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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 06.03.2023, 15:23   #1
männlich Alfredo
 
Dabei seit: 12/2022
Ort: Wels
Beiträge: 128

Standard Der Tod eines Obdachlosen

An diesem gottverdammten Morgen,
plagen mich schon wieder Sorgen.
Wo nehm' ich was zum Essen her,
ich habe keinen Groschen mehr.

Das Leben hat mich ausgebeutet.
Wenn es an der Türe läutet,
jagt ein Schrecken durch die Glieder:
Der Exekutor, nicht schon wieder!

Doch er ist es, will mich pfänden,
ich stehe da mit leeren Händen.
Nun werd' ich auch noch delogiert,
ich wollt's verhindern, hab's probiert.

Das Leben ist 'ne schlimme Bürde,
sprach da wer von Menschenwürde?
Ich bin so mutlos und verdrossen,
die Menschheit hat mich ausgestoßen.

Heuer kommt der Winter bald,
die Nächte sind schon bitterkalt.
Mein Lager ist in diesen Nächten,
neben Hauseingang und Lüftungsschächten.

Ich schleiche mich in Suppenküchen,
würd' am liebsten mich verkriechen.
Wenig nützt mir dieser Wahn,
den letzten Stolz legt Hunger lahm.

Niemand hat mit mir Geduld:
'Der Sandler hat ja selber Schuld!.
Die Polizei will mich verjagen,
ist es ihr peinlich, mich zu plagen?

Wo soll ich mich denn nur verkriechen?
Ich kann mich selbst bald nicht mehr riechen!
In einem Tunnel, schlecht versteckt,
wurd' ich von Hooligans entdeckt.

Die trieben mit mir üblen Scherz,
ich spür' noch ihrer Tritte Schmerz.
Sie machten sich dann doch davon,
noch lang erklang ihr grölend' Hohn.

Ich glaub' nicht an Gerechtigkeit,
denn kalt lässt Prasser solches Leid.
Endlich kommt die schwarze Nacht,
nie wieder bin ich aufgewacht.

Glossar:

Heuer = dieses Jahr.
Groschen = Untereinheit der ehemaligen österreichischen Währung Schilling.
Exekutor = österreichisch für Gerichtsvollzieher.
Sandler = österreichisch für Penner oder Stadtstreicher.
Hooligans = randalierende Jugendbande.
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Alt 13.03.2023, 18:07   #2
männlich Erebos
 
Benutzerbild von Erebos
 
Dabei seit: 03/2023
Ort: Rheinland
Beiträge: 20

Hallo Alfredo,

Danke für das Teilen deines Textes. Ich habe beim Lesen deinen Umgang mit der Sprache sehr genossen. Du schaffst es wirklich eine bildformende Geschichte zu erzählen, ohne dass etwas künstlich und fremd in den Reimen wirkt. Das ist für mich ein sehr wichtiger Aspekt. Da ich jegliches Wissen über Fachsprache auf diesem Gebiet fehlt, lese ich mir Gedichte mehrfach laut vor, um im Klang etwaige Stolpersteine zu finden. Da sind mir allerdings auch nur zwei Kleinigkeiten aufgefallen, die ich erwähnen wollte:

Zitat:
Ich bin so mutlos und verdrossen,
die Menschheit hat mich ausgestoßen.
Lässt sich zumindest ausgesprochen kurz stolpern. Man könnte 'ausgestoßen' mit 'ausgeschlossen' ersetzen und hätte zwar ein weniger starkes Wort, aber einen flüssigeren Reim.

Zitat:
Ich schleiche mich in Suppenküchen,
würd' am liebsten mich verkriechen.
Der funktionierte auch nicht so optimal. Da könnte man vielleicht mit etwaigen "Gerüchen", oder gesunkenen "Ansprüchen" arbeiten, denn "verkriechen" benutzt du zwei Strophen tiefer nochmal und das wäre ohnehin die einzige Dopplung, in deinem sprachlich so abwechslungsreichen Gedicht.

Beides aber Punkte, die deinem Werk unterm Strich keinen Abbruch tun und meinerseits nur erwähnt wurden, um konstruktiv zu wirken. Nochmal danke für das Teilen.

PS: "Prasser" kann noch in dein Glossar. Ich kannte das Wort zwar, aber wenn du eh schon eins hast, dann passt es da auch wunderbar rein.

lg,
Erebos
Erebos ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.03.2023, 07:20   #3
männlich Alfredo
 
Dabei seit: 12/2022
Ort: Wels
Beiträge: 128

Standard Der Tod eines Obdachlosen

Hallo Erebos,

danke für deinen Kommentar und die Analyse meines Gedichtes. Leider kann man nachträglich nichts mehr ändern, weil das in diesem Forum nicht vorgesehen ist. Aber deine Anregungen sind sehr wertvoll.

Was den 'Prasser' betrifft, so kann man ihn mit "Verschwender' oder 'Vergeuder' übersetzen. Im Gedicht ist das ein indirekter Hinweis auf die Lebensmittelverschwendung in unserer Gesellschaft, die ich für ein Verbrechen halte.

Das Interesse für soziale Themen scheint in diesem Forum aber gering zu sein.
Das Gedicht wurde kaum von einer Handvoll Menschen gelesen.

MfG Alfredo
Alfredo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.03.2023, 15:43   #4
männlich Manni M.
 
Dabei seit: 09/2022
Ort: Mittelrhein
Alter: 45
Beiträge: 114

Zitat:
Zitat von Alfredo Beitrag anzeigen

Das Interesse für soziale Themen scheint in diesem Forum aber gering zu sein.
Das Gedicht wurde kaum von einer Handvoll Menschen gelesen.
Hallo Alfredo,

ich weiß nicht, ob es unbedingt angebracht ist, dem kompletten Forum mangelndes Interesse für soziale Themen anzukreiden, weil dein Gedicht nicht so oft angeklickt wurde. Manche Texte erhalten immens viel, andere wiederum relativ wenig Aufmerksamkeit. Woran das liegt, wird niemand gänzlich ermessen können.

Mich hat das Gedicht an einen Vorfall erinnert, der sich letztes oder vorletztes Jahr in Berlin ereignet hat. Da wurde ein Obdachloser an Weihnachten aus einer U-Bahn Station geworfen, weil er nicht geimpft war. Wie muss dieser sich dabei gefühlt haben? Aber so ist es leider nun mal in einer Gesellschaft, die vielerorts gefühlstot ist.

LG
Manni
Manni M. ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.03.2023, 17:12   #5
männlich MonoTon
 
Benutzerbild von MonoTon
 
Dabei seit: 04/2021
Beiträge: 1.107

Hallo Alfredo und Manni

Zitat:
Manche Texte erhalten immens viel, andere wiederum relativ wenig Aufmerksamkeit. Woran das liegt, wird niemand gänzlich ermessen können.
Wirkung und Auffälligkeit.

Wer immer nur im Hinterzimmer agiert und nie aneckt, weckt kein Interesse.
Damit meine ich nicht, das man ständig herum meckern oder gegen an sein muss, aber Kontra geben hält andere bei der Stange.
Ebenso verhält es sich mit der Eigeninitiative. (Wieviele "i's" wollen sie? Ja.)

Ein Glossar ist zwar nett gemeint, aber den meisten Lesern wird damit indirekt Dummheit attestiert und Unfähigkeit zum selbständigen Denken.
Zudem gibt es wenig Grund in einem schildernden Klartext die Interpretationsgabe zu bemühen, es gibt nur ja oder nein in dem Text.
Ich bin sicher, dass die Begebenheiten, also der Rote Faden im Text ohne Mängel sind.
Ich kann also nur auf die Form eingehen, versuche mich aber nicht ins Betonungswesen zu verstricken, damit es nicht zu analytisch und tot Meinerseits wirkt.

Zitat:
An diesem gottverdammten Morgen,
plagen mich schon wieder Sorgen.
Wo nehm' ich was zum Essen her,
ich habe keinen Groschen mehr.
Ich bin kein Freund von Elisionen. Ich bin der Meinung, das man einen Satz lieber anders formuliert bevor man ihn mit einem Aufwärtshaken versieht. Falsch ist es nicht, ich finde es nur unschön, aber das sehen andere anders.
Groschen/Pfennig war ebenso deutsche Währung für Kleingeld in heutigen Centbeträgen.

Zitat:
Das Leben hat mich ausgebeutet.
Wenn es an der Türe läutet,
jagt ein Schrecken durch die Glieder:
Der Exekutor, nicht schon wieder!
Exekutor klingt wie Schlachter oder Vollstrecker.
Eine seltsame Berufsnamenwahl. Muss man dafür sadistisch veranlagt sein und das Leid anderer genießen?

Zitat:
Doch er ist es, will mich pfänden,
ich stehe da mit leeren Händen.
Nun werd' ich auch noch delogiert,
ich wollt's verhindern, hab's probiert.
Elisionen, wieder.
Das wundern über das erwzungene Ausziehen, wirkt so überrascht, als wäre es eine spontane Entscheidung die getroffen wurde. Sowas hat doch Fristen die dem Vorangehen.
Was exakt hat man denn probiert, wenn es jetzt so plötzlich kommt?

Zitat:
Das Leben ist 'ne schlimme Bürde,
sprach da wer von Menschenwürde?
Ich bin so mutlos und verdrossen,
die Menschheit hat mich ausgestoßen.
Menschenwürde schreien Menschen immer dann wenn sie sonst kaum etwas anderes tun würden. Beruf Opfer nennt man sowas. Das Ausgestoßen fühlen, ging einem abkapseln voran. Denn eigentlich ist man dem Rest der Welt von vornherein Scheiß egal. Kümmert sich Lyr.ich denn um Nachbarn oder andere in seiner Straße? Fühlen die sich von Lyr.ich ausgestoßen?
Ich höre nur Schuldumverlagerung und das Suchen nach Ausflüchten. Aber noch viel schlimmer höre ich das Aufgeben und sich abfinden mit der Situation.

Der Reim (drossen - stoßen) hat unterschiedliche tonale längen der Vokale und ist eine Assonanz.

Zitat:
Heuer kommt der Winter bald,
die Nächte sind schon bitterkalt.
Mein Lager ist in diesen Nächten,
neben Hauseingang und Lüftungsschächten.
Wie jedes Jahr.
Es gibt Obdachlosenunterkünfte, die konkret für die Jahreszeit ausgelegt sind.
Logisch aber, das man das Bekannte sucht um sich einen Rest Menschlichkeit und soziales dazugehören zu wahren. Nahe der Zivilisation die einen in der Vorstrophe noch wörtlich ausgestoßen hatte.

Zitat:
Ich schleiche mich in Suppenküchen,
würd' am liebsten mich verkriechen.
Wenig nützt mir dieser Wahn,
den letzten Stolz legt Hunger lahm.
Auch hier wieder, es gibt Obdachlosenunterkünfte und soziale Küchen. Wenn man nicht weiß wo diese sind, kann man fragen und sich bei der Stadt die einen aus dem Haus warf sogar nachfragen und um anderweitige Hilfe bitten.

Ebenfalls (küchen - kriechen) eine Vokale Assonanz

Zitat:
Niemand hat mit mir Geduld:
'Der Sandler hat ja selber Schuld!.
Die Polizei will mich verjagen,
ist es ihr peinlich, mich zu plagen?
Ich glaube es ist jedem peinlich einen Obdachlosen zu quälen, verjagen, bedrängen oder zu belästigen. Ein Obdachloser führt dem Menschen vor was aus ihm werden könnte. Egal wie gut situiert er auch sein mag. Wenn ein anderer Mensch einen Obdachlosen sieht, sieht er sich selbst und bekommt angst oder ekelt sich vor seinen eigenen Handlungen um an einem solchen Punkt anzukommen. Als augenscheinlicher Bodensatz der Gesellschaft.
Und es fragt für gewöhnlich niemand, wie es dazu kam, weil es andererseits keinen Interessiert, denn "Zum Glück, bin das nicht ich."
Die Strophe gefällt mir in seiner Aussage.

Zitat:
Wo soll ich mich denn nur verkriechen?
Ich kann mich selbst bald nicht mehr riechen!
In einem Tunnel, schlecht versteckt,
wurd' ich von Hooligans entdeckt.
Ok ich sehe wo das hinführt.
Die Reimendung "kriechen" hatten wir in Strophe 8 schon. Hier ist der Reim sauber.

Zitat:
Die trieben mit mir üblen Scherz,
ich spür' noch ihrer Tritte Schmerz.
Sie machten sich dann doch davon,
noch lang erklang ihr grölend' Hohn.
Ich finde Z2 etwas unglücklich formuliert, es klingt als würden ihre Füße weh tun, zudem ist zusammentreten nicht gerade scherzhaft oder lustig.
Trotz allem hat auch ein Obdachloser rechte.
Die Strophe zeigt aber sehr gut, dass der eigentliche Bodensatz der Gesellschaft sich zu viel erlauben kann. Dieses erhöhen über andere ist mir zuwider und ich verachte solch ein Verhalten zutiefst. Aber auch zusehen und geschehen lassen, ist fast Gleichzustellen mit dieser Art von Gewalt. Man mag es mir glauben oder nicht, aber ich wäre jemand der sowas sieht und sich über den Obdachlosen legt. Verhindern kann ich die Tritte nicht, aber eventuell den ein oder anderen lauthals abfangen.

Der Reim (von - Hohn) ist erneut in der Vokallänge assonant.

Zitat:
Ich glaub' nicht an Gerechtigkeit,
denn kalt lässt Prasser solches Leid.
Endlich kommt die schwarze Nacht,
nie wieder bin ich aufgewacht.

Alles in Allem finde ich 10 Strophen für dargestelltes finanzielles und soziales Leid und Verfolgung eines einzelnen Menschen fast ein wenig zu viel schlechtes des Guten. (doppelt Paradox)
Und leider etwas langatmig.
Alles wirkt so plötzlich und unerwartet. Die meisten Menschen bekommen ja Chancen ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Hier wirkt es so als wäre jemand unerwartet und mal eben in den sozialen Abgrund gerutscht und vorher von gar nichts behelligt worden und urplötzlich kommen alle auf einmal auf ihn zu und treiben ihn in den Suizid durch angst vor Dunkelheit weil er noch nie Campen war.
Das er selber sagt, dass er nie wieder aufgewacht ist, ist mir etwas suspekt.

Ich denke der Paarreim und dessen Charakter passt nicht gut zum gewählten ernsten Thema. Ich kenne den Paarreim als Naiv, humorvoll, beschwingt, manchmal albern.


Lg Mono
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.03.2023, 09:16   #6
Trembalo
 
Dabei seit: 03/2014
Beiträge: 756

Standard Alfredo

Aus dem Leben gegriffen.
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Gruß und besten Dank
Trembalo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.03.2023, 10:24   #7
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.089

Zitat:
Zitat von Alfredo Beitrag anzeigen
Groschen = Untereinheit der ehemaligen österreichischen Währung Schilling.
...
Hooligans = randalierende Jugendbande.
Gab es in der deutschen Währung auch: Der Groschen war ein Zehner, nämlich der zehnte Teil einer D-Mark.
Was ein Hooligan ist, braucht man wohl niemandem zu erklären.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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