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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 22.07.2022, 18:03   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Abschied von Eden

Empfange von mir die Amphore der Wahrheit
genieße aus ihr meinen ehrbaren Wein,
er lädt dich in göttliche Weltsphären ein
und schenkt dir Erkenntnisse jenseits der Zeit.

Du wirst nach dem Trank nicht derselbe mehr sein,
dein Blick ist dann scharf wie das Auge des Aars,
dein Geist unbestechlich von ruchloser Farce,
die Seele gelassen und quellwasserrein.

Der Preis für den Wein ist wahrhaftig enorm:
Er kostet den Gott, der dein einziger war,
und ihn zu verraten erscheint dir abnorm,
doch dürstet die Frage: Was ist wirklich wahr?

So nimm die Amphore, damit du‘s erfährst!
Sei mutig und streif alte Haut von dir los,
bevor du dich weiter mit Zweifeln beschwerst.
Die Freiheit ist teuer, jedoch grenzenlos.

22.07.2022
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Alt 26.07.2022, 21:30   #2
männlich Anaximandala
 
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Hey Ilka,

dein Gedicht gefällt mir echt gut. Ich bin mir an manchen Stellen in der Interpretation zwar etwas unsicher, aber der Schluss finde ich sehr klar. Man könnte sicher darüber diskutieren, ob es der Glaube an Gott ist, der dem Geist die Fesseln anlegt, oder es am Ende wir selber sind, die uns auf jedem möglichen Weg Ketten anlegen können, oder halt nicht. Aber eigentlich ist das total Banane, viele Wege führen nach Rom und, zumindest wie ich mir vorstelle dass du es meinst, ist es sehr richtig, was du schreibst, die Religionen ketten die Geister.
Was mich verwirrt sind die ersten beiden Strophen, die absolute Deutlichkeit im Sinne von trink einen Schluck und zack scharfer Blick, unbestechlicher Geist, quellwasserreine Seele.

Außerdem die göttlichen Sphären und die Erkenntnisse jenseits der Zeit. Das hat ja schon im mindesten einen esoterischen spirituellen Charakter, wo am Ende doch Gott abgeschworen werden soll. Obwohl die Frage natürlich ist, liegt der Akzent auf dem _einzigen_ Gott, der Religion, dem Glauben, der Kirche, ...
oder ist es nur ein Sinnbild, das die Bedeutung der Erkenntnis untermauern soll? oder lieg ich voll daneben

Steckt eigentlich ein Sinn dahinter, dass die erste Zeile, die ja davon spricht die Amphore der Wahrheit zu empfangen, aus dem Schema ausbricht und 12 statt 11 Silben hat? Ich hab mich schon bei einem anderen Gedicht von dir gefragt, ob die Brüche im Metrum (dort) nicht bewusst gesetzt sind und einen Zweck erfüllen. Zumindest schätze ich dich nicht so ein, dass du so etwas einfach verschlust. Gerade weil der Rest ja sauber und regelmäßig ist, könnte das auch ein Wink auf die Wahrheit sein.
Und die Farce verwirrt mich, wird der Geist unbestechlich gegenüber ruchloser Farce, oder zwar unbestechlich, aber doch nur ruchlose Farce.
Also in Form, Metaphorik und Klang finde ich deine Zeilen klasse, sie haben bei mir widergehallt.
Aber vom Inhalt wird entweder die Aussage "sag dich von Gott los und finde (die wahre) Erkenntnis und teure aber den Preis wert seiende Freiheit" zu absolut und mit (teils, in meinem Verständnis) widersprüchlichen Bildern getroffen, oder der Sinn liegt nicht in den Worten und dem, was sie als Sinn ausdrücken.
Oder ich liege einfach voll daneben, seh den Wald vor lauter Bäumen nicht und schreibe Stuss.

Trotz alledem, der Text hat mich gepackt und ich hab gerne drüber nachgedacht. Sei es nun treffend oder voll daneben.

Liebe Grüße

Geändert von Anaximandala (26.07.2022 um 22:57 Uhr)
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Alt 26.07.2022, 23:19   #3
weiblich Ilka-Maria
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Guten Abend, Anaximandala,

was die Silbenzahl angeht, gibt es Fälle, wo es ohne Kompromiss nicht geht. Natürlich habe ich alle Möglichkeiten, die zu denken mein Kopf fähig war, erforscht und eine möglichst saubere Lösung gesucht, aber keine andere gefunden, die mich zufriedengestellt hätte. Ich bin mittlerweile auch davon abgekommen, das Perfekte anzustreben, wenn sich dabei herausstellt, dass es dennoch lausig klingt.

Der Sinn bzw. die Metapher hinter dem Inhalt ist völlig simpel: Nimm für den Wein und die Erkenntnis ("Im Wein ist Wahrheit") Evas Apfel und als Preis für die Erkenntnis die Vertreibung aus dem Paradies. Du bist frei, aber von Gott verlassen und auf dich allein gestellt. Und schon hast du die ganze Geschichte. Eigentlich doch gar nicht schwierig.

Danke für dein Interesse an dem Gedicht und noch einen schönen Abend.

Ilka
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Alt 27.07.2022, 02:23   #4
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Ich glaube verkehrt ist es nicht, auch mal die 3 gerade sein zu lassen. Hier fallen die 12 Silben in Zeile 1 im Sprachfluss eigentlich garnicht auf.
Ich bin selber viel zu sehr Perfektionist, als dass es gut wäre, vielleicht schaffe ich es ja mal, mir eine kleine Scheibe abzuschneiden von dem Ansatz.


Ok, jetzt wo du es sagst, ist es wirklich sehr schlüssig, ich hätte dem Titel wirklich etwas mehr Aufmerksamkeit schenken sollen.

Das ganze ist ein spannendes Thema, ich glaube im Judentum gab es unter anderem den Ansatz, dass der Apfel vom Baum der Erkenntnis kein Fehler war, sondern notwendig.
Um Gottes Ebenbild zu werden, brauchte der Mensch die Freiheit, auch gehen Gott zu entscheiden und mündig zu werden oder so.

Ein anderer, ganz witziger, Gedanke: wenn nach chrichtlicher Vorstellung Gott Glauben und blinden Gehorsam gefordert hat, besonders im Kontext dazu, dass die Kirche getan hat, was sie eben so getan hat, dann ist es in der Logik der Christen der Teufel gewesen, der uns das Wissen gebracht hat. Und damit dann die Sicherheit, Medizin, Kultur und das gute Leben.
Mit der Argumentation schafft man sich Freunde.

Aber das nur am Rande, mal raus aus den christlichen Konzepten.
Ich glaube man könnte endlos lang aufdröseln, was für ein großes Geschenk der Apfel vom Baum der Erkenntnis doch war, in dem Sinne sind deine Zeilen wirklich sehr treffend geschrieben. Gott hin oder her, die Erkenntnis ist es, die uns zu Menschen macht.

Gute Nacht
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Alt 27.07.2022, 06:55   #5
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Anaximandala Beitrag anzeigen
Das ganze ist ein spannendes Thema, ich glaube im Judentum gab es unter anderem den Ansatz, dass der Apfel vom Baum der Erkenntnis kein Fehler war, sondern notwendig.
Um Gottes Ebenbild zu werden, brauchte der Mensch die Freiheit, auch gehen Gott zu entscheiden und mündig zu werden oder so.
Man muss Gott nicht wörtlich, sondern kann ihn als Metapher nehmen für kindliche, naive Unschuld, die den Menschen wie einen Schutzwall umgibt. Natürlich gibt es keinen anderen Weg, als im Laufe der Adoleszenz aus dieser Schutzzone auszutreten, wenn man mündig werden und die Welt als Ganzes begreifen will.

LG
Ilka
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Alt 27.07.2022, 08:38   #6
männlich Heinz
 
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Liebe Ilka-Maria,
mit fiel sofort das Lied aus Lortzings Oper Undine ein: "Im Wein ist Wahrheit nur allein". Die Lateiner haben noch kürzer gefasst: "In Vino Veritas!"
Mit Deinem Gedicht sprichst Du eine uralte Weisheit aus, die uaf den griechischen Dichter Alkaios zurück geht. Und Tacitus schrieb von den Germanen, dass sie bei ihren Ratssitzungen immer Wein tranken. weil Betrunkene nicht lügen können.
Wie dem auch sei: Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein und Prost!
Liebe Grüße,
Heinz
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