Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Philosophisches und Nachdenkliches

Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 13.10.2022, 20:22   #1
männlich Dionysos von Enno
 
Benutzerbild von Dionysos von Enno
 
Dabei seit: 07/2021
Alter: 47
Beiträge: 274

Standard Maler meines Landes

Maler meines Landes du kennst der Heimat dunkle Farben
Du hast sie selber doch dort an mein Seufzen hingemalt!

Warum malst du dann nicht meine Wunden, meine Narben

Wofür hast du all das Schwarz denn aufgespart ..

Maler meines Landes ich weiß das Weiß ging in das Grinsen unserer Toten

Das Weiß ist alles in den schwarzen Mond gefallen-

-,der nicht mehr scheint und unsere Lieder kennen nur noch dunkle Noten
die rot und blutend in den Mündern hallen

Warum sparst du dann an unseren Wunden unseren Narben
all das Schwarze das uns auf diesem Pinsel blank verhöhnt

Mit all dem Schwarz kannst du uns übermalen
und alle Farben wären dann in deinem Schwarz
versöhnt ,—-
Dionysos von Enno ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.10.2022, 01:23   #2
weiblich Donna
 
Dabei seit: 02/2020
Beiträge: 406

Uiuiui, lieber Dionysos von Enno,

düsterer gehts nimmer, was für ein kraftvolles Schwarz! Black is beautiful. Dabei ist es immer eine Übergangsfarbe.
Soll hier das dunkle Kapitel eines Landes künstlerisch dargestellt werden? Eine Erinnerungskultur, für das Leid, die Wunden und die Toten? Offenbart sich uns hier die Heraufbeschwörung des alles übermalenden Schwarzmalers?
Sind es die Erinnerungen?
Wo bleibt der kleine Spatz, oder der kleine Hoffungszweig, der uns zumindest die Katharsis miterleben lässt?
L.G. Donna
Donna ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.10.2022, 06:02   #3
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.114

Lieber Dionysos,

spontan haben mich deine Verse an den Künstler Arnulf Rainer erinnert, der durch seine mit Schwarz übermalten Bilder bekannt wurde. Im Frankfurter Städel hatte ich mal vor Jahrzehnten eine Sonderausstellung darüber gesehen. Präsentiert waren vorwiegend Marien-Darstellungen, die wie mit einer Farbrolle für Anstreicher teilweise übermalt waren. War nicht mein Fall, womit ich nicht allein zu stehen schien, denn bezeichnenderweise stand bei jedem der Bilder "im Besitz des Künstlers". Seitdem stehe ich jeglicher "Schwarzmalerei" (Mark Rothko ausgenommen) kritisch gegenüber.

LG
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.10.2022, 09:48   #4
männlich Dionysos von Enno
 
Benutzerbild von Dionysos von Enno
 
Dabei seit: 07/2021
Alter: 47
Beiträge: 274

Liebe Donna,

vielen Dank für Deinen profunden Kommentar, der in meinem Verständnis das gleichsam Progressive, wie Regressive der Farbe Schwarz wunderbar auf den Punkt bringt. Du fragst, wo der "kleine Spatz", der "kleine Hoffnungszweig" bleibt. Ich bin geneigt zu sagen, es steckt alles in der Potentialität, der nicht mehr weiter zu treibenden Reduzierung. Allerdings gebe ich Dir Recht: es bleibt eine Anspannung, da wir nicht wissen ob und wenn ja wie der Künstler das "aufgesparte Schwarz" einsetzen wird.


Liebe Ilka,

vielen Dank für Deine Eindrücke und die Brücke zu Arnulf Rainer, für den Übermalungen nach eigener Aussage die Besessenheit sind, etwas immer noch weiter zu verbessern, ebenso aber auch die Suche nach Stille und Kontemplation. Er selber war nach dem Übermalen einer Grafik Helene Papes polizeilich seitdem auch als "Anschwärzer" bekannt. Nun, mir selber sagt sein Stil auch nicht zu.

In meinem Gedicht könnte ich mir eine Reminiszenz an Kasimir Malewitsch vorstellen. Für ihn war das Schwarz ja Ausdruck nicht weiter zu reduzierender Klahrheit und "reinen Empfindung".

Mich selber haben folgende Gedanken beeinflusst:

1. Der „Maler meines Landes“ kann m.E. sehr gut als kulturelles Gedächtnis oder kollektives Identitätsgespinst gedeutet werden, wie auch Donna es ausdeutet. Ich selber hatte einen berühmten Maler des Landes vor Augen, der sich nicht vollständig zu dem gemeinsamen „Erbe“ bekennen will. Möglicherweise schämt er sich für die eigenen Wunden und Narben, will die verletzte, markante, gelebte Seite nicht so offenbaren, wie er es eigentlich aufgrund seiner Kunstfertigkeit problemlos könnte, will nicht bedingungslos ehrlich sein, was als Künstler aber unabdingbar ist, um Rapport zu erzeugen, um Aspekte von Wahrheit einzufangen, meiner Meinung nach.

2. Das LI, von dem wir erfahren, das es gemalt wird, zeigt sich für diese Zurückhaltung verständnislos, fast zärtelnd bedauernd, jedenfalls nicht vorwurfsvoll, eher traurig ob der Tatsachen.

3. Das Schwarz kann sehr gut für etwas Unbekanntes stehen. Es kann auch als Farbe des Todes ein Wandlunssymbol einleiten bzw. „energetisieren“. Man kann es insofern regressiv deuten, kann es aber auch proaktiv in die Zukunft hinausdeuten. Dann könnte das Schwarz auch für all die identitären Eigenschaften stehen, die der Maler verleugnet, jedenfalls aber zurückhält, seinem Bild vorenthalte will. Sie verhöhnen ihn, und „mein Land“.

4. Das Zusammenlaufen der Farbaspekte in der gedachten Harmonie oder Entropie des Einsetzens all des aufgesparten Schwarz kann man wahrlich in verschiedene Richtungen deuten. Ich selber dachte auch nicht an ein rein positives „Vereinigen“, denn beim übermalen geht ja alles bis dahin ausgearbeitete völlig verloren und es bleibt eine „schwarze Einheit“, eine undifferenzierte Weite, die in jedem Fall ein Rückschritt vom figürlichen, differenzierten ist. Möglicherweise gibt das LI dem Maler die Antwort auf die Frage, warum dieser das ganze schwarz aufgespart hat auch in diesem letzten Vers.

5. Die ideale Formatierung sollte möglichst neutral, nüchtern in einer Einheitsschriftart bei der alle Zeichenabstände gleich sind gewählt werden. Die Schrift sollte vermitteln für mich eine gewisse Neutralität, die benötigt wird, um die durch Zeichensetzung und Auslassung angesprochene Gefühlswelt zu verstärken bzw zu betonen. Die Zeichensetzung vermittelt das Gefühl von Weite, Auslassung, Einatmen, Stille, Anhalten, Ausklingen lassen etc. und ist ein wunderbares Werkzeug um eine zweite Ebene neben dem geschriebenen in ein Gedicht „einzuziehen“.

6.Die Auslassung zwischen "in den schwarzen Mond gefallen" und "der nicht mehr scheint" sollte die ausgelassene Schwärze aufnehmen, die sich im Text in der Auslassung im „Nichts“ zwischen den beiden Spiegelstrichen wiederfindet. In dieser Stille zwischen -in den schwarzen Mond gefallen / und -der nicht mehr scheint.. wird in meiner Vorstellung der Leser in das Gedicht einbezogen und befragt. Es ist eher als Ausdruck einer Gedankenpause, eines Nachklingens der Bilder und eines Blickkontaktes mit dem Leser gemeint gewesen.

7. So gesehen kann das Gedicht auch streiten für ein Bekennen zu unbequemen Wahrheiten in gewisser Weise. Die Rohheit des Inhalts sollte aus meiner Sicht nicht zu sehr geschliffen werden durch ein süßes Verschnalzen im Stilistischen.

Ich danke euch für eure Besprechung

mes compliments

Dionysos
Dionysos von Enno ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Maler meines Landes



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
In den Weiten eines Landes Gylon Lebensalltag, Natur und Universum 0 22.12.2018 20:50
Der Prinz des schiefen Landes Goethes Schüler Geschichten, Märchen und Legenden 0 07.03.2017 15:20
Fundus "landes dampf" Richard L. Sonstiges und Experimentelles 9 13.09.2015 16:23
Maler im Dunkeln Perry Düstere Welten und Abgründiges 2 08.01.2009 14:55


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.