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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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09.12.2022, 18:34 | #1 |
Civis imperii
Civis imperii
Seht die possenreißende Macht, wie sie nährt die Lemuren, die hechelnd umkreisen die possenreißende Macht. Keck und verbissen erklären sie lichthellenTag zur Nacht uns und zeigen: Seht her, wir sind auch nur Huren. Einst ließ sie uns schauen, wie fratzenhafte Gestalten die Stufen zum Heiligsten krochen verhalten empor und wie drei mutige Prätorianer vermochten dem Sturm zu wehren, das Heiligste uns zu erhalten. Und jetzt gar Dreitausend der Prätorianer, sie bieten Dreitausend Lemuren ein Schauspiel zur finsteren Nacht, und finden drei Dutzend verworr'ne Gestalten. Ihr Götter, habt Dank jetzt, sie konnten das Schlimmste verhüten. Mit ungesalzenem Brot und mit Jux und mit Spielen - dem Demos neigt sich zum Scheine die schlotternde Macht. Sie nährt die Lemuren, wie jene ernähren den Demos, und hoffen doch beide: die Tumben, sie mögen’s nicht fühlen. |
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10.12.2022, 15:27 | #2 |
hab Dank fremder Dichter für die Nacht,
als gar dreißig Millionen Prätorianer die Possen zu Göttern erklommen und ich jenem Schauspiel lemurengleich beiwohnen durfte, hab Dank, für den Anblick verworr'ner Gestalten, und dass du dem Demos auf das Maule geschauet ihm Brot eingetrichtert und Spiele der Worte geboten so dass mich's erschaudert', in tumben Hallen meiner endloser Leere... Hi Erhard, ich musste mich erstmal in den Singsang deiner Worte eingrooven, hat aber Spaß gemacht Wie doof so ein Durchschnittsbürger ist, ist schwer zu ermessen. Ich denke aber, dass die possenreißende Macht immer auf dessen Trägheit, Bequemlichkeit, Vergesslichkeit und Leidensfähigkeit zählen kann. LG Donna |
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10.12.2022, 16:54 | #3 |
Hi Donna, ich weiß immer noch nicht, ob Du mich lobst oder verscheißerst, aber ich will mal das Erstere glauben.
Ich wollte die Überschrift noch ändern, damit jeder weiß, dass es um die "Reichsbürger" geht. Doch ich finde in meinem Thema keinen "Ändern"-button und der Administrator antwortet mir nicht. Kann jemand auf Erden mir helfen? Gruß, Erhard |
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10.12.2022, 20:24 | #4 |
Ja, lieber Erhard, vor dem Hintergrund der Reichsbürger ergibt das Gedicht nochmals einen neuen Sinn. Aber das Prinzip bleibt, denn für mich unvorstellbar sind Menschen, welche ihren Hitler, Trump, Putin, Bolsonaro, Kim Jong -un - oder Ihren Heinrich den XIII Prinz Reuß feiern. Das sind ja nicht selten mehrheitsfähige Massen, die den Schwachmaten zujubeln. Und auch im Altertum gehörten Brot und Spiele zum Bestechungsritual. Die Frage stellt sich, ob unter uns eine so große Maße blöder Menschen schlummert, und ob jedes Volk seine "Führer" bekommt, die es verdient, oder ob es einfach verdammt gute Verführer gibt, welche latente Unzufriedenheiten, Träume und Ängste wunderbar zu instrumentalisieren wissen. Für mich ist das jedesmal absolut verwunderlich.
Auf dein Gedicht hatte ich mich schon lobend eingestimmt. Tut mir leid, wenn ich das nicht gebührend rübergebracht habe. Ist die Wiederholunhg der possenreißenden Macht in Z1 und 2 als Stilmittel gedacht? LG Donna |
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12.12.2022, 15:21 | #5 |
Ja, liebe Donna, das war als Stilmittel gedacht und sollte die Skepsis gegenüber der Macht betonen.
Es birgt eine generelle Schwierigkeit, wenn man poetisch auf eine Tagesaktualität eingehen will. Benennt man die Dinge umgangssprachlich, wirkt es banal und riecht nach Auftragslyrik. Verfremdet man das Geschehen, läuft man Gefahr, dass der Leser es nicht versteht. Mein Versuch, es in die römische Kaiserzeit zu verlegen, ist wohl gescheitert, allein schon durch die blöde Überschrift. Die Regierung (die Macht), die Medien (Lemuren), der Bundestag (das Heiligste), Polizei (Prätorianer) und Reichsbürger (civis imperii) waren wohl zu viel des Guten. Als Brecht seine Einlassung über das große Karthago schrieb, meinte er auch nicht Karthago sondern Deutschland, aber er hatte es in diesem Fall auch leichter. Ich lasse mich hier auch nur ausnahmsweise auf Erklärungen ein, denn es ist ja immer komisch, wenn ein Versemacher seine eigenen Arbeiten interpretiert. Gruß, Erhard. |
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