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08.11.2015, 15:28 | #1 |
Forumsleitung
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Frei!
Ich bin von einer Vorfreude erfüllt, die mich zurückversetzt in die Kindheit, als mich beim Fahren im Riesenrad ein Glücksgefühl von den Haarspitzen bis zu den Fußnägeln durchströmte. Als ich volle Freiheit genoss.
Nicht ganz – zugegeben. Um fünf Uhr am Nachmittag hatte ich zu Hause zu sein. Damals gab es noch strikte, gewerkschaftlich abgesicherte Arbeitszeiten, und deshalb war für meine Mutter und meinen Vater, die beide in Arbeit waren, um halbfünf Schluss. Das Leben nach fünf fand in der Küche statt, da wurde gekocht und gegessen und dabei über die Ereignisse des Tages gesprochen. Ich verstand nicht viel von dem, was meine Eltern über ihre Arbeit und ihre Kollegen sprachen. Nur wenn sie auf die Politik kamen, schnappte ich Fetzen auf. Da war die Rede vom „Barras“, und trotz der längst vollzogenen Gründung der Bundesrepublik sprach man noch von der Wehrmacht statt von der Bundeswehr (die es eigentlich noch nicht geben durfte), Polen waren Polacken, Franzosen waren Franzmänner, die Engländer waren die Tommies und die Amis galten als Weltpolizei. Dann kamen die ersten Gastarbeiter, das waren die „Itaker“ bzw. die „Spaghettifresser“. Niemand hatte sich daran ernsthaft gestört, am wenigstens die Italiener. Deutsche machten in der Toskana Urlaub und pfiffen italienische Schlager vor sich her, während Italiener deutsche Mädchen heirateten und sich als zuverlässige, gestandene Familienväter erwiesen. Damals wurden auch noch Judenwitze erzählt. Nicht selbstironische Witze von Juden, sondern herablassende Witze über die Juden. Die verstand ich als Kind zunächst nicht, nahm aber aus den unterschiedlichen Reaktionen wahr, dass es damit etwas Schlimmes auf sich hatte. Wann immer etwas zur Sprache kam, was mit Juden zu tun hatte, herrschte eine Aura des Geheimnisvollen. Das kam aber nur selten vor, denn eigentlich existierte dieses Thema nicht. Es wurde totgeschwiegen, und auch die Judenwitze starben aus. Die fünfziger Jahre waren eine seltsame Zeit. Deutschland hatte die halbe Welt ins Chaos gestürzt und ging dank politischer Wendungen aus dem selbstverursachten Elend wie der Phönix aus der Asche empor. Die Jahrgänge dieser Zeit, zu denen ich gehöre, können sich glücklich schätzen. Es war ein Leben in Freiheit mit gewissen Einschränkungen. Jetzt fallen die letzten Einschränkungen weg: Ich bin frei! |
25.11.2015, 11:15 | #2 |
R.I.P.
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Liebe Ilka,
deine Geschichte hat mich sehr nachdenklich gemacht, sind wir wirklich frei, freier als in den glücklichen 50er Jahren mit Einschränkungen ? Ich glaube nicht, ich sehe mich nämlich schon wieder jedes Wort auf die Goldwaage legen ... Lieben Gruß Merith |
25.11.2015, 11:40 | #3 |
Forumsleitung
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Guten Morgen, Merith,
vielen Dank für Dein Feedback. Natürlich kann jedes Thema und jede Zeit relativiert werden. Mein kurzer Text ist keine Beschreibung des damaligen allgemeinen Lebensgefühls, sondern ein Besinnungsfetzen, den ich aus einer bestimmten Erinnerungsstimmung heraus spontan geschrieben habe. Die Kindheit in den 50er Jahren war auf eine gewisse Art ziemlich frei, jedenfalls für mich, aber dennoch lag eine Menge vor mir: Schule, Berufsausbildung, Weiterbildung, Einkommenssicherung, eigene Familie usw. Das ist vorbei - ab jetzt ist fast nichts mehr Pflicht, sondern freiwillig und nach eigenem Rhythmus. Liebe Grüße Ilka |
27.11.2015, 06:30 | #4 |
Apokalyptischen Gruß.
Frei sind wir erst tot. Lebendig in Ketten. - Frei ist die Wahl die wir eines Tages treffen werden. |
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27.11.2015, 07:04 | #5 |
Forumsleitung
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27.11.2015, 17:41 | #6 |
R.I.P.
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27.11.2015, 23:58 | #7 |
Shitstorm :D
Du hast dir deine Frage selber beantwortet. Wenn du eine zeitlang ohne Konsum leben kannst, oder gar immer, steht dir vieles offen bzgl. der Eigen-Kreativität oder Selbstentfaltung. Natürlich gibt es immer wieder Fälle in denen die Selbstentfaltung, die für sich selber ausgesuchte/schaffende Arbeit bzw. der schulischer Werdegang darstellt. In dem Sinne ist es jedem selbst überlassen, welchen Weg wir wählen oder noch wählen werden. Da wir als Kinder durch Eltern und anderen Rollen erzogen/geleitet werden, ist es uns zu Anfang kaum möglich unsere eigenen Moral und Wertevorstellungen aufzubauen. Irgendwann fügen wir uns demnach, weil wie viele denken, die Zeit uns davon läuft und es einfacher ist, so weiter zu leben wie vorher. Frei sein, heisst für mich nicht unbedingt unabhängig zu sein, so wie wir es mit unserem Beruf sind. Es gibt aber auch jene, die doch für sich selber, den richtigen Weg gefunden haben. Ich hab ihn bisher noch nicht gefunden. Aber wir haben ja Zeit.
Das war eigentlich das was ich damit sagen wollte. Definitionen sind "eh so eine Sache. Da wären wir wieder bei dem einen oder anderen Punkt den ich angesprochen habe. Irgendwie erzähle ich auch viel Scheiße, wenn ich's so überfliege. Dennoch der "Antwort-Button". ^^ Edit: Keine Korrektur vorhanden. Tanzender Gruß Leandra der Neander. |
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28.11.2015, 00:26 | #8 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Wer kein Geld hat, aber über Kreativität verfügt, braucht einen Sponsor, so wie z.B. Wagner den Ludwig brauchte. Wer gar keine Kreativität hat, wie z.B. Lang Lang, der als seelenlose Klimpermaschine einen Flügel malträtiert, braucht seinen Perfektionismus, ein gutes Management und Fernsehauftritte. Es gibt Millionen von Menschen, die über Kreativität verfügen, aber dadurch nicht frei sind. Und es gibt massenhaft Leute, die sich Techniken aneignen, die Kreativität vortäuschen. Mit Konsum hat das nichts zu tun. Wer mit Kreativität - oder sagen wir: Kunst - bestehen will, muss erst mächtig investieren. Das hat in erster Linie mit Schulden, mit Risiken und mit Hungerleiderzeiten zu tun. Gewiss nicht mit einem freiwilligen Konsumverzicht. |
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28.11.2015, 00:33 | #9 |
Geld ist wohl dein Ding, gell. Es bringt einfach nichts, sich mit dir zu unterhalten.
Herzliche. |
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28.11.2015, 00:59 | #10 |
R.I.P.
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Geld ist ein wichtiges Ding, vor allem im Alter, glaube mir. in spätestens 40 J. wirst du es erkannt haben wenn trotz aller Kreativität Kosten für Brille, vielleicht ein Hörgerät, eine Zugehfrau (weil du nicht mehr im Stehen mit der Nasenspitze deinen Parkettboden berühren kannst ) u.v.m, auf dich zukommen, von denen du in deinem Überschwang noch gar keine Ahnung haben kannst.
Gruß Merith |
28.11.2015, 01:23 | #11 |
Dabei seit: 07/2015
Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.497
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Wieso, wenn ich kein Geld hab, bau ich Figuren aus Sand.
Aber deine Geschichte ist schön. Ich hatte auch einen russischen Kumpel der Mein Kampf als Goldedition hatte, da hab ich das einzigste mal drin gelesen. Und Hitler hat da ja schon geschrieben das er die Juden loswerden will, hat wohl keiner von denen die nichts wussten gelesen. Wie heut zu Tage, veralgemeinert betrachtet, die breite Masse verblödet, aber es gibt noch viele Randkreative und Kluge Köpfe die viel rausfinden und dank der modernen Technik kannst auch als Straßenfeger an der Wissenschafft teilhaben oder an jeder Sekte und Religion. Ich hab mal von meinem Stiefvater eine geklatscht gekriegt, weil ich zum Pförtner Märchenprinz gesagt hab(Wegen NDW) obwohl er ihn immer so nannte wenn der Pförtner es nicht hörte. Ich konnte im stillgelegten Glaswerk spielen am Ende der DDR und hatte ein riesiges Gelände für mich und meine Freunde zum Tage verbringen. Und es war verlassen als wäre grad Mittagspause, nur eine sehr sehr lange. In der Schule wurd ich im Untericht über Satanismus informiert aber leider zu märchenhaft. Da gab es einen Satanisten der mal eine Kumpeline ins Glaswerk verfolgt hat. Aber als er sah das da noch andere warn is er wieder abgehaun. Und ne andre hat vorgetäuscht verfolgt zu werden, um auch vom Kumpel getröstet zu werden. Aber mit dem Satanisten wollten wir uns dann anfreunden, damit die großen Jugendlichen uns nicht mehr verfolgen wegen dem Tarnnetz was wir angeblich geklaut haben sollten. Und ich sollte den Satanisten dan vollquatschen das er schöne Haare hat, weil ich damals nicht sehr Gesprächig war, riet mir das mein Kumpel. Wärend er am zweiten der möglichen Wege wartete, zum Glück kam der nicht. Oder aufm Dach vom Neubaublock. Ist doch gut wenn Normal immer idiotischer wird, bald will keiner mehr normal sein. Gibt ja Handys, die neuen Trümmerfrauen retten ihre Handys aus den eingestürzten Häusern. Kommunikation kann auch Zwitschern sein und es ist doch auch egal nicht sonstwie klug zu sein, klug sein macht nur unglücklich. Besser werd ich dadurch auch nicht. |
28.11.2015, 01:27 | #12 |
#8 #10 - Ich denke schon, dass ich auf der geistigen Höhe bin, um zu erkennen, dass dies ein sehr wichtiger Faktor ist. Dem habe ich nie widersprochen. Ist weiterhin aber auch nicht schlimm, dass ihr denkt, ich spaziere naiv und blauäugig durch's Leben und per Muschel bezahle.
Herzliche. |
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28.11.2015, 01:37 | #13 |
Dabei seit: 07/2015
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Beiträge: 5.497
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naiv und Blauäugig ist das Leben doch.
Blau ist die Orginalaugenfarbe die anderen Pigmente kommen dazu. Ach ich glaub die Menschheit muss doch vernichtet werden. Schade ich dachte wir könnten darauf verzichten, Mister L Bau eine Raumkapsel vom Durchmesser 8 im Quadrat und nehm je ein Insekt jeder Art mit. |
28.11.2015, 01:40 | #14 |
Dabei seit: 07/2015
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28.11.2015, 01:44 | #15 |
Der Doc schweift maaaaaaal sowas von ab. :) Aber ich sehe trotzdem gute Ansätze. Hehe*. - Kommunikation kann auch Zwitschern sein - Direkt auf meine Liste.
Grüße |
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28.11.2015, 01:50 | #16 |
Moriae encominum. Ich habe die Narrenfreiheit auf meiner Seite!
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28.11.2015, 11:59 | #17 |
R.I.P.
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Dr. Frankenstein, deine Kommentare passen überhaupt nichts in Thema, sie bringen uns lediglich deine satanische Kindheit näher, für was ?
Und ich mache hier auch etwas zum Thema, was mir schon sehr lange auf dem Herzen liegt und vielleicht auch nicht wirklich hierher passt. Nach Abitur und Ausbildung zur MTA (medizinisch-technischen Assistentin, damals man das so) war ich 40 J. berufstätig (t r o t z Ehemann, zwei Kindern und Haus). Auch während während meiner Auslandsaufenthalte habe ich freiwillig den Mindestbeitrag in die Rentenkasse einbezahlt um den Anschluß nicht zu verlieren. Da meine "kreativen" Auslandsaufenthalte auch nicht nur von Erfolg gekrönt waren, hieß es nach der Rückkehr in den Alltag fleißig, wenn nicht noch fleißiger weiter buckeln. Also gingen meine Kinder (mein Sohn 1971 in Kapstadt gezeugt und der Grund unserer Rückkehr nach Deutschland) frühzeitig in den Kindergarten und oh Schande über mich, meinen Sohn vertraute ich sogar damals schon stundenweise einer Tagesmutter an, Dinge die heute selbstverständlich sind und für die geistige Förderung der Kinder angeblich unumgänglich sein sollen. Damals aber waren es die sog. "Schlüsselkinder", Mütter wie wir, hatten unsere Bestimmung verfehlt. Wenn sich unsere Kinder am Schulbus balgten hieß es "kein Wunder, die Mutter geht arbeiten". das Verwerflichste aber war, dass ich meinem Beruf mit Begeisterung nachgegangen bin, nicht nur, um "etwas dazu zu verdienen", was ja noch verzeihlich gewesen wäre. So habe ich meine Kinder, auch mit der verständnisvollen Unterstützung meines Mannes, aber doch immer mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen, groß gezogen. "Aus ihnen ist etwas geworden" darf man je heute nicht mehr sagen, altmodisch-borniert ist das, viel attraktiver ist es, wenn sich die Sprößlinge ihre Auszeiten im Ausland nehmen und nach reiflicher Überlegung mit Mitte 2O ein Studium beginnen, das ja nicht das endgültige sein muss. Heute gehöre ich aufgrund meiner eigenen konstanten beruflichen Tatkraft zu dem Rentnerkreis, der ohne finanziellen Sorgen lebt, wobei der Verzicht auf ein Auto und teure Urlaubsreisen für mich keine Opfer bedeuten, mit denen ich jammernd durch die Gegend ziehe, man kann sehr gut und zufrieden ohne Auto und eine Mittelmeerkreuzfahrt leben. Wenn ich mir heute ein gebundenes Buch anstatt eines Taschenbuches kaufe, weil mich der gepflegte Anblick erfreut, ich mir zum Frühstück in meinem Stamm-Bistro einen Capo und ein Croissant leiste, meinem Enkel eine Zahnspange finanziere und zweimal im Jahr nach München zu den Philharmonikern fahre, ist aus der Rabenmutter der 70er Jahre , eine neidvoll beäugte Rentnerin geworden, "die es sich ja leisten kann". Wer will und kann, wird meine Tirade verstehen und wissen, was ich sagen will... oder ganz einfach. für jeden verständlich: Von nix kommt nix. Freundlichen Gruß in die Runde Merith |
28.11.2015, 13:26 | #18 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Liebe Merith, Deiner "Tirade" (die ich nicht als solche ansehe) möchte ich noch etwas hinzufügen: So mancher Mensch im idealistischen Gewand, der den Mammon verdammt und den Konsum zu einem terroristischen Instrument der Marktwirtschaft erklärt, ist ein Heuchler. Er behauptet, der Umwelt zu dienen, indem er keinen SUV fährt, und sich sparsam-moderat zu kleiden, wenn auf seinen Klamotten keine Markensymbole mit Prestige prangen - um nur zwei Beispiele zu nennen. Das ganze verkauft er dann als "Lifestyle", obwohl die Wahrheit ist: Er könnte sich gar keinen SUV und keine Markenshirts leisten. Das nennt man in der deutschen Idiomatik, aus der Not eine Tugend zu machen. Doch entlarven sich diese Papp-Idealisten früher oder später selbst, weil sie ihr Gefühl des Zukurzgekommenseins nicht ewig kontrollieren können. Außerdem ist es ein Irrtum zu denken, dass Menschen mit finanziell sorgenfreiem Hintergrund dem sogenannten "Konsumterror" ausgeliefert sind. Nicht selten findet man gerade unter den Superreichen die größten Geizhälse. Auch dazu kann man sagen: Von nix kommt nix. Das Konsumverhalten hängst nicht vom Geld ab, das man hat oder nicht hat, sondern von Selbstkontrolle, der richtigen Einstellung seiner Bedürfnisse und einer klugen Haushaltsführung. Niemand muss seine Kohle völlig verheizen, man kann auch sparen oder Bedürftigen die Bude wärmen. Ich danke für Deinen Kommentar, Merith, der mir runterlief wie Öl. Beste Grüße und ein schönes Wochenende, Ilka |
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20.12.2015, 15:15 | #19 |
Hallo Ilka Maria
Ich finde den Rückblick auf Dein Erleben hast Du sehr gut gekleidet. Ja im Laufe der Jahre verlieren wir alle - mehr oder weniger - von der Leichtigkeit die uns einst ausmachte. Somit auch das annehmen können so wie es ist - oder war----ohne zu glauben -dieses bewerten zu müssen. Mich hat das Lesen zeitversetzt und zur gedanklichen Gegenüberstellung verleitet. Keine Frage -- die heutige Zeit ist auch schön. So wie jede andere hat sie manches, welches andere nicht haben. -- Mir gefällt so gar nicht, dass nur schwer annehmen können, wenn es abweicht von der eigenen Sicht. Aber es gibt trotzdem auch das andere. lg schöne Feiertage und guten Rutsch Berndus |
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