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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten. |
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29.11.2024, 21:27 | #1 |
Kleine Vogelkunde Nordamerikas (1): Der Truthahn
Wo dunkel die Zypressen schweigen
(besonders, wo sie bald versumpfen), pflegt dieser Vogel sich zu zeigen und weiß dort glänzend aufzutrumpfen. Verführt vom Veitstanz der Hormone, mutiert der liebestolle Puter zur aufgebauschten Stilikone und randaliert als Ego-Shooter. Es naht die Zeit des Erntedankes, wenn bunt das Laub der Wälder rostet. Die Neige seines Liebestrankes hat unser Held längst ausgekostet. Ein Haus mit weißer Prunkfassade wird unverhofft zu seinem Kerker. Der Hausherr spricht ein Wort der Gnade und präsentiert ihn auf dem Erker. Das Henkersbeil war schon geschwungen, sein Leben drohte zu entfliehen. Noch einmal ist es ihm gelungen, den Kopf der Schlinge zu entziehen. |
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29.11.2024, 22:39 | #2 |
Forumsleitung
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Witzig-sarkastisch und wieder flott und sprachlich virtuos gedichtet, lieber Cornelius.
Lediglich am Ende habe ich aufgemerkt, aber nicht der Dichtkunst wegen, sondern wegen der Wortwahl. Es geht um das Wort "gelungen", das mir unpassend erscheint. Tierhaltung zwecks Schlachtung, wenn die Zeit dafür gekommen ist, findet für das Tier passiv statt. Der Turkey tut nichts, was ihm gelingen könnte. Ein Gelingen ist sowieso nichts, für das es jemals eine Garantie gegeben hätte. Man kann planen und sich entsprechend einem Plan verhalten, ob er gelingt, weiß man aber bis zum Ende seiner Ausführung nicht. Wenn er gelingt, tut er das aus sich selbst heraus, die Hintergründe, weshalb, bleiben jedoch im Dunkel. Das Verb "gelingen" ist insofern interessant, weil es nur in der deutschen Sprache existiert und quasi unübersetzbar ist. Es ist nicht das gleiche wie z.B. "succeed" oder "manage", das die Aktivität des Subjekts voraussetzt, auch wenn es in Wörterbüchern oft in dieser Übersetzung steht. "Gelingen" geht dem Erfolg voraus, "Misslingen" macht ihn zunichte. Viel Erklärung um ein einzelnes Wort, was man für spitzigfindig halten kann. Aber dann stört an der letzten Strophe noch die Gleichsetzung des Henkerbeils mit der Schlinge. Na, was nun? Kopf ab oder den Hals gedrosselt? Die Schlinge könnte als Metapher für den gewaltsamen Tod gelten, funktioniert aber in dieser engen Verbindung mit dem Henkersbeil nicht mehr bzw. ist eine Metapher zu viel. Ist jedoch meine persönliche Art, die Strophe zu lesen. LG Ilka |
04.12.2024, 18:21 | #3 |
Liebe Ilka,
erstmal Danke für deinen ausführlichen Kommentar! Wenn man so genau liest wie du (ich selbst habe es zunächst nicht getan ...), fällt natürlich auf, dass in der letzten Strophe zwei Metaphern miteinander konkurrieren. Vielleicht ließe sich das wie folgt ausbügeln: Das Henkersbeil war schon geschliffen. Sein Leben drohte zu entfliehen. Just hat Fortuna eingegriffen und lässt den Delinquenten ziehen. Nun ist ein Delinquent ein Übeltäter und damit ein aktiv Handelnder, und der Turkey hat genau genommen nichts Nachweisbares getan, er hat sich lediglich fangen lassen. Ich halte es aber im Rahmen einer Satire für zulässig, die verwendeten Begriffe zu dehnen, gerade um ihre Dehnbarkeit zu prüfen - und ruhig auch mal um der Komik willen ein Wort zu verwenden, das haarscharf (oder auch total, aber gezielt) daneben liegt. Was wiederum meine Sicht ist. Gruß Cornelius |
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