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Alt 14.12.2022, 17:42   #1
männlich Axel-Gerd
 
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Standard Der Vogel im Schornstein

Der Vogel im Schornstein

Dies ist er, einer dieser Tage, an denen man morgens aufsteht, nichtsahnend die Zeitung aus dem Briefkasten holt, um sie in Gefasstheit der zu erwartenden Nachrichten am Frühstückstisch zu studieren. Ein völlig normaler, der Ruhe und Besinnlichkeit frönender Rentnertag scheint seinen Anfang zu nehmen, ich sitze im Wohnzimmer, das Frühstück ist Vergangenheit und Gedanken um den weiteren Verlauf dieses Tages durchströmen mich. Das Wetter lädt nicht dazu ein, mit ihm gemeinsam etwas zu unternehmen, derweil ich ein Geräusch aus Richtung Kaminschornstein vernehme. Ein seltsames kratzen, oder? Ruhe, es wird sich eine Taube auf den Schornstein gesetzt haben, diese Laute klingen zumindest so. Wir haben im Wohnzimmer eine „Haustechnische Einrichtung zum Verfeuern von Festbrennstoffen“, kurz einen Kamin, dessen Abzug direkt an der Außenwand empor verläuft, ab und zu setzen sich Vögel auf seine Metallspitze, um Ausschau zu halten, einen Snack zu vertilgen, oder zu tun, was gefiederte Freunde sonst so tun. Dank dieser metallenen Spitze übertragen sich die dabei generierten Geräusche vorzugsweise mühelos über besagten Schlot und erfüllen unser Wohnzimmer dann mit Klängen des Lebens. Da, ein erneutes kratzen, jetzt wird die Sache langsam unheimlich. Eine Weile tut sich nichts und ich lehne mich zufrieden in des Sessels Schoß. Es dauert nicht lange und das Geräusch erklingt aufs Neue. Die grauen Zellen in meinem Kopf fangen an, ihre Aktivitäten zu verstärken, indes ein Gedankenimpuls das Gehirn durchfährt, - ach ja, habe ich glatt vergessen, aber - heute? Er hatte sich doch für gestern angesagt? Er wird es nicht geschafft haben und ist deshalb jetzt zu uns gekommen. Der Schornsteinfeger meldet sich nicht immer an, da der Schornstein von Außen, vom Hof aus gefegt wird, und so erfahren wir von seiner Anwesenheit oft erst durch die einflatternde Rechnung. Dann wird ja in absehbarer Zeit wieder Ruhe eintreten. Großer Irrtum, so stellte es sich in Kürze heraus. Ein erneutes Kratzen aus Richtung Kamin veranlasste mich, doch einmal auf dem Hof nachzuschauen, ob der „Schwarze Mann“ nicht bald fertig ist. Gesagt, getan, Schuhe angezogen und auf ein Gespräch mit dem Kaminkehrer eingestellt. Niemand zu sehen, ist er soeben verschwunden, komme ich zu spät? Egal, Hauptsache das arg störende Geräusch hat ein Ende. Wohnzimmer, Sessel, kurze Ruhephase, erneutes Kratzen. Was sagt mir diesmal mein Gefühl, hat der Herr der Dächer und Schlote nur rasch gefrühstückt, um sein tönendes Werk jetzt fortzusetzen? Dies erscheint mir unlogisch. Oder ist da etwa, - ach nein das funktioniert nicht, die Abdeckung ist so gestaltet, dass kein Vogel in den Schornstein fallen kann, soweit die Theorie. Es gibt ja Tiere, die sind kleiner von Wuchs wie Tauben, aber das hatten wir in den vielen Bestandsjahren dieser Wärme produzierenden Einheit bisher nie. Da, Kratzen, diesmal etwas intensiver und ja, es könnten Vogelkrallen sein, die dort krampfhaft versuchen, aus dem vermeintlichen Gefängnis zu entfliehen. Jetzt ist guter Rat teuer. Was kann ich unternehmen, das Ofenrohr entfernen, ohne zuvor einen Maler zu bestellen, der das Wohnzimmer unter Einsatz einer größeren Menge finanzieller Anreize wieder in helle Farben hüllt? Öffne ich zuerst einmal die Ascheklappe auf dem Hof und mit etwas Glück findet mein kleiner Freund den Weg zurück in die Freiheit? Gedacht, gehandelt, diese Aktion ist schnell erledigt, gefolgt von Minuten voller banger Hoffnung. Dieser Weg ist allem Anschein nach nicht der seine, erneute Geräusche vermitteln mir diesen Eindruck. Dann demzufolge doch rann an den Kamin. Ich stelle fest, dass der Vogel und darin bin ich mir sicher, sich längst im Ofen aufhält, genauer gesagt vor den Feinstaubfiltern. Der Weg durch den Schornstein, durch die Esse, vorbei an den Wärmeschleusen bis fast in den Brennraum liegt folglich hinter ihm. Bei aller Tierliebe, wenn ich jetzt die Ofentür öffne und die Filter entferne, dann wird er im Sturzflug den ungemütlichen Raum verlassen und mit seinem rußig schwarzen Federkleid einen Weg in die freie Natur suchen. Auf diesem Pfad wird er allen weißen Wänden, den Bildern, den Büchern und den Gardinen einen Besuch abstatten, sie markieren bis die Freiheit endlich wieder die seine ist. Ach du meine Güte, was gilt es zu unternehmen? Ok, ich werde den Filter entfernen, aber die Ofentür sofort schließen. Wenn er sich dann im Brennraum aufhält, fange ich ihn vorsichtig mit einem Tuch. Das Vorhaben wurde gestartet, besagter Abluftreiniger entfernt und die Tür schnell geschlossen. Ruhe, weder war ein Kratzen zu hören noch ist der Vogel zu sehen, still ruht der Ofen. Ist er schon raus, oder doch wieder zurück? Was ist das, durch die Scheibe nehme ich nach einigen Flattergeräuschen die Schwanzfedern meines Leidensgenossen wahr. Vorsichtig und voller Zuversicht erfasse ich das bereitgelegte Tuch, begebe mich in Richtung Ofentür, lege eine Hand auf den Öffner, was macht das Tier? Es fliegt zurück in die Tiefen des Schornsteins. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob er weiterhin zur Gruppe der Freunde zählt. Dieses Spiel praktizieren wir einige Male, dann resigniere ich. Meine Frau hat regen Anteil an allen Aktionen genommen und wie immer in solchen Situationen, übernimmt sie das Ruder. Egal was passiert, sagt sie, dem Tier muss geholfen werden, wir öffnen die Terrassentür so weit wie möglich, du gibst die Ofentür frei und dann werden wir sehen, was geschieht. Und so wurde der Gedanke unmittelbar in die Tat umgesetzt. Es dauerte nicht lange, der Vogel, unter seinem tiefschwarzen Federkleid verbarg sich ein Spatz, verließ den Kamin auf angedachtem Weg. Er drehte einige Orientierungsrunden in unserem Wohnzimmer, setzte sich auf die Gardinenstange um dann im Nonstopflug nach einer kurzen Begrüßung der Gardine in die Freiheit zu fliegen. Jetzt gingen wir die Nachbereitung an, ein Maler war nicht von Nöten. Das Ergebnis dieser Rettungsaktion war neben einem frisch aufgesaugten Zimmer die Gewissheit, das dieses Mal der Schornstein definitiv gefegt wurde.
Uns umgab ein zutiefst seliges Gefühl.
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