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Alt 18.06.2010, 00:20   #1
Friedrich
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 237


Standard Wohnungssuche

Die Geschichte entstand zu einer Zeit, als es noch kein Internet und keine Handys gab, und man sich noch Zeitungen kaufte, um im Anzeigenteil ein Wohnungsangebot zu finden. Die Situation wohnungssuchender Studenten wird dennoch nach wie vor dieselbe sein.



Wohnungssuche

Das Herz, das vergeblich hofft, wird krank. (Bibel, Sprüche, 13.3)

Freitagnachmittags um drei. Im Kiosk am Verlagsgebäude wuchtet der Verkäufer den ersten Packen frischgedruckter Zeitungen auf seinen Tresen, und es strecken all die Wartenden ihre Hände ihm entgegen, so wie die Hungernden in Afrika auf den Plakaten.

Und hat man dann sein Exemplar geschnappt, so wandelt sich’s im Nu zum Staffelholz des Läufers, der, so schnell ihn seine Beine tragen können, zur nächsten Telefonzelle enteilt. Sorgsam gehortete Münzen prasseln auf die metallene Ablage unter dem Apparat. Ausgeschüttet sind die Groschen schneller griffbereit, als wohlverwahrt im Portemonnaie. In fiebernder Suche tastet das Auge das Angebot auf dem Wohnungsmarkt ab: 2ZW, AB, KB; NK, ZH, Kaut. Nur der Eingeweihte, der langerfahrene Wohnungssuchende, entschlüsselt mühelos den Sinn der geheimnisvollen Buchstaben. Und dann – na endlich! – die gesuchte Wohnung! Moderate Miete, günstige Lage und – jawoll! – keine Maklergebühr.

Rasch gleiten die ersten Groschen in den Schlitz, fallen sichtbar in den Schacht des schwarzen Kastens; hastiges Eintippen der Nummer:

„Hallo, es ist ... ja, wegen Ihrer Anzeige ... ist noch zu haben? Super! ... Adresse? – Augenblick, ... ja, ich notiere ... danke, wir sind gleich da!“

Stadtplan auf den Knien der Liebsten, dritte Straße links, und dann gleich wieder rechts, und jetzt nur noch die Nummer. Parken nicht erlaubt! – egal! Was ist ein Strafmandat schon gegen diese Wohnung? Atemloses Keuchen: die vielen ausgetretnen Altbaustufen! Beherztes Klingeln unterm Namensschild. Die Tür geht auf, der Mieter bittet freundlich uns herein und zeigt uns stolz die Wohnung.

„Sie hätten sie mal sehen sollen, bevor wir noch hier eingezogen sind; kein Vergleich zu heute! Viel Geld und Arbeit galt’s zu investieren! Tja, und so ein bißchen ... will man auch mal wiederhaben; ist doch nur gerecht, oder?“

Die Wohnung ist genau das, was wir suchen, die Miete annehmbar, der Abstand noch erträglich. Im Flur tönt schrill das Telefon. Die Ehefrau gibt Auskunft, nennt deutlich die Adresse. „Auf Wiederhören!“ Und gleich darauf: es schrillt schon wieder.

„Wir nehmen also Ihre Wohnung!“
„Wunderbar! Schreiben Sie nur Ihren Namen, Beruf und die Adresse hier auf diese Liste“.
„Liste“?
„Sie sind doch nicht der einzige. Nicht ich entscheide, wer genommen wird, sondern der Vermieter.“

Und als ich auf die Liste schreibe, da weiß ich schon, daß wir verloren haben, denn für „Beruf“ kann ich nichts andres nennen als „Student“, und damit sind wir aus dem Rennen. Erneut! Jeder feste Arbeitsplatz hat bess’re Chancen, denn der Marktwert eines Mieters beruht auf seinem Einkommen. Und damit steht man als Student am untren Rand der Skala; danach nur noch die Arbeitslosen und ... soziale Fälle.

Vielleicht ist unsereins auch nur zu anspruchsvoll? Der Makler letzte Woche in der Bruchbude am Bahndamm, er hätte uns genommen. Verrostetes Blech an gewaltsam aufgebogenen Briefkästen. Plastik klebt statt Glas vor einigen Fenstern. Man investiert schon lang nichts mehr, wartet auf das grüne Licht der Stadt zum Abriß, vielleicht auch auf den Käufer für das Grundstück.

Und so auch jener düstre Altbau vor zwei Wochen, so nah am Rand des „Nuttenviertels“, kein Bad und keine zentrale Heizung; und dann, das kleine Klo: so eng, so hoch, wie ein ... Kamin.

Abschied dann vom netten Mieter, es klingelt an der Wohnungstür, die besten Wünsche und Empfehlungen, man gibt uns bald bescheid. Und doch, als wir die Stufen langsam runtersteigen, da kommt’s mir in den Sinn: Wir, die Unterprivilegierten, wir glauben nach wie vor naiv, wir hätten eine Chance, sind wir nur schnell und bei den ersten der Bewerber, doch ist dies eine Täuschung. Stattdessen gleicht das Spiel vielmehr dem Wettlauf zwischen Has’ und Igel. Ist man auch noch so schnell und rennt so viel es geht, man kommt doch stets zu spät, und die Chance bekommt ein anderer.

Und so, um drei, am nächsten Freitag, da werden wir erneut auf Herbergssuche gehn: Zeitungskiosk, Telefon, Stadtplan, Wohnungsgang, Bewerberliste, Warten, und ... letztendlich – nichts! Und irgendwann wird auch der letzte Rest an Mut zur Neige gehn, und dann ... begnügt man sich ... wie einst ... auch mit nem Stall.
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Alt 18.06.2010, 01:21   #2
männlich Caliban
 
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Beiträge: 555


Schöne Momentaufnahme, ein einziger Kritikpunkt zur sachgerechten Darstellung der Realität: Arbeitslose sind in diesen Zeiten nebst Sozialfällen sehr gern gesehene Mieter, denn deren Miete zahlt die ARGE und die zahlt immer pünktlich. Der Arbeitslose steht auf der Mieterhierarchieleiter deutlich über dem Studenten und den meisten Arbeitnehmern.
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