Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Düstere Welten und Abgründiges

Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 02.06.2025, 03:28   #1
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 72
Beiträge: 11.054

Standard Ein Sammler

Schau, dieser Kleine ist vom Kind
und galt schon länger als verschwunden.
Jedoch, weil Gangster käuflich sind,
hat ihn mein Angebot gefunden.

Verstaubt kam er aus Florida.
Doch machte ihn mein Straußenpinsel
so frisch wie von der Haifischinsel -
Er stammt aus Südwestafrika.

Die einstmals gute Kolonie!
Was haben wir Kultur gespendet
und Primitives heimgesendet
für deutsche Rassentheorie.

Und dieser Kinderschädel dankt
mir die Verhinderung des Dramas,
dass er auf Druck von ein paar Namas
noch nach Namibia gelangt…
gummibaum ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 02.06.2025, 15:45   #2
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 32.472

Hallo gummibaum,

deine Ideenkiste scheint ein unerschöpfliches Zaubermonstrum zu sein! An deinen dichterischen Fähigkeiten gibt es nichts zu meckern, aber diese Verse haben mich in eine merkwürdige Stimmung versetzt. Wie fast immer bei deinen Texten kommen sie locker und flockig daher, mit einer beschwingten Melodie, wie sie fröhlichen Inhalten entströmt und gute Laune macht. Aber in diesem Fall steht der flotte Rhythmus in einem krassen Gegensatz zu dem barbarischen Hintergrund.

Kann man das machen? Die Frage stellt sich nicht ernsthaft, denn du hast es gemacht. Kontrapunktisch vorzugehen ist ohnehin ein oft genutztes Stilmittel in allen Arten der Kunst.

Nun bin ich kein Mensch, der Gegebenheiten, die einer bestimmten Ära entsprungen sind, aus der Sicht der heutigen Moralbeauftragten bewertet, die von sich überzeugt sind, sie seien schon in jenen Zeiten so "woke" gewesen, dass sie anders als die Kolonialherren gehandelt hätten. Da dies nicht beweisbar ist, muss es eben jeder glauben.

Trotzdem gibt es inzwischen ein allgemeines Unrechtsbewusstsein darüber, was damals in den Kolonien - überall in Afrika - abging. Und deshalb hinterlässt das Gedicht mit dieser nicht dazu passend wollenden Tonlage bei mir Irritation.

Vielleicht war aber genau das gewollt. (?)

LG
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.06.2025, 21:56   #3
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 72
Beiträge: 11.054

Liebe Ilka,
vielen Dank für deinen guten Kommentar und die Frage. Die Sprache ist hier als ironisch und kritisch zu verstehen.

Beste Grüße von gummibaum
gummibaum ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 05.06.2025, 10:07   #4
männlich Epilog
 
Benutzerbild von Epilog
 
Dabei seit: 10/2019
Ort: in den Wolken
Alter: 57
Beiträge: 765

Ich denke, es ist "keine Frage", dass der fast "verniedlichende" Tonfall des Gedichts Irritation hervorrufen und somit Nachforschungen zu den Hintergründen in die Wege leiten soll (statt zu sagen "Zustimmung, und abgehakt."). Ein "Nachschlag" in Wikipedia zum Stichwort "Haifischinsel" gibt in ein paar nüchternen Sätzen bereits erschütternde Auskunft über das 1907-1912 dort vor dem Hafen Lüderitz existente "Konzentrationslager" (!) der deutschen Kolonialmacht. "Gefangene Frauen wurden gezwungen, die Köpfe der getöteten Häftlinge zu kochen und abzuschaben, die dann zu pseudowissenschaftlichen Forschungszwecken nach Berlin verschifft wurden." (Zitat Wikipedia).

Etwas verwirrend finde ich die "Erzählperspektive" des Gedichts: Offensichtlich spricht hier ja "ein Sammler" (siehe Titel), der in sehr warmen Worten über diesen Kinderschädel berichtet. Mir ist aber nicht ganz klar, was er damit gemacht hat und was er damit bezwecken will. Offensichtlich befand sich der Schädel ja nicht in seinem Besitz, sondern in Florida, wo er für gutes Geld bei "Gangstern" einbestellt werden konnte (Ist das eine echte Geschichte oder ein fiktionales Konstrukt?). Und indem ihn unser Sammler nun seiner Sammlung einverleibt, kann er nun nicht an seinen Ursprungsort zurückgelangen, wo ja anscheinend eine Gedenkstätte geplant ist. Doch wenn der Schädel in den Händen der Gangster verblieben wäre, wäre er doch erst recht nicht nach Namibia zurückgelangt. Das ist der Zusammenhang, den ich nicht so recht verstehe.

(Passionierte Sammler präparierter Schädel scheinen übrigens gar nicht so selten zu sein. Kulturschaffende von Joseph Haydn bis F.W.Murnau können davon ein Klagelied singen)

Danke und Grüße

Epilog
Epilog ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.06.2025, 01:42   #5
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 72
Beiträge: 11.054

Lieber Epilog,

hab Dank für deinen interessanten Kommentar, die Recherche und die Fragen:

Die Geschichte ist rein fiktiv.
Der Sammler zeigt stolz einem Gleichgesinnten, was er Hübsches erworben hat. Das Makabere daran ist durchaus prickelnd, da bei ihm eine gutmütig naive Herrenmenschen-Mentalität vorliegt.
Er glaubt selber nicht, dass die Gangster den geraubten Museumsschatz nach Namibia geben würden. Aber er pflegt unter Freunden das Narrativ, das Kleinod vor einem Zurück in afrikanische Unkultur gewahrt zu haben.

Liebe Grüße von gummibaum
gummibaum ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 08.06.2025, 10:34   #6
weiblich Elke H
 
Dabei seit: 05/2025
Beiträge: 37

ich habe mal eine Doku darüber gesehen wie damals die Einheimuschen die Schädel noch selber "berabeiten mussten". Echt gruselig, das. Menschenunwürdig.
Ja, es ist gut, dass du ein ironisch mahnendes Gedicht darüber machst.
Manches sollte nicht vergessen werden.
lG von Elke
Elke H ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.06.2025, 12:43   #7
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 72
Beiträge: 11.054

Danke, liebe Elke.

Ja, es ist gruselig.

LG g
gummibaum ist gerade online   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Ein Sammler

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche



Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.

1997 © poetry.de