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Forumsleitung
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„Nostalgie“ ist zu einem Schimpfwort geworden, gleichbedeutend mit „Rückwärtsgewandtheit“. Wer sich nicht das Etikett „nostalgisch“ anheften will, greift auf „retro“ oder „vintage“ zurück. Es bleibt jedem überlassen, ob er bei diesen Begriffen das linke oder das rechte Auge zudrückt, aber egal, bei welchem es selbstbetrügerisch unter dem Lid hervorblinzelt: Alle drei Begriffe meinen dasselbe.
Mein Herz erfreut sich immer, wenn ich einen VW-Käfer (neudeutsch: Beetle) auf der Straße fahren sehe. Nicht einen von den nachgebauten und importierten, sondern einen Oldtimer, wie man ihn zum Beispiel an meinem Wohnort bei der „Käfer-Station“ kaufen kann. Zu stolzen Preisen. Da muss man für so einen Dinosaurier schon mal ein Lösegeld von 15.000 und bis 25.000 Euro zahlen. Zugegeben: Da ist manches Schmuckstück dabei, das Sammlerherzen aufgehen lässt. Überhaupt scheint man an meinem Wohnort ein Herz für Oldtimer zu haben. In einem unserer Autohäuser, und von denen gibt es viele für diese kleine Stadt, sind Oldtimer zu sehen, die an Schönheit und Eleganz nichts zu wünschen übrig lassen. Da waren noch Designer am Werk! Nicht diese Stümper von heute, nach deren Entwürfen und Nachbauten die Autos immer hässlicher geworden sind. Das sind unansehnliche Monster wie aus Frankensteins Küche. Mein W-124 wird, so er durchhält, wird in drei Jahren vierzig Jahre alt. Ich bin sicher, er schafft das. Zugegeben: Er war auch nicht die große Schönheit, seine Vorgänger waren ihm an Eleganz weitaus überlegen. Aber der W-124 ist ein Arbeitspferd, das klassische Taxi-Auto der 90er Jahre und unverwüstlich. Der rollt noch ohne zu schnaufen und zu husten und hat noch keinen Rost angesetzt. Tja, was gibt es sonst noch zur Nostalgie zu sagen? Zu den Immobilienpreisen nichts. Die sind immer gestiegen. Zur Mode? Dunkellila auf Apfelgrün wird wohl nicht mehr kommen, das war eine Laune der späten 60er Jahre. Und auch die hohen Plateausohlen Anfang der 70er werden nicht mehr kommen. Niemand, der den Film „Love Story“ heute sieht, wird vor Rührung Tränen vergießen, denn das Mitgefühl mit dem einzelnen Menschen hat abgenommen. Heute pflegt man Empathie nach dem Krokodilstränenprinzip, und damit ist jeder fein raus: Man zeigt sich gefühlig, weil das auf Knopfdruck so zu sein hat, damit man nicht zu den Schlechten gezählt wird. Dann ist die Sache abgehakt und darf vergessen werden. „Empathie“. Was für ein Unwort. Man muss es nur im Mund führen, aber nichts für seinen Nächsten tun. Hauptsache, man hat sich lange genug darüber ausgelassen. Obwohl manche Menschen unter „Empathie“ verstehen, dass sie ihren Ehepartner mal einen Tag lang nicht kritisiert haben, statt sich die Mühe gemacht zu haben, seinen Standpunkt verstehen zu wollen. Und wieso muss es „Empathie“ heißen, wo wir doch früher das jedermann zugängliche Wort und alles sagende „Einfühlungsvermögen“ hatten? Kann es sein, dass es damit nicht mehr weit her ist und es sich deshalb hinter einem Fremdwort versteckt, dessen Bedeutung man erst nachschlagen muss? Unser Wortschatz wird zu einer moralischen Lehranstalt umgewandelt, und das hat nichts mit Nostalgie versus Moderne zu tun. Bleibt die Frage: Cui bono? Wer profitiert davon? |
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