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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten. |
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30.06.2011, 23:06 | #1 |
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Blick aus dem Fenster
Wenn ich aus dem Fenster seh,
fang ich an zu träumen, über alten Bäumen himmelwärts Gethsemane. Tauben, Elstern, Schwalbenkind fingen meine Katzen mit den Raubtiertatzen, flögen sie nicht fort geschwind. Bald versperrt man mir die Sicht, will ein Haus hinbauen für die Reichen, Schlauen. Solche Nachbarn will ich nicht. Wenn die Sonne untergeht hinter Blumenkästen, blicke ich nach Westen, wo es nicht viel besser steht. |
01.07.2011, 07:13 | #2 |
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Hallo Rosenblüte, schön, wieder etwas von Dir zu lesen.
Die Stelle mit Gethsemane verstehe ich nicht. Dort verbrachte Jesus die Nacht vor seiner Verhaftung, mit Verrat des Judas und Verleugnung durch Petrus (Lk 22, 39-65). Wie hängt das mit dem Gedicht zusammen? |
01.07.2011, 07:42 | #3 |
Forumsleitung
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Beim Lesen des Gedichts verspüre ich Abschied und Wehmut. Der Himmel und das Sehen spielen eine große Rolle, aber was erkannt wird, läßt nichts Gutes ahnen. Der Blick geht himmelwärts, wohin Jesus aufgefahren ist nach seinem Tod. Aber ist er das wirklich? Sein Opfer hat uns auf Erden kein Paradies beschert, noch immer töten Raubtiere unachtsame Vögel, und der Himmel leert sich.
Schlimmer noch: Die Sicht auf den Himmel und auf die Natur wird verbaut, und zwar von den Reichen und Schlauen ("Wessis"?). Also schaut man nach Westen. Weshalb? Kommen die Reichen und Schlauen von dort, oder überlegt man, nach Westen zu gehen? Aber dort ist es nicht besser, so die Erkenntnis. Seit der Wiedervereinigung gibt es keine Trennung von Ost und West mehr, alle nagen an denselben Problemen. Aus historischer Sicht könnte man den Blick nach Westen auch mit der Zeit der römischen Besatzung Palästinas in Verbindung bringen, oder auch später mit den Kreuzzügen des Mittelalters. Mit allem mag ich falsch liegen, aber ich meine dennoch, es mit einem politischen Gedicht zu tun zu haben, das viele Interpretationsmöglichkeiten zuläßt. Jedenfalls ist es ein ungewöhnlicher Text. LG Ilka-M. |
01.07.2011, 08:13 | #4 |
Hallo, Rosenblüte,
ein Ausschauen das Umzingelung feststellt. Wie in Kafkas "Kleine Fabel". Gute Umsetzung. Gethsemane verstehe ich an der Stelle auch nicht. LG gummibaum |
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01.07.2011, 08:17 | #5 |
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Zu Gethsemane: da schwitzte jemand Wasser und Blut und wurde verraten und verkauft. Geht es in diese Richtung?
http://www.bibel-online.net/text/lut...12/lukas/22/#1 http://www.bibel-online.net/text/lut.../matthaeus/26/ |
01.07.2011, 08:19 | #6 |
R.I.P.
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Halli Hallo, Rosenblüte!
Sehr schön, wieder etwas von Dir zu lesen, auch wenn es überaus wehmütig ist und traurig stimmt. Thing |
01.07.2011, 08:25 | #7 |
oder es ist die Gefangennahme im Umfeld von Verrat und unbeteiligtem, kaltherzigem Wegpennen angesichts der Not eines Menschen.
LG gummibaum |
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01.07.2011, 09:20 | #8 |
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Hallo ihr Lieben,
erst mal vielen Dank für die lobenden Worte. Ich sehe schon, zum Gedicht sind einige Erklärungen nötig. Ich wohne im mittlerweile hippen Viertel Prenzlauer Berg und bekomme die Gentrifizierung nun auch hautnah zu spüren. Vor meinen Augen prangt die legendäre Gethsemane-Kirche, in der sich die Oppositionellen des Neuen Forums trafen. Bald werde ich sie nicht mehr sehen können, denn der Blick wird mir durch zwei bunkerartige Wohnanlagen mit Eigentumswohnungen verbaut. Wie die Kolonialherren besetzen westdeutsche Investoren jedes freie Fleckchen in meinem ohnehin nicht sehr grünen Kiez. Wie die römischen Legionen erobern Yuppies rücksichtslos den schönen Prenzlauer Berg. Die horrenden Mieten kann fast niemand aus der alten Einwohnerschaft mehr bezahlen. Man findet hier so gut wie keine Migranten mehr, und die paar alten Leute, die noch geblieben sind und die das alte Arbeiterviertel nach dem Krieg wieder aufgebaut haben, hausen oft in irgendwelchen Parterrewohnungen an stark befahrenen Hauptstraßen. Die alternative Künstlerszene, die den Prenzlauer Berg berühmt machte, ist nur noch rudimentär vorhanden. Ihre einstigen Treffpunkte mussten teuren Cocktailbars weichen. Im Westen, wo die Sonne untergeht, liegt der Humboldthain, der zum Wedding gehört. Auch dort, wie überall in der Innenstadt, hat die "Aufwertung" bereits begonnen. Unter den Vertriebenen werden viele Migranten sein, die sich in den Plattenbauten am Stadtrand ansiedeln werden. Ähnlich wie in den Neubauvierteln von Paris könnten dort neue Problemquartiere entstehen. Sicher, mit dem Leiden Jesu lässt sich das Leiden der Verdrängten nicht vergleichen. Zumal die Eroberer wissen, was sie tun. Aber schmerzlich ist es allemal mitzuerleben, wie die Berliner Mischung verloren geht. Liebe Grüße Rosenblüte |
01.07.2011, 10:25 | #9 |
R.I.P.
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Jeder lernt sein eigenes Gethsemane kennen!
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01.07.2011, 10:27 | #10 |
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Und keiner da, der die Händler aus dem Tempel treibt.
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01.07.2011, 15:56 | #11 |
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Das wird noch kommen, denke ich. Die Gentrifizierungsgegner vernetzen sich bereits überregional.
Bei den Politikern bin ich leider nicht weitergekommen. Das Baurecht gestattet den Händlern alle Freiheiten. |
03.07.2011, 23:48 | #12 |
Dann ist der Text einfach doppelt traurig.
Traurig schön. ...und wieder was Neues gelernt... Danke dir dafür Gruß Poe |
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22.07.2011, 01:46 | #13 |
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Ja, der Blick aus dem Fenster stimmt mich bereits traurig, weil die Bagger schon am Umgraben sind. Wenigstens kann mir der Blick nach Westen nicht genommen werden, wo über dem Wedding die Sonne untergeht.
Lieben Gruß Rosenblüte |
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