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Alt 28.08.2010, 22:01   #1
Friedrich
 
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Standard Hölderlin am Krankenbett

Hölderlin am Krankenbett
Vom Sinn des Schönen und des Dichtens


Für Friedrich Hölderlin



„Ich fahre jetzt nach Haus und komme, sagen wir, in etwa einer Stunde wieder. Soll ich dir noch etwas mitbringen, die Ärztin sagt, ich kann zur Zeit ja doch nichts für dich tun“.

„Ja bitte, Liebes, sei so gut und bringe mir … Hölderlin und was zu schreiben“.

Meine Frau: so liebevoll und fürsorglich. Sie dachte wohl an Waschzeug oder Schlafanzug, doch nickt sie nur, ein kleiner Abschiedskuß, und sie verläßt den Untersuchungsraum der Notaufnahme.

Die junge Ärztin bestastet mich mit leichter Hand wie einen Gegenstand. Sie rührt den Arm, die Hand, die Finger, stellt viele Fragen und macht unentwegt Notizen. So fraglos ist für einen Arzt doch diese Art von Untersuchung und dennoch, mir scheint sie plötzlich eigenartig. Berührt von einer fremden Hand so gegen alle Konvention! Was geschähe wohl, so kommt's mir in den Sinn, hielt’ ich ganz plötzlich ihre Hand, schnappte einen ihrer Finger ... ?

Wie groß war noch die Aufregung vor nicht mal einer Stunde! Zuhause angelangt nach einem Lauf in Mittagshitze, verspürte ich ganz plötzlich Zeichen einer Lähmung in der rechten Hand. Mit Mühe noch hielt ich im Bad die Brause, der Haartrockner fiel polternd auf die Fliesen. „Vielleicht – oh Gott! – ein kleiner – Schlaganfall – so wie einst bei meinem Vater?“ Panik packt mit einem Male die Familie! Rascher Griff zum Telefon. Notarzt, Rettungswagen, Klinik. Und nunmehr sitz ich hier auf einer hohen Untersuchungsliege, und eine junge blonde Ärztin kümmert sich um meinen Zustand.

Warum nur dieser schnelle Wunsch nach Hölderlin im Krankenhaus? Hölderlin ist Hohes, ist Schönes! Soll mich das Schöne schützen vor allem, was mich hier erwartet? Schönes gegen Häßliches? Höchstes Leben gegen körperlichen Niedergang?

„Es besteht Verdacht auf leichten Hirnschlag. Nach der MRT wird man Genaueres wissen.“

„Ich verstehe nicht ?“

Magnetische Resonanz Therapie.“ Sie lächelt. „Sie kommen in eine Art Röhre und dort wird Ihr Gehirn minutiös gescannt und photographiert. Scheibchenweise sozusagen. An den Bildsequenzen können wir dann sehen, ob es bei Ihnen Anomalien gibt.“

Anomalien! Die Wissenschaft ist sich ihres Wissens erst dann gewiß, wenn sie mit Hilfe ihrer Apparate deutliche Unterschiede zum Durchschnittswert des Durchschnittsmenschen feststellen kann.

„Und wann stecken Sie mich in diese – Röhre?“

„Am besten gleich, sie ist gerade frei.“

Die „Röhre“ befindet sich im neonbleuchteten Untergeschoß des Hauses. Sie ähnelt einem langgestreckten cremefarbenen Backofen. Zuerst fällt alles Metallische, – Gürtel, Schlüsselbund, Armbanduhr und Ehering – in ein blaues Plastikkörbchen. Langgestreckt auf einem Gleitschlitten fahre ich dann in die Röhre, einem Toten gleich in einem – Krematorium. In Händen halte ich, „für den Fall etwaiger Angstzustände“, den Knopf einer Alarmklingel.

Drinnen in der Röhre dringt milchig trübes Licht durch die Umwandung. Es ist so eng wie in einem Sarg, doch soll man sich auch nicht bewegen. Wenig später sind alle düsteren Gedanken im Nu verflogen, denn mit einem Male wird es beinah unerträglich laut: hämmernde, pochende, knackende Geräusche umtosen mich; quälend trotz der schalldämpfenden Kopfhörer.

Und dennoch! Trotz allen Lärms muß ich an meinen Vater denken. Kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag stürzte er ganz unverhofft des abends aus dem Bad und brach nach ein paar Schritten ohnmächtig zusammen. Schwerer Gehirnschlag. Danach war seine rechte Korperhälfte dauerhaft gelähmt. Er konnte nicht mehr gehen, nicht mehr schreiben, nicht mehr reden. Fünf Jahre Rollstuhl und drei Pflegeheime, dann endete sein Dasein im Sterbezimmer eines Krankenhauses. Mit 75 Jahren ein hagerer Greis mit wächsern bleichem Antlitz, der heftig atmend im Koma immer wieder nach seiner Mutter rief. Beklommen hielt ich seine welke Hand, unendlich traurig und hilflos, doch drang ich nicht mehr zu ihm durch, er war schon ... unterwegs. Armer Vater, es ward ihm damals, als der schwere Schlag ihn traf, keine zweite Chance zuteil, er konnte seinen Schreibtisch nicht mehr aufräumen, konnte nicht zu Ende führen, was zu tun noch ausstand, konnte nur noch warten, konnte nur noch hilflos zusehen, was mit ihm geschah, und dennoch war er immer merklich dankbar für diesen kargen Rest an Leben, der ihm trotz allem noch vergönnt war.

Na endlich! Gott sei’s gedankt! Der Lärm verstummt. Die Tür am fernen Ende meiner Röhre öffnet sich und ich, erlöst von Lärm und Enge, kehre in die Welt zurück.

Im Besucherzimmer wartet meine Frau bereits auf mich. Sie hat die mittlerweile schon erwachsenen „Kinder“ mitgebracht.

„Hier in dieser Tasche ist dein Hölderlin, dein Notizbuch und ein Kugelschreiber, dazu noch ein paar Anziehsachen.“

Hölderlin, die Gesamtausgabe im weinroten Leineneinband mit der goldenen Silhouette des Dichters auf dem Buchdeckel.

„Ich danke dir. Schön, ihn hierzuhaben. So bin ich nicht allein.“

*

Wie Blutegel saugen sich drei Elektroden fest an meine Brust, eine vierte wickelt sich um meinen linken kleinen Finger. Kabel führen weg zu Apparaten an der Wand. Monitore, Schalter, Buchsen mir zu Häupten. Regelmäßig tanzt die kleine gelbe Kurve meines Herzschlags über einen Bildschirm. Beruhigend, irgendwie. Solange sie noch tanzt, bin ich am Leben.

Zu meiner Linken, verborgen hinter einer weißen Trennwand, ruht stumm und starr mein ungeschlachter Zimmernachbar. Schlaganfall auch er, so sieht es aus, nur viel gravierender, denn er steht nicht auf, erledigt alles Nötige im Bett: Essen, Trinken, Waschen und … die Notdurft. Dem Anschein nach ist er wohl meines Alters. Er spricht kein Wort mit mir, obwohl er durchaus sprechen kann, er tut es mit dem Personal. Mir ist, als läge eine Leiche nebenan. Ein grober rechter Fuß ragt aus der Trennwand starr und weiß hervor, ein Fuß wie in den Leichenhäusern mancher Krimis; es fehlt ihm nur der Namenszettel an der großen Zehe.

Nachts läuft pausenlos der Fernsehapparat. Unterhaltung ohne Ende. Zum Glück seh ich allein die Bilder, der Ton geht über eine Art mobilen Hörer. Bald bitte ich den Nachbarn, den Apparat doch endlich auszustellen, nur gibt er wieder keine Antwort. Von Zeit zu Zeit fällt er in Schlaf und übertönt die leisen Laute aus dem Hörer mit seinem Schnarchen. An der Wand mir gegenüber tickt der große rote Zeiger in der runden Uhr. Tack, tack, tack, tack ... . Läuft meine Zeit schon ab? Jedermanns Zeit läuft ab, unaufhörlich, von Anfang an und jederzeit. Was einzig zählt, ist, was uns bleibt; und was wir damit machen.

*

Gelblich grün erhellt die Notbeleuchtung das düstere Krankenzimmer. Der Ruf nach der Krankenschwester war nicht umsonst, der Apparat ist endlich stumm und dunkel. Hellwach versuche ich im Bett zu schreiben. Verkrampft hält meine Hand den Stift. Sie gehorcht schon wieder ... einigermaßen, doch was nur ist aus meiner ehemals so feinen Schrift geworden? Ungelenk die Buchstaben, Gekritzel eines Kindes! Das Herz wird plötzlich schwer. Ich schreibe meinen Namen, schreib ihn immer wieder, und dann fließt plötzlich, wie von selbst, eins meiner Gedichte aufs Papier, eins, das vor nicht allzu langer Zeit auf einer Fahrt im Auto zwischen Hamburg und Wismar entstanden ist.

Das Schöne längs der Autobahn

Mitunter, längs der Autobahn,
erscheint uns unverhofft das Schöne,
wenn goldnes Abendsonnenlicht
verzaubert Schleswigs Küstenland,

und jäh ein dunkler Vogelschwarm
aus rotem Himmel stürzt und flatternd,
gleich einem ausgefransten Tuch,
ganz nah der braunen Erde schwebt;

und wenn die Schar, wie auf ein Zeichen,
mit einem Mal gen Himmel fliegt,
dann füllt das Auge sich mit Tränen,
und, ratlos, weiß ich’s nicht zu deuten.

Unermüdlich tickt die runde Uhr im matten Zwielicht weiter, und wieder stellt sich mir die Frage, warum dies’ Bild mich damals so bewegte? Geschah’s, weil nach der langen Autofahrt, nach stundenlangem Stehn im Stau, mir die geliebte Ostseeküste so betörend schön im weichen Abendlicht erschien, und plötzlich dann, – so faszinierend die Bewegung! – der dunkle Vogelschwarm mit Leben sie erfüllte? Natur ist unsre Heimat! Wir alle sind ein Teil von ihr, und ist sie als Gesamtes schön, so sind wir’s als die Teile auch. Glücklich ist, der dieses Einssein noch erleben kann, denn der Autofahrer, der, vier Stunden noch zuvor, sein Leben auf der Autobahn verlor, gehört nicht mehr dazu, sein Licht ist ihm für alle Zeit erloschen.

Der schwarze Schwarm, so fällt’s mir weiter ein, fiel wie ein großer Schatten jäh herab auf dieses herrlich leuchtende Land. Ist dies vielleicht das Zeichen eines nahen Unheils und ist die Lähmung meiner Hand hiervon bereits der Anfang? Erwartet mich ein schweres Schicksal wie das von meinem Vater? Vielleicht bin ich auch selbst der Vogelschwarm, der dort zu später Stunde auf abgemähtem Stoppelfeld nach letzter Nahrung sucht? Der Sommer meines Lebens neigt sich dem Ende zu, und spürbar nahe ist der Herbst, denn längst schon zehrt man von Erlebtem, das man, so lang die Zeit es noch erlaubt, in schöner Form bewahren möchte.

... ich ziehe durch die Vergangenheit, wie ein Ährenleser über die Stoppeläcker, wenn der Herr des Landes geerntet hat, da liest man jeden Strohhalm auf.

Hölderlin! Dichter der Dichter. Er hat das Schöne oft und intensiv erfahren, für ihn war es das Höchste, gleichsam eine Göttergabe

... der Mensch ist ein Gewand, das oft ein Gott sich umwirft, ein Kelch, in den der Himmel seinen Nektar gießt, um seinen Kindern vom Besten zu kosten zu geben.

Ich hab’ es heilig bewahrt! Wie ein Palladium hab ich es in mir getragen, das Göttliche, das mir erschien! und wenn hinfort mich das Schicksal ergreift und von einem Abgrund in den anderen wirft, und alle Kräfte ertränkt in mir und alle Gedanken, so soll dies Einzige doch mich selber überleben in mir, und leuchten in mir und herrschen in ewiger unzerstörbarer Klarheit! -

Das Göttliche, das Hölderlin erlebte, ist wie das Gleichnis Jesu von dem Schatz im Acker, wie das vom Kaufmann und der Perle; es relativiert die Welt und leuchtet uns als jenes Kostbare, das es, allen stürmischen Zeiten zum Trotz, in seiner Schönheit unversehrt zu wahren gilt.

... so soll dies Einzige doch mich selber überleben

Hat es ihn dann schließlich überlebt? Gewiß! Denn läge sonst der rote Leinenband mit den Gedichten an meiner Seite? Das Göttliche lebt weiter in des Dichters schöner Sprache und wartet dort auf die, die in der Lage sind, es zu empfangen. Doch wahrhaft lebt dies Göttliche allein, wenn es in eines anderen Dichters schöner Sprache wieder neuen Ausdruck findet. Und so ist Friedrich Hölderlin mit und durch sein Göttliches – unsterblich.

... und leuchten in mir und herrschen in ewiger unzerstörbarer Klarheit!

So fromm war doch sein Wunsch und dennoch ward er nicht erfüllt. Die Götter liebten Hölderlin wie wenig andere zuvor, und haben ihn, wie einst Empedokles, am Ende doch verlassen. Als er an Hälfte des Lebens schrieb, hängt ihm das Land am See noch voll mit gelben Birnen und wilden Rosen, doch unversehens zeigt sich dann der kalte Schatten einer düstren Ahnung.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.


Wie kalt, wie still, wie grau wird doch die Welt, wenn alle Liebe uns erlischt, wenn Kreativität und Lebensmut verebben! Noch ist es nicht so weit bei mir, so hoffe ich, doch vielleicht, mit einem Male, ein schwerer Schicksalsschlag, und dann ... bleibt nur noch stumme Kälte und langes tristes Warten ... auf ein Ende.

Gut zweihundert Jahre sind wohl schon vergangen, seitdem, wie ich gerade eben, der Dichter seine Worte schrieb. Vielleicht geschah’s sogar in einer sternenklaren Nacht wie dieser. Frische Nachtluft strömt herein durchs leicht gekippte Fenster; sanfte Kühle weht an meine Wangen. Und als ich mit noch immer schwacher Hand die Worte ins Notizbuch schreibe, ist Hölderlin mir spürbar nahe.

Die sternenklare Nacht war nun mein Element geworden. Dann, wenn es stille war, wie in den Tiefen der Erden, wo geheimnisvoll das Gold wächst, dann hob das schönere Leben meiner Liebe sich an. Da übte das Herz sein Recht, zu dichten, aus.

Geheimnisvoll wächst in der Nacht das Gold. Das Schöne strahlt ins Leben eines Menschen.

Der Mensch ist aber ein Gott, sobald er Mensch ist. Und ist er Mensch, dann ist er schön.

Ob mein schnarchender Bettnachbar jenseits der Trennwand von diesen Dingen auch nur das Geringste ahnt? Wohl kaum, denn wenn ein Mensch den ganzen Tag nur fernsieht oder Hits im Radio hört, dann kann er gar nicht wissen, was waches Geistesleben ist. Vielleicht braucht er die viele Unterhaltung nur, weil ohne ihr das Leben ihm sonst vollends öd und leer erschiene? Und was ist mit dem „schöneren Leben einer Liebe“? Morgen früh wird er verlegt, in eine Rehaklinik, so teilte ihm der Arzt am Abend mit. Ob jemand ihm aus seiner Wohnung denn noch etwas holen könne, Körperpflege, Kleidung und so weiter, so fragte er, doch wehrte dieser ohne nachzudenken ab. Er habe keine Frau, kein Kind, keine Freunde, keine Nachbarn, nur einige Verwandte, doch lebten diese weit entfernt. Würde ihn denn überhaupt jemand vermissen, so frag ich mich, falls er von dort nicht wiederkommen sollte?

Ja! eine Sonne ist der Mensch, allsehend, allverklärend, wenn er liebt, und liebt er nicht, so ist er eine dunkle Wohnung, wo ein rauchend Lämpchen brennt.

Draußen, vor der Fensterscheibe, dämmert es allmählich. Erste Vogelrufe tönen aus dem Dunkel, und merklich wird es heller. Gewöhnlich ist dies meine Lieblingsstunde, zu der ich morgens stets von selbst erwache. Der Geist ist dann besonders wach und schwerelos der Körper, er fühlt sich an wie ... transparent. Und liegend lausche ich der morgendlichen Stille, geheimnisvoll wie immer, belebt von Vogelsang und Bäumerauschen, höre auf die Stille, die sich mir zur Freude immer wieder in so wunderbarer Weise offenbart.

Fröstelndes Rauschen der Zitterpappeln im frischen Morgenwind. Bisher sah ich immer, bei all meinen Besuchen, vom Krankenzimmer aus auf hohe Bäume, und jetzt scheint mir der hohe Baum das Sinnbild eines Dichters. Verwurzelt in der dunklen Erde, wächst er empor in lichte Höhe, bewegt sich mit dem Hauch des Windes. Und endlich, wenn er alt und morsch geworden, hält er dem Sturmwind nicht mehr stand und stürzt an einem schicksalhaften Tag zu Boden. Doch zuvor noch für geraume Zeit betraut er den Wind mit all dem Schönen seiner Blüten, und dieser trägt es fort in alle Himmelsrichtungen, damit es so auf fruchtbaren Boden falle.

*

„Guten Morgen, was wünschen Sie zum Frühstück?“

Die weißgekleidete Krankenschwester der Morgenschicht. Ich muß dann schließlich doch noch eingeschlafen sein.

„Frühstück? Ja, ... ich weiß nicht! Bringen Sie mir, was die meisten nehmen. Viel wichtiger ist mir im Augenblick ... , ich möchte gern ins Badezimmer.“

„Dann gehen Sie doch einfach!“

„Und die Kabel?“

„Einfach klicken und abziehen.“

„Vielen Dank.“

Das Badezimmer ist geräumig wie das eines Luxushotels: rosenquarzfarbene Kacheln bis zur Decke, nahezu festliche Beleuchtung und dann ... ein riesiger Spiegel. In ihm steh ich mir selbst fragend gegenüber. Die Elektroden leuchten auf meiner Brust wie Wunden.

Ecce homo, werde, der du bist! Als Nietzsches Leben zur Neige geht, gibt er sich noch einmal Rechenschaft über alles, berichtet von seinem Werdegang. Sollte ich das auch tun? Mir scheint das noch zu früh zu sein, und überhaupt, wen interessiert das schon? Die Hand hat sich inzwischen weiter erholt. Ich fühle mich hier fehl am Platz. Ein Gesunder unter Kranken, ich denke an Orpheus, der Sänger zu Besuch bei den Schatten. Draußen, in den Krankenzimmern, auf den Korridoren und in den Büros herrscht rege Betriebsamkeit. Der Krankenhausbetrieb ist in vollem Gange. Essen wird serviert, Betten werden gemacht, Patienten besucht und medizinisch behandelt. Und ich ... ?

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh und Ruh
Ist alles freudig; warum schläft denn
Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

Ist dieser Stachel ein Geschenk der Götter? Und solang die Zeit es noch erlaubt, sollt ich es halten wie die hohen Bäume vor dem Fenster meines Krankenzimmers: Doch zuvor noch für geraume Zeit betraut der Baum den Wind mit all dem Schönen seiner Blüten, und dieser trägt es fort in alle Himmelsrichtungen, damit es auf fruchtbaren Boden falle.
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Alt 18.03.2023, 23:36   #2
männlich stephanius
 
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Beeindruckendes Werk lieber Friedrich,
Einerseits sehr traurig, aber auf der anderen Seite
auch sehr lebensbejahend. Literatur und insbesondere
Lyrik kann viel bewirken wenn es um die Genesung geht ,
wenn es gilt aus einem Tal wieder herauszukommen.
Gern gelesen.
LG St.
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Alt 19.03.2023, 09:16   #3
männlich Heinz
 
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Lieber Friedrich,
beeindruckend - ja, mit einer leichten Tendenz zur Überspanntheit.
Warum machst Du den Lesern so viel Angst wegen der MRT-Geschichte?
Beim ersten Mal ging es bei mir um ein paar Detailaufnahmen und eine vom gesamten Körper. Vor Beginn der Prozedur musste ich alle paar Minuten eine Kontrastflüssigkeit trinken und kam dann auf den "Schlitten", der mich ruckweise in die Röhre fuhr. Von dem Lärm, der da angeblich herrscht - keine Spur. Ich hörte: "Und es blitzten die Sterne..." und bin eingeschlafen.
Beim zweiten Mal ging es um meine Hüfte, beim dritten Mal um mein Handgelenk. Von Lärm keine Spur bis auf das Knacken der fahrbaren Unterlage.
Beängstigende Enge? Lieber Friedrich, ich war mal Bergmann und habe auch in Streben gearbeitet, wo die Kohlenschicht 80 cm dick war. Ich glaube, das hättest Du nicht überlebt.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 19.03.2023, 09:59   #4
weiblich Ilka-Maria
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Guten Morgen, Friedrich,

zunächst: Schöner Stil, sauber geschrieben und konsequenz Präsens und Präteritum korrekt eingesetzt und durchgehalten. Das schafft nicht jeder, da ein Leser meistens Texte im Präteritum zu lesen bekommt und beim Selberschreiben oft, ohne es zu merken, vom Präsens dorthin wechselt - old habits die hard. Abgesehen davon, dass viele ungeübte Schreiber ohnehin nicht korrekt mit den Zeiten umgehen. Aber auch die korrekte Orthografie macht das Lesen deines Textes angenehm.

Ich habe allerdings, da mir der Spannungsbogen fehlt und sich der Text weniger wie eine Story, sondern eher wie eine Reportage liest, nur die Hälfte gelesen. Dabei sind mir ein paar Kleinigkeiten aufgefallen: Ein moderner Arzt macht sich keine Notizen mehr, sondern tippt seine Befunde in einen Laptop, von denen für gewöhnlich in jedem Untersuchungszimmer einer steht - alle natürlich bis hin zu den Geräten am Empfangsschalter und im Labor verbunden.

Wie kann man mit aufgesetztem Hörer den Ton des Fernsehgeräts von sich weghalten, aber das Ticken der Uhr hören?

Woher weiß der Protagonist, wie sich ein Toter im Krematorium fühlt? Und braucht man hier den Gedankenstrich?

Braucht man bei der heimatlichen Beschreibung der Autostraße die Erwähnung eines vor vier Stunden bei einem Unfall zu Tode gekommenen? Was trägt dieser Satz zum Verständnis oder zur Dramaturgie des Erzählten bei? Taucht da eine Verbindung an einer späteren Stelle auf? (Wie gesagt, habe ich nicht alles gelesen.)

Das Gedicht, das du eingeflochten hast, ist rundum gelungen.

Liebe Grüße und einen schönen Sonntag,
Ilka
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Alt 19.03.2023, 12:41   #5
Friedrich
 
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Lieber Heinz

Zitat:
Warum machst Du den Lesern so viel Angst wegen der MRT-Geschichte?
Ich "mache" den Lesern keine Angst, indem ich auf literarische Mittel sinne, die eine solche auslösen können. Das LI hat Angst, Angst einem Schlaganfall zu erliegen so wie es schon ein paar Jahre früher bei seinem Vater der Fall war. Dieser starb fünf Jahre später allein in einem kahlen Sterbezimmer eines Krankenhauses und wurde später eingeäschert. Das geht dem LI durch den Kopf als er in der Röhre liegt. Zudem ist es auch das erste Mal, daß er in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Die Untersuchung fand 2005 stand. Damals "knackte" es noch in der !Röhre", ich habe da nichts erfunden.

Wenn Dich das Thema "Angst" interessiert, so lies doch mal meine Geschichte "Beim Zahnarzt". Du magst sie möglicherweise wieder überspannt finden, doch die detaillierte Beschreibung einer "angstgeschwängerten" Welt hat, finde ich, auch ihren Reiz.

Lieber Gruß

Friedrich

Liebe Ilka-Maria,

vielen Dank für Deinen teilweise lobenden Kommentar. Schade, daß Deine Motivation nur bis zur Mitte der Geschichte gereicht hat, weil Dir der "Spannungsbogen" fehlte. Muß es denn einen solchen unbedingt geben, um eine Geschichte lesenswert zu machen?

Ein Dichter wird wegen Verdachts auf Schlaganfall in ein Krankenhaus eingeliefert. Er, der die schöne Welt Hölderlins liebt, wird plötzlich mit der häßlichen Welt konfrontiert (Tod, Krankheit, Invalidität, häßliche Mitmenschen wie der Bettnachbar). Mit Hölderlins Dichtung in dem roten Buch ist der Dichter ihm nahe. In seiner Situation ist er auch mit seiner Existenz konfrontiert, mit dem Sinn seines Lebens. Dank der Dichtung Hölderlins kommen ihm dazu einige Gedanken. Ich denke dieses Thema ist lesenswert genug - auch ohne Spannungsbogen - allein wenn man bedenkt, daß man in einmal in gleicher Weise mit seiner Existenz konfrontiert werden könnte.
Zitat:
Ein moderner Arzt macht sich keine Notizen mehr, sondern tippt seine Befunde in einen Laptop,
Das Ganze spielte sich 2005 ab, da war man noch nicht so modern. Dieses Detail ist aber unerheblich.
Zitat:
Wie kann man mit aufgesetztem Hörer den Ton des Fernsehgeräts von sich weghalten, aber das Ticken der Uhr hören?
Hier hast Du nicht genau genug gelesen. Das LI möchte schreiben und nachdenken, wird aber durch seinen häßlichen Bettnachbar gestört, der den am TV-Gerät angeschlossenen Hörer neben sich am Ohr liegen hat und dabei eingeschlafen ist. Das Geräusch aus dem Hörer ist leise, so daß man das Ticken der großen runden Uhr am anderen Ende des Zimmers durchaus noch hören kann.
Zitat:
Woher weiß der Protagonist, wie sich ein Toter im Krematorium fühlt?
Weiß er doch gar nicht. Er erinnert sich lediglich seines Vaters, der fünf Jahre nach seinem Schlaganfall gestorben ist und eingeäschert wurde.
Zitat:
Braucht man bei der heimatlichen Beschreibung der Autostraße die Erwähnung eines vor vier Stunden bei einem Unfall zu Tode gekommenen?
Der Zusammenhang ist doch der, daß dem LI ein Gedicht einfällt, das auf einer Fahrt auf der Autobahn entlang der Ostseeküste entstanden ist. Er ist ergriffen von der Schönheit der Natur - eine Parallele zu Hölderlin - und er ist höchst dankbar, daß er (noch) lebt und diese Schönheit erleben darf. Dabei fällt ihm ein, daß er kurz vor dem beeindruckenden Bild stundenlang im Stau auf der Autobahn gestanden hat, weil ein Lastwagenfahrer tödlich verunglückt war. Das Leben ist nichts Selbstverständliches. Dies zur "Dramaturgie des Erzählten".

Auch wenn Du meine Geschichte nicht zuende gelesen hast, danke ich Dir dennoch für Deinen Kommentar.

Lieber Gruß

Friedrich
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Alt 19.03.2023, 13:05   #6
weiblich Ilka-Maria
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Kurz zu deinen Anmerkungen, Friedrich:

Doch, 2005 waren die Arztpraxen schon modern eingerichtet und mit PC und speziellen Programmen ausgestattet. An Projekten für Arztpraxen und der Entwicklung entsprechender Software arbeitete man bereits in den 90er Jahren, jedenfalls kam ich damals schon damit in Berührung. Der Systemintegrator, für den ich damals arbeitete (Sohn einer Ärztin) befasste sich auch schon damals intensiv mit neuronalen Systemen, als noch kaum jemand mit dem Begriff etwas anfangen konnte.

Ja, eine Story sollte einen Konflikt und einen Spannungsbogen haben. So sind seit den Anfängen des "story telling" die Geschichten aller Genre aufgebaut (Kurzformen wie die Anekdote und der Aphorismus ausgenommen, die eine andere Funktion erfüllen als eine Kurzgeschichte, Novelle oder ein Roman).

In eine Kurzgeschichte gehören - im Gegensatz zum Roman, der dem Autor jede Freiheit lässt - keine Nebenhandlungen heinein, die nicht von Belang sind. Wenn ein Zeitbezug von "vier Jahren" bei dem Unfall gesetzt ist, handelt es sich für mich nicht um ein "könnte gewesen sein", sondern um eine genaue Angabe, so dass ich davon ausgehen muss, dass es sich um einen bestimmten Unfall gehandelt hat, an den sich der Protagonist erinnert. Aber weshalb? Worin liegt die Bedeutung? Man kann natürlich eine Erinnerung einflechten, aber dann würde ich auch wissen wollen, weshalb diese Assoziation stattfindet und in welchem engeren Zusammenhang sie der Geschichte insgesamt steht. Bei einer nur kurzen Erwähnung, die auf eine Nebenhandlung hindeutet, ist für mich dieser Zusammenhang nicht erkennbar. Er wirkt auf mich überflüssig.

Mit dem Kopfhörer hast du natürlich recht. Da habe ich wohl zu schnell drübergelesen und ein falsches Bild vor Augen gehabt, das obendrein unlogisch ist.

Wenn ich mehr Lust dazu habe, lese ich den Rest der Geschichte vielleicht noch. Heute will ich meine Mutter im Heim besuchen, da habe ich die Zeit nicht für so lange Texte.
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Alt 19.03.2023, 14:29   #7
Friedrich
 
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Hallo Ilka-Maria,
Zitat:
Doch, 2005 waren die Arztpraxen schon modern eingerichtet
Das ist doch so was von unwichtig! Die Ärztin in der Notaufnahmestation im Jahre 2005 tippte jedenfalls nichts in den Computer, es war überhaupt keiner zu sehen. Vielleicht hat sie das später in ihrem Büro gemacht.

Was eine Kurzgeschichte oder auch short-story ausmacht, weiß ich selbst zur genüge, ich habe etliche davon im Unterricht behandelt. Nur, ist alles, was nicht Kurzgeschichte ist, nicht lesenswert? Ist alles, was keinen Spannungsbogen hat so langweilig, daß man es nicht zuende liest?

Ein Dichter sieht zum ersten Mal in seinem Leben ein Krankenhaus von innen als Patient. Sein Vater ist an einem Schlaganfall vor wenigen Jahren davor gestorben. Er sucht die Nähe Hölderlins, um mit dem Schönen der bedrohlichen Realität zu begegnen. Er fragt sich in dieser Zäsur nach dem Sinn seines Lebens. Die Begegnung mit Hölderlins Zitaten in dieser drückenden Atmosphäre. All das ist des Lesens nicht wert. Zumal es doch auch schön geschrieben ist, wie Du ja auch selbst bemerkst. Wenn Du Dir die Mühe machst, dann wirst Du auch den feinen Rhythmus darin bemerken. Ein weitgehender regelmäßiger Wechsel von betonten und unbetonten Silben. Ein Einfluß von Hölderlins Briefroman Hyperion.

Übrigens: ich bin nicht beleidigt, wenn Du das Ganze langweilig findest.

Gruß

Friedrich
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Alt 19.03.2023, 18:03   #8
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Vielleicht liegt es daran, Friedrich, dass ich nicht gerade ein ein Bewunderer Hölderlins bin. Er ist mir zu schwärmerisch, und seine Arbeiten wirken auf mich völlig überdreht. Aber sei's drum ... Ich habe ja geschrieben, dass ich deine Story vielleicht noch zu Ende lesen werde.

Letztendlich hat ein Autor immer ein Motiv, eine Geschichte so und nicht anders zu schreiben. Ich äußere meine Meinung, aber niemand muss es mir recht machen. Ist also alles gut.
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Alt 19.03.2023, 22:59   #9
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Lieber Fridrich, um Dich geht es ja hier,
liebe Ilka-Maria und lieber Heinz,

ich denke hier wird um des Kaisers Bart gefeilscht, es ist eine Kurzgeschichte
die eine schwierige Situation beschreibt und auch recht traurige Elemente enthält aber am Schluss doch positiv ausgeht. Es gibt kleine Ausflüge in Nebenhandlungen über die man sicherlich streiten kann, der Ostsseeausflug
und das dabei entstandene Gedicht sollte auf keinen Fall fehlen.
Lyrik als Heilungsfaktor, das ist für mich die Botschaft.

Heinz macht hier ein Fass auf was überhaupt nicht her gehört, für mich wirkt eher sein Beitrag ein wenig überspannt. Heinz, es geht doch hier nicht um Dich.

Und bei Ilka-Maria werde ich das Gefühl nicht los, bei allem Respekt bezüglich ihrer großen literarischen Sachkenntnis, dass Sie eher zum Sachtext neigt. Natürlich darf in einem Text kein absoluter Blödsinn drin stehen der nicht zusammenpasst oder sich nur in Nebenhandlungen verliert, aber den Realismus den Du, liebe Ilka-Maria an manchen Stellen forderst kann ich nicht immer nachvollziehen. Das bezieht sich übrigens auch auf die Detailversessenheit hinsichtlich der Artzaufzeichnungen. Das hat aber Freidrich selbst schon erwähnt.

Korrigieren und ändern kann man sicherlich an jeder Geschichte, an jedem Gedicht und auch an jedem Roman, ist der Autor auch noch so berühmt und viele gelesen. Ein klein wenig künstlerische Freiheit sollte man dem Autor doch zugestehen.

Nehmt mir meine Anmerkungen bitte nicht übel, aber das musste ich an dieser Stelle mal sagen, ich hatte ja den Sack nochmal aufgemacht.

Beste Grüße und schönen Abend
St.
stephanius ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.03.2023, 12:23   #10
Friedrich
 
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Lieber stephanius

vielen Dank, daß Du Dich zu meiner "Ehrenrettung" an meine Seite stellst.
Zitat:
es ist eine Kurzgeschichte, die eine schwierige Situation beschreibt
Hier muß ich Dich leider korrigieren: es ist eine relativ kurze Geschichte aber keine Kurzgeschichte. Letztere gehört zu einem literarischen Genre - wie auch die Short-Story, für das es strukturelle Merkmale gibt. Diese (z.B. Spannungsbogen, Knalleffekt) sind hier nicht vorhanden.
Zitat:
Heinz macht hier ein Fass auf was überhaupt nicht her gehört
Ja, z.B. daß er einst furchtlos als Bergmann gearbeitet hat.
Zitat:
Und bei Ilka-Maria werde ich das Gefühl nicht los, (..), dass Sie eher zum Sachtext neigt.
Ich habe hingegen das Gefühl, daß sie nur darauf aus ist, irgendwelche Fehler in der Geschichte zu suchen, um zu rechtfertigen, daß es sich nicht lohnt, sie zuende zu lesen. Dabei vergißt sie, sich zu fragen, was denn nun eigentlich die Idee der ganzen Geschichte ist.

Ein Dichter wird wegen Verdachts auf Schlaganfall in ein Krankenhaus eingeliefert. Nachts auf der Intensivstation ist ihm der geliebte Dichter Hölderlin nahe. Er ist ihm so gegenwärtig, daß er in Zitaten aus seinem Werk zu ihm spricht. Dem LI wird gewahr, daß es auch in Hölderlins Leben eine Zäsur wie seine gegenwärtige gegeben hat. In seinem 1804 veröffentlichten Gedicht "Hälfte des Lebens" (Hölderlin: 1770 - 1843) fragt er sich bang:
Zitat:
Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Der Dichter auf der Intensivstation braucht sich nicht einzubilden, daß 180 Jahre nach seinem Tod noch irgendjemand seine Werke liest, so daß sein Geist, seine Seele die Zeiten überlebt, und bei jemanden hilfreich lebendig wird. Und dennoch ist das kein Grund, nicht mehr so wie einst Hölderlin Gedichte und Prosa zu schreiben und in die Welt zu schicken.
Zitat:
Doch zuvor noch für geraume Zeit betraut der Baum den Wind mit all dem Schönen seiner Blüten, und dieser trägt es fort in alle Himmelsrichtungen, damit es auf fruchtbaren Boden falle.
Liebe Grüße an alle, die sich an diesem Faden beteiligt haben

Friedrich
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Alt 20.03.2023, 13:06   #11
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Zitat:
Ich habe hingegen das Gefühl, daß sie nur darauf aus ist, irgendwelche Fehler in der Geschichte zu suchen, um zu rechtfertigen, daß es sich nicht lohnt, sie zuende zu lesen.
Das ist Spekulation, Friedrich. Ich lese lediglich besonders aufmerksam (aber auch nur, wenn ich weiß, dass ich es mit einem versierten Schreiber zu tun habe, an dessen Text ich Erwartungen hegen kann), und wenn mir dann etwas nicht plausibel erscheint, gehe ich darauf ein. Ich musste mir das in meinem Autoren- und Drehbuchlehrgang auch von meinen Tutoren gefallen lassen und habe von ihnen - zwei erfahrenen Schriftstellern - gelernt, dass man die Kritik seiner Leser ernst nehmen soll. Ihren Standpunkt muss man deswegen nicht teilen, aber das, was du mir vorwirfst, nämlich nach einer Rechtfertigung zu suchen, sehe ich eher bei dir. Macht aber nix, so reagiert die Mehrheit in diesem Forum, und Meinungen dürfen immer auseinandergehen.

Ich werde deine Geschichte noch fertig lesen, das hatte ich bereits eingeräumt, aber verzeih mir, dass gestern ein Besuch bei meiner Mutter im Pflegeheim Priorität hatte und ich mich heute auf einen Termin beim Seniorenberater gründlich vorbereiten muss, der morgen ansteht. Auch das ist Arbeit und kostet Zeit. So ist das halt, wenn man die gesetzliche Betreuung für einen über neunzigjähren Menschen mit Wahnvorstellungen, Angstzuständen und Demenz hat.

Liebe Grüße
Ilka

Zitat:
Zitat:
Zitat von stephanius Beitrag anzeigen
Und bei Ilka-Maria werde ich das Gefühl nicht los, bei allem Respekt bezüglich ihrer großen literarischen Sachkenntnis, dass Sie eher zum Sachtext neigt.
Behalte es als Gefühl, Stephanius, denn es stimmt nur, dass ich gerne Sachbücher lese, wie alles andere allerdings auch.

Tatsache ist, dass ich zwei Romane, einen Krimi und einen Gedichtband veröffentlicht habe, ferner drei Drehbücher geschrieben habe, die ich vielleicht auch veröffentlichen werde, falls ich dazu komme, sie noch etwas zu überarbeiten.

Wenn du in den Faden "Welches Buch lest ihr gerade ..." reinschaust, wirst du klar erkennen, wer was liest. Da geht es mit Sachbüchern und Belletristik bunt durcheinander.
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Alt 20.03.2023, 13:44   #12
Friedrich
 
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Hallo Ilka-Maria,

Zitat:
Das ist Spekulation, Friedrich
Wenn Du Dein eigenes Zitat aus dem Faden noch einmal liest, mußt Du aber zugeben, daß dieser mein Eindruck nicht unbegründet ist:
Zitat:
Ich habe allerdings, da mir der Spannungsbogen fehlt und sich der Text weniger wie eine Story, sondern eher wie eine Reportage liest, nur die Hälfte gelesen. Dabei sind mir ein paar Kleinigkeiten aufgefallen:
1. Fehler: kein Spannungsbogen, 2. Fehler: keine richtige Story 3. Fehler: "ein paar Kleinigkeiten. Ich sage ja nicht, daß Du das bei jedem Kommentar so machst, bei meiner Geschichte drängt sich der Gedanke jedoch auf.

Ich habe meinen Vater auch fünf Jahre in verschiedenen Altenheimen besucht und mich dabei gefragt, wie es ihm dabei ergeht (Papa, Du "armes Schwein"). Wenn Du als kreative Schriftstellerin Dich einmal in die Situation Deiner alten Mutter hineinversetzt und dabei nachts in ihrem Bett Zwiesprache mit einer Schriftstellerin Deines Herzens (vielleicht Christa Wolf?) hältst, dann würde ich Deine Geschichte, so sie stilistisch gut ist, bestimmt bis zum Ende lesen. Versprochen!

Lieber Gruß

Friedrich
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Alt 20.03.2023, 13:51   #13
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Zitat:
Zitat von Friedrich Beitrag anzeigen
Hallo Ilka-Maria,

Wenn Du Dein eigenes Zitat aus dem Faden noch einmal liest, mußt Du aber zugeben, daß dieser mein Eindruck nicht unbegründet ist:1. Fehler: kein Spannungsbogen, 2. Fehler: keine richtige Story 3. Fehler: "ein paar Kleinigkeiten. Ich sage ja nicht, daß Du das bei jedem Kommentar so machst, bei meiner Geschichte drängt sich der Gedanke jedoch auf.
Okay, Friedrich, akzeptiert. Das war aber tatsächlich, weil ich unter Zeitdruck stand und mich auf den ersten Eindruck beschränkt hatte. Und auf andere User hier will ich ja auch eingehen oder mal meine administrativen Aufgaben erledigen. Das soll aber keine Ausflucht sein. Ich komme auf deine Geschichte - oder ist es besser eine Erzählung - noch zurück. Jetzt muss ich erst andere Sachen erledigen.

Zitat:
Zitat von Friedrich Beitrag anzeigen
Wenn Du als kreative Schriftstellerin Dich einmal in die Situation Deiner alten Mutter hineinversetzt ...
Habe ich schon lange auf dem Schirm, ist aber ein schwieriges Thema. Meine Mutter hatte mir und meinem Vater ein Leben lang Trouble bereitet, und das hat viele Ursachen. Da muss man psychologisch tief hineingehen und sorgfältig analysieren und arbeiten. Ich habe schon dreimal damit angefangen, aber erstens muss man in Vorarbeit gehen und strukturieren, und zweitens ist es zu komplex für eine Geschichte. Das muss zwangsläufig ein Roman werden. Mir fehlt aber im Augenblick dafür die Zeit. Wenn ich ein ausgearbeitetes Treatment habe und in in den "flow" komme, passiert es, dass ich die ganze Nacht durchschreibe. Ich muss dafür erst den Rücken freibekommen, damit ich mich auf so ein Projekt konzentrieren kann. Im "Pantster"-Verfahren kommt man da nicht weiter, das funktioniert nur als "Plotter".
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Alt 20.03.2023, 18:14   #14
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So. Ich habe auch den zweiten Teil der Geschichte gelesen. Die für mich aber keine Geschichte ist, sondern eine Reportage.

Ich habe auch nochmal den ersten Teil gelesen. Der Text war informativ, aber - sorry - langweilig. Auch wenn dein Text sprachlich auf hohem Niveau steht, kann ich mich nicht mit ihm identifizieren.

Ein Schlaganfalll ist etwas Dramatisches. Ich hatte eine Arbeitskollegin, die es in sehr jungen Jahren erwischt hatte. Darüber könnte ich einiges schreiben, vor allem, wie treu ihr Lebensgefährte zu ihr hielt. Diese Treue zu beschreiben wäre für mich zum Bespiel eine Geschichte wert.

Ein Herzinfarkt ist genauso dramatisch. Mir wurde das klar, als ich meinen Vater, frisch operiert, an einem brutal heißen Sommermittag im Krankenhaus besuchte. Mitten in Frankfurt, wo ich in der Nähe arbeitete und ein Besuch in der Mittagspause möglich war. Es war eine Herzklinik für Priviliegierte, die aber unterbesetzt gewesen war und Kassenpatienten wie meine Vater aufgenommen hatte, um ausgelastet zu sein. First-class service.

Ich fand meinen Vater in einem Krankenzimmer für zwei Patienten, in dem noch ein Patient lag, der weggetreten vor sich hinröchelte. "Das geht die ganze Nacht so," sagte mein Vater. "An Schlaf ist dabei nicht zu denken."

Aber die Betreuung sei vorzüglich, und das Essen tadellos. Trotzdem wurde mir schlecht. Ich weiß nicht, ob es an der Hitze lag oder am Geruch, der wie die Ankündigung einer Pestilenz in den Räumen hing. Die Krankenschwester musste es bemerkt haben und reichte mir ein Glas Wasser. Das linderte einen Moment meinen Schmerz, den ich für meinen Vater empfand, den ich über alles liebte. Er hatte doch schon genug durchgemacht, erst im Krieg, später im Beruf und dann in seiner Ehe.

Einige Tage später besuchte ich ihn wieder, dieses Mal mit gemeinsam mit meiner Mutter. Da zog er sein Shirt aus und zeigte uns die Narbe. Sie reichte von wenigen Zentimetern unterhalb seines Halses bis zum Bauchnabel. So lang mussten die Chirurgen den Graben ausheben, um den Teilkrieg zu gewinnen, der meinem Vater noch ein paar Jahre Leben schenkte.

Er starb zwanzig Jahre später an einem Darminfarkt. In einem Krankenhaus in Seligenstadt. Elendig und nicht mehr zu retten. Wenn der Darm die Schleusen öffnet und das Gift in den Körper entlässt, ist alles vorbei. Da hilft nur noch Morphium, um die Schmerzen zu lindern.

Meine Mutter und ich saßen an seinem Sterbebett, als die Krankenschwester kam und uns nach einer durchwachten Nacht ein Essen anbot. "Ich habe eins übrig." Meine Mutter nahm das trockene Brötchen, ich aß den Eintopf. Es war das Essen, das eigentlich meinem Vater gegolten hatte. Es war eingerechnet, obwohl klar war, dass er es nicht mehr zu sich nehmen konnte. Zwei Stunden später war er tot.

Das ist nur die Kurzfassung.
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Alt 21.03.2023, 11:17   #15
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Hallo Ilka-Maria,

vielen Dank für Deinen Kommentar auch wenn er wenig begeistert ist.
Zitat:
Die für mich aber keine Geschichte ist, sondern eine Reportage.
Nein, es ist eine Geschichte. Eine Reportage ist unpersönlich, und das ist meine Geschichte weiß Gott nicht.
Zitat:
Auch wenn dein Text sprachlich auf hohem Niveau steht, kann ich mich nicht mit ihm identifizieren.
In Nr. 10 des Fadens schildere ich stephanius die Idee, die in der Geschichte verpackt ist. Mit dieser solltest Du Dich eigentlich "identifizieren" können. Hast Du, als vielbelesene Literatin, denn wirklich keinen Dichter oder Schriftsteller, der Dir so nahe steht, so lebendig ist, daß er in bestimmten Situationen durch Zitate gleichsam zu Dir sprechen könnte? Der Dir durch sein Beispiel Mut zum Weitermachen einflößt?

Lieber Gruß

Friedrich
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Alt 21.03.2023, 12:42   #16
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Zitat:
Zitat von Friedrich Beitrag anzeigen
Eine Reportage ist unpersönlich, und das ist meine Geschichte weiß Gott nicht.
Deine Geschichte ist nicht unpersönlich, Friedrich, das bejahe ich gerne. Aber sie ist für mich nicht sonderlich bemerkenswert. Vielleicht liegt es daran, dass mein Vater mehrere Herzinfarkte hatte, die eine aufwendige Herzoperation notwendig machten. Krepiert - und das ist der richtige Ausdruck dafür - ist er aber an einem Darminfarkt. Das ist eine eine andere Hausnummer, da kann nämlich kein Arzt mehr helfen.

Eine Reportage ist persönlich, im Gegensatz zu einem Report. Bei einer Reportage muss der Journalist (oder wer auch immer) selbst vor Ort sein und miterleben, worüber er schreibt. Reports hingegen kann man vom Schreibtisch aus erledigen, da hilft der PC und Google, also die reine Recherche bei den Beständen anderer Vorarbeiter, aus denen man sich dann einen Bericht = Report zusammenschustert.

Bei einer Reportage ist ein Berichterstatter immmer persönlich involviert. Und oft genug bezahlt er dafür mit seinem Leben.
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Alt 22.03.2023, 18:39   #17
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Lieber Friedrich,

ein Beitrag so alt, er könnte mittlerweile in der Pubertät sein. Hast du dich im Zuge dieser Ausgrabung nochmal der Lektüre deiner Worte hingegeben und Veränderung oder Befremdung dabei empfunden? Ich habe die anderen Kommentare nicht gelesen, weil ich dir meinen direkten Eindruck schildern wollte. Solltest du das also schon beantwortet haben, bitte ich um Verzeihung. Die Frage hat natürlich nichts mit dem Text zu tun und ist vielleicht auch zu persönlich. Finde die Frage nur ab einem gewissen Zeitabstand generell interessant.

Und jetzt zu meiner Meinung: Mir gefällt dein Schreibstil, weil selbst so eine profane Situation, die früher oder später jeden Menschen in ähnlichen Abwandlungen erwischen wird, seine Glaubwürdigkeit bekommt. Die Geschichte mag wirklich erlebt, oder ausgedacht sein, sie wirkt authentisch und nicht aufgesetzt.

Es gibt keine große Dramaturgie oder einen Drang nach vorne.. aber das wäre hier auch deplatziert. Es ist was es ist und wirkt wie ein Erfahrungsbericht. Besonders fiel mir das in der Szene mit dem MRT auf. Ich persönlich fand die Röhre immer angenehm, behaglich und ich musste am Ende immer geweckt werden. Ich kenne aber auch Menschen, die das sehr unbehaglich finden, bis hin zu einem Ort, der Panikattacken auslöst. Was ich sagen möchte ist: Die Szene erschien mir nicht unrealistisch, weil mein Erfahrungsschatz ein anderer ist, sondern glaubhaft, weil die Geschichte den Protagonisten glaubhaft aufbaut.

Das gleiche gilt für die Passion zu Hölderlin. ´Man kann sich natürlich darüber Streiten, ob das der Dichter der Dichter ist, aber die Geschichte gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass der Protagonist dies so empfindet.
Die kursiven Einschübe, die jeweils mit dem Erlebten abgeglichen werden, habe ich als eine schöne Variante empfunden, wie jemand versucht einen Realitätsbezug zu finden und sich mit Hilfe vom Bekannten halt in diesem Neuen zu geben. Ist natürlich immer eine Interpretation, so habe ich es jedenfalls beim Lesen empfunden.

Ich hoffe dir hat meine Perspektive auf deinen Text etwas gebracht. Trotz des langen Zeitabstandes danke ich dir für das Teilen.

LG,
Erebos
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Alt 22.03.2023, 20:35   #18
Friedrich
 
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Lieber Erebos

vielen Dank für Deinen wertvollen Kommentar. Ich weiß ihn sehr zu schätzen.
Zitat:
ein Beitrag so alt, er könnte mittlerweile in der Pubertät sein.
Ja, ich habe den Beitrag 2010 hier eingestellt und war dann lange nicht mehr hier, weil ich mich ausschließlich in dem inzwischen abgebrannten Forum gedichte.com aufhielt. In diesem Jahr bin ich wieder zurückgekehrt. Wenn ich den Text wieder lese, dann stellt sich dabei keine "Befremdung" ein. Ich begegne mir nur wieder, so wie ich mich in jenen 16 Stunden im Jahre 2005 gefühlt und was ich gedacht habe. Man möchte dabei, daß jenes Lebendige, das in der Geschichte in Sprache eingebunden ist, für immer erhalten bleibt, daß es nie stirbt, auch dann nicht, wenn man selbst nicht mehr ist. So wie Hölderlin in seinen Gedichten und im Hyperion lebendig ist, so lebendig, daß er sogar in schlimmen Zeiten inform von Zitaten zu einem spricht. Kann das nicht auch der Sinn von Literatur sein, daß der Autor darin weiterlebt?
Zitat:
Mir gefällt dein Schreibstil, weil selbst so eine profane Situation, die früher oder später jeden Menschen in ähnlichen Abwandlungen erwischen wird, seine Glaubwürdigkeit bekommt
Hölderlin schrieb 1804 "Hälfte des Lebens", worin sich eine düstere Vorahnung ausdrückt. 1806 wurde er mit Gewalt von Bad Homburg in das Universitätsklinikum in Tübingen gebracht, in der er 231 Tage lang behandelt wurde. Danach war er nicht mehr derselbe und verbrachte die restlichen Jahre bis 1843 im heutigen Hölderlinturm am Neckarufer. Der Protagonist meiner Geschichte spürt auch deswegen die Nähe des Dichters.
Zitat:
Besonders fiel mir das in der Szene mit dem MRT auf.
Ich habe inzwischen mehrere von dieser Sorte über mich ergehen lassen, es war aber nie mehr so wie damals bei meiner ersten. Das lag wohl auch daran, daß ich befürchtete, es könnte mir genauso ergehen wie meinem Vater.
Zitat:
Das gleiche gilt für die Passion zu Hölderlin.
Die ist zweifelsohne da. In Hölderlin verschmelzen sich die Liebe zum antiken Griechentum mit der Romantik, mit der Liebe zur Natur. Auch ich kann mich für beides begeistern und finde deshalb in Hölderlin meinesgleichen.
Zitat:
wie jemand versucht einen Realitätsbezug zu finden und sich mit Hilfe vom Bekannten halt in diesem Neuen zu geben.
In Krisensituationen, in denen man nachts in einem Krankenhausbett liegt und die Lage bedrückend ist, geht einem vieles durch den Kopf, und wenn man später darüber nachdenkt, ist es wohl deswegen, um einen Halt zu finden. Da hast Du wohl recht.
Zitat:
Ich hoffe dir hat meine Perspektive auf deinen Text etwas gebracht.
Auf jeden Fall, vielen Dank Erebos. Schön, mit Dir über meine Geschichte ins Gespräch gekommen zu sein.

Liebe Grüße

Friedrich
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Lesezeichen für Hölderlin am Krankenbett

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