Treibholz

[Katerchen]

Lange sah ich in der kalten Morgenluft den Möwen hinterher. Die eisige Welt trug ihren Ruf
derart weit über das Meer, dass es mich vor Ehrfurcht fröstelte. Die Verwirbelungen
meiner heißen Atemluft, die sich wie Nebelschwaden in der Luft aufzulösen schienen,
ließen mich an Träume denken, die sich im Laufe des Lebens in der Erinnerung
ebenso aufzulösen schienen. Nur eine Silhouette schemenhafter Erinnerungen,
zweifelhafter Struktur und substanzloser Erscheinung flehend und bettelnd nach einer Beständigkeit,
die ihm niemand und nichts zu geben vermochte. Die Liebe ist das Leben und die Beständigkeit.
Dies hatte mir vor einiger Zeit jemand zu sagen versucht. Ist der Traum dann die Illusion?
Die Liebe im Traum gibt die Beständigkeit.
Sie sucht nicht in der Welt nach Perfektion, da sie nur in dir selbst
zu finden ist.
Du könntest Millionen Möwen betrachten - keine einzige würde sich dir jemals als perfekt darstellen,
wenn du sie als Ding siehst und nach ihren Makeln suchst.
Siehst du sie aber als Wesen mit Seele, so würde selbst auch eine Möwe die nicht mehr fliegen kann für dich als perfekt gelten
können. Es liegt in dir selbst. Selbst wenn sich etwas aufgelöst hat, so ist es dennoch da
und nicht weg. Es ist ebenso in dir, auch wenn sich seine Silhouette in deinen Gedanken
und deiner Erinnerung verzerrt darstellt. Der Wunsch nach Beständigkeit ist der Wunsch
nach dem Leben selbst. Aber das Leben ist Veränderung. Und nur was dieser Veränderung
unterliegt kann leben.
Ich warf ein kleines Stück Treibholz ins Wasser zurück aus dem es gerade gekommen
war und musste lachen bei dem Gedanken dass es ja im Grunde genommen eben
nicht aus dem Meer stammt. Als ein Schneesturm mir die Sicht nahm zog ich meine
Kapuze dichter um meinen Kopf und joggte fröhlichen Herzens den Rest der 7,5 Kilometer,
den ich noch vor mir hatte, den Strand entlang.