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Fantasy, Magie und Religion Gedichte über Religion, Mythologie, Magie, Zauber und Fantasy. |
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16.04.2022, 15:25 | #1 |
Testament
Sehen und Sehnen
Kreischen und Wehen Bitter und Brot Segel und Boot Schlange im Baum Apfel im Saum Kinder mit Schmerzen Heiland im Herzen Wort von der Kanzel Triffst du den Hansel Schlägt dich um acht Geh in der Nacht Sei nicht dumm Dreh dich nicht um Wie die Frau Lot Und du bist tot |
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18.04.2022, 20:26 | #2 | |||||||
Hallo seren,
Ich freue mich sehr, dich hier zu treffen. Du hast seit einem Jahr hier nicht mehr gepostet. Ich kenne dich ja ein bisschen und deswegen kann ich feststellen, dass das ein Verlust für dieses Forum gewesen sein muss. Ich begrüße also noch einen weiteren sehr aufmerksamen Geist, einen lieben Menschen und guten Freund zudem. Ich wundere mich, dass es noch keiner wert fand, dein Kunstwerk näher zu beschreiben oder zumindest eine "Gefallenskundtuung" kundzutun (gibt es das Wort überhaupt? Kundtuung? -> ja, gibt es; ich habe ihm Duden nachgeschaut!) Den Begriff "KUNSTwerk" habe ich bewusst gewählt! Wenn man nicht, wie es mir geschah, im Vorfeld darauf sensibilisiert wurde, dann kann es einem Leser bei einem ersten orientierenden Blick das filigrane Movens in deiner Poesie entgehen. Deine Gedichte fußen, um wieder mal einen gewagten Vergleich zu ziehen, nicht in der amerikanischen Popkultur, sondern gleichen den versteckten, unscheinbaren Lokalitäten, wo japanische Spitzenküche ihren Ort hat. Testament heißt dein Gedicht! 1 Sehen und Sehnen 2 Kreischen und Wehen 3 Bitter und Brot 4 Segel und Boot 5 Schlange im Baum 6 Apfel im Saum 7 Kinder mit Schmerzen 8 Heiland im Herzen 9 Wort von der Kanzel 10 Triffst du den Hansel 11 Schlägt dich um acht 12 Geh in der Nacht 13 Sei nicht dumm 14 Dreh dich nicht um 15 Wie die Frau Lot 16 Und du bist tot Das Gedicht wirkt auf den ersten Blick, als wäre es einfach strukturiert, aber genauer hingeschaut, werden viele feine Nuancen in Struktur und Ausdruck und eine Reihenfolge im Aufbau der Strophen sichtbar. Was haben wir vor uns? 16 Zeilen, 2 Betonungen pro Zeile; X x X x oder X x X ; Daktylus und Trochaeus in einer Zeile hintereinander gesetzt. Ausnahme im Versfuß: Z 13 "Sei nicht dumm" hier finden wir bei nur drei Silben mit einer katalektische (stumpfe) Kadenz. In den ersten 4 Zeilen stehen jeweils zwei Nomen. Sie werden über die Konjugation "und" verbunden. Zitat:
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Zunächst will ich einen Vergleich der ersten Zeilen mit den hinteren starten. Unsere Leitfrage dabei ist: Was bewirken die Verben? Zitat:
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Gehen wir zum Anfang zurück, um dann peu à pe nochmal der Zeilenabfolge diesmal im einzelnen nachzuspüren. Meine Assoziationen bringe ich nur in einer Kurzfssung vor, um die grobe Richtung der Entwicklung der Protagonistin anzudeuten. Es ist, glaube ich, einsehbar, dass sich beim Leser eine Fülle gemeinsamer Bilder, aber auch individuelle Kontexte ergeben werden. Eben das ist das Besondere in serens Arbeit: sie bindet eine riesige Menge an teils unterschiedlichen und teils gemeinsamen Gefühlen und Bildern an eine persönliche Leidensgeschichte. Sie erzählt keine Geschichte, die linear in der Zeitachse abläuft, sondern sie öffnet eine Art individuell gefärbtes Bilderstreaming Im übrigen bringt diese Darstellung mich auf den Gedanken, dass hier auf eine eigentümliche Weise das weibliche Pendant zum Kreuzgang am Todestag Christi konstruiert wurde. Dieser Gedanke mag aber nur ein Gedankenspiel am Rande der Analyse sein. Die Methode, um sich die ersten 4 Zeilen zu erarbeiten, ist also das Assoziieren: 1: Was sehe ich? Es ist nicht das, wonach ich mich sehne. 2: Schwangerschaft und Geburt sind kein Kinderschlecken. 3: Da klingt nach einem harten Leben. 4: Die Begriffe passen nicht in die Reihe der vorherigen. Weisen sie auf das Sehnen nach einem Leben mit Geld? Auch die folgenden Zeilen bedürfen assoziativen Denkens. Nirgends werden ja Erklärungen oder Fakten in Raum und Zeit berichtet. Assoziationen füllen nach und nach den "Plot" und lassen ihn immer lebendiger werden: 5: verlorenes Paradies, der Teufel, Sexualität; 6: das schöne Gefühl vom Paradies trifft auf das harte reale Leben. Die Sehnsucht dorthin wird unterdrückt 7: Kindergeburt, ihre Begleitung kostet Kraft 8: Im Inneren wirkt noch das kindliche Gottesbild nach 9: und trifft auf die Vertreter der Kirche und deren Moralvorstellungen. Moral und kindlicher Glaube bilden eine destruktive Allianz. Ist sie zu jung, sind die Kinder unehelich, von einem anderen Mann? 10: die Frau (die Assoziation zur "nudeldicke Dirn" aus dem Kinderlied bietet sich hier an) trifft auf ihren Hansel -> Mann? Liebhaber? Anderer Mann? 11: dann fällt sie ihm irgendwann auch körperlich zum Opfer. Es scheint unausweichlich wie ein Geschehen nach einem Naturgesetz zu sein; sie wird (um 8:00) verprügelt. 12: Sie kann nur noch wegrennen und fliehen; 13: das ist eine kluge Entscheidung! 14: ein Ratschlag wie von einer inneren Stimme oder aus dem Himmel. Heute könnten wir filmtechnisch sagen: wie aus dem Off: Nicht zurückschauen, geh deinen Weg! 15: Nachdrücklich wird darauf hingewiesen, dass es wirklich um Leben oder Tod geht! Es wird an Lots Frau erinnert. Die Geschichte, dass sie zur Salzsäule erstarrte, als sie sich auf der Flucht von Sodom befanden, weil sie sich entegegen dem Willen Gottes sich dummdreist umdrehte ist glaube ich, fast allen von uns bekannt. Weniger bekannt und ungern erinnert wird an den vorangehenden Besuch der Engel in der Stadt Sodom. Als die Bewohner der Stadt die vermeintlich reichen Fremden berauben und töten wollten, machte Lot, der Neffe Abrahams, dem Mob den Vorschlag, mit seinen beiden Töchern zu machen, was sie wollten, um um zu erreichen, dass die Schläger und Räuber von Sodom von den Fremden abzuließenn. (1. Mose 19 - Lutherbibel 2017) 16: Wenn du in dein altes Leben gehst, wirst du sterben. Fazit: Ich habe nur eine Assoziationskette benannt. Daran hängen noch viel mehr Bilder, Gefühle und - je nach Leser - auch unterschiedliche weitere Assoziationen, die die Geschichte auffüllen und lebendig werden lassen. Wahnsinnig komplexe Geschcihte mit nur wenigen Sätzen und Bildern. So weit erst mal! Eine wirklich filigrane und exakte Arbeit, seren! Ein bisschen von deinem Wortgefühl täte uns allen gut! Liebe Grüße Flocke Geändert von Flocke (18.04.2022 um 22:20 Uhr) Grund: Den Text geglättet und einige Bemerkungen präzisiert. |
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19.04.2022, 11:23 | #3 |
Dabei seit: 02/2021
Ort: mit beiden Beinen in den Wolken
Alter: 61
Beiträge: 1.681
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... danke Flocke, ich hätte es einfach übersehen, aber jetzt, wie du es erläuterst, fange ich an, Inhalt zu erkennen. Ein Künstler ohne Agent kann nichts verdienen.
wünsche schöne Träume |
19.04.2022, 12:31 | #4 |
Danke lieber Flocke für deinen ausführlichen Kommentar!
Du liegst natürlich richtig. Das Gedicht zählt assoziativ auf, was ein Frauenleben über Jahrhunderte bestimmt hat: Kinderkriegen, Kirche und Gewalt. Das ist unser Vermächtnis (Testament). Daneben gab es immer auch Hoffnung: Segel und Boot. Die finale unausweichliche Form des Abzählreims und die hämmernde Alliteration schienen mir adaequate Stilmittel. Nochmal herzlichen Dank und liebe Grüsse seren |
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23.04.2022, 14:06 | #5 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Hallo Seren,
dass diesem genialen Meisterwerk ein noch genialerer Kommentar folgen musste, ist mir ein Genugtuung der besonderen Art! Leider stimmt der erste Paarreim nicht, sonst hätten wir ein Musterbeispiel für paargereimten Quacksus Maxus. Ob es den Begriff "Quacksus Maxus" im Duden gibt? Nein, gibt es nicht, aber als Paarreim geht dieser Neogolismus durch und würde sich als Überschrift für Dein "Gedicht" eignen. Hallo Flocke, Dein Kommentar erklimmt die Höhen des Parnassos mühelos, aber nur auf dem Pfad der Satire. In welchem Duden Du den Begriff Genugtuung gelesen hast, wirst Du mir allerdings erklären müssen. Verschon uns Gott mit solchen Strafen, dann kann ich wieder ruhig schlafen. Heinz Geändert von Heinz (24.04.2022 um 00:06 Uhr) |
23.04.2022, 15:47 | #6 |
Lieber Heinz
Du hast hier sehr viele Gedichte gepostet. Ich habe erst einen Teil deines Werkes gelesen. Aber ich verstehe jetzt, warum du meines nicht verstehst. Es grüsst dich freundlich seren |
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23.04.2022, 16:36 | #7 |
Forumsleitung
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Genau das ist der Unterschied zwischen Sinn und Unsinn: Die Eigenschaft einer verständlichen Textübermittlung an einen funktionsfähigen Hochleistungsempfänger ist einem sprachlichen Totalschaden nicht immanent. Daran ändert auch Flockes Engagement nichts. In anderen Fällen fand ich seine ausgiebige Befassung mit Texten beeindruckend; aber hier hat er sich meiner Meinung nach verkünstelt und seine Zeit verschwendet. Dabei sind ihm merkwürdige Dinge wie "Schwangerschaft und Geburt sind kein Kinderschlecken" unterlaufen - zum Glück, muss ich sagen, denn Honigschlecken ist für Mutter und Baby ein weit angenehmeres Kinderspiel. Auch ist nicht klar, wie der Teufel mit dem Paradies in Zusammenhang gebracht werden kann, denn meines Wissens ist er ist eine Erfindung der Kirche. Und dann wird auch noch Frau Lot, die für ihre Aufmüpfigkeit eigentlich bewundert werden sollte, als "dummdreist" bezeichnet. Andererseits kann man bei soviel Unfug nicht erwarten, dass die Analyse besser ist. Immerhin ist sie an manchen Stellen amüsant. |
03.05.2022, 08:58 | #8 |
Dabei seit: 05/2022
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1
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seren...
don*t turn around du bist gläubig wer nicht glaubt, wird dich nie verstehen... ich verstehe dich sehr gut schreib weiter |
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abzählvers, frauen, vermächtnis |
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