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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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01.06.2012, 22:29 | #1 |
Requiem
Im Gedenken an meinen Onkel Uwe Christian Müller
Ich dachte noch: Ein guter Tag zum Sterben. Der Himmel blau, die Welt in klarer Ordnung und schicksalhaft der Ruf des Regenpfeifers. Es galt, die Gunst der Stunde auszunutzen und das hast du geschafft, auch wenn das Ende von selber kam, so wie die Nächte kommen. Ich sehe all die fernen Orte vor mir, die du so liebtest; schmecke die Gewürze und Reize Asiens auf der Zungenspitze, wenn ich im Geiste deinen Namen forme. Und mehr noch: Spüre dich in meiner Nähe, wie ich das Fernste manchmal in mir spüre, wenn sich des Tages blaue Schleier lüften und erste Sterne in die Nacht erblühen. Wer sagt, dass nicht ein Teil von dir im Regen, im Kreislauf aller jener freien Formen, endlich zuhause ist; wer kann es sagen? Mir ist, als klänge noch im Fall der Tropfen ein Widerhall von deinen letzten Worten, die nicht mehr über deine Lippen wollten. Denk nicht, du hättest schließlich doch verloren. Das Leben lässt sich nicht mit Uhren messen und will nicht ausgefranste Lumpen tragen. Ein einzig schöner Tag mit deinen Lieben, im Einklang mit dem weltlichen Gefüge, ist mehr Gewinn als Nichtmehrsein Misere. Und diesbezüglich warst du reich an Tagen, auch wenn die letzten etwas fade schmeckten. Doch trotzdem aßest du mit großen Bissen und stopftest in dich bittersüßes Leben. Es ist wohl wirklich so, dass im Erkennen des eignen Endes erst der Wert der Dinge im rechten Licht erscheint. Ist das ein Segen? Vielleicht, doch sicher nur ein Teil des Ganzen. Zu Vieles rennt im Gleichschritt um die Wette, als dass wir mit Bestimmtheit sagen könnten, was augenblicklich unser Handeln leitet. Es ist auch einerlei, denn jede Wahrheit, die wir beschwerlich rational begreifen, wird überrollt von dem, was in uns schlummert: Der strenge Wille, selber zu entscheiden, was richtig ist - auch wenn es alles kostet. Doch dies ist für dich wenig von Bedeutung, denn alle Last des Denkens, jede Sorge, ist endlich nun von deinem Haupt genommen. Du bist jetzt Stein und Wind und stilles Wasser, in dem sich schemenhaft Gesichter spiegeln. Das muss genügen - kehre nicht zurück. |
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01.06.2012, 22:41 | #2 |
Hallo Glasbleistift
auch wenn es in Anbetracht deiner Leistung nicht angemessen ist...begnüge ich mich zunächst mal mit einem "phantastisches Gedicht"! Mich hast Du vom ersten bis zum letzten Wort begeistert und ich werde ganz bestimmt nicht nach Makeln suchen...dort wo ich keine vermute. Viele Grüße, A.D. |
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01.06.2012, 23:21 | #3 |
Hallo Glasbleistift
Ich tu mir wirklich schwer, in Worte zu fassen, wie angetan ich von diesem Gedicht bin. Ich stimme AndereDimension hier zu, eine Suche nach Makeln wäre wohl Zeitverschwendung und in meinen Augen auch eine Anmaßung. überwältigendes Werk. |
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01.06.2012, 23:33 | #4 |
Hallo Glasbleistift,
nach diesem Gedicht lese ich heute nichts mehr. Es ist großartig. LG gummibaum |
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02.06.2012, 11:27 | #5 |
Liebe Leute,
habt vielen Dank für eure lobenden Kommentare. Gerade bei diesem Gedicht war es sehr schwer, die richtigen Worte zu finden, und mir sehr wichtig, den richtigen Ton zu treffen. Es freut mich, wenn es in euren Augen gelungen ist. Makel gibt es immer und ich würde es nicht als anmaßend empfinden, diese aufzudecken. Darum stelle ich es ja schließlich in ein Forum. Als das Werk beendet war, war ich mir ganz und gar nicht mehr sicher, ob es meinem Onkel gerecht werden kann. Dank eurem Feedback jedoch kann ich nun selbstbewusster damit umgehen. Vielen Dank dafür. Liebe Grüße! |
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02.06.2012, 19:05 | #6 |
R.I.P.
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Hallo Glasbleistift -
ich kann nicht mehr sagen, als das ist große Kunst! Ein Leseerlebnis der ganz besonderen Art für Thing |
03.06.2012, 00:45 | #7 |
gesperrt
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Ein Meisterwerk!
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03.06.2012, 11:13 | #8 |
Auch euch beiden danke ich herzlich für euren Kommentar. Es freut mich sehr, dass gerade dieses Werk solch einen Anklang findet. Mein Onkel war ein großartiger Mensch und der Versuch, ihm ein würdiges Denkmal zu setzen, eine besondere Herausforderung.
Liebe Grüße vom Glasbleistift |
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03.06.2012, 11:19 | #9 |
R.I.P.
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Darf ich fragen, ob er identisch mit dem berühmten Cellisten ist?
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03.06.2012, 11:26 | #10 |
abgemeldet
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eine wirklich hervorragende lyrische arbeit GB. gratuliere.
have here - some flowers of death: http://up.picr.de/10705619pq.jpg |
03.06.2012, 11:49 | #11 |
Du darfst fragen, Thing. Mein Onkel war nicht der berühmte Cellist; er spielte eher das Leben virtuos.
Ralfchen, ich danke dir für deine Worte. Kann ich mir nun sicher sein, dass ich nicht in Pathos und Kitsch abgeglitten bin? Andernfalls hätte mich sicherlich dein scharfzüngiger Spott getroffen... Danke für die Blumen! Beste Grüße! |
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03.06.2012, 12:43 | #12 |
abgemeldet
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Lesezeichen für Requiem |
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