte Aussageabsicht des Verfassers (möglicherweise) von den Deutungen der Leser (oder zumindest eines von ihnen) abweichen können bzw. dort in eine "falsche" Schublade geraten.
Beim Lesen der ersten drei Strophen tauchen vor meinen "inneren Augen" fast unweigerlich in großen roten Buchstaben die Namen Adolf Eichmann und Rudolf Höß (KZ-Kommandant in Auschwitz) auf. Diese wurden ja nach nach dem Krieg gefasst (Eichmann erst 1960 von den Israelis) und haben sich meines Wissens mit den im Text genannten "Argumenten" verteidigt. Das Gift (Zyklon B) und die Kohlen für die Eisenbahntransporte passen bei Eichmann wie die Faust aufs Auge, und bei Höß wurde immer wieder betont, wie vorbildlich er sich um seine Frau und seine Kinder gekümmert hat. Das war ja auch Thema des Kinofilms "The zone of interest" im vergangenen Jahr - genauso wie des sehr viel älteren, aber gleichfalls beeindruckenden Films "Aus einem deutschen Leben" mit Götz George. Selbst die Hinrichtungsmethoden der von mir Genannten werden mehrmals erwähnt: das Henkerseil für Eichmann und die Klinge des Fallbeils für Höß. Nun nennst Du selbst die Namen nicht, und in den folgenden frei Strophen läuft die Aussage des Ganzen in eine andere, allgemeinere (und zeitlose?) Deutung: Dort heißt es im Prinzip ja, wir sind alle Mitläufer, die als Masse immer auf der Suche nach Sündenböcken sind, um sich selbst von der kollektiven Schuld freizusprechen. So nachvollziebar, wie ein solches Verhalten immer wieder und in ganz verschiedenen Zusammenhängen und Gesellschaften aufgetaucht sein dürfte, sind die daraus ableitbaren Deutungen ausgesprochen zwiespältig. Denn zum einen könnte man Aussagen folgern wie: "Ihr (bzw. Wir) sind/seid auch nicht besser als diese Verbrecher und müsst die Konsequenzen ebenfalls tragen:" - aber (nach meinem Empfinden) genauso "Eigentlich waren diese Typen auch nicht schlimmer als wir alle, also kann man sie genauso gut laufen lassen." Natürlich kannst Du sagen "Epilog, Du spinnst, das steht da alles gar nicht." - aber es drängt sich mir als Deutungsmöglichkeit aus Sicht des Lesers auf, und deshalb würde es mich schon interessieren, wie Du als Verfasserin und ggf. auch andere Leser es interpretieren. Vielen Dank und beste Grüße Epilog |
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#4 | |
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Forumsleitung
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Zitat:
Deine Auslegung stimmt von vorn bis hinten. Aber ich meine, das Gedicht auch klar genug verfasst zu haben, um das zu erkennen. |
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