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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 22.03.2023, 01:42   #1
weiblich Ottilie
 
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Beiträge: 341

Standard Denk ich über Geschichte nach…

Denk ich über Geschichte nach,
komm ich zu keinem Ende.
Höchstens: ich würfe allzu gern
ein Tintenfass gen Wände.

Da ich nun nicht kein Tintenfass
auf meinem Schreibtisch habe,
so denk ich eben weiter nach,
vermutlich bis zum Grabe.

So viele Fragen stellen sich:
Sind wir jetzt klüger, schlauer?
Gibt es ihn wirklich, den „Fortschritt“?
Und wenn, ist er von Dauer?

Stimmt es, wir hätten uns befreit
vom Wahn vergang’ner Zeiten,
von Dummheit aus Unwissen und
allen Unmündigkeiten?

Ist’s richtig, dass wir souverän
die Welt interpretieren
und wissend und höchst selbstbewusst
in helle Zukunft führen?

Die Aufklärung: was brachte sie?
Half sie Vernunft zum Siege?
Zerfiel das alte Weltbild nur,
weil drängten neue Kriege?

So viele Fragen, Zweifel auch.
Ich komm zu keinem Ende.
Ich kauf mir bald ein Tintenfass
und ----
Ottilie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.03.2023, 07:59   #2
weiblich DieSilbermöwe
 
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Hallo Ottilie,

gefällt mir inhaltlich sehr gut, auch die Idee, das Gedicht unendlich fortführen zu können.

Zwei Betonungswechsel sind mir aufgefallen:

Zitat:
.Denk ich über Geschichte nach,
komm ich zu keinem Ende.
Höchstens: ich würfe allzu gern
ein Tintenfass gen Wände.
und

Zitat:
So viele Fragen stellen sich:
Sind wir jetzt klüger, schlauer?
Gibt es ihn wirklich, den „Fortschritt“?
Und wenn, ist er von Dauer?.
Besonders „Fortschritt" fällt hart aus dem Rhythmus. Das Wort „Geschichte" im ersten Vers könnte man vielleicht noch mit viel Geschick im Rhythmus lesen.

Obwohl, ein anderes Wort wie „Welten" z. B statt „Geschichte" wäre besser (ich weiß, das macht inhaltlich nicht viel Sinn. Ich überlege nur, wie man im Rhythmus bleiben könnte.)

Ich finde es nämlich schade, wenn ein solch klasse Gedicht einen rhytmischen Missklang aufweist.

Oder: Wie wäre es mit „Historisches?" Das Wort „nach" brauchst du in V1 ja nicht wirklich:

„Denk ich an Historisches,
komm ich zu keinem Ende.
Höchstens: Ich würfe allzu gern
ein Tintenfass gen Wände."

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.03.2023, 19:54   #3
weiblich Ottilie
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 341

Hallo Silbermöwe, ich gebe Dir recht, der "Fortschritt" und die "Geschichte" brechen den Rhythmus, ich war mir dessen bewusst, habe es aber so stehen lassen. Ich kann, ehrlich gesagt, mit beiden Worten nicht viel anfangen, es sind für mich völlig diffuse, unklare, mit beliebigen Inhalten füllbare Worthülsen...
Ottilie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.03.2023, 13:07   #4
weiblich DieSilbermöwe
 
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Alter: 61
Beiträge: 6.714

Hallo Ottilie,

beinhaltet das Wort „Geschichte" für dich nicht - wenn du doch schon drüber nachdenkst - vergangene Jahrhunderte? Und das Wort „Fortschritt" - klingt da nicht „Zukunft" durch?

Bleibt noch die Frage, warum du dein Gedicht mit dir diffus scheinenden „Worthülsen" füllst, die dir nach eigenem Bekunden ja nichts sagen

Vielleicht doch - unbewusst?

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.03.2023, 11:01   #5
weiblich Rumpelstilz
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Beiträge: 311

Standard Denk ich über Geschichte nach

Hallo Ottilie,

nun ja, ein bisschen krautig hie und da, aber die Autorin macht sich Gedanken. Was heute anscheinend eine Rarität ist. Großes Thema: Geschichte und was man draus lernen kann. Oder besser: sollte. Dies scheint der Antrieb der Autorin zu sein, dieses Gedicht zu schreiben, dass nämlich ihrer Meinung nach keiner was draus gelernt hat.

Du gehst nicht auf Spezielles ein, bleibst im Allgemeinen. Aus Vorsicht, Ottilie? Weise getan. Denn wenn du geschrieben hättest, dass dieses Deutschland so verkommen ist, dass es Russland, das das zerrrissene Deutschland wieder zu einem Land gemacht hat, mit deutschen Waffen angreifen lässt, würde sicher ein kleiner Shitstorm unserer staatstragenden Schlafmützen losgetreten werden. Oder die grünen Weltverbesserer, die unser Land zu Klump politisieren, egal, was ihre Wähler denken. Oder der Rüstungsetat, während massenhaft Unternehmen das Handtuch werfen, weil Deutschland, wie die grüne Landplage fordert, von Russlands Gas unabhängig werden muss. Den Shitstorm sparst du dir. Und nun weiß keiner, wovon du hier schreibst. Und da bleibt mir nur die Frage: Weshalb hast du das Jammergedicht geschrieben? Jaja, schlechte Zeiten. Mehr kommt für mich leider nicht rüber. Immer fehlt was, wenn der Stammtisch spricht.

Gruß, Rumpelstilz
Rumpelstilz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.03.2023, 12:34   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Ottilie Beitrag anzeigen
So viele Fragen stellen sich:
Sind wir jetzt klüger, schlauer?
Gibt es ihn wirklich, den „Fortschritt“?
Und wenn, ist er von Dauer?
Liebe Ottilie,

die Frage ist einfach zu beantworten: Ja, es gibt den Fortschritt - jedenfalls bislang. Ob er von Dauer ist, kann niemand beantworten. Tatsache ist jedenfalls, dass wir Menschen nicht mehr auf Bäumen oder in Höhlen schlafen und Entwicklungen wie der Buchdruck, die Aufklärung, die industrielle Revolution und die Arbeiterbewegung, um nur einiges herauszugreifen, insgesamt für mehr Bildung und Wohlstand gesorgt haben. Nicht alle Länder haben einen solchen Fortschritt erfahren, vor allem nicht viele der ehemaligen Kolonien der Europäer, und auch in der Moderne gab es immer wieder Rückschläge, man denke nur an die beiden verheerenden Weltkriege.

"Geschichte wiederholt sich nicht -aber sie reimt sich", las ich kürzlich mal, leider weiß ich nicht mehr, wer das geschrieben hat. Wir stehen heute vor Herausforderungen, wie sie es noch nie zuvor gegeben hat, und was uns droht, sind neue Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten. Der Sozialismus ist gescheitert, der Kapitalismus ufert aus, Umwelt und Klima bereiten uns Sorge - aber es wird schwierig werden, aus der Misere rauszukommen. China strebt zur Weltmacht und befindet sich im Widerspruch, modernste Technologien in Windeseile hochzuziehen, aber gleichzeitig weiterhin Milliarden von Tonnen Kohle zu verfeuern und außerdem Unmengen billiges Gas von Russland zu importieren. Wir können in Westeuropa Programme aufstellen, so viele wir wollen: Wenn nicht alle Länder mitmachen - hier sind auch die U.S.A. gefragt -, wird aus dem Klimaschutz nichts.

Peter Sloterdijk hat gerade einen Vortrag zu dem Thema gehalten: "Die Reue des Prometheus - Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung" (mit der globalen Brandstiftung meint er das Verfeuern fossiler Brennstoffe, die er "unterirdische Wälter" nennt). Der Vortrag ist bei Suhrkamp erschienen (ca. 80 Seiten). Nur ein Zitat daraus: "Aus dem ... Übergang von der 'prometheisch Scham', wie es Anders nannte, zur prometheische Reue - bei welcher der Titan zu der Ansicht kommt, dass er den Menschen das Feuer besser nie überbracht hätte, folgt die Frage, was an die Stelle der Abfackelung der unterirdischen Wälder treten könnte. Die seit einer Weile beliebte Geste des Bäumepflanzens besitzt eine gewisse sympathische Symbolkraft; mit der regenrativen Logik nachhaltiger Waldpflege hat sie wenig zu tun. Der dominierende modus operandi ist nach wie vor radikal extraktiv, er weist kaum eine Spur von Sinn für das Nachwachsende auf. Wenn sich inzwischen auch alle Welt mit dem Label 'Nachhaltigkeit' dekoriert, handet es sich zumeist auf das Ganze gesehen ... um nicht mehr als einen wenig frommen Selbstbetrug. ..."

Sloterdijk endet seinen Vortrag mit: "Fire Fighters aller Länder, dämmt die Brände ein!"

Aber offen gesagt bin ich ratlos, wie das gelingen soll.

LG
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.03.2023, 13:25   #7
weiblich Ottilie
 
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Beiträge: 341

Aber offen gesagt bin ich ratlos, wie das gelingen soll.

Hallo Ilka-Maria und Rumpelstilz,

ja, ein wenig Jammerei klingt aus meinem Gedichtlein schon heraus. So wars trotzdem nicht gemeint. Der Gedanke war, über inflationär gebrauchte Begriffe wie "Fortschritt" und "Geschichte" nachzudenken.

Ich zweifle den allgemein gängigen Inhalt des Begriffes "Fortschritt" an und denke, Sloterdijk, den alten Griechen und auch den Bibelredaktoren ging es schon ähnlich. Dieser Inhalt unterstellt m.E. eine stetige Verbesserung der Lebensverhältnisse durch die Entdeckungen in Wissenschaft und Technik.

Die Realität sieht aber anders aus: Wir haben es in der kurzen Zeit seit Beginn der industriellen Revolution geschafft, das Ökosystem zu diversen Kipppunkten zu führen. Wir verbrennen fossile Rohstoffe in einem Jahr, wofür die Natur tausende Jahre benötigte, um sie zu bilden. Wir stellen, kurz gesagt, unsere eigene Existenz mittlerweile zur Disposition. Insofern wäre es Fortschritt - im Sinne eines sinnvollen weiteren Fortschreitens von Zeit - gewesen, es hätte diesen nicht gegeben - was natürlich ein sich selbst ausschließendes Paradoxon ist... Ich kann des Prometheus Zweifel nachvollziehen...

Der Begriff "Geschichte" ist genauso fragwürdig: Was passiert ist, ist vor allem ein Produkt unserer lückenhaften Wahrnehmung, die ohnehin alle aufgenommenen Infos nochmal perspektivisch, also anthropozentrisch, verzerrt...

Vielen Dank für die gute Diskussion, Euch ein schönes Wochende, herzlich

Ottilie
Ottilie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.03.2023, 15:13   #8
weiblich Rumpelstilz
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Beiträge: 311

Standard Denk ich über Geschichte nach

Hallo Ottilie,

da hätte es gereicht, du hättest ein Gedicht über den sogenannten Fortschritt geschrieben. So wie es jetzt aussieht, haben wir zwar die Technologien, die einen wirklichen Fortschritt auf allen Gebieten des Lebens machen könnten.
Ob sie das tun, hängt aber davon ab, in wessen Händen sich diese neuen Technologien befinden. Und so wie es aussieht, werden sie gegen die Menschheit eingesetzt. Nicht nur, dass nach Ansicht der Eugeniker, in deren Händen sich die neuen Technologien befinden, zu viele Menschen auf der Erde leben, sondern sie werden sogar aktiv gegen das eigentliche Menschsein eingesetzt. Und den Einstieg in das "Reduzieren" der Menschheit machte, ob gewollt oder nicht, das Pentagon, das der Auftraggeber für die Entwicklung der Geninjektionen war, samt Lockdown, Maskentragen usw. Zu welchem Zweck das Pentagon diese Geninjektionen einsetzen will, darüber dürfte es keine langen Diskussionen geben. Jeder Fortschritt in der Menschheitsentwicklung hat immer zwei Seiten, eine positive und eine negative. Darüber aber wirst du meiner Ansicht nach nicht nachgedacht haben, du hast diese Verbindungen gar nicht erkannt, wie ich in deinem Gedicht sehe, sondern dich auf allgemeines Gerede gestützt. Und das ist für ein Gedicht, das aufklären will - wie du es offensichtlich wolltest - einfach zuwenig.

Gruß, Rumpelstilz
Rumpelstilz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.03.2023, 16:16   #9
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Bleibt noch die Frage, warum du dein Gedicht mit dir diffus scheinenden „Worthülsen" füllst, die dir nach eigenem Bekunden ja nichts sagen
Ich halte "Geschichte" und "Fortschritt" keineswegs für Worthülsen und weiß nicht, weshalb Ottilie sie abwertet. Beide Wörter sind klar definiert, und jeder versteht, was mit ihnen gemeint ist. Für "Geschichte" könnte man wahlweise noch "Historie", "Ären" oder "Epochen" nehmen. Im ersten Vers stört auch weniger dieses Wort, sondern das Wörtchen "über" fällt aus dem Rhythmus. Man könnte hier schreiben: "Les ich mir die Geschichte durch ..."

Für "Fortschritt" ist kaum ein Ersatzwort zu finden, das alles das beinhaltet, was darunter zu verstehen ist, nämlich "Entwicklung zum Höheren, Zweckmäßigeren und vom Einfachen zum Komplizierten", in Politik und Philosophie im Hinblick auf die Menschheit "das Erreichen einer höheren Entwicklungsstufe".

Das Wort "Fortschritt" umfasst also mehr als Erfindungen und die Fortentwicklung von Technik, sondern z.B. auch die Optimierung der Landwirtschaft , Schaffung von komplizierten gesellschaftlichen Strukturen nebst Gesetzgebung, Weiterentwicklung geistigen Denkens u.v.m.

Das Tintenfass weist auf Martin Luther hin, und in der Tat fand zu seiner Lebenszeit eine epochale Wende statt. Fast hundert Jahre zuvor war der Buchdruck entwickelt worden, ohne den die Kirchenspaltung wahrscheinlich nicht stattgefunden hätte; eine einheitliche Deutsche Sprache wurde geschaffen; es entstand der Vorläufer eines modernen Bankensystems, immer mehr Universitäten wurden gegründet, und der Schwerpunkt des Handels hatte sich nach der Entdeckung Amerikas vom Mittelmeer an die Atlantikküste verschoben. Die Menschen spürten die Veränderungen, obwohl viele sie noch nicht greifen konnten und verunsichert darüber waren, wohin die Reise gehen sollte. Es war kein Zufall, dass damals Sebastian Brant "Das Narrenschiff" schrieb, in dem er diesen Zeitgeist festhielt.

Ottilies Gedicht ist ein Katalog von offenen Fragen, die mich an die Verwirrung der Leute zu Brants Zeiten erinnert. Vielleicht hätte Ottilie manches klarer ausdrücken können, aber schließlich gibt es keinen Text, den man nicht noch besser machen könnte. An den beiden Wörtern "Geschichte" und "Fortschritt" liegt es jedoch meines Erachtens nicht.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
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Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
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