Richard (4. Teil In einem Dorf im Winter)
Richard saß noch eine ganze Weile da und starrte auf den Schreibtisch in seinem Hotelzimmer, nachdem er aufgelegt hatte. Er war zwar sicher, dass Evelyn sein Erschrecken nicht bemerkt hatte. Seit ihrem letzten Eifersuchtsanfall hatte er sich gut im Griff. Sobald auch nur der Name einer anderen Frau fiel, war sein ganzes Benehmen von einer stoischen Ruhe erfüllt, ganz egal, ob er die andere Frau kannte oder nicht. Aber jetzt nahm die Nervosität überhand. Er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum. War Annabell nun auch verrückt geworden? Was sollte es, ihm einen Brief nach Hause zu schicken? Eine Frau, die ihm das Leben aus Eifersucht zur Hölle machte, reichte ihm vollkommen. Evelyns Eifersucht hatte bereits paranoide Züge, das hatte ihm auch der Psychologie, Dr. Kiddener, quasi bestätigt. Seiner Meinung nach hätte Evelyn noch mindestens 10 Therapiesitzungen bei ihm haben müssen. Doch Evelyn hatte die Therapie von sich aus abgebrochen. Das hatte er erfahren, als er sich in Dr. Kiddeners Praxis nach Evelyns nächsten Terminen erkundigen wollte. Und am gleichen Abend hatte Evelyn ihm freudestrahlend erzählt, Dr. Kiddener habe gesagt, sie habe große Fortschritte gemacht und brauche nicht mehr zu kommen. Sie hatte ihn einfach belogen. Vielleicht glaubte sie sogar selbst, dass dies die Wahrheit und sie von ihrer krankhaften Eifersucht geheilt sei.
Rückblickend war die kleine Affäre mit Annabell während des Seminars in Hannover natürlich ein großer Fehler gewesen. Doch wie hätte er ahnen können, dass Annabell tatsächlich mehr wollte, obwohl er ihr ausdrücklich erklärt hatte, dass nach dem Ende des Seminars nichts mehr laufen würde und die eine gemeinsame Nacht nichts zu bedeuten habe? Er hatte den Eindruck gehabt, sie hätte ihn verstanden und auch nicht mehr gewollt als er, nämlich heißen, unverbindlichen Sex. Es war angenehm gewesen, sich bei ihr fallenlassen zu können. Sex zum reinen Vergnügen, ohne das Gefühl wie bei Evelyn zu haben, eine Pflicht erfüllen zu müssen, um sie mal wieder davon zu überzeugen, dass sie die einzige Frau für ihn war. Evelyn konnte in jeder Hinsicht extrem anstrengend sein.
Wider Willen musste Richard lächeln, als er an die Nacht mit Annabell zurück dachte. Hier hatte sich eine Frau für ihn angestrengt und sich große Mühe gegeben, damit es ihm auch gefiel. Ja, wenn er Annabell früher kennengelernt hätte.... Aber es war müßig, darüber nachzudenken. Er überlegte, ob er sie anrufen und sie fragen sollte, was sie sich dabei gedacht hatte, ihm einen Brief zu schicken, aber dafür musste er erst einmal wissen, was überhaupt drin stand. Er hatte sie doch gebeten, auf keinen Fall von sich aus Kontakt mit ihm aufzunehmen! Warum tat sie es dann doch und zwar noch auf eine Weise, die Evelyn schon geradezu auffallen musste?
Nun, das war jetzt nicht mehr zu ändern. Richard seufzte, dann beschloss er, sich abzulenken und schaltete den Fernseher ein. Gerade flimmerte der Wetterbericht über den Bildschirm. In den Bergen sollte es morgen wieder schneien.
Ende des 4. Teils
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