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Liebe, Romantik und Leidenschaft Gedichte über Liebe, Herzschmerz, Sehnsucht und Leidenschaft.

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Alt 18.02.2022, 00:51   #1
Ex-Pennywise
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Standard Die Frau von der anderen Seite des Sees

Sie sitzt auf dem Steg und berührt jeden Abend
das Wasser zuerst mit der Spitze des Zehs.
Man sieht sie im spiegelnden Himmel dann badend,
die Frau von der anderen Seite des Sees.
Schon reif ist der Sommer, es schleichen sich Farben
des Herbstes -noch schüchtern- an manches Geäst.
Sie würde mir fehlen an lichtlosen Tagen,
so sicher wie Laub bald die Bäume verlässt.
Es glitzert das Wasser im Spätsommerschimmer,
sie steigt aus dem See und ihr Blick schweift zu mir.
Geblendet vom Licht schaut sie weg und wie immer
bleib ich ihr verborgen im Jetzt und im Hier.
Wenn schließlich das Leuchten des Mitternachtsmondes
das Dach ihrer Hütte mit Silber verziert,
folg´ ich meinem Herzen, verlasse Gewohntes
und schwimme mit Sehnsucht beladen zu ihr.
Das Licht aus dem Innern stellt Gold in ihr Fenster,
es dient mir als Kompass in dunkelster Stund.
Doch bindet das Schicksal ans Grab uns Gespenster
und meines bleibt ewig der modrige Grund.

Geändert von Ex-Pennywise (18.02.2022 um 08:58 Uhr)
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Alt 18.02.2022, 04:54   #2
männlich Krebsgestoeber
 
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Beiträge: 313

Lieber Pennywise,

spannend, wie das Gegenlicht aus menschlichen Silhouetten Gespenster machen kann. Die Licht- und Wassermetaphorik in deinem Gedicht ist erstklassig. Eine unkonventionelle Liebesgeschichte, die sich am Ende als Geisterbegegnung entpuppt. Das Licht und das Wasser - zwei verbindende und trennende Elemente zugleich. Diese Idee ist so gut, dass ich gerade Lust bekommen habe, sie zu klauen.

Wenn da nicht die letzten Verse wären, in denen du massiv nachlässt:

Zitat:
Zitat von Pennywise Beitrag anzeigen
Das Licht aus dem Innern stellt Gold in ihr Fenster, || Die Hütte als Bezugsobjekt für das Innere ist hier schon etwas verblasst, da der letzte Satz mit der Sehnsucht des lyrischen Ichs und "ihr" endet. Die Metapher an sich ist stark.
es dient mir als Kompass in dunkelster Stund. || Dieses Bild finde ich ausgelutscht.
Doch bindet das Schicksal ans Grab uns Gespenster || Bezeichnest du das lyrische Wir als Gespenster, oder sind es Gespenster, die dem lyrischen Wir das Schicksal ans Grab binden?
und mich umarmt ewig der modrige Grund. || Hier stolpere ich bei "umarmt" in der Doppelsenkung. Das -armt zwingt förmlich zum betonten Lesen. Vielleicht: "und mich hält auf ewig der modrige Grund" oder "drum hält mich auf ewig der modrige Grund"? Die letzte Option klingt metrisch sauberer, aber unterstellt einen Begründungszusammenhang, der vermutlich nicht gewollt ist.
Die Pointe, dass es sich um die Begegnung zweier Ertrunkener nach ihrem Ableben handelt, finde ich - wie schon gesagt - stark (sofern es so gemeint ist). Technisch würde ich die letzten paar Verse aber noch mal auf die Werkbank legen. Sie werden dem Rest nicht gerecht.

Beste Grüße
Krebsgestoeber
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Alt 18.02.2022, 05:25   #3
weiblich Ilka-Maria
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Eine klasse, wortgewaltige Ballade!

Ich habe aber drei Anmerkungen:

Zitat:
Man sieht sie im spiegelnden Himmel dann badend,
Sie badet ja nicht im Himmel, sondern im Wasser, das den Himmel spiegelt. Man könnte also formulieren: "Man sieht sie im Himmelsgespiegel dann badend ...".

Zitat:
Sie würde mir fehlen an lichtlosen Tagen,
so sicher wie Laub bald die Bäume verlässt.
Hier ist mir der Zusammenhang nicht klar. Ist vielleicht gemeint: "wie auch das Laub bald die Bäume verlässt"?

Zitat:
Doch bindet das Schicksal ans Grab uns Gespenster
und mich umarmt ewig der modrige Grund.
Die beiden letzten Verse ergeben für mich kein Bild, das zu dem Versen davor passt. Da ist vom Element des Wassers die Rede. Jetzt kommt plötzlich das Erdige ins Spiel. Das irritiert.

Insgesamt jedoch bleibe ich dabei: Stark gedichtet!

LG
Ilka
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Alt 18.02.2022, 09:30   #4
männlich Epilog
 
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Standard Drunter und drüber

Zitat:
Zitat von Krebsgestoeber Beitrag anzeigen
Die Pointe, dass es sich um die Begegnung zweier Ertrunkener nach ihrem Ableben handelt,
Für mich scheint klar, dass die Badende hier nicht ertrunken ist, sondern jeden Abend erst den Zeh ins Wasser tunkt, um dann eine Runde zu schwimmen. Das LyrI wiederum ist das Gespenst eines Ertrunkenen und beobachtet das vom Grunde des Sees. "Die andere Seite des Sees" deutet für mich also den Gegensatz zwischen "über und unter der Wasseroberfläche" an. Und "uns Gespenster" in der vorletzten Zeile würde somit nicht die Gemeinschaft der beiden Protagonisten ansprechen, sondern die Zugehörigkeit des LyrI zur großen unsichtbaren Gruppe der entleibten Geister. Den "modrigen Grund" finde ich auch nicht sooo unpassend, wenn man an den schlammigen Boden des Gewässers denkt, welcher die ruhelose Seele wahrscheinlich immer stärker an sich zu binden versucht ...

Dass das von der Wortwahl wie auch der Idee her einsame Klasse ist, muss wohl kaum nochmals betont werden.

Einen schhönen Freitag wünscht euch

EPI
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Alt 18.02.2022, 14:10   #5
Ex-Pennywise
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Moin zusammen,

@ Krebsgestoeber

Epilog hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Es gibt in meiner Version der Geschichte nur einen Geist, der eine über den ganzen Sommer täglich stattfindende Szenerie voller Sehnsucht beobachtet. Ob er die Badende sogar kennt? Das überlasse ich jedem selbst.
Die Hütte sehe ich nicht als Bezugsobjekt, sondern wirklich als Hütte und das Licht ist ein wirklicher physisch existenter Kompass, der das lyrische Ich jede Nacht anzieht. Die letzte Strophe habe ich tatsächlich geändert.
Ein nachlassen der letzten Verse sehe ich nicht. Das ist allerdings Geschmackssache. Ich wollte einen schleichenden Stimmungswechsel vom schönen Sommerabend bis hin zur Nacht schaffen und habe angefangen die Melancholie zu steigern.
Der letzte Vers befasst sich bewusst mit dem modrigen Grund als Kontrast zu der schön anmutenden Szenerie am Anfang.
Ich werde hier nicht mehr Hand anlegen, da ich denke, dass ich es nicht verbessern kann. Das heißt nicht, dass es für mich perfekt ist. Das ist es glaube ich nicht, denn der Hintergedanke, den ich am Anfang der Idee hatte, ist in eine andere Richtung gegangen.

@ Ilka

Was den spiegelnden Himmel betrifft, habe ich das wirklich bewusst gewählt. Das lyrische Ich sieht ein Bild, das eine Frau zeigt, die im Himmel zu schwimmen scheint.
Die Passage mit dem Laub soll keinen Vergleich zum Verlassen von den Blättern zur Baumkrone darstellen. Sie soll viel mehr den Fakt unterstreichen, dass die Badende fehlen würde und das ist so sicher, wie das Laub aufgrund der Jahreszeit bald die Bäume verlässt. So war es zumindest gemeint.
Die Wortwahl des Endes habe ich weiter oben Krebsgestoeber erklärt. Ich wollte den Bruch. Ob er zu heftig wirkt, weiß ich nicht genau.

@ Epilog

Das was Du schreibst war genau das worauf ich hinauswollte. Es gibt nur einen Geist in der Geschichte. Unsere Interpretationen decken sich total, außer dass die andere Seite nicht nur unter der Wasseroberfläche stattfindet. Ich fand das Bild schön, dass das lyrische ich am schönen Sommertag am anderen Ufer zeigt. Leicht verschwommen und von der anderen Seite nicht wahrnehmbar. Auch durch das Glitzern des Wassers. Aber im Grunde passt beides.

Ich wollte eigentlich in eine ganz andere Richtung. Das hat auch dafür gesorgt, dass dies hier die längste Zeit beim Lyrikschreiben für mich veranschlagt hat. Ich habe wochenlang geschrieben und gelöscht und dabei hätte ich echt schreien können. Die erste Idee war die eines Traums und das ganze sollte eine einzige Metapher sein, die sich jede Nacht im Schlaf wiederholt. Dann ist es in diese Richtung gegangen. Das führte dazu, dass ich nicht alles unterbringen konnte, so wie ich es gern gewollt hätte.
Umso schöner, dass es in Teilen dann doch gefällt.
Danke Euch fürs Lesen.
Hat mich sehr gefreut.

Gruß

Pennywise
Ex-Pennywise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.02.2022, 23:05   #6
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Hey Pennywise,

Coole Story!
Der Himmel spiegelt nicht, das Wasser spiegelt, der Himmel wird gespiegelt im Wasser.

Du könntest auch "gereift" statt "schon reif" schreiben.

Besonders gelungen:
"Wenn schließlich das Leuchten des Mitternachtsmondes
das Dach ihrer Hütte mit Silber verziert,"

Schöne Verse, wirklich.

Ursprünglich dachte ich, die Verwendung des Rhythmus passt nicht ganz zum Gedicht, aber je öfter ich es las, gefiel es mir umso besser.
Ob Gewöhnung oder passend, es fügt sich.

Ich hab eh eine Schwäche für Moore, Gespenster und co ...

Liebe Grüße!
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.02.2022, 00:46   #7
Ex-Pennywise
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Moin MiauKuh,

erst jetzt sehe ich, was Ilka und Du meinen. Ilkas Variante bietet eine elegante Lösung. Himmelsgespiegel gefällt.
Ja, gereift könnte man schreiben. Aber ich denke, das ist Geschmackssache.

Sag mir bitte mal, was Dich anfänglich am Rhythmus gestört hat. Also in wiefern er nicht zum Gedicht gepasst hat. Würde mich interessieren woran das lag.

Ich denke, wir teilen diesen Faible für Spuk und Mystik. Vor Allem wenn dem eine gewisse Romantik innewohnt.

Danke fürs Lesen und Kommentieren

Pennywise
Ex-Pennywise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.02.2022, 00:59   #8
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Pennywise Beitrag anzeigen
erst jetzt sehe ich, was Ilka und Du meinen. Ilkas Variante bietet eine elegante Lösung. Himmelsgespiegel gefällt.
Ich wollte gar nichts mehr dazu schreiben. Aber jetzt scheint der Groschen ja doch gefallen zu sein.
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Alt 19.02.2022, 01:04   #9
Ex-Pennywise
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Schade, dass ich es nicht mehr ändern kann, weil die 12 Stunden herum sind. Ist das, wie ich es beschrieben habe von der Formulierung her eine Grauzone? Denn wenn es das nicht wäre, dann würde mich das doch erheblich stören.

Gruß

Pennywise
Ex-Pennywise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.02.2022, 01:09   #10
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Ich kann die Änderungen für dich machen. Du musst mir nur mitteilen, wie du sie haben willst.
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Alt 23.02.2022, 11:53   #11
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Zitat:
Zitat von Pennywise Beitrag anzeigen
Sag mir bitte mal, was Dich anfänglich am Rhythmus gestört hat. Also in wiefern er nicht zum Gedicht gepasst hat. Würde mich interessieren woran das lag.
Hey!

Technisch ist es absolut einwandfrei, daran gibt es für mich keinen Zweifel.
Was ich rhythmisch erst als unpassend empfinde, kann ich nicht mehr sagen, weil mir selber nicht genau klar ist, was mir daran als nichtpassend erschien.

Wenn ich geradeausfrei reden dürfte wäre es:
Der Rhythmus passt nicht zum Gedicht,
aber erklären warum: dass kann ich dir nicht.

Aber vielleicht stelle ich mal mir selber gegenüber, die wahrhaft wunderschönen Verse:

"Wenn schließlich das Leuchten des Mitternachtsmondes 1 2 1 2 1 5
das Dach ihrer Hütte mit Silber verziert," 1 1 2 2 1 2 2

(anspruchsvollere bzw. längere Wortlängen)

Das ist perfekt passend für so einen Rhythmus, in meinen Augen.

Gegen den Anfang:

"Sie sitzt auf dem Steg und berührt jeden Abend 1 1 1 1 1 1 2 2 2
das Wasser zuerst mit der Spitze des Zehs." 1 2 2 1 1 2 1 1

Ich glaub ich habs!

Das zieh ich jetzt mal , der Konsequenz halber für das ganze Gedicht durch und vielleicht ist das ja nur am Anfang so komisch und daher mein Gefühl, was "anfangs" unangenehm war und dann besser wurde, was den Rhythmus angeht:

Sie sitzt auf dem Steg und berührt jeden Abend
1 1 1 1 1 1 2 2 2
das Wasser zuerst mit der Spitze des Zehs.
1 2 2 1 1 2 1 1
Man sieht sie im spiegelnden Himmel dann badend,
1 1 1 1 3 2 1 2
die Frau von der anderen Seite des Sees.
1 1 1 1 3 2 1 1
Schon reif ist der Sommer, es schleichen sich Farben
1 1 1 1 2 1 2 1 2
des Herbstes -noch schüchtern- an manches Geäst.
1 2 1 2 1 2 2
Sie würde mir fehlen an lichtlosen Tagen,
1 2 1 2 1 3 2
so sicher wie Laub bald die Bäume verlässt.
1 2 1 1 1 1 2 2
Es glitzert das Wasser im Spätsommerschimmer,
1 2 1 2 1 5
sie steigt aus dem See und ihr Blick schweift zu mir.
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Geblendet vom Licht schaut sie weg und wie immer
3 1 1 1 1 1 1 1 2
bleib ich ihr verborgen im Jetzt und im Hier.
1 1 1 3 1 1 1 1 1
Wenn schließlich das Leuchten des Mitternachtsmondes
1 2 1 2 1 5
das Dach ihrer Hütte mit Silber verziert,
1 1 2 2 1 2 2
folg´ ich meinem Herzen, verlasse Gewohntes
1 1 2 2 3 3
und schwimme mit Sehnsucht beladen zu ihr.
1 2 1 2 3 1 1
Das Licht aus dem Innern stellt Gold in ihr Fenster,
1 1 1 1 2 1 1 1 1 2
es dient mir als Kompass in dunkelster Stund.
1 1 1 1 2 1 3 1
Doch bindet das Schicksal ans Grab uns Gespenster
1 2 1 2 1 1 1 3
und meines bleibt ewig der modrige Grund.
1 2 1 2 1 3 1

Aus der Analyse der Silbenlängen pro Wort und dem Rhythmus wird mir klar, warum mir das Gedicht anfangs nicht gefiel:

Es gibt wenig Wortlängen-Dynamik in manchen Versen.
Ich persönlich mag verschiedene Wortlängen in einem Satz.
Das heißt mir werden Zeilen, die nur aus Einzellern bestehen, missfallen (es sei denn es ist künstlerische Absicht):

1. "sie steigt aus dem See und ihr Blick schweift zu mir."
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

2. "Das Licht aus dem Innern stellt Gold in ihr Fenster,"
1 1 1 1 2 1 1 1 1 2

3. "Sie sitzt auf dem Steg und berührt jeden Abend"
1 1 1 1 1 1 2 2 2

stelle ich als sprachlich ohne größere Dynamik gegenüber zu:

4. "Wenn schließlich das Leuchten des Mitternachtsmondes"
1 2 1 2 1 5

5. "Es glitzert das Wasser im Spätsommerschimmer,"
1 2 1 2 1 5

6. "und schwimme mit Sehnsucht beladen zu ihr."
1 2 1 2 3 1 1

Bei 4. und 5. ist der Wortaufbau im gesamten Vers sogar gleich.

Nicht, dass irgendjemand sowas mit Absicht vorher entscheidet, es klingt aber schön und löst in meinem Ohr das Wohlgefühl aus, das ich bei manchen Gedichten besonders mag.

Kurz gesagt: mit stark wechselnden verschiedenen Wortlängen zu schreiben, verursacht in meinem Gehör das Gefühl, dass der Rhythmus passt.

Ich revidiere daher meine Aussage:
Nicht der Rhythmus passt nicht zum Gedicht!
Sondern:
Der Rhythmus ist nicht schön genug für das Gedicht.

Die Auswertung hat auch mich ein Stück weitergebracht.

Liebe Grüße
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.02.2022, 12:45   #12
weiblich Zaubersee
 
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Hallo Pennywise,


das gefällt mir aber außerordentlich und ist direkt zu meinen Favoriten gewandert.

Ich habe einige Füllwörter gefunden, die entbehrlich sind, aus meiner Sicht.
Aber egal wie Du das sehen magst, Favorit bleibt Dein Gedicht für mich so oder so.




Zitat:
Die Frau von der anderen Seite des Sees


Sie sitzt auf dem Steg (und) berührt jeden Abend
das Wasser zuerst mit der Spitze des Zehs.
Man sieht sie im spiegelnden Himmel ( dann) badend,
die Frau von der anderen Seite des Sees.
Schon reif ist der Sommer, es schleichen sich Farben
des Herbstes (noch )schüchtern- an manches Geäst.
Sie würde mir fehlen an lichtlosen Tagen,
so sicher wie Laub (bald) die Bäume verlässt.
Es glitzert das Wasser im Spätsommerschimmer,
sie steigt aus dem See (und) ihr Blick schweift zu mir.
Geblendet vom Licht schaut sie weg und wie immer
bleib ich ihr verborgen im Jetzt und im Hier.
Wenn schließlich das Leuchten des Mitternachtsmondes
das Dach ihrer Hütte mit Silber verziert,
folg´ ich meinem Herzen, verlasse Gewohntes
(und) schwimme mit Sehnsucht beladen zu ihr.
Das Licht aus dem Innern stellt Gold in ihr Fenster,
es dient mir als Kompass in dunkelster Stund.
Doch bindet das Schicksal ans Grab uns Gespenster
(und ) meines bleibt ewig der modrige Grund.






Zitat:
Die Frau von der anderen Seite des Sees


Sie sitzt auf dem Steg, berührt jeden Abend
das Wasser zuerst mit der Spitze des Zehs.
Man sieht sie im spiegelnden Himmel badend,
die Frau von der anderen Seite des Sees.

Schon reif ist der Sommer, es schleichen sich Farben
des Herbstes - schüchtern - an manches Geäst.
Sie würde mir fehlen an lichtlosen Tagen,
so sicher wie Laub bunt die Bäume verlässt.

Es glitzert das Wasser im Spätsommerschimmer,
sie steigt aus dem See, ihr Blick schweift zu mir.
Geblendet vom Licht schaut sie weg und wie immer
bleib ich ihr verborgen im Jetzt und im Hier.

Wenn schließlich das Leuchten des Mitternachtsmondes
das Dach ihrer Hütte mit Silber verziert,
folg´ ich meinem Herzen, verlasse Gewohntes,
schwimme mit Sehnsucht beladen zu ihr. ( Mut für die entstandene Silbenlücke )

Das Licht aus dem Innern stellt Gold in ihr Fenster,
es dient mir als Kompass in dunkelster Stund.
Das Schicksal bindet ans Grab uns Gespenster,
meines bleibt ewig der modrige Grund.

Das ist natürlich nur (m)eine Idee ... entstanden, weil Dein tolles Gedicht mich besticht ;-) viel besser als ich es je könnte, könnte es aber gummibaum ... egal wie gut ein Gedicht auch war, er hat immer die himmlischsten Spitzen herausgeholt ....


Liebe Grüße

Zaubersee
Zaubersee ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.02.2022, 22:38   #13
Ex-Pennywise
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Dabei seit: 12/2020
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Moin zusammen,
danke MiauKuh fürs intensive Befassen mit meinen Zeilen.
Du zählst die Silben der Wörter. Das einzige, wo ich auf Silbengleichheit achte, ist die Menge in den entsprechenden Zeilen, die sich aufeinander reimen. Gleichsilbrige Wörter untereinander zu stellen passiert dann bei mir nur aus Zufall. Allerdings achte ich sehr wohl darauf, dass die Hebungen und Senkungen immer passen. Ich finde es bewundernswert, wenn man sich mit Texten so extrem in Sachen Aufbau befasst, denn Du hast Dich da wirklich reingefuchst. Ich habe selber immer die Sorge, dass wenn ich das beim Schreiben so extrem mache (und ich hab hier schon wirklich lange getüftelt), dass ich zum einen meine eigentliche Aussagen verliere und zum anderen das Gefühl verliere. Ich versuche da immer eine Emotion durchzubringen. Hier war das wirklich schwierig dran zu bleiben, weil ich mir aufgrund der Geschichte, die ich in Kürze erzählen wollte immer dabei einen abgebrochen habe, am Ende nicht 20 Strophen daraus zu machen. Ich bin zum Beispiel auch jemand, der die Dinge nicht mit "xX" versieht, weil ich dann auf einmal die eigenartigsten Zweifel habe, ob es jetzt betont oder unbetont ist. Ich lese meine Texte zig Mal laut und winke es dann durch, wenn es passt. Soll wohl heißen, dass ich nicht so analytisch bin. Daher werde ich glaube ich auch nie so eine intensive Bewertung eines Textes vornehmen können. Ich glaube, ich gehe da nach Gefühl. Ich bin totaler Autodidakt und müsste sehr viel Zeit da rein investieren.
Umso mehr danke ich Dir für die Analyse. Ich denke auch, ich weiß was Du meinst. Vermute aber, dass das sehr subjektiv ist, denn wenn man es objektiv betrachtet, sagst Du ja dass es technisch in Ordnung ist. Vielleicht kann man das bei einem Bild damit vergleichen, dass einem ein Farbton nicht gefällt und irgendwann arrangiert man sich damit, oder?

@Zauberfee

Danke für den Favoriten. Ich hab mir das mit den Füllwörtern mal angeschaut. Ich verliere bei meinem persönlichen Lesefluss den Rhythmus ein wenig, wenn ich sie rausnehme. Ich habe sie wirklich zum Auffüllen verwendet, um den Takt zu halten.
Den Gummibaumsatz verstehe ich nicht ganz.
Aber es hört sich so an, als ob es Dir gefällt. Daher danke ich Dir sehr.

Gruß an Euch

Pennywise
Ex-Pennywise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.02.2022, 23:12   #14
männlich MonoTon
 
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Beiträge: 1.097

Hallo Pennywise

Der Sprachfluss und die Wortwahl stehen für mich sehr in Harmonie.
Ich mag Daktyle Verse mit wechselnden Kadenzen, sie klingen in deinem Text sehr natürlich und unterstützen die poetizität der Sprache.
Mein einziges Manko dass ich auszusetzen hätte wäre der Fakt das die Daktylen überwiegend mit Einsilbern zustande gebracht wurden, es schwächt etwas das Gesamtbild, womit du es dir sehr leicht machst einen Daktylus zu erstellen.
Da wirken Wortkonglomerate wie "Spätsommerschimmer" und "Mitternachtsmondes" fast schon etwas, ich will nicht sagen deplaziert im Text, aber in gewisser Weise Kitschbehaftet? Ich habe nichts gegen etwas Kitsch in Texten, ich Empfinde es nur als etwas zu künstlich in der Wortgebung, da sie wie aus dem Nichts erscheinen. Auch wenn sie einen hohen romantischen Aspekt vermitteln und Nostalgie mit sich bringen, wirken gerade diese beiden Wortzusammensetzungen auf mich etwas zu viel des Guten.
An der Metrik als solches kann ich jetzt nichts Außergewöhnliches feststellen, sie gefällt mir und verlangt dem Leser dabei nichts ab. Der Lesefluss bildet sich ganz natürlich und gibt jedem sofortigen Zugang zum Ton der durch die Zeilen trägt.
Gefällt mir wirklich gut.

Sie sitzt auf dem Steg und berührt jeden Abend
xXxxXxxXxxXx
das Wasser zuerst mit der Spitze des Zehs.
xXxxXxxXxxX
Man sieht sie im spiegelnden Himmel dann badend,
xXxxXxxXxxXx
die Frau von der anderen Seite des Sees.
xXxxXxxXxxX
Schon reif ist der Sommer, es schleichen sich Farben
xXxxXxxXxxXx
des Herbstes -noch schüchtern- an manches Geäst.
xXxxXxxXxxX
Sie würde mir fehlen an lichtlosen Tagen,
xXxxXxxXxxXx
so sicher wie Laub bald die Bäume verlässt.
xXxxXxxXxxX
Es glitzert das Wasser im Spätsommerschimmer,
xXxxXxxXxxXx
sie steigt aus dem See und ihr Blick schweift zu mir.
xXxxXxxXxxX
Geblendet vom Licht schaut sie weg und wie immer
xXxxXxxXxxXx
bleib ich ihr verborgen im Jetzt und im Hier.
xXxxXxxXxxX
Wenn schließlich das Leuchten des Mitternachtsmondes
xXxxXxxXxxXx
das Dach ihrer Hütte mit Silber verziert,
xXxxXxxXxxX
folg´ ich meinem Herzen, verlasse Gewohntes
xXxxXxxXxxXx
und schwimme mit Sehnsucht beladen zu ihr.
xXxxXxxXxxX
Das Licht aus dem Innern stellt Gold in ihr Fenster,
xXxxXxxXxxXx
es dient mir als Kompass in dunkelster Stund.
xXxxXxxXxxX
Doch bindet das Schicksal ans Grab uns Gespenster
xXxxXxxXxxXx
und meines bleibt ewig der modrige Grund.
xXxxXxxXxxX


Gerne gelesen und drin versunken, zudem hefte ich es in meine Favoriten damit es mir nicht absäuft.

LG Mono
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.02.2022, 00:06   #15
Ex-Pennywise
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Moin MonoTon,

danke Dir für den Favoriten. Ich kann nachvollziehen, was Du mit dem Kitsch meinst. Ich wollte aber klassisch romantisch klingen, denn ich mag die Vorstellung von harmlosem Spuk. Daher musste ein wenig Kitsch rein, den ich aber rein inhaltlich auch vorher schon eingebaut habe. Mit den schüchtern schleichenden Farben etc. Nur halt nicht in so langen Silbenketten, da gebe ich Dir Recht.

Besten Dank und Gruß

Pennywise
Ex-Pennywise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.02.2022, 02:02   #16
männlich MiauKuh
 
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Beiträge: 2.246

Hey Pennywise,

neeeee ich glaub wir missverstehen uns. Dein Gedicht ist technisch und inhaltlich wirklich sehr gut gelungen.


Ich musste ja leider auf deinen Wunsch hin meine Empfindung über den Rhythmus, der eben auch "technisch" einwandfrei ist, trotzdem in Worte fassen und das hatte mich vor ein Problem gestellt.

Bisher habe ich das noch niemals so untersucht und weder dichte ich selber so, noch würde ich das von irgendjemandem erwarten oder noch schlimmer, es irgendwie wem so vorschreiben. Dabei ginge alles eigene verloren, wenn man es gezwungener Maßen anders macht, als man selber ist.

Deswegen ... sieh es als ganz persönliche Erklärung meines eigenen Empfindens für das Gedicht, bezogen auf den Rhythmus, an und nicht als handwerklichen Makel. Denn da ist alles ok.
Ich mochte in dem Moment vielleicht einfach mehr Wortlängenwechsel (Wortdynamik). Das hat aber mit der wirklich hohen Qualität deines Textes überhaupt gar nichts zu tun. Es ist eine Geschmacksfrage!

Wie du sagst, der Farbton gefiel mir nicht, aber technisch und vom Gesamtmotiv ist dein Bild einwandfrei.

Nur subjektives Blabla von mir, aber du wolltest es ja ganz genau wissen und darum musste ich es halt begründen ... und das hat auch etwas Zeit gekostet, herauszufinden, woran es überhaupt liegt es war lohnenswert, also jubel!

Danke, dass du noch mal so ausführlich geantwortet hattest.

Liebe Grüße!
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.02.2022, 13:42   #17
weiblich AlteLyrikerin
 
Benutzerbild von AlteLyrikerin
 
Dabei seit: 11/2018
Ort: Burglengenfeld
Alter: 73
Beiträge: 1.706

Hallo Pennywise,

über die Qualität der Verse ist hier ja schon viel geschrieben worden. Mich hat vor allem beeindruckt, wie intensiv hier ein stimmungsvolles Bild mit Worten gezeichnet worden ist.
Außerdem lese ich den Text vielschichtiger als eine romantische Spukballade. Die Unerreichbarkeit der Frau auf der anderen Seite des Sees kann ja auch als Metapher wahrgenommen werden, ebenso wie das LyrI, das sich nicht vom "modrigen Grund" zu lösen vermag.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.
AlteLyrikerin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.02.2022, 15:51   #18
Ex-Pennywise
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2020
Beiträge: 599

Moin Alte Lyrikerin,

mit der Metapher liegst du möglicherweise nicht so ganz falsch.

Gruß

Pennywise
Ex-Pennywise ist offline   Mit Zitat antworten
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