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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 08.10.2022, 11:57   #1
männlich Luigi B
 
Dabei seit: 08/2021
Ort: München
Beiträge: 124

Standard Die Zeit: Macht und Ohnmacht im Wechselspiel

Die Zeit: Macht und Ohnmacht im Wechselspiel

Wir haben sie im Überfluss
und doch ist die Ressource knapp,
so kostbar, flüchtig wie des Glückes Kuss:
die Zeit. Von ihr hängt Alles ab.

Sie hat die Kraft, Sehnsucht zu wecken,
in ihr verliert sich mancher Schrecken,
sie lässt erinnern und auch hoffen,
und viele Fragen angstvoll offen.

In ihr steckt das Vergeben,
in Weisheit, Dankbarkeit zu leben,
sie lässt auch Alles zu
ganz ohne irgendein Tabu.

Ihr Wesen stetige Gelegenheit,
für Irren und Besonnenheit,
mit ihr gedeiht Vertrauen,
Erneuern und Aufbauen.

Sie hilft und sie heilt Wunden,
doch sind wir stets an sie gebunden.
Sie führt hinein und aus der Dunkelheit
mit ihrer Wechselhaftigkeit.

Sie steht für Wachstum und für Reifen,
als Kern für Zögern, - den Moment ergreifen.
Nicht selten Langeweile sie gebiert
und jedes Ende wird durch sie fixiert.

Wenn sie gewährt und auch verleiht,
dann schreitet duldsam diese Zeit
so gleichermaßen passiv fort
und weilt recht brav an jedem Ort.

Als Dienerin im Weltgefüge
schaukelt sie die Lebenswiege,
als Rahmen nur für das Geschehen,
was immer wir darin begehen.

Sie folgt da nur der Weltenuhr,
die wahre Macht hat die Natur,
der Mensch mit ihr im Widerstreit
und auch im Kampfe mit der Zeit.


Mal hebt sie schroff den Zeigefinger,
dann schaffen wir sie als Bezwinger,
in diesem ewgen Wechselspiel
da trotzen wir, gar nicht servil.

Wir selbst sind Meister unsrer Zeit,
und doch sind wir auch ihre Sklaven,
nur, wenn wir auszufüllen sie, bereit,
dann sehn wir uns im sichren Hafen.

Die Zeit tut nichts, ist einfach da,
still ohne Glanz und Gloria,
der Mensch allein zerschneidet sie,
verleiht so Macht zur Despotie.

Wohl gütig, duldsam lässt sie walten,
doch, wenn wir sie so strikt gestalten
dann ist an ihr manipuliert,
so sie nun selbst fortan diktiert.

Mit Zielen, Lebenshunger und Programmen
kommt allzu viel für uns zusammen,
so überlasten wir das Leben und die Zeit,
sind gegen all die Zwänge nicht gefeit.

Soeben dominierten wir die Zeit,
allein zu unseren Bedingungen bereit,
schon morgen sieht unser Verlangen
sich einmal mehr in ihr gefangen.

Die Zeit bekommt erst wirklich Macht,
indem der Mensch aus ihr Termine macht,
zunächst bestimmen nun Mal wir
und folgen als Gestresste immer ihr.

Und doch fährt dieses Zeitenschiff
mit ihrem Flüchtigkeitsbegriff
auf jenen Wogen der Unendlichkeit,
für die Veränderung steht auch die Zeit.
Luigi B ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.10.2022, 12:11   #2
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.100

Guten Morgen,

offen gesagt habe ich das Gedicht nicht vollständig gelesen, denn es ist von der Länge her schon eher eine Bergpredigt. Und außerdem ist mit den ersten beiden Versen

Zitat:
Wir haben sie im Überfluss
und doch ist die Ressource knapp
das Wesen der Zeit bereits erfasst. Alles, was danach über die Zeit gesagt wird, ist angreifbar. Denn sie ist weder für Sehnsucht, noch für Vergebung oder Dankbarkeit zuständig. Sie heilt auch keine Wunden, wie jeder weiß, der Überlebende von Katastrophen oder Massakern, wie z.B. Auschwitz, in Interviews noch nach Jahrzehnten in Tränen ausbrechen sah. Dass Zeit eine derartige Allzuständigkeit hat, ist Kokolores. Wir wissen nicht einmal genau, was Zeit ist. Unsere Vorstellung von ihr entnehmen wir daraus, dass es Raum und Bewegung gibt, in deren Verbindung sie für uns messbar gemacht werden kann. Und das war's schon.

In den ersten beiden Versen des Gedichts steht alles, was Zeit für uns Menschen bedeutet. Sie ist in Fülle da, und wir bewegen uns in ihr wie auf einem Strahl. Aber wir können nur in eine Richtung gehen, und deshalb glauben wir, dass auch die Zeit linear verläuft. Aber wir wissen nicht, ob das stimmt. Ergo ist für uns die Zeit in der Jugend noch in Fülle da, aber sie nimmt ab, je älter wir werden. Das ist natürlich eine subjektive Erfahrung, denn die Zeit ist immer da. Jedenfalls, solange es Bewegung in der Welt gibt, so dass Zeit erkennbar wird.

Sorry für dieses Urteil, es ist nicht böse gemeint. Aber das Phänomen Zeit ist hoch-philosophisch und nicht mit ein paar romantischen Allgemeinplätzen erklärbar.

LG
Ilka
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Alt 08.10.2022, 13:18   #3
männlich Heinz
 
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Hallo Luigi B,
ich kann mich sehr für lange Gedichte erwärmen, gesetzt den Fall, da ist Bewegung drin, da sprudeln Verse und ich erfahre was Neues.
Anders ist es mit litaneiartigen Gedichten, in denen allzu schnell die Spannung raus ist. Ilka-Maria spricht von der Ähnlichkeit zur Bergpredigt. Liebe Ilka-Maria, du weißt, dass ich kein Christ bin. Aber in der Bergpredigt steckt mehr Zunder als sich mancher träumen lässt. (Ich müsste eigentlich als Einäugiger durch Leben tapsen).
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 08.10.2022, 14:12   #4
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Aber in der Bergpredigt steckt mehr Zunder als sich mancher träumen lässt.
Das stimmt, Heinz. Und für Jesus war die Zeit kein Thema.

Meine Vergleiche waren nicht passend. Was ich zu bemängeln hatte, habe ich aber in meiner Kritik hinterlassen.
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Alt 22.10.2022, 13:27   #5
männlich Luigi B
 
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Standard Zu Ilka Maria

Hallo Ilka,
danke, für Deine ausführliche Stellungnahme. So sehr ich Deine gegenteilige Meinung schätze, diesmal hast Du es Dir mit Deiner Kritik und der Reduzierung auf 2 Verse etwas einfach gemacht, zumal Du das gar nicht so lange Gedicht ja nicht einmal ganz gelesen hast. Über so ein abstraktes Thema könnte man sich sehr wohl auch noch länger aufhalten. Meine Absicht war es, nicht eine Abhandlung zum Thema Zeit zu vollführen, sondern einfach Gedanken mit Worten spielen zu lassen. Gleichwohl gibt es auch eine Aussage. Da es hierbei weder um Emotionen, Forderungen, Warnungen, Kritik, Wünsche oder Träume geht, kann da auch kein Zunder dahinterstecken, was Heinz anmahnt.
Ich habe hier die Ambivalenz mit dem zeitlichen Begriff ansprechen wollen, nämlich, dass die Zeit selbst nichts wirklich aktiv gestaltet und doch ohne ihr Fortschreiten nicht geschieht; des Weiteren, dass die Zeit an sich von ihrer Begrifflichkeit das immerwährende denkbar Gleichförmigste ist und doch in unserem Denken als Sinnbild für Veränderung steht.
Hauptpunkt des Gedichtes ist der Dualismus von Mensch und Zeit. Hat der Mensch Macht über die Zeit oder umgekehrt? Da zu gäbe es theoretisch 4 Möglichkeiten als Antwort und keine muss richtig sein.
Es sollte der Gestaltungsform eines Gedichtes auch möglich sein, Gedanken zu äußern, ohne etwas bewegen zu wollen. Natürlich ist es ein Wagnis zu einem so komplexen, abstrakten Begriff ein Gedicht zu machen, aus meiner Sicht doch noch besser als die Philosophen darüber schwadronieren zu lassen.
LG Luigi B
Luigi B ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.10.2022, 19:02   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Luigi B Beitrag anzeigen
Natürlich ist es ein Wagnis zu einem so komplexen, abstrakten Begriff ein Gedicht zu machen, aus meiner Sicht doch noch besser als die Philosophen darüber schwadronieren zu lassen.
Nun, ich habe noch keinen Philosophen über das Thema der Zeit "schwadronieren" gehört und schwadronierartige Texte von ihm gelesen, denn Philosophen gehen mit solchen Themen sensibel um. Ein Schwadronieren erkenne ich eher an deinem Gedicht.

Aber du hast recht: Der Begriff der Zeit ist abstrakt (und eigentlich nicht, denn wir haben Mittel, sie zu erkennen und zu messen oder durch unsere Beobachtung von Bewegung und Veränderung zu glauben, dass wir Zeit erkennen können). Und sie ist komplex, wenn man sie festzumachen versucht. Seit Einstein wissen wir, dass es Zeit gibt, weil er bewiesen hat, dass sie relativ ist; und doch ist es für uns schwer vorstellbar, wer denn Zeit wahrnehmen und beschreiben könnte, wenn es kein Leben gäbe, das Bewegung und Veränderung im Raum wahrnehmen und beschreiben kann. Spielte es dann eine Rolle, dass es die Zeit gibt?
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